Von berühmten Dirigenten, Solisten und Orchestern, Aufnahmen - und ihrem Ewigkeitswert

  • Dieser Thread ist mir soeben spontan eingefallen, als über die verschiedenen Aufnahmen von Beethovens Sinfonien die Rede war und unter andem Caruso41 schrieb:


    Zitat

    Ganz abgesehen davon, was an Gesamtaufnahmen noch so kommt: ich werde mir kaum nochmal einen gesamten Zyklus bestellen, denn ich habe bereits so viele in den Regalen stehen und genau genommen lege ich zu Hause kaum je eine Beethoven-Sinfonie auf.


    Nun - ich lege gelegentlich schon eine Beethoven Sinfonie auf - und ich wechsle auch die Aufnahmen. Dazu kaufe ich - entgegen meinen Vorsätzen doch immer wieder was Neues. Aber trotz etlicher Gesamtaufnahem , fehlen mir doch zahlreiche Aufnahmen von Berühmtheiten. Da falle ich dann gelegentlich doch um und kaufe. Der Szell Zyklus ist gerad zu mir unterwegs. Immer wenn ich glaube, ich wäre komplett, dann finden die Tonträgergesellschaften etwas in den Archiven - und ich werde schwach. Da ist dann für Aufnahmen mit Orchesten aus irgendwelchen Provinzstädten keine Chance in meiner Sammlung zu landen - zumindest nicht mit den Schlüsselwerken des Mainstream.
    Daß diese Orchester und ihre Dirigenten dennoch bei mir zum Zug kommen hat andere Gründe - darüber später in diesem Thread - so er auf Resonanz stösst - und sich entwickelt......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    was ist eigentlich die Frage, auf die in diesem Thread Antworten gesucht weden sollen?


    Da ist dann für Aufnahmen mit Orchesten aus irgendwelchen Provinzstädten keine Chance in meiner Sammlung zu landen


    Bis das klar ist, stelle ich erst mal eine Nachfrage zu einer Formulierung:


    Was bitte, sind "irgendwelche Provinzstädte"?
    Meinst Du da so verschnarchte Nester wie Minneapolis, Toulouse, Birmingham, Lahti oder Bremen, wo ja keine Musik gemacht wird, die einen interessieren müsste?


    Gruß
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Caruso 41

    Zitat

    was ist eigentlich die Frage, auf die in diesem Thread Antworten gesucht weden sollen?


    Nicht jeder Thread besteht aus einer Frage. Indes ist dieser indirekt eine Raktion auf die Bemerkung von Dir


    Zitat

    Beethoven von der Deutschen Kammerphilharmonie unter Paavo Järvi ist mir auch lieber als von den Wiener Philharmonikern unter Muti oder Welser-Moest


    Das ist natürlich Dein gutes recht das so zu empfinden und auch hier niederzuschreiben. Hätte ich nicht dieses Forum und das Internet - ich wüsste vermutlich nicht daß es so eteas wie eine "Deutsche Kammerphilharmonie" überhaupt gibt.
    ZU groß ist die Anzahl wirklich bedeutender Aufnahmen, die in einem ordentlich geführten Archiv einfach enthalten sein müssen.


    Muti und Welser Möst sind zwar in meiner Sammlung enthalten , aber eher "zufällig als beabsichtigt"


    Wenn aber jemand (Bertarido) schreibt er bevorzuge Järvi vor Thielemann, dann weiß ich eigentlich nicht was ich davon halten soll - oder besser gesagt, ich weiß es schon - möchte meine Gedanken dazu fürs erste aber nicht kundtun - es sei denn man provoziert mich....


    Caruso41 fragte (spöttisch):

    Zitat

    Was bitte, sind "irgendwelche Provinzstädte"?
    Meinst Du da so verschnarchte Nester wie Minneapolis, Toulouse, Birmingham, Lahti oder Bremen, wo ja keine Musik gemacht wird, die einen interessieren müsste?


    Nun ja, dort mögen Orchester sein, die regional von Bedeutung sind - jeder wird das etwas anders sehen - aber die Metropolen der klassischen Musk sind wohl doch eher woanders. Man frage eine repräsentatibe Gruppe von Konzertbesuchern in Berlin oder Wien, wo denn Lahti ist, welches Orchester dort beheimatet ist und wer der Chefdirigent sei, welche Aufnahmen es mit diesem Orchester gibt. Ich nehme an das Ergebnis wird ein eindeutiges sein. Oder man frage in London nach Aufnahmen aus Bremen.


    Provinz bedeutet ja nicht per se schlechteres Musizieren - aber das Hauptinteresse liegt wohl bei den musikalischen "Hauptstädten" Ausnahmen gibt es natürlich immer - vorzugsweise dann, wenn ein Chefdirigent eines bislang eher "unbedeutenden" Orchesters das Kommando übernimmt, und das Orchester plötzlich "in aller Munde" ist.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn aber jemand (Bertarido) schreibt er bevorzuge Järvi vor Thielemann, dann weiß ich eigentlich nicht was ich davon halten soll - oder besser gesagt, ich weiß es schon - möchte meine Gedanken dazu fürs erste aber nicht kundtun - es sei denn man provoziert mich....


    Und ich dachte, diese Aussage sei schon provokativ genug gewesen, um Dich zu einer Reaktion zu bewegen. ^^


    Ich habe früher auch großen Wert auf berühmte Namen - Dirigenten und Orchester - gelegt. Das in meiner Sammlung wahrscheinlich am häufigsten vertretene Orchester sind die Wiener Philharmoniker (woraus hervorgeht, dass ich dieses Orchester sehr schätze). Seit einiger Zeit habe ich mich aber davon gelöst und sehe es nun als Irrglauben an, dass berühmte Namen auch die besten Aufnahmen oder Aufführungen garantieren. Im konkreten Fall - aktuelle Gesamtaufnahmen der Beethoven-Symphonien - sehe ich die Thielemann-Einspielung als Fortsetzung einer etablierten Aufführungstradition, sicherlich auf hohem Niveau, aber ohne sich gegen viele andere Aufnahmen absetzen zu können. Im Einzelfall wird sie in machen Punkten mehr, in anderen weniger überzeugen als Karajan, Bernstein, Abbado, Rattle usw., aber das ist für mich kein Grund, meinen vielen Aufnahmen noch einen weiteren Zyklus hinzuzufügen. Järvis Aufnahmen mit der Kammerphilharmonie hingegen präsentieren eine neue und durchweg überzeugende Sicht auf die Beethoven-Symphonien. Sie sind eine echte Bereicherung meiner Sammlung, ohne dass ich deswegen zum Beispiel meine geliebten Bernstein-Aufnahmen mit den Wienern weniger schätze. Im übrigen haben sie auch international höchstes Lob erfahren, und einem Londoner wird zumindest dann, wenn er Grammophone-Leser ist, die Deutsche Kammerphilharmonie in Bremen ein Begriff sein ;)


    Ähnlich ist es mir in der letzten Zeit häufig ergangen: die Aufnahmen, die zu wirklichen Aha-Erlebnissen geführt haben, kamen meistens nicht von den berühmten Dirigenten und Orchestern. Was davon nun Ewigkeitswert haben wird, ob man in fünfzig Jahren eher die Thielemann- oder die Järvi-Aufnahme oder beide zum unverzichtbaren Kanon der Beethoven-Einspielungen rechnen wird, das wage ich nicht vorherzusagen. Wenn ich mir anschaue, was hier in diesem Forum unter den alten Aufnahmen als Referenz gehandelt wird, dann sind dies aber keineswegs nur die ganz bekannten Dirigenten und die Orchester aus den Metropolen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich habe überlegt, was mir zu diesem Thema einfallen könnte. Es geht wohl um den "Ewigkeitswert", da sind natürlich die großen Namen gemeint, die auch medial stark vertreten sind.

    Da ist dann für Aufnahmen mit Orchesten aus irgendwelchen Provinzstädten keine Chance in meiner Sammlung zu landen - zumindest nicht mit den Schlüsselwerken des Mainstream. Daß diese Orchester und ihre Dirigenten dennoch bei mir zum Zug kommen hat andere Gründe - darüber später in diesem Thread - so er auf Resonanz stösst - und sich entwickelt..

    Na ja, da muss man nicht ganz so mitgehen. Es gibt ja immer mal wieder auch interessante Entdeckungen, die gab es bei mir kürzlich mit dem Beethoven-Violinkonzert und Antje Weithaas (Kadenzen!!) sowie mit den Brahms-Sinfonien mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt(Oder). Das ist schon tiefste Provinz. Aber gut anzuhören und in einigen Passagen etwas anders wie bei alt eingesessenen Ensembles. Ob diese aber einen Ewigkeitswert haben, das weiß doch keiner. Wahrscheinlich nicht. Bei Beethoven-Zyklen ist auch für mich eine gewisse Sättigung eingetreten. Und auf die Bremer Kammerphilharmonie zurückzukommen: Das ist ein gutes Orchester. Aber eine Kammerphilharmonie. Nicht die Wiener oder Berliner Philharmoniker, die spielen beide in einer anderen Liga. Was Anschaffungen angeht: Es gibt immer wieder neue und sehr gute jüngere Solisten. Die können es mal in die Ewigkeit bringen. Nicht jeder, aber dieser oder jener. Wer mir gut gefällt, z.B. beim Live-Erlebnis in Konzerten, der sollte dann auch mal in die Sammlung kommen. Und zu Paavo Järvi: Der ist doch richtig gut, wobei ich den Beethoven mit den Bremern nicht kenne und nicht kennen werde, dafür anderes. Und er kann sich noch steigern. Er hat nicht die Schlagzeilen wie Thielemann, aber die haben aber ja auch einen besonderen Hintergrund, weil der eben polarisiert. Welser-Möst: Der hat bestimmt keinen Ewigkeitswert. Übrigens: Orchester in der Provinz erfüllen dort eine wichtige Funktion, gut, dass es noch allerhand davon gibt, denn nicht alle können oder wollen in die nicht immer nahe nächste Großstadt fahren. So nun dazu erstmal genug.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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  • Orchester in der Provinz erfüllen dort eine wichtige Funktion, gut, dass es noch allerhand davon gibt, denn nicht alle können oder wollen in die nicht immer nahe nächste Großstadt fahren. So nun dazu erstmal genug.


    Ohne die Orchester in der Provinz hätte ich zumindest hier nichts mehr zu schreiben, denn immer nur über Brahms aus Wien und Beethoven aus Berlin oder umgekehrt, gähn...
    Fast alle interessanten Neuentdeckungen werden in der Provinz gemacht bzw eingespielt und gerade auch unser Forenbetreiber hortet diese CDs zu Hunderten, deshalb verstehe ich seine abwertende Aussage nicht ganz.

  • Bertarido schrieb:

    Zitat

    Und ich dachte, diese Aussage sei schon provokativ genug gewesen, um Dich zu einer Reaktion zu bewegen.


    Ich bemühe mich derlei zu durchschauen und anders zu reagieren als man von mir erwartet (das gekingt leider nicht immer)
    Zudem habe ich mir (bissigster Skorpion aller Zeiten) Selbstdisziplin auferlegt, denn ansonst gäbe es heute dieses Forum nicht mehr.


    Zitat

    Im konkreten Fall - aktuelle Gesamtaufnahmen der Beethoven-Symphonien - sehe ich die Thielemann-Einspielung als Fortsetzung einer etablierten Aufführungstradition, sicherlich auf hohem Niveau, aber ohne sich gegen viele andere Aufnahmen absetzen zu können.


    Prinzipiell stimme ich hier zu - indes setzt sich dieser Zyklus durch seinen - heute schon als exotisch geltenden - Traditionalismus von den anderen ab. Ein Ruhepol quasi in einer unruhigen Welt - im besten Sinn des Wortes konservativ.


    Es gibt natürlich viele Deutungen von Beethovens Sinfonien, aber die von eher jungen Orchestern sind mit zuwider, sie stellen das archaiisch monolithische (Klemperer, Celibidache) in Frage, zerstören das majestätisch Erhabene, Triumphierende (Karajan, Böhm) und lassen die Strenge von Szell und Mravinsky vermissen.


    In der mir zur verfügung stehenden Videoaufnahme einer Beethoven-Sinfonie (irgendein Gratis Sampler von Fonoforum ?) hate ich den Eindruck eines fröhlichen gehopses des Orchesters. Mehr in meinen nächsten Beiträgen, denn ich habe noch einigen Teilnehmern des Threads zu antworten.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • @ Timmiju


    Die Wichtigkeit von Provinzorchestern steht ausser Frage. Allerdings sind sie für Tonträger entbehrlich. Und hier gibt es wieder eine Einschränkung: Das zuletzt gesagt gilt nur für Mainstream. Dazu später mehr.


    Soeben ist ein "Umfaller" ausgepackt worden, nämlich der Beethoven Zyklus unter Georges Szell. Eigentlich hatte ich - nachdem ich in den letzten 3-4 Jahren meine Sammlung in diesem Punkt in etwa verdreifacht habe, keinen Zyklus mehr zu kaufen - aber ich stand letztlich auf dem Standpunkt Szell sei unverzichtbar. Und natürlich sind seine Aufnahmen Projekte für die Ewigkeit.


    Genau das ist das Problem. Wenn ich vor der Wahl stehe eine "Aufnahme für die Ewigkeit" oder eine vom Zeitgeist bestimmte Aufnahme der Gegenwart zu erwerben, werde ich zumeist die "unsterbliche" Aufnahme in meine Sammlung aufnehmen.


    Zitat von Lutgra

    Zitat

    Fast alle interessanten Neuentdeckungen werden in der Provinz gemacht bzw eingespielt und gerade auch unser Forenbetreiber hortet diese CDs zu Hunderten, deshalb verstehe ich seine abwertende Aussage nicht ganz.


    Dieses scheinbar widersprüchkiche Verhalten ist leicht erklärt. Ich habe sehr viel Nischenrepertoire mit Provinzorchestern und weniger bekannten Dirigenten, etc etc. Bei Nischenrepertoire schaue ich nicht wer es dirigiert und wie das Orchester heisst - man hat sowieso meist keine Wahl. Natürlich gibt es da ein paar Größen, wie einst Helmut Müller-Brühl oder heute Johannes Moesus. ich bin den zahlreichen Violinsolisten und Pianisten dankbar, daß sie ihr Talent dem Nischenrepertoire opfern, fragt man mich aber, wer denn die zahlreichen Veröffentlichungen von Werken von Dussek, Vanhal, Pleyel, Wölfl, Raff und Ries spielt - ich könnte das nicht ad hoc sagen. Zudem muß ich sagen, daß ich mein Kaufverhalten geändert habe, seit ich das Forum betreibe. Man muß einfach informiert sein. Als Privatmann ist man in dieser Hinsicht freier. Dazu in Zukunft (vielleicht) mehr.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wir sind - und ich schließe mich da nicht aus - wie so oft - ein wenig vom Thema abgekommen: Vom "Ewiglkeitswert" zur Diskussion über den Stellenwert von "Provinzorchestern". Da war sicher manches überspitzt formuliert worden.
    Einfacher ist die Sache Schon, wenn wir und die Frage anders stellen:
    Nehmen wir an, die Aufgabe wäre eine Tonträgersammlung anzulegen wo man jedem Werk - nehmen wir als Beispiel die Beethoven-Sinfonien - nur ZWEI Interpreten zuordnen darf. Diese Sammlung sei - als Hypothese - die einzige, die auf Dauer überlebte.
    Welche Aufnahmen möchte ich der Nachwelt hinterlassen , wer darf vergessen werden ? - Kann man wirklich die legendäre Karajan Aufnahmen (von1962) durch jene eines anderen Dirigenten ersetzen ? Wer ist der 2. würdige ?


    Glücklicherweise müssen wir diese Entscheidung niemals in dieser Härte und Konsequenz treffen - indes in kleinem Rahmen trifft sie jeder Sammler, dessen finanzielle und vor allem räumliche Resourcen, begrenzt sind. Und wenn wir meinen, daß die beiden Parameter keine Rolle spielten, da wäre dann noch der Faktor Zeit.
    Natürlich hat der reiche Privatier mehr Zeit zum Hören zur Verfügung, als der Werktätige, Beamte, Manager oder Firmeninhaber etc..
    Aber letztlich ist jedermanns Lebenszeit begrenzt - wir müssen eine Auswahl treffen - das Leben ist zu kurz um sich mit Mittelmäßigem zu begnügen.
    So werden - die Erfahrung bestätigt dies - die Leute meist immer zu den selben berühmten Namen greifen --- oder ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • So werden - die Erfahrung bestätigt dies - die Leute meist immer zu den selben berühmten Namen greifen --- oder ?


    Also, ich würde stark bezweifeln, dass die Mehrheit der Taminos bei einer Auswahl von nur zwei Beethoven-Zyklen den von Karajan dabei hätten.

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  • Also, ich würde stark bezweifeln, dass die Mehrheit der Taminos bei einer Auswahl von nur zwei Beethoven-Zyklen den von Karajan dabei hätten.


    Nun, es wären bei mir in der Tat Karajan DG III (Digital) und Thielemann, Blue-ray, wenn es denn tatsächlich nur zwei Gesamteinspielungen sein dürften (ich habe viel mehr....)


    Warum denn nun auch Karajan?
    Weil ihm die Symphonien 3, 5, 7 und 9 einfach exemplarisch gut gelungen sind, perfekt in jeder Hinsicht, strahlend im Klang, mit großem Bogen und immer sehr engagierend, mehr als bei den meisten anderen.


    Thielemann ist deshalb eine mindestens gleichwertige Alternative, weil es bei ihm den dunklerem "deutschen" Klang gibt, eine hohe Flexibilität und Sensibilität, viel Anmut und Atmosphäre in der Pastorale, Wucht bei der Eroica, beredte Klangrede bei der Ersten und Zweiten, Witz und Feinsinn bei der Achten und immer die Verbindung von Musikantentum und Reflexion.


    Eine Abstimmung bei Tamino wäre überdies nicht repräsentativ für die Mehrheit der Klassikhörer...


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Karajan war für mich früher gerade bei Beethoven das Maß aller Dinge. Heute sehe ich das viel differenzierter. "Beethoven in Turnschuhen", wie er hier mal bezeichnet wurde, trifft es vielleicht ganz gut. Am besten gelingt Karajan nach meinem Dafürhalten die 5. Symphonie. Bei den Studioaufnahmen würde ich jene von 1962 präferieren, wobei selbst diese eine gewisse Eigenart auszeichnet, die inbesondere in der "Pastorale" als Werkverfehlung durchgehen könnte. Das Bild vom Jetset-Dirigenten, der mit seinem Porsche durch die Landschaft rauscht, durchzieht zwar auch die Fünfte. Bei der mag das allerdings besser klappen, auch wenn ich selbst diese heute nicht mehr als Referenz ansähe. Da sind mir die Deutungen von Furtwängler, Klemperer oder Stokowski näher. Womit wir wiederum drei berühmte Namen hätten.


    Selbst vor Jahren konnte mich Karajans Einspielung der 7. Symphonie nicht umhauen. Man muss dazu sagen, dass eine CD der 62er Aufnahme der 5. und 7. Symphonie eine meiner ersten Klassik-CDs war. Auch bei der "Eroica" oder bei der Neunten denke ich heute nicht mehr primär an Karajan, von den anderen Symphonien ganz zu schweigen. Aber wie gesagt, es ist nun nicht so, dass eine Neuaufnahme diese verdrängt hätte. Viel eher sind es andere Große der Vergangenheit, die ich zwischenzeitlich kennen- und lieben lernte.


    Greife ich heute zu einer Beethoven-Symphonie unter Karajan, dann ist es fast ausschließlich eine Live-Aufnahme. Man sollte nicht glauben, um wieviel packender selbst der Studiofanatiker HvK im Konzertsaal herüberkommt. Den Japanern sei Dank, haben sich zwei gesamte Live-Zyklen aus den Jahren 1966 und 1977 erhalten, wobei hier die Krone ganz klar dem älteren gebührt. Elf Jahre später klang das Orchester nicht mehr so expressiv. Ganz markant im Gewitter der "Pastorale", wo die Berliner Philharmoniker 1966 noch geradezu furtwänglerisch aufheulen dürfen, 1977 schon deutlich gezügelter herangehen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine Abstimmung bei Tamino wäre überdies nicht repräsentativ für die Mehrheit der Klassikhörer...


    Natürlich wäre die nicht repräsentativ, aber das Ergebnis der Mehrheit der Klassikhörer würde mich ehrlich gesagt gar nicht interessieren. Was würde denn das besagen, doch höchstens dass eine gute Aufnahme mit dem optimalen Marketing einen höchstmöglichen Käuferkreis erreicht hat. Viele Menschen würden sowieso nur die eine Aufnahme kaufen und gar keine zweite geschweige denn eine dritte. Insofern war sicher in der Vergangenheit Karajan I aus Berlin - zumindest in Zentraleuropa - die meistverkaufte Beethoven-GA. Gefolgt vielleicht von Bernstein in Wien. Davon kann man sich in jedem secondhand-Laden ein Bild machen, wo es diese Vinyl-Boxen in bestem Zustand für 5-10 € zu kaufen gibt. Die von Leibowitz kostet € 50, die von Schuricht € 100. Nicht weil sie besser sind, sondern weil sie damals so selten verkauft wurden und deshalb heute rar sind.

  • Insofern war sicher in der Vergangenheit Karajan I aus Berlin - zumindest in Zentraleuropa - die meistverkaufte Beethoven-GA.


    Das glaube ich zwar auch, doch, wie Du schon anklingen lässt, sähe das Ergebnis in den USA, vielleicht auch schon in Großbritannien, ganz anders aus. In Amerika wohl eher New York/Bernstein, Cleveland/Szell, Philadelphia/Ormandy und vielleicht noch Boston/Leinsdorf (alle in den späten 50er und 60er Jahren entstanden).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Greife ich heute zu einer Beethoven-Symphonie unter Karajan, dann ist es fast ausschließlich eine Live-Aufnahme.


    Da ist schon etwas dran - wobei ich mir hier vor allem einen Live-Mitschnitt jener Eroica wünschen würde, die in Gegenwart von Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Berliner Philharmonie unter Karajans Leitung aufgeführt wurde. Es muss irgendwann rund 1980 gewesen sein, glaube ich. Das Konzert wurde sowohl im Radio als auch im Fernsehen übertragen, wenn ich mich recht erinnere, im Radio auch mit einem viel lebendigeren Klangbild, als es die zweite 70er-Jahre-Aufnahme hatte.
    Leider habe ich diese sensationell gute Aufnahme noch nirgendwo gefunden, wobei sie allerdings in den Archiven vom WDR oder welcher Rundfunkanstalt auch immer schlummern dürfte. Die Musik war energetisch, detailreich und musikalisch bis in die Haarspitzen. Von dem glattpolierten Klang der zweiten DG-Aufnahme (die ich schon damals sehr gut kannte) war da keine Spur.
    Ich weiß allerdings nicht, wie diese Aufnahme im Vergleich mit der klanglich sehr brillianten 3. Einspielung bei DG dastünde.


    Naja, hier haben wir eine kleine Abschweifung vom eigentlichen Thema (oder eine Verzweigung), aber doch ganz reizvoll.
    Wenn einer weiß, wo man die von mir angesprochene Karajan-Eroica bekommen kann, dann bin ich für Hinweise offen.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Da ist schon etwas dran - wobei ich mir hier vor allem einen Live-Mitschnitt jener Eroica wünschen würde, die in Gegenwart von Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Berliner Philharmonie unter Karajans Leitung aufgeführt wurde. Es muss irgendwann rund 1980 gewesen sein, glaube ich. Das Konzert wurde sowohl im Radio als auch im Fernsehen übertragen, wenn ich mich recht erinnere, im Radio auch mit einem viel lebendigeren Klangbild, als es die zweite 70er-Jahre-Aufnahme hatte.
    Leider habe ich diese sensationell gute Aufnahme noch nirgendwo gefunden, wobei sie allerdings in den Archiven vom WDR oder welcher Rundfunkanstalt auch immer schlummern dürfte. Die Musik war energetisch, detailreich und musikalisch bis in die Haarspitzen. Von dem glattpolierten Klang der zweiten DG-Aufnahme (die ich schon damals sehr gut kannte) war da keine Spur.
    Ich weiß allerdings nicht, wie diese Aufnahme im Vergleich mit der klanglich sehr brillianten 3. Einspielung bei DG dastünde.


    Lieber Glockenton,


    ich habe soeben im Archiv auf karajan.org recherchiert und wurde gleich fündig: Es handelte sich um das Festkonzert "100 Jahre Berliner Philharmonisches Orchester" vom 30. April 1982. Auf dem Programm standen neben der "Eroica" Mozarts 41. Symphonie sowie Bachs Suite Nr. 2 BWV 1067. Im Fernsehen wurde allerdings nur der Beethoven übertragen. Es waren Bundespräsident Carstens und Bundeskanzler Schmidt nebst Damen anwesend. Hier noch eine damalige Rezension des Konzerts.


    Ich zitiere:


    "Das von Herbert von Karajan dirigierte erste Festkonzert zum 100jährigen Bestehen des Berliner Philharmonischen Orchesters, das der Sender Freies Berlin am Freitag, dem 30. April, von 20 Uhr bis 22 Uhr 20 (SFB III) aus der Philharmonie überträgt, wird, wie der SFB gestern mitteilte, von bislang 37 Rundfunkanstalten ausgestrahlt. Zwölf Sender schließen sich dieser Mitteilung zufolge der SFB-Live-Übertragung an, darunter die RAI, Radio Hilversum, der ORF und vier skandinavische Rundfunkanstalten. 25 Sender aus der ganzen Welt haben Bandkopien zur zeitversetzten Ausstrahlung angefordert, unter anderen Radiostationen aus Japan, Korea, Sri Lanka, Kanada, USA (National Public Radio), Türkei, Portugal und Rumänien." (Tsp/dap)


    Da sollte sich eigentlich etwas machen lassen hinsichtlich eines Mitschnitts ...


    Beste Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II,


    ganz vielen Dank für den Hinweis :)


    Gruß
    Glockenton


    PS: an dem 20 minütigem Applaus sieht man wohl, dass es wirklich gut war :D

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Wie schon weiter oben gesagt wurde, kann man die Meinung der Tamino-Mitglieder nicht wirklich als repräsentativ betrachte - auf Grund eines eher "exotischen" Geschmacks. :untertauch::stumm:


    Auch ich hätte bei der Auswahl ein echtes Problem: Karajan ist natürlich Fixstarter, quasi die Referent.
    Damit meini ich nichtm, daß Karajan "der Beste" ist - aber mit den Beethoven-Aufnahmen ist das so eine Sache - ich glaube JEDER , der Beethoven mag hat ihn im Schrank.


    Der zweite Komponist wäre bei mir natürlich Karl Böhm - wenngleich Klemperer ein herber Verlust wäre.


    Das hier beschriebene "Problem" gab es in meiner Jugend in der Tat. Ich löste es damals höchst elegant, indem ich meinen bevorzugten Dirigenten stets nur 1 bis 3 verschiedene Sinfonien zubilligte (mehrere waren schon deshalb nötig, weil einige Schallplatten auch zwei Sinfonien miteinander vereinten (z.B. 7. und 8.)
    Auf diese Weise konnte ich - voll den Regeln entsprechend, jeweils zwei Dirigenten (bzw. damals auch mehr) pro SINFONIE - nicht pro ZYKLUS) kennenlernen. Hier würden in etwa folgende Namen ins Spiel kommen:


    Herbert von Karajan
    Karl Böhm
    Otto Klemperer
    Leonard Bernstein
    Ferenc Fricsay
    Sergio Celibidache
    Bruno Walter
    Christian Thielemann


    Damit würde ich meine Sammlung als genügend repräsentativ betrachten.
    Hier wurde darauf geachtet, daß alle Aufnahmen in ädiquater Tontechnik vorhanden sind, deshalb fehlen Furtwängler (bis heute nicht in meiner Sammlung) und Felix Weingartner....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Auch ich hätte bei der Auswahl ein echtes Problem: Karajan ist natürlich Fixstarter, quasi die Referent.
    Damit meini ich nichtm, daß Karajan "der Beste" ist - aber mit den Beethoven-Aufnahmen ist das so eine Sache - ich glaube JEDER , der Beethoven mag hat ihn im Schrank.


    Ich nicht, obwohl ich für mich in Anspruch nehme, Beethoven zu lieben :hello:


    Hier soll es ja eher um das Thema allgemein gehen und nicht um Beethoven-Zyklen. Wie wäre es mit einer Umfrage: "Welche beiden Gesamtaufnahmen der Beethoven-Symphonien würdet Ihr auswählen, wenn nur zwei Euch für den Rest Eures Lebens begleiten dürfen?" Auch wenn der Geschmack der Taminos "exotisch" sein sollte (warum eigentlich?), würde mich sehr interessieren, welches Ergebnis dabei herauskommt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Da ich Bertaridos Anregung inzwischen realisiert habe und der gewünscht Thread nun bereits läuft, komme ich wieder zu unserem Thema zurück, das ja wirklich nicht nur Beethoven Sinfonien umfasst.
    Persönlich schätze ich Nischenrepertoire sehr - und ich bin hier in Bezug auf Interpreten nicht besonders wählerisch.
    Bei Standardwerken indes, bin ich zumindestens bei den ersten beiden Einspielungen, die ich davon in meine Sammlung einverleibe, bemüht, welche zu nehmen, welche zumindest referenzverdächtig sind. Nachher kann man - was ich eigentlich auch tue - auch unbekanntere Interpreten nehmen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Da ich Bertaridos Anregung inzwischen realisiert habe und der gewünscht Thread nun bereits läuft, komme ich wieder zu unserem Thema zurück, das ja wirklich nicht nur Beethoven Sinfonien umfasst.
    Persönlich schätze ich Nischenrepertoire sehr - und ich bin hier in Bezug auf Interpreten nicht besonders wählerisch.
    Bei Standardwerken indes, bin ich zumindestens bei den ersten beiden Einspielungen, die ich davon in meine Sammlung einverleibe, bemüht, welche zu nehmen, welche zumindest referenzverdächtig sind. Nachher kann man - was ich eigentlich auch tue - auch unbekanntere Interpreten nehmen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    Der Ausgangspunkt für meine Idee mit den Beethoven-Zyklen war ja Deine Bemerkung:


    So werden - die Erfahrung bestätigt dies - die Leute meist immer zu den selben berühmten Namen greifen --- oder ?


    Da war ich mir nicht sicher, und die bisherigen Ergebnisse der Befragung zu den Beethoven-Symphonien zeigen dann schon, dass keineswegs immer nur die gleichen berühmten Dirigenten und Orchester genannt werden. Ich bin gespannt, wie es dort weitergeht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • ...o weh, da ich selbst sehr endlich bin und lebe, fällt mir schwer, Musikern anderes zuzuschreiben.
    Mir würde genügen, die Musik selbst würde unvergessen bleiben und man in hundert Jahren noch über Händel, Telemann oder auch Mahler diskutieren, die Musik hören und sich wiederfinden.
    Bedauerlich wäre, wenn eine Lesart sich als Konsens durchsetzte.
    Wäre Verarmung.
    Unsere heutige Sicht wird historisch sein, egal ob historisierend oder romantisch verbrämt.
    Jede Generation wird das Rad neu erfinden- und das ist ihr Gutes Recht.


    Ich persönlich genieße es, vergänglich zu sein. Damit meine Meinung.
    Aber ich hoffe und bin mir sicher, dass auch in hunderten von Jahren Menschen weinen werden beim Hören von Beethovens Musik.


    Herzliche Grüße
    Mike

  • Zitat

    Unsere heutige Sicht wird historisch sein, egal ob historisierend oder romantisch verbrämt.


    Hier pflichte ich vollkommen bei - Ein Aspekt, der den meisten heute lebenden Menschen gar nicht bewusst ist.
    Ich geniesse auch ganz besonders "überholte" Interpretationsaufffassungen. Ich muß immer wieder darüber lachen, wenn man mir erzählt, heutige Mozart-Interpretationen (nur als Beispiel) seien historisch korrekter als jene vor 100 Jahren, die Forschung sei eben weiter.
    Dabei wird aus den Augen gelassen, daß man vor hundert Jahren Mozart (etc. etc) zeitlich näher war als heute.


    Im Gegensatz zu Melante, geniesse ich es NICHT, endlich zu sein....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !