Die Entführung aus dem Serail in Glyndebourne

  • Glyndebourne zeigt uns wieder einmal, wie man Oper auch heute lebendig inszenieren kann, ohne die Handlung zu versetzen oder völlig zu verdrehen. Alles in allem endlich mal wieder eine Inszenierung, in der sich die Regie an die Handlung des Librettos hielt und die auch in realistischer Kulisse und Kostümen das hielt, was man sich unter dieser Oper vorstellt. Die Sänger waren gut und textverständlich, am besten gefiel mir Tobias Kehrer als Osmin. Lediglich der Darsteller des Bassa war schlecht zu verstehen.
    Sehr lebendig war etwa die Szene Blondchen - Osmin, in der im wahren Sinne die Fetzen flogen.
    Die Dialoge habe ich im Einzelnen nicht im Kopf. Sie schienen mir sachte modernisiert.
    In Bezug auf die Person der Konstanze war ich anderer Auffassung. Sie schwankte doch sehr zwischen Zuneigung und Abneigung gegenüber dem Bassa. Sie ließ ihn - als sie noch nicht wusste, dass Belmonte bereits im Hause war - oft sehr nahe an sich herankommen, kam ihm teilweise sogar entgegen, so dass mir das Misstrauen Belmontes durchaus berechtigt erschien.
    Der Bassa selbst war nicht nur der starke und am Ende großmütige Herrscher, sondern wankte - sehr menschlich - zwischen Wut und Enttäuschung.
    Gesanglich habe ich nichts auszusetzen. Insgesamt also eine Inszenierung, die man vom Anfang bis zum Ende mit Freude ansehen mochte, was sich dann auch im Jubel des Publikums ausdrückte.
    Wer von euch hat die Inszenierung gesehen und was ist eure Meinung?
    Es gibt diese Inszenierung übrigen noch auf arte concert zu sehen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,


    ich habe das gestern auch auf arte gesehen und stimme dir im große und ganzen zu: Die Inszenierung war sehenswert, lebendig und unterhaltsam, aber eben keine Werkverscheißerung, das Orchester war große Klasse und von den Solisten gefiel auch mir Tobias Kehrer (Osmin) am besten, gefolgt von Blodchen, während ich mit den Stimmen von Konstanze und Belmonte nicht so recht warm wurde und der starke französische Akzent des Bassa in der Tat störend war. Was mich allerdings weit mehr störte, war diese offenbar neue Werkausgabe (Urtext?), wo viele Arien doch ganz anders klangen als gewohnt. Ich weiß, das ich völlig unwissenschaftlich gedacht, aber ich höre die Oper nunmal gerne so, wie ich sie von zig Live-Begnungen und den gängigen Aufnahmen her kenne, und nicht hier noch ein Einschub, da noch eine andere Wendung usw.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    auch mir kam einiges recht unbekannt vor, weil ich die Texte der meisten Gesangstücke aus meiner Jugend her noch auswendig kenne. Ich hätte mir das Libretto dazu geholt, wenn ich es als gedruckten Text besäße. Ich habe es aber lediglich auf DVD, und daher habe ich es unterlassen. Da ich aber die Entführung schon länger nicht mehr gehört habe, war ich selbst darüber im Zweifel. Ich habe mich auch gefragt, ob das eine mir bisher unbekannt Version der "Entführung" sei. Aber mich hat es nicht gestört, da mich vor allem die Inszenierung begeistert hat.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Volle Zustimmung, lieber Gerhard, was die Inszenierung betrifft!


    Dagegen Licht und viel Schatten bei der Sängerschar:


    Konstanzes Gesang klang mir unbeseelt und in den tieferen Passagen zu guttural.
    Belmontes Stimme empfand ich als Zumutung! Tut mir leid, von ihm hörte keinen einzigen schön gesungenen Ton.
    Osmin, Blondchen und auch Pedrillo fand ich (in dieser Reihenfolge) äußerst sehens- und hörenswert.


    Die Ouvertüre hatte etwas zu viel Tschingderassabumm, ansonsten gefiel mir das Orchester gut.


    Ob die vielen Fiorituren (insbes. bei den Belmonte-Arien) von Mozart selbst stammen, würde ich gerne von einem ausgewiesenen Mozartkenner erfahren. Leider ist Ulli außer Reichweite. Vielleicht weiß es noch jemand?


    Hier noch die Besetzung:
    Sally Matthews (Konstanze)
    Tobias Kehrer (Osmin)
    Edgaras Montvidas (Belmonte)
    Mari Eriksmoen (Blonde)
    Brenden Gunnell (Pedrillo)
    Orchestra of the Age of Enlightenment
    The Glyndebourne Chorus
    Dirigent: Robin Ticciati
    Bühnenbild / Ausstattung / Bauten :Vicki Mortimer
    Regie: David McVicar


    Außerdem noch für einige Tage konserviert:
    http://concert.arte.tv/de/glyn…-dem-serail-von-wa-mozart
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Die Inszenierung hat mir sehr gut gefallen. Der Sänger des Belmonte und der Bassa hatten einen furchtbaren Akzent. Sehr gut gefallen hat mir Tobias Kehrer der den Osmin gesungenen hat und der Tenor der den Pedrillio gesungen hat. Das Orchester war auch ganz hervorragend. Aber der alles wurde nur noch von Frau Gerlach und ihrer kompetenten Moderation überstrahlt :hahahaha: .

  • Die "Expertin" Gerlach hat die Welt auch darüber aufgeklärt, wie GLYNDEBOURNE korrekt ausgesprochen wird.
    Mit einem Knoten in der Zunge klappt es vorzüglich. :D

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Liebe Freunde,


    sobald Frau Gerlach auftaucht, schalte ich auf stumm und widme mich einer anderen Tätigkeit. Diesmal hätte sie ausnahmsweise sogar Recht gehabt, wenn sie die Aufführung gelobt hätte.
    Ähnlich geht es mir bei Frau Rhett im ORF.


    Liebe Grüße

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Dagegen Licht und viel Schatten bei der Sängerschar:


    Konstanzes Gesang klang mir unbeseelt und in den tieferen Passagen zu guttural.
    Belmontes Stimme empfand ich als Zumutung! Tut mir leid, von ihm hörte keinen einzigen schön gesungenen Ton.
    Osmin, Blondchen und auch Pedrillo fand ich (in dieser Reihenfolge) äußerst sehens- und hörenswert.

    Dem stimme ich absolut zu.


    Nur dem hier von einigen so vehement betriebenen Gerlach-Bashing kann ich nach dem gestrigen Abend so gar nicht zustimmen, ich finde, sie hat ihre Sache sehr ordentlich gemacht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe die Entführung auch schon länger nicht mehr gesehen und mir ging es ähnlich, dass ich dachte dass die Texte irgendwie anders in meiner Erinnerung sind.
    Osmin, Blondchen und Pedrillo fand ich auch sehr sehr gut. Konstanze hat mich nicht berührt und beim Bassa hatte ich Schwierigkeiten mit seiner Aussprache. Obwohl mich der Bassa in seiner Schauspielleistung schon überzeugen konnte. Er hat ja in der Pause auch von den Proben erzählt und dass ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Sally Matthews entstanden sei, dass diese Darstellung ermöglicht hätte.


    Ich habe mich auch gefreut, dass es klassische Kostüme waren und auch das Bühnenbild entsprechend war.


    Mein Aufnahmen-Favorit bleibt jedoch die Stuttgarter Aufführung von Neuenfels (1998) mit der Doppelbesetzung der Sprach- und Singrolle.


    Bartolifan

  • Lt. wikipedia wird Glyndebourne so ausgesprochen, wie man sich es "naiv" vom Schulenglisch her vorstellt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Was immer das deutsche Schulenglisch vorgeben mag, so ganz eindeutig ist die Sache nicht. Landesweit üblich wäre "Glaindborn", während die Eingeborenen in Sussex (mit höherer Autorität?) eher zu "Gleindboon" tendieren - eine Variante, die auf quasi saisonaler Ebene auch gerne von den am Festival Mitwirkenden adaptiert wird...

  • Und für den, der Glyndebourne einmal live sehen will und zur selten gewordenen Spezies derer gehört, die auf passende Garderobe achten, ist wissenswert, dass es sich um den einzigen Anlass handelt, Smoking oder Dinnerjacket im Hellen zu tragen - als Picknick-Dress quasi.


    Freundliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich bezog mich nicht darauf, was das deutsche Schulenglisch vorgibt, sondern was die englischsprachige wikipedia angibt. Das entspricht der überregionalen Variante und ein Unkundiger würde den Namen auch ohne Hilfe etwa so aussprechen. (Selbst in der regionalen Aussprache ist es ein anderer Fall als zB "Gloucester" oder "Greenwich", die ein Deutscher völlig falsch aussprechen wird, bevor er weiß, wie sie ausgesprochen werden.)
    Ich weiß ja nicht, wie das in England ist, aber in Deutschland grenzt es an Lächerlichkeit, wenn man als ortsfremder Tourist statt Köln "Kölle" sagen oder in "Drääsden" versuchen würde, den regionalen Akzent zu imitieren. ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich weiß ja nicht, wie das in England ist, aber in Deutschland grenzt es an Lächerlichkeit, wenn man als ortsfremder Tourist statt Köln "Kölle" sagen oder in "Drääsden" versuchen würde, den regionalen Akzent zu imitieren.


    Völlig richtig - auch die Schweizer und Österreicher reagieren darauf zu recht befremdet.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Nun, m.W. ist noch keiner der Sänger wegen der zur launigen Folklore gewordenen Adaption lokaler Aussprache geteert und/oder gefedert worden. Bei der überregionalen Variante handelt es sich eigentlich nur um BBC-Englisch; letzte Instzanz in dieser Frage wäre wohl eher Gus Christie.


    Zitat

    (von Johannes Roehl) wenn man als ortsfremder Tourist statt Köln "Kölle" sagen [...] würde


    Wieviele nicht-deutschsprachige Touristen werden wohl in Köln zu Köln Köln sagen? ;)


    i

    Zitat

    (von hasiewicz) [...] ist wissenswert, dass es sich um den einzigen Anlass handelt, Smoking oder Dinnerjacket im Hellen zu tragen - als Picknick-Dress quasi.


    ... dann aber bitte auch unter Mitführung eines Picknickkorbes samt angehängtem Personal !

  • während die Eingeborenen in Sussex (mit höherer Autorität?) eher zu "Gleindboon" tendieren -


    Die Sussexer würden auch liebend gern schöner sprechen, wenn sie nicht so eine furchtbare Angst vor dem Zahnarzt hätten.