Der Mann vorn am Pult

  • Ein "Sommerlochthread" - oder doch nicht ?


    Die Position des Dirigenten wird durchaus unterschiedlich gesehen. Vom unerbittlichen Diktator, der das Ganze im Auge (und Ohr) hat und dessen Anweisungen bedingungslos Folge zu leisten ist, bis hinunter zum demokratisch veranlagten Kumpel der seine Vorstellung eines Werkes genau erklärt und mit den Orchestermusikern diskutiert - solange bis er seinen Willen durchgesetzt hat. Die zweite Spezies neigt indes dazu alteingesessene Orchestermutglieder zu vergraulen oder auszuwechseln, wenn sie allzu offensichtlich Widerstand gegen neue Werkauffassungen und neues Repertoire im Allgemeinen leisten. Es ist überhaupt ein ziemlich schwieriges Verhältnis zwischen Orchestermusikern und Dirigenten. Was geht in einem langjährigen älteren und frustrierten Orchestermitglied, der eigentlich zeitlebens von einer Solokarriere geträumt hat eigentlich vor, wenn da ein Dirigent, der sein Sohn oder Enkel sein könnte, das Podium betritt, und dem Orchester die musikalische Welt von heute erklärt. Was empfindet der frauenfeindliche Misanthrop, wenn da plötzlich ein Frau am Pult steht und ihm praktisch "vorgesetzt" ist - etwas womit er nie gerechnet hatte als er diesen Beruf ergriff. Ein Orchesterplatz bei den Wiener Philharmonikern ist quasi ein Lotto-Sechser - nur wenige bekommen einen....
    Während manche Leute dem Dirigenten eine fast gottähnliche Bedeutung beimessen - halten ihn andere für entbehrlich....


    Das Thema wurde bewusst schwammig formuliert - freie Assoziation gewissermaßen .......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    du beschreibst da im Grunde genommen, vielleicht ohne Absicht (?), den Dirigenten Carlos Kleiber und sein Verhältnis zu den verschiedenen Orchestern (Oper Stuttgart, Oper Zürich u. a.) sowie das Verhältnis der verschiedenen Orchestermusiker, vor allem der "alteingesessenen" zu ihm.
    Die "neuen Werkauffassungen" indessen waren bei ihm gar nicht so neu, vielleicht nur in der Routine des jahrzehntelangen Konzertbetriebes vergessen, denn er "sah und hörte " alles durch die "Augen und Ohren" des Komponisten, war ungeheuer fleißig und akribisch, verlangte eine Vielzahl an Proben, und spätestens im Konzert oder in der Opernvorstellung merkte dann auch der letzte Geiger am hintersten Pult und das in den Proben malträtierte Sängerensemble, dass wohl nur diese Ochsentour Kleibers, der im Übrigen stets unsicher war, ob er den Ansprüchen des Werkes und seinen eigenen genügte und selten mit sich selbst zufrieden war, zu den stets singulären Ergebnissen in Oper und Konzert (Wozzeck, Tristan uund Isolde, Rosenkavalier, Otello, La Bohème u. a., Beethoven, Symphonien Nr. 4, 5, 7, Brahms, Symphonie Nr. 4 und Nr. 2, Mozart, Symphonie B-dur KV 319, C-dur KV 425 u. a.) führen konnte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Was geht in einem langjährigen älteren und frustrierten Orchestermitglied, der eigentlich zeitleberns von einer Solokarriere geträumt hat eigentlich vor, wenn da ein Dirigent, der sein Sohn oder Enkel sein könnte, das Podium betritt, und dem Orchester die musikalische Welt von heute erklärt.

    Das ist sicherlich kein neues Phänomen. Denken wir zurück, dass auch ein Leopold Stokowski erst 30 war, als er 1912 das Philadelphia Orchestra übernahm, ein Wilhelm Furtwängler 36, als er 1922 die Berliner Philharmoniker übernahm, und ein Hans Knappertsbusch 34, als er ebenfalls 1922 Bayerischer Generalmusikdirektor auf Lebenszeit wurde (heute wohl unvorstellbar). Gewiss saßen auch damals bereits Über-Sechzigjährige in den jeweiligen Orchestern. Und aus heutiger Sicht wird man sicher sagen müssen: Die Orchester trafen jeweils die richtige Wahl, indem sie derart junge Dirigenten wählten.



    Was empfindet der frauenfeindliche Misanthrop, wenn da plötzlich ein Frau am Pult steht und ihm praktisch "vorgesetzt" ist - etwas womit er nie gerechnet hatte als er diesen Beruf ergriff.

    Frauen gab es in diversen Orchestern als Mitglieder bereits im frühen 20. Jahrhundert. Sir Henry Wood nahm bereits 1912 (!) Frauen auf. Die Berliner Philharmoniker erst seit 1982, die Wiener Philharmoniker gar erst seit 1997 (!). Dirigentinnen sind indes noch heute selten, aber ich glaube, selbst in Wien dürfen sie mittlerweile ran (ich selbst erlebte Simone Young in der Staatsoper).



    Ein Orchesterplatz bei den Wiener Philharmonikern ist quasi ein Lotto-Sechser - nur wenige bekommen einen....

    Die Auswahlkriterien sind zumindest interessant: Stokowski, einer der berühmtesten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, wurde m. W. niemals eingeladen (galt in Wien wohl als "unseriöser" Scharlatan). Blomstedt ließ man erst als Greis ans Pult. Beim jungen Dudamel hat man (wohl zu Alfreds Ärger) hingegen kein Problem.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Auswahlkriterien sind zumindest interessant: Stokowski, einer der berühmtesten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, wurde m. W. niemals eingeladen (galt in Wien wohl als "unseriöser" Scharlatan).


    Stokowsky galt in der Tat aus "unseriös" bis "schillernd"oder aber "zwielichtig" - zumindest kein Dirigent der der Vorstellung der "Wiener" entsprach.


    Man muss hier auch sagen, daß "junge Dirigenten" in der Regel nicht versuchten das Programm zu ändern oder neue Sichtweisen dem Orchester aufzudrängen - eine Ausnahme war hier Gustav Mahler, der letzlich ja aus Wien weggeekelt wurde.


    Frau Young an der Wiener Staatsoper? - Warum nicht.
    Die Wiener Philharmoniker, die die Wiener Staatsoper "bespielen" treten dort nicht mal unter ihrem richtigen Namen auf, sondern unter Wiener Staatsopernorchester oder Orchester der Wiener Staatsoper. Es sind angeblich ungeliebte Dienste und alle Orchestermitglieder auf Probe müssen sich dort "bewähren". Dort dirigieren gelegentlich viel unbekanntere Dirigenten als Frau Young.


    Gustavo Dudamel und die Wiener Philharmoniker?


    Gewundert habe ich mich schon darüber - aber der Kommerz verlangt offensichtlich auch unorthodoxe Entscheidungen. Zum Ärger hat's nicht gereicht, zum resignierenden Achselzucken und verächtlichen Schürzen der Lippen hingegen schon......... ;)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • DAs Therma ist - wie schon im Einführungsbeitrag geschrieben - eher amorph. Deshalb folgt hier sofort ein weiterer Beitrag, der einen anderen Aspekt beleuchtet:
    Lutgra schrieb:

    Zitat

    Dass wir noch einmal Zeiten bekommen, wo ein Dirigent über drei Jahrzehnte so dominierend ist wie es Karajan, Bernstein oder Solti waren, halte ich eher für unwahrscheinlich.


    Ich finde (fände?) das schade, denn gerade die Symbiose Dirigent-Orchester macht den Gesamtklang aus. Der Hörer weiss was ihn erwartet und er kann sich darauf einstellen. Allerdings ist lutgras Prognose wahrscheinlich leider richtig.


    Indes haben es in den letzten Jahrzehnten einige Dirigenten geschafft "Ihrem" Orchester Aufmerksamkeit, bzw "Ruhm" zu verschaffen
    1) Sergio Celibidache - er verschaffte den Münchner Philharmonikern mehr Aufmerksamkeit als sie unter Kempe - der übrigens vorzüglich war - hatten. Das noch dazu trotz einer Verweigerung von Schallplattenaufnahmen - oder vielleicht gerade deswegen.
    Unter seinem Nachfolger Levine fiel das Orchester wieder dem Vergessenwerden anheim - Levine war an diesem Orchester nicht wirklich interessiert.


    2) Sandor Vegh - Er verhalf der "Camerata Academica Salzburg" wieder zu jener Strahlkraft, den sie einst unter Bernhard Paumgartner hatte. Nach seinem Abgang verfiel das Orchester wieder in die "Bedeutungslosigkeit" - denn Roger Norrington hatte den Titel eines Chefdirigenten quasi aus Mitleid übernommen (lt. Interview vor vielen Jahren in Fono Forum). Parallel dazu leitete er das RSO Stuttgart. Aus der Ära seiner Leitung sind mir von diesem einst sehr charakteristischen Orchester keine wirklich guten Aufnahmen bekannt - wer es heute leitet weiß ich nicht - und es interessiert mich eigentlich auch nicht mehr.


    3) Roger Norrington - damit sind wir quasi nahtlos beim dritten Dirigenten meiner Aufzählung gelandet. Nachdem er sein Orchester, die London Classical Players, verlassen hatte, widmete er sich voll seinem neuen Orchester, dem RSO Stuttgart mit dem er den vibratolosen "Stuttgart Sound" reralisieren konnte. Er war stets umstritten, aber immer im Blickpunkt. Das Label Hänssler schnitt zahlreiche Konzerte mit und verhalf so Dirigent und Orchester zu einem hohen Grad an Bekanntheit.
    Aus Gründen, die ich nicht kenne verliess Norrington nach 13 Jahren dieses Orchester, das IMO seither wieder aus dem Focus geglitten ist, ebenso wie der Dirigent, welcher nun bein Zürcher Kammerorchester tätig ist. ich habe nun gesehen, daß er mit diesem Orchester für SONY aufnimmt. Die Aufnahmen mögen gut sein - oder auch nicht: Allgemeines Aufsehen erregt haben sie jedenfalls nicht....


    4) Bernard de Billy - Das RSO Wien litt an oftmaligen Dirigentenwechseln und galt in Insiderkreisen als eher mittelmäßig. Bernard de Billy formte daraus ein Orchester von hoher Güte. Ob er es freiwillig verlassen hatte oder weggeekelt (in Wien: wegkomplimentiert) wurde, das entzieht sich meiner Kenntnis. Er wurde durch den mir völlig unbekannten Cornelius Meister ersetzt, der aber immerhin schon einige Einspielung mit diesem Orchester gemacht hat. Ein kurzer Streifzug in diese CDs war durchaus positiv....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Aus Gründen, die ich nicht kenne verliess Norrington nach 13 Jahren dieses Orchester, das IMO seither wieder aus dem Focus geglitten ist, ebenso wie der Dirigent, welcher nun bein Zürcher Kammerorchester tätig ist. ich habe nun gesehen, daß er mit diesem Orchester für SONY aufnimmt. Die Aufnahmen mögen gut sein - oder auch nicht: Allgemeines Aufsehen erregt haben sie jedenfalls nicht....

    Die Aufnahme der Pariser Symphonien wurde in der Presse einhellig gelobt. Ob sie mir gefallen würde, ist eher fraglich, ich bleibe im Zweifelsfalle dann doch lieber bei Lenny.



    dieses Orchester, das IMO seither wieder aus dem Focus geglitten ist,

    Das RSO Stuttgart hat mit Stephane Deneve eine Dirigenten, den ich in jedem Fall Roger Norrington vorziehen würde. Der Dirigent hat auf Naxos die Referenzeinspielung der Roussel Symphonien vorgelegt, allerdings mit seinem vorherigen Orchester. Die drei bisher erschienenen Aufnahmen mit dem RSO wurden ebenfalls einhellig gelobt, allerdings kann man mit Ravel und Poulenc nach wie vor kein grosses Publikum erreichen. Jedenfalls tut der Dirigent alles, den Stuttgarter Sound wieder zurückzufahren und das ist gut so. Die Zukunft dieses Orchesters ist durch die unsinnige Zusammenlegung mit dem SO des SWR Baden-Baden und Freiburg allerdings auch eher ungewiss.

  • Indes haben es in den letzten Jahrzehnten einige Dirigenten geschafft "Ihrem" Orchester Aufmerksamkeit, bzw "Ruhm" zu verschaffen
    1) Sergio Celibidache - er verschaffte den Münchner Philharmonikern mehr Aufmerksamkeit als sie unter Kempe - der übrigens vorzüglich war - hatten. Das noch dazu trotz einer Verweigerung von Schallplattenaufnahmen - oder vielleicht gerade deswegen.


    Damit widersprichst Du Dir nun selbst, denn an anderer Stelle (z. B. dem Thread zur Staatskapelle Dresden unter Thielemann) erklärst Du stets, die Schallplattenaufnahmen durch eines der großen Label seien das maßgebliche Kriterium für die Bedeutung eines Orchesters in der öffentlichen Wahrnehmung.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Stephane Deneve war leider nur zwei Spielzeiten lang Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein und hat immer auf sehr hohem Niveau dirigiert. Er hat auch viele Opern Aufführungen in Barcelona dirigiert. Als Operngänger der nur gelegentlich Konzerte besucht mal eine Frage: Hat man heute als Dirigent nicht eher die Chance mit Nischen Repertoire bekannt zu werden als wenn man den Millionsten Mahler oder Beethoven Zyklus aufnimmt?

  • Ich hatte vor, den Thread über die Schlagtechnik zu erweitern, denn er wird den vielfältigen Aufgaben eines Dirigenten nicht gerecht. Nun hat es Alfred getan. Wenn sogar die Frage gestellt wurde, ob denn der Dirigent nicht wegfallen könne, dann wird dessen Bedeutung verkannt oder wider besseres Wissen nicht gewürdigt. Jeder Dirigent hat seinen persönlich-individuellen Stil, diesen muss er auf den ihm anvertrauten Klangkörper übertragen. Dann bestimmt er die künstlerische Ausrichtung und Konzeption des Orchesters. Er hat maßgeblichen Einfluss auf Auswahl und Besetzung der Orchesterstellen. Ihm obliegt die Gestaltung der Programme, die selbstverständlich von vielen Einflussfaktoren abhängen, wie Größe des Orchesters, Fähigkeit bestimmte Werke spielen zu können oder auch nicht, Gedenktage, Jubiläen, Finanzen, Publikum usw. Nach seinen Vorstellungen werden die Probenpläne oft in zähem Ringen mit Orchestervorstand und Gewerkschaft gestaltet. In den Proben muss er dem Orchester seine künstlerische Auffassung vom jeweiligen Werk vermitteln und dann das Werk gemäß der gewollten Gestaltung einüben, so dass dann beim Konzert das Unikat einer künstlerisch unverwechselbaren Aufführung entsteht. Ein moderner Dirigent muss Aushängeschild des Orchesters sein, Ausstrahlung haben, soll rhetorische Fähigkeiten für Gesprächskonzerte und Moderationen besitzen. Von Finanzen, Marketing und PR sollte er etwas verstehen. Psychologische und pädagogische Fähigkeiten sind im Umgang mit dem Orchester aber auch in Verhandlungen mit Politik, Gremien und Zuschussgebern erforderlich.
    Der Dirigent also ein universaler Könner - Ja! Er ist Kopf, Herz, Seele und Motor des Orchesters. Ohne ihn, sein Können und seine Kunst, ohne ihn den Klangmagier, würde der Klangkörper nie so klingen wie er klingt.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hallo!


    Wie geht es Musikern, wenn der Solist gleichzeitig das Dirigat übernimmt? Rudolf Buchbinder, Mitsuko Uchida, Friedrich Gulda, Christoph Eschenbach...


    Das könnte den Schluss zulassen, dass der Dirigent zumindest während der Aufführung überbewertet wird.


    Gleichzeitig bin ich der Überzeugung, dass die magischen Momente, die man nur in Live-Konzerten erleben kann, unmittelbar mit der Einheit Dirigent und Orchester zu tun haben.


    Gruß
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

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  • Zitat

    Damit widersprichst Du Dir nun selbst, denn an anderer Stelle (z. B. dem Thread zur Staatskapelle Dresden unter Thielemann) erklärst Du stets, die Schallplattenaufnahmen durch eines der großen Label seien das maßgebliche Kriterium für die Bedeutung eines Orchesters in der öffentlichen Wahrnehmung.


    Ja - das ist in der Regel so. Wenn man zwischen den Zeilen liest, dann wird man auch die Widersprüche meiner Aussage auflösen----


    Das noch dazu trotz einer Verweigerung von Schallplattenaufnahmen.


    Dieses "noch dazu" ist der Hinweis auf ein Erschwernis. welches das positive Ergebnis nicht zulässt. Celibidache hatte indes offensichtlich genügend Charisma sich über Regeln erfolgreich hinwegzusetzen und dennoch zum gewünschten Ziel zu kommen.
    In aller Kürze: Der Mann, der mit der Klassikwelt eine Rechnung zu begleichen hatte, verweigerte sich der Schallplattenindustrie und wurde somit interessant. Das funktioniert nach dem AIDA Modell.
    Natürlich kann man Tonträger, die nicht gemacht werden, nicht verkaufen. Aber wie sagte CELI so treffend?
    "Wer Celibidache hören will, der muß nach München kommen".
    Einige Verächtlichmachungen von Konkurrenten und ein gewisses esotherisches Brimborurim, sowie ein guter Draht zur Presse taten ein übriges.
    Viele Wege führen zum Ziel . Man kann aber hier nicht alle nennen.


    Wir finden dennoch meine generelle These bestätigt: Die EMI war IMO niemals ein loyaler Partner ihrer Künstler. Bei den geringsten Turbulenzen wurden sie fallengelassen.
    Wäre Celis Nachlass bei DGG gelandet hätten die mehr draus gemacht.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Thema wurde bewusst schwammig formuliert - freie Assoziation gewissermaßen ...


    Ich bin mir sicher, daß ein ausreichend gutes Orchester viele Werke auch ohne Dirigenten spielen könnte - schwierig dürfte es rein technisch bzw. koordinatorisch werden, wenn "es sehr viel Orchester hat"; also z.B. bei fast allen Mahler-Symphonien, Bruckner mag aufgrund der inhärenten Struktur noch gehen, aber Beethoven und vielleicht Brahms dürften eine "natürliche" Grenze für die meisten Orchester darstellen. Oper ohne Dirigenten funktioniert vermutlich überhaupt nicht, mindestens braucht es, wie bei Mozart "den Mann am Cembalo" (ein Bier für denjenigen, der jetzt eine Verdi- oder Wagner-Oper mit Klavier nennt :baeh01: ).
    Aber selbst, wenn es fallweise (rein technisch) ohne Dirigenten funktionieren mag, stellt sich die Frage, wie es dann in einem Orchester zu einer musikalischen (Weiter-)Entwicklung kommen kann? Ich kann mir schwer vorstellen, dass etwa der Cellist am zweiten Pult mal so vorschlägt, den Beethoven beim nächsten etwas schneller zu spielen und darüber womöglich noch abgestimmt wird ... Kunst ist nicht demokratisch!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Hat man heute als Dirigent nicht eher die Chance mit Nischen Repertoire bekannt zu werden als wenn man den Millionsten Mahler oder Beethoven Zyklus aufnimmt.


    Kaum. Sag mir einen weltberühmten Dirigenten, der Nischenrepertoire dirigiert.


    Helmut Müller-Brühl war wohl durch seine Zeit bei Koch-Schwann-Musica mundi regional relativ angesehen - aber Weltruhm war das nicht. Ich keine einige Dirigenten, die ich wegen ihrer Affinität zum Nischenrepertoire sehr schätze - aber irgendwie sehe ich hier Helden, die ihrer Liebe zu Komponisten der zweiten und dritten Reihe ihre mögliche Weltkarriere opfern.
    Wobei gesagt werden muss - wir hatten die schon neulich im Zusammenhang mit der "Wiener Musikszene" - daß nicht jeder Musiker sein Ideal darin sieht von einem Flugzeug ins andere zu steigen und jede Nacht in einem anderen Hotel zu übernachten.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Kunst ist nicht demokratisch!


    Lieber MSchenk,
    der Beruf des Dirigenten ist sogar einer, indem Autorität unabdingbar ist und autoritäres Verhalten akzeptiert wird. Teamarbeit ist nur beim Zusammenspiel möglich und erforderlich. Der Dirigent kann mit dem Orchester und selbst mit dem Konzertmeister nur sehr bedingt über seine Werkauffassung, seine Tempi, seine Gestaltungsauslegung diskutieren. Er muss diese vorstellen, begründen, dann durchsetzen und zuletzt verwirklichen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Natürlich ist der Mann (oder auch die Frau) vorn am Pult von Wichtigkeit. Dies mag für die Klassik und vor allem die Romantik weit mehr gelten als für die Alte Musik. Als Laie mag man denken, es sei eigentlich egal (habe ich so oft erlebt). Als Fortgeschrittener merkt man die oftmals eklatanten Unterschiede, die auszumachen sind, wenn jemand anderer vorne am Pult steht. Bei zahlreichen Dirigenten ist eine Art Personalstil auszumachen, also man erkennt sie, egal, welches Orchester sie dirigieren. Das spricht ja dafür, dass der Dirigent eben doch wichtig sein muss.


    Die Sehnsucht nach überlebensgroßen Figuren ist nichts Neues. Einer, der im wahrsten Sinne den Takt vorgibt und alle anderen mitreißt. Gustav Mahler war bereits vor über 100 Jahren ein Pultstar. Knappertsbusch wurde als der legitime Nachfolger des legendären Hans Richter ("Ring"-Uraufführungsdirigent 1876) gepriesen. Furtwängler musste sich sicher auch lange den Vergleich mit den damals wohl noch übermächtigen Vorgängern v. Bülow und Nikisch gefallen lassen. Sehnten sich in den 50er Jahren nicht trotz Karajan viele noch nach Furtwängler? Karajan war der neue Furtwängler. Sicherlich unzutreffend, was seinen Stil anbelangte, aber zutreffend, was seine Bedeutung anging.


    Dabei sollte man nicht nur Mitteleuropa im Auge haben. Mir fällt immer wieder auf, wie sehr man in New York auf einen neuen Bernstein hofft, in Boston auf einen neuen Munch, in Chicago auf einen neuen Reiner, in Cleveland auf einen neuen Szell und in Philadelphia auf einen neuen Stokowski. Auch dort gibt es diese gottgleichen Dirigentenpersönlichkeiten, an denen sich alle messen müssen. Wo man in unseren Breiten mit Karajan oder Böhm gleichsam sozialisiert wurde, war es in Amerika eben ein Szell oder Stokowski.


    Der "guten alten Zeit" nachzutrauern ist sicherlich kein reines deutsch-österreichisches Phänomen. In Berlin will man Karajan zurück, in Wien Böhm, in München Knappertsbusch, in Hamburg Wand, in Amsterdam Mengelberg, in London Beecham und Klemperer, in Paris Cluytens und Martinon, in St. Petersburg Mrawinskij, in Tokio Asahina. Das ließe sich endlos fortsetzen.


    Aber sind Dirigentenfiguren, die wirklich jedem bekannt waren und alles überstrahlten, heutzutag wirklich noch möglich? Die Breitenwirkung eines Karajan oder Stokowski ist schlechterdings nicht mehr zu bewerkstelligen. Dieser Tage kam mir der Gedanke, dass ja im Grunde genommen Stokowski am ehesten eine Art britisch-amerikanischer Karajan war. Beide waren sie medial dauerpräsent, beide liebten sie die Selbstinszenierung. Ein jeder war an technischen Innovationen im hohen Grade interessiert und förderte die Verbesserung der Klangqualität der Tonaufnahmen (Stokowski die Stereophonie, Karajan die CD). Beide setzten sie sich ein unumstößliches Denkmal und sind auch heute, Jahrzehnte nach ihrem Ableben, aus dem Tonträgermarkt nicht wegzudenken.


    Wer kann denn heute noch 700 offizielle Aufnahmen hinterlassen? Karajan und Stokowski schafften das beide. Da sind die postum erschienenen Mitschnitte noch gar nicht mitgerechnet. Wenn Thielemann auf 70 Aufnahmen käme, würde mich das schon überraschen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • der Beruf des Dirigenten ist sogar einer, indem Autorität unabdingbar ist und autoritäres Verhalten akzeptiert wird.


    Dabei muss es sich um erworbene Autorität handeln, die sich ein junger Dirigent (mit eingeschränkter Erfahrung) in den vielen Jahren erwirbt, bevor er "Chefdirigent" o. ä. wird (und nur dann wird sein Verhalten auch nicht mehr als autoritär empfunden).
    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Wer kann denn heute noch 700 offizielle Aufnahmen hinterlassen? Karajan und Stokowski schafften das beide. Da sind die postum erschienenen Mitschnitte noch gar nicht mitgerechnet. Wenn Thielemann auf 70 Aufnahmen käme, würde mich das schon überraschen.

    Ja, lieber Joseph II, das ist besonders für den Aufbau einer internationalen Karriere und Bedeutung ein Problem. Die großen Alten konnten fast noch alles aufnehmen, oft mehrmals. Und heute? Du stellst das Defizit an einem heutigen Spitzendirigenten wie Thielemann heraus. Die gleiche Tendenz ist bei Instrumentalisten und vor allen auch bei Sängern gegeben. Wo sind den aktuelle Sänger, die auch nur im entferntesten an die Zahl der heute noch erhältlichen Aufnahmen von Fischer Dieskau, Schwarzkopf, Schock, Wunderlich, Prey, Metternich, Frick, Nilsson, Gedda usw. herankommen? Die Events und Fernsehproduktionen haben offenbar doch nicht die bleibende Wirkung wie Tonträger.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • An sich ist der Thread über die Nachfolge von Muti beim Chicago S.O. der Auslöser, mich wieder dieses Threads hier zu erinnern.
    Da wurde unter andem über Thielemann spekuliert, und seine Chancen, wobei zu keinem Zeitpunkt hinterfragt wurde, ob er ein solches Angebot überhaupt annähme.


    Aber wie gesagt, es ist lediglich der Auslöser.


    Wir sehen auch an anderen Beispielen, wie sehr Orchester mit den Namen des Dirigenten verbunden sind.


    Als Thomas Feys Rückkehr zu den Heidelberger Sinfonikern fraglich wurde, kündigte Ihnen das Label den Vertrag über die Haydn Sinfonien, was natürlich als unfreundlicher Akt gesehen werden kann und die Existenz des Orchesters bedrohte. Andrerseits war das Projektendende bis 2009 (!!!) geplant und derzeit sind etwa 20 Sinfonien von 104 (oder 105, je nach Zählung) fertiggestellt. Dazu sag ich jetzt nix.....


    Auch das Orchester Mozart, Bolgona, kann ein Lied davon singen, was es bedeutet, wenn DAS Zugpferd ausfällt. Sie mussten ihre Fixangestellten sämtlich entlassen und den Konzertbetrieb einstellen. Das wurde groß verlautbart. Irgendein Retter aus der Szene der Schallplattengesellschafte schien nicht in Sicht. Die Recherche ist hier sehr schwierig


    Beide Orchester scheinen es fürs erste geschafft zu haben. Und das finde ich auch für gerecht, wo man sie voher soo mit Lorberen überschüttet hat, als sie den Plattenfirmen noch profitabel und interessant erschienen.


    Über den Status des Concentus Musicus ist mir wenig bekannt, aber schon auf Grund der zahlreichen Tonaufnahme über zig Jahre hinweg und mit mächtigen Freunden im Hintergrund wird es vermutlich kein veritablen Problem geben - auch ohne "Gallionsfigur"


    http://oe1.orf.at/artikel/426570


    Der Artikel ist natürlich schon über 2 Jahre alt....


    Auch das Kölner Kammerorchester besitzt keinen Eintrag in der deutschen WIKIPEDIA


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Was mir auffällt, ist ein Phänomen, das es noch nicht lange gibt. Das sind die Dirigenten, die sich ihre Sporen im Bereich der Alten Musik/ Barockopern erworben haben und dann auch gefragte Dirigenten werden, die sich auch die Klassik und Romantik erarbeiten und Chefs von großen Häusern und Orchestern werden. Manchmal gründen sie sogar neue Orchester.
    Ich denke an Gardiner, Norrington, Herreweghe, Hengelbrock, Minkowski (vielleicht fallen auch ja noch ein paar ein). Ob der Weg auch umgekehrt begangen worden ist, glaube ich eher nicht.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wenn es gelingt, aus einem Orchester und seinem Chefdirigenten eine große Marke zu etablieren, dann steigen die Umsätze. Im Falle des Chicago Symphony Orchestra dürfte das bis heute auf zwei Namen zutreffen: Fritz Reiner und vor allem Sir Georg Solti. Rein diskographisch wurden in den dieser Zeit auch die meisten Einspielungen produziert. Der eher bescheidene Output seither könnte natürlich auch an der generellen Krise der Tonträgerindustrie liegen. In den immerhin 15 Jahren unter Daniel Barenboim gelang es auch nicht mehr so wirklich, CSO/Barenboim als eine untrennbare Kombination festzuschreiben. Dazu war Barenboim wohl einfach zu vielfältig anderweitig eingespannt.


    Künstlerisch muss eine kommerziell erfolgreiche Zusammenarbeit aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass hier etwas geschaffen wird für die Ewigkeit. Wenn man heute in amerikanischen Foren und Blogs zum Thema CSO/Solti liest, scheint eher die Meinung zu überwiegen, dass diese Ära künstlerisch nicht das Gelbe vom Ei war. Da wird eher der umsatzschwächeren Zeit unter Martinon nachgetrauert, der als Dirigent gleichwohl einen höheren Stellenwert genießt als Solti. Mit der Verpflichtung Soltis landete das Orchester 1969 allerdings einen Coup, war der Mann doch bereits in aller Munde und hatte eine historische Gesamteinspielung von Wagners "Ring des Nibelungen" in Wien aufgenommen. Die Nachhaltigkeit vieler seiner Chicagoer Aufnahmen ist dann freilich eine andere Sache. Sicherlich spielt das Orchester tadellos und mit bewundernswerter Virtuosität, woran auch die exzellenten Orchestermitglieder ihren Anteil haben. Aber wer hält denn heutzutage ernsthaft noch die damals entstandenen Chicagoer Einspielungen von Mozart, Beethoven, Bruckner oder Brahms für führend? Nur weil ein Verkaufsschlager Chefdirigent ist, bedeutet das nicht automatisch, dass seine Aufnahmen auch die besten sind. Wieviel gelungener sind da doch beispielsweise die Einspielungen, die Carlo Maria Giulini und Claudio Abbado während der Solti-Jahre mit dem CSO machten. Zum Chefdirigenten brachten die es indes nicht. Dasselbe könnte man jetzt auch für die Ära Barenboim konstatieren. Was ist da denn nachhaltig geblieben? Doch eher Einspielungen von Gastdirigenten wie Pierre Boulez. Welcher Hahn kräht heute noch nach Barenboims Schumann- oder Tschaikowski-Einspielungen aus Chicago?

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    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Künstlerisch muss eine kommerziell erfolgreiche Zusammenarbeit aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass hier etwas geschaffen wird für die Ewigkeit. Wenn man heute in amerikanischen Foren und Blogs zum Thema CSO/Solti liest, scheint eher die Meinung zu überwiegen, dass diese Ära künstlerisch nicht das Gelbe vom Ei war.


    Das darf einen nicht wundern, denn in letzter Konsequenz trifft das bei uns auch auf Herbert von Karajan, Karl Böhm , Karl Richter und zahlreiche andere "unsterbliche Größen" zu. Wir leben in einer Zeit die eigentlich selbst nicht Großes hervorbringt und deshalb das Große aus der Vergangenheit kleinredet und (fast wie ein Racheakt gegen das Gestrige) zu vernichten versucht. Das geht bis dahin, daß man Inhalte von Opern modifiziert, wenn die der Sprachdiktatur von "Politcal Correctness " im Wege stehen.
    Ich bin persönlich kein besonderer Freund von Solti, seine Aufnahmen der "Wiener Klassik" finde ich als belanglose Routine, die ihre Daseinsberechtunge allenfalls der vorzüglichen DECCA Aufnahmetechnik verdankt. Bei den Werken des späten 19. und frühern 20. Jahrhundert schaut die Sache dann schon anders aus, hier konnte sich Sollti dann gut entfalten (diese Werke habe ich aber erst relativ spät in meine Sammlung aufgenommen)
    Ebenfalls mag ich ihn als Operndirigenten, seine Zauberflöte die damals mit jenen beiden unter Karl Böhm in Konkurrenz stand, habe ich indes nie gehört.


    Ich erinnere mich, daß in den Kreisen , wo ich um 1975 verkehrte, die Behauptung kursierte, im englischsprachigen Raum sei die Reputation Soltis größer als jene von Karajan. Meine Reaktiion darauf war damal: Das glaube ich nicht...


    Es bleibt aber die Tatsache, daß die Ära Soltis nach jener von Fritz Reiner die bedeutendste war - zumindest auf Schallplatte.
    Die Schallplatte (CD etc) ist quasi Chronist der Musikgeschichte der Interpretation. Wer hier nicht ädiquat vertreten ist, der wird in Zukunft vergessen sein...


    Ein Problem, das vor allem HEUTIGE Interpreten betrifft.


    mfg aus Wien
    Alfred

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