Bayreuth 2015: Tristan und Isolde

  • Liebe Musikfreunde,


    gestern begannen die diesjährigen Festspiele mit Wagners Tristan und Isolde.


    Richard Wagner
    TRISTAN UND ISOLDE


    Besetzung 2015


    Tristan Stephen Gould
    Marke Georg Zeppenfeld
    Isolde Evelyn Herlitzius
    Kurwenal Iain Paterson
    Melot Raimund Nolte
    Brangäne Christa Mayer
    Ein Hirt Tansel Akzeybek
    Ein Steuermann Kay Stiefermann
    Junger Seemann Tansel Akzeybek


    Musikalische Leitung Christian Thielemann
    Regie Katharina Wagner
    Bühne Frank Philipp Schlößmann
    Matthias Lippert
    Kostüm Thomas Kaiser
    Dramaturgie Daniel Weber
    Licht Reinhard Traub
    Chorleitung Eberhard Friedrich



    Vielleicht waren ja einige von Euch selbst vor Ort, oder ihr habt, wie ich, am Radio gelauscht. Wenn ich recht informiert bin, soll es ja im August auch noch eine Kinoausstrahlung geben.


    Meine ersten Eindrücke (nur musikalischer Natur - die Inszenierug habe ich ja nicht gesehen):


    Thielemann und das Orchester haben mir recht gut gefallen. Stimmlich fand ich das Ganze wiederum problematisch - ich will hier nicht wieder den Niedergang des Wagnergesangs bzw. den Niedergang Bayreuths als Treffpunkt der Sängerelite auf Weltniveau anstimmen - aber dennoch: Evelyn Herlitzius und Stephen Gould haben meiner Meinung nach sehr forciert geklungen und waren stellenweise weit auseinander, bzw. nicht mit dem Orchester im Einklang...


    Wie habt ihr die Aufführung erlebt? Wie sind Eure Eindrücke?


    viele Grüße

  • Ich habe Akt 1 und 2 im Radio verfolgt. Am besten mit Abstand war Zeppenfeld als Marke, am schlimmsten der junge Seemann. Weder Christa Mayer als Brangäne noch Stehen Gould als Tristan konnten mich klanglich auch nur annähernd begeistern, während die von mir nur wenig gemochte Frau Herlitzius immerhin besser klang als von mir vorher befürchtet...


    Als im Radio die "Handlungszusammenfassung" für den 2. Akt dieser Inszenierung(!) vorgelesen wurde, war ich doch heilfroh, es nur im Radio gehört und nicht auch gesehen zu haben...


    Thielemann fand ich schon gut, aber nicht so überragend wie seinerzeit in Berlin, die Koordinationsprobleme zur Bühne und insbesondere mit Frau Herlitzius (doch zu wenig Proben?) waren nicht zu überhören.


    Meine Unzufriedenheit mit Herrn Gould in den ersten beiden Akten gab für mich den Ausschlag, auf das Hören des 3. Aktes zu verzichten und mir lieber auf 3Sat den insgesamt sehr gelungenen letztjährigen Salzburger "Rosenkavalier" anzusehen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Am Besten der gestrigen Übertragung fand ich die Antwort von Frau Brüning auf die Frage des Moderators welche Gedanken ihr denn so kurz nach der Premiere durch den Kopf gehen. Darauf die Antwort von Frau Brüning: Ich hab nur dran gedacht, ob ich es denn noch rechtzeitig zur Kritikerrunde schaffe :) . Ansonsten viel Mittelmaß wobei ich mich immer frage ob sich Herr Thielemann mit Mittelmaß zufrieden geben kann. Stephen Gould war ein sehr guter Tristan, enttäuscht war ich von Frau Herlitzius, deren Stimme man anmerkte das sie vorher schon die Elektra in München gesungen hatte. Zeppenfeld hat für mich nicht die nötige Stimmtiefe für einen Marke. Auch das Dirigat von Thielemann plätscherte so vor sich hin wobei der erste Akt noch sehr gut gelang aber den dritten zog Thielemann doch etwas zu sehr in die Länge.

  • Vielleicht bin ich da zu unkritisch, aber insgesamt fand ich diesen Radio-Tristan ziemlich gelungen: Frau Herlitzius hat mit ihrer dramatischen und zugegeben manchmal etwas scharfen Stimme im ersten Aufzug gepunktet. Und Stephen Gould hat mich gerade im letzten Aufzug überrascht, indem er sich seine Kräfte vorher offenbar gut eingeteilt hatte; da freue ich mich auf die kommende Saison, in welcher ich ihn an der Seite von Ricarda Merbeth (heuer die Bayreuther Senta im legendären Berghaus-Tristan sehen werde. Problematisch war wohl der zweite Aufzug und zwar weniger augrund der gesanglichen Qualitäten der Titelpartien an sich, sondern eher, weil die Stimmen in meinen Ohren nicht wirklich miteinander harmonierten. Zeppenfelds Marke wiederum hat mich gänzlich überzeugt: Alles gesungen, hochgradig textverständlich (das war bei Herlitzius/Gould nicht immer der Fall) und rollendeckend. Daneben ist mir vor allem Iain Paterson als Kurwenal positiv aufgefallen, während Christa Mayers Brangäne etwas blaß schien.
    Über allem schwebte das Orchester mit einer für mich makellosen Transparenz. Hier hat mich der neue musikalische Direktor Christian Thielemann absolut überzeugt (anders etwa, als vor zwei Jahren beim Holländer, den ich nicht gut fand) und einzig im Finale des zweiten Aufzuges hätte ich mir etwas mehr "Wumms" gewünscht.


    Zur Inszenierung kann ich naturgemäß noch nichts sagen, aber anscheinend haben Katharina Wagner und ihr Team nicht vollständig daneben gegriffen. Ich bin jedenfalls gespannt auf die Fernsehaufzeichnung, welche am 8ten August in 3sat zu sehen sein wird.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich konnte nur kurz in den "Tristan" reinhören und war bei dieser Gelegenheit von den Frauen Herlitzius und Mayer leider nicht sonderlich angetan. Allerdings scheint laut der Kritikerrunde und dem, was ich heute gelesen habe die Inszenierung immerhin dazu angetan zu sein, die Bayreuther Talfahrt der letzten Jahre etwas zu bremsen. Das wäre ja immerhin eine erfreuliche Meldung. (Andererseits macht aber nach wie vor eine Schwalbe noch keinen Sommer...)

  • Wer es versäumt hat, oder die Zeit bis zur TV - Ausstrahlung überbrücken will, kann den live-Stream hier noch zwei Wochen nachhören:


    http://www.br.de/radio/br-klas…istan-und-isolde-106.html

  • Am Rundfunk habe ich noch nichts gehört, habe aber für Freitag Kino-Karten: ab 15:45 Uhr gibt's den Bayreuther Tristan als live-Übertragung im Dortmunder Kino. Meine Frau und ich gehen hin. Mal schauen, ob ich am Montag dann die Feder zu einem Kommentar gespitzt bekomme.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich werde mir die Übertragung am Freitag ganz gemütlich zu Hause über den Videostream des BR anschauen und aufnehmen.

  • Ich werde mir die Übertragung am Freitag ganz gemütlich zu Hause über den Videostream des BR anschauen und aufnehmen.


    So habe ich es, da ich morgen keine Zeit habe, auch getan! - Eindrücke, Gedanken, Assoziationen:


    Der erste Aufzug hat seine Meriten, die Kamerfahrt zu Beginn, zwar nur für die Fernseaufzeichnung, auf ihre Weise imposant und soghaft. Thielemann ohne "falsche" Agogik schon im Vorspiel beeindruckend. Das "Liebestrank"-Problem recht gut gelöst, wobei die Farbe nicht hätte sein müssen ... Sehr eindrücklich die vollkomene Hilflosigkeit Brangänes und Kurwenals am Schluss. Musikalisch trifft es etwa das Niveau der Premiere, wobe sich die Herlitzius m.E. noch etwas mehr in die Rolle gefunden hat.


    Ziemlich erratisch, der "Liebesakt" ... Gelb ist die Farbe der Sonne, des Tages und des Neides. Das Ganze scheint ein Versuchsaufbau, aber warum dann nicht konsequent auch im ersten Aufzug so gedacht? Zeppenfeld jedenfalls ganz weit vorne!


    Ende, Aus, Applaus! - Der letzte Aufzug doch (enttäuschend) konventionell!? Dreiecke erinnern an Pink Floyd, Marke an Wotan und der Hirt wird von Rolando Villazón gesungen; Fiebervisionen, die visuell nicht wirklich packen ... Dafür die Musik und Stephen Gould! Es müssen im Haus weit über dreissig Grad sein und der Mann singt! Verdienter Applaus auch für den Tanzbären.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Mit der Inszenierung kann man leben, da gibt es weit aus schlimmere und langweiligere Inszenierungen von Tristan und Isolde, wenn ich da an die Marthaler Inszenierung denke. Mit dem Dirigat von Thielemann kann ich mich immer noch nicht anfreunden und die Enttäuschung wie auch bei der Premiere war die vorher so hoch gelobte Einspringerin Frau Herlitzius. Ganz hervorragend Stephen Gould als Tristan und die Brangäne fand ich auch sehr gut. Beim Hirten hab ich auch gedacht, was macht Rolando Villazon denn in Bayreuth :) . Der Vorteil bei dem Videostream war, ich brauchte bei der Hitze mich nicht schick zu machen :) .

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  • Hallo!


    Ich habe mir heute die Liveübertragung im Kino in Stuttgart angesehen und war sehr beeindruckt. Sowohl von den beiden Hauptdarstellern, als auch von Zeppenfeld als Marke. Jetzt habe ich nicht all die Vergleiche, auf die Ihr zurück greifen könnt. Ich ging allerdings nach einem für mich tollen Opernerlebnis aus dem Kino.


    Was ich zugegeben nicht ganz verstanden habe, ist wie Katharina Wagner mit dem Thema des Liebestrankes umging. Ein Liebestrank, der eigentlich ein Gift sein sollte, was wiederum egal ist, da er sowieso verschüttet wurde. Ich finde, das trägt nicht unbedingt zur Logik der Handlung bei. Gestört hat mich bei aller sängerischen Leistung, das zeitweilig übertrieben hilflose Gebahren, das Brangäne an den Tag legte. Zeitweilig bewegte sie sich hospitalistisch auf der Stelle. Wirkte auf mich etwas befremdlich.


    Es stimmt zwar, dass die Dreiecke an Pink Floyd erinnerten, dennoch fand ich es zur Dramatisierung gelungen.


    Wie gesagt: Das Glas war für mich fast voll.


    Gruß WoKa


    Anm.: Interessanterweise unterhielt ich mich in der Pause mit einer Besucherin, die in der vergangenen Woche die Aufführung in Bayreuth gesehen hatte und jetzt nochmals alles in Ruhe und aus der Nähe vertiefen wollte.

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Guten Abend,


    bin gestern Abend aus Bayreuth zurückgekehrt wo ich mir 3 Aufführungen (Tristan, Lohengrin und Siegfried) angeschaut habe.


    Nachdem ich mir die Premiere des Tristan am Radio angehört hatte war ich sehr skeptisch, was mich bei der 2. Aufführung erwarten würde.
    Während mich Frau Herlitzius bei der Premiere überhaupt nicht überzeugen konnte (zu scharf, zu schrill und mit deutlichen stimmlichen Ermüdungserscheinungen) begeisterte sie mich in der 2. Aufführung am vergangenen Sonntag. Gleiches darf ich auch von Herrn Stephen Gould sagen. Zeppenfeld als Marke und Christa Mayer als Brangäne boten stimmlich solide Leistungen wobei ich den teilweise frenetischen Applaus im Festspielhaus für Frau Mayer nicht nachvollziehen kann. Iain Paterson als Kurwenal wusste zu überzeugen und ich freue mich, dass er in 2016 für die Partie des Wotan im Rheingold vorgesehen ist.
    Tansel Akzeybek als Hirt/Steuermann empfand ich als Zumutung.


    Das Orchester unter Thielemanns Leitung wieder einmal ein Genuss.


    Schlussendlich noch ein paar Worte zur Inszenierung. Mir hat sie sehr gut gefallen und ich finde sie auch bis ins kleinste Detail durchdacht. Selbst der verschüttete "Liebestrank" macht Sinn. Nach all dem Mist der uns in den letzten Jahren "vorgesetzt" wurde (ich denke hier an den verhunzten Tannhäuser oder die fade Marthalerinszenierung des Tristan) endlich wieder einmal ein kleiner Lichtblick.


    Gruß Wogtraute

    Ob ich nicht höre? ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir. (aus "Elektra")

  • Hallo Wogtraute!


    Kannst Du mir den Sinn hinter dem verschütteten Liebestrank erklären? Das Puzzleteil fehlt mir noch, um die Inszenierung vollständig als gelungen ansehen zu können.


    Gruß
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Was ich zugegeben nicht ganz verstanden habe, ist wie Katharina Wagner mit dem Thema des Liebestrankes umging. Ein Liebestrank, der eigentlich ein Gift sein sollte, was wiederum egal ist, da er sowieso verschüttet wurde. Ich finde, das trägt nicht unbedingt zur Logik der Handlung bei.


    Wer würde dies rosa Zeug schon freiwillig trinken wollen ...? - Aber ernsthaft, wobei alles Folgende natürlich eine Interpretation der Interpretation bleiben muss: Zuersteinmal handelt es sich für die Protagonisten ja micht um einen Liebes-, sondern einen Todestrank; die Tränke sind zumindest für den Zuschauer optisch nicht zu unterscheiden. Seine Einnahme erst ermöglicht ihnen, offen auszusprechen, was (zumindest in dieser Inszenierung) von ihrer ersten Begegnung an offensichtlich ist, die gegenseitige, alles weitere in seiner Konsequenz ignorierende Liebe zueinander. Mithin wäre bzw. ist der Trank als Liebestrank im wahrsten Sinne des Wortes "überflüssig". Der Todestrank nun schließt das gemeinsame Bündnis gegen die Außenwelt, indem er ja nicht einfach verschüttete, sondern, wenn ich recht gesehen habe, über die sich ergreifenden Hände gegossen wird - der innere Pakt ist sozusagen geschlossen. Da der Tod ohnehin sicher scheint, ist die Einnahme nicht notwendig. Vielmehr jedoch kündigt die nicht-Einnahme nicht nur den eigenen trotzdem als sicher angenommenen Tod an, sondern auch das Verderben anderer. Der Trank wurde nicht nur über die eigenen Hände, sondern von der Brücke auch auf die gesamte Handlung an sich ausgeschüttet.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • T´schuldigung!
    Den Bayreuther „Tristan“ habe ich mir in der Dreisat-Übertragung angeschaut. Tiefreichendes Angerührt-Sein, ja Betroffenheit war die Folge. Für einen Menschen, der von seinem Wesen her Kammermusiker ist und dem „Oper“ – obgleich er sich aus Pflichtgefühl viel davon angeeignet hat - von daher ein wenig zu laut, zu vordergründig spektakulär ist, muss das ein eigentlich bemerkenswerter Sachverhalt sein. Und allein deshalb bringe ich diesen Beitrag hier an dieser Stelle ein.


    Wer inszeniert hatte, wer dirigierte, wer da sang und welche Probleme sich um all diese Fakten rankten, das war mir völlig gleichgültig. Ich wusste zwar ein wenig davon, aus der Presse und auch aus der Lektüre der Beiträge dieses Threads, aber es erwies sich beim Hören und Schauen, beim Mit- und Nacherleben von Wagners Musik als völlig irrelevant. Gewiss, die Isolde kannte ich in besseren gesanglichen Gestaltungen, und das gilt auch für die gesangliche Interpretation der Tristan-Rolle (während ich den Marke beeindruckend fand), aber das war, wie gesagt, ohne jegliche Bedeutung im Augenblick der Erfahrung von Wagners Musik. Ihr kann weder ein unzureichender Dirigent (was Thielemann auf gar keinen Fall ist), noch ein den Anforderungen nicht ganz gewachsener gesanglicher Interpret etwas anhaben, - und noch nicht einmal der ihr zugrundeliegende Text, über den ich immer geflissentlich hinweghöre, um keinen Lachanfall zu kriegen. Wagner treibt regelrechte Unzucht mit kumulativ-substantivischer und partizipialer Alliteration. Furchtbar für jeden lyrisch sensiblen Menschen!


    Alles völlig nebensächlich! Ich habe an diesem Abend, mitgerissen von dem faszinierenden leitmotivischen Spiel mit der klanglichen Raffinesse und der wahrlich in Bann schlagenden Harmonik dieser Tristan-Musik wieder einmal Friedrich Nietzsche begriffen, wenn er meinte:
    „Aber ich suche heute noch nach einem Werke von gleich gefährlicher Faszination, von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit, wie der „Tristan“ ist, – ich suche in allen Künsten vergebens.“

  • Lieber Helmut, Dien Beitrag hat mich sehr berührt. Ach, könnte auch ich noch einmal zurück in die Unschuld der erste Begegnung mit dieser Musik. Ich kann es nicht. Je älter ich werde, umso mehr festigt sich bei mir die Vermutung, dass ich bestimmte Werke immer nur deshalb wieder und wieder höre, hören muss, um diesen ersten Eindruck wiederzufinden. Vergeblich. Es gelingt nicht. Die Unschuld ist ein für alle Mal dahin. Nun schlage ich mich umher mit diesem ganzen Ballast der unterschiedlichen Interpretationen und Deutungen. Immer wieder zwingen mich die vielen Abende in allen möglichen Opernhäusern, die unzähligen Aufnahmen und Bilder zum Vergleich heraus. Warum tue ich mir das an? Es liegt am Werk, dass man es nie wieder los wird. Und genau deshalb hat mich der diesjährige Bayreuther TRISTAN gar nicht mehr erreicht. Selten habe ich dieses Werk so mittelmäßig gesungen vernommen. Kaum, dass ein Wort zu verstehen war. Deutsche Untertitel für ein Musikdrama in deutscher Sprache sind schon der Hohn, wenn nicht gar eine künstlerische Bankrotterklärung. Wagner hat seine Sänger immer wieder zur Deutlichkeit ermahnt. Recht hatte er. Ein für mich so hervorragender Dirigent wie Thielemann allein kann den TRISTAN nicht retten. Ich wünschte, ich könnte ihn ohne Gesang hören. So weit ist es schon.


    Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonk: "Kind! Dieser Tristan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt! Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodirt wird. Nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen, – ich kann mir’s nicht anders denken."

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wäre ich vor Ort gewesen, hätte mir vielleicht einiges Szenische auch gefallen - wie seinerzeit auch beim Neuenfels-Lohengrin oder Herheim-Parsifal (der Lohengrin-Mitschnitt erinnert mich gut an das Live-Erlebnis, die Parsifal-Übertragung im Fernsehen weniger, vor allem mit dem dummen Blabla und Getue der Kommentatorin, einer gewissen Frau Gerlach, die ich für Voksmusikfestivals passender fände), aber so in der Fernsehübertragung dieses Tristan hat mich das Optische (Bühnenbild und Agieren) überhaupt nicht interessiert, und akustisch war ich auch nur vom Orchester begeistert - nicht einmal vom Chor. Weder Sänger noch Sängerinnen haben mich szenisch oder aktustisch mitgerissen. Wenigstens dachte ich zu Beginn der Übertragung noch: Ja, das gefällt mir, dass man den Zuschauerraum mit dem lauten Raunen sieht und dann die Lichter gedimmt werden und Stille einkehrt und der erste Akkord erklingt, aber dann gab es am Ende und zu Beginn der Aufzüge bei der Übertragung auch nur Zusammenschnitte, da war mir das ganze Projekt nicht mehr wert, gespeichert zu bleiben. Gelöscht.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Ich bin sehr froh, über die letzten Beiträge und insbesondere über den von Rheingold.
    Ich würde mir ebenfalls wünschen, ich hätte noch die Unschuld der ersten Begegnungen mit Wagners Werken und höre/sehe mir seine Musikdramen heute nur noch an, in der Hoffnung einen fernen Klang dieser Unschuld wieder zu finden.
    Nun ist natürlich eine live-Aufführung im Hause etwas anderes, als eine Fernsehübertragung oder irgendeine Konserve per DVD oder Tonträger. Aber wenn ich mir heute Mitschnitte aus den 50ern bis 70ern anhöre oder ansehe, fühle ich keineswegs diese Distanz oder gar Langweile, die ich gestern empfunden habe.
    Das Titelrollenpaar grenz für mich an eine Zumutung: So sehr mich Frau Herlitzius als Elektra durchaus anspricht, so ist sie als Isolde für mich stimmlich schlankweg eine Zumutung. Alle hohen Töne ab dem g sind höchstens markiert und auch ihre Mimik ist alles andere als "königlich".
    Bei Gould anerkenne ich durchaus seine Durchhaltekraft sowie einzelne strahlende Spitzentöne ("seelige Liebeslust"), aber die Stimme kennt kaum Farben und auf ein "Abschmecken" des Sinnesgehalts der Worte wartete ich vergebens
    Was die Inszenierung betrifft: Sicher musste man in den letzten Jahren Schlimmeres erleben, aber mich als Philologen stört es einfach, wenn die Text vorkommenden Requisiten keine Entsprechung im Bühnengeschehen finden (Mantel, goldene Schale, die Schatulle mit den Tränken usw. usw.).
    Letztlich zu Thielemann: Bekannnterweise bin ich ein grosser Anhänger dieses Dirigenten, aber diese Lesart war mir zu verschleppt, zu maniriert und zu dröge.
    Um ein Gegenbeispiel zu liefern, das wohl nur diejenigen zu würdigen wissen, die es miterleben durften:
    Ich habe viele grosse Isolden erlebt, ebensoviele Tristane und Dirigenten.
    Am unvergesslichsten wird mir aber die Wieland-Inszenierung bleiben, die ich in Stuttgart 1973 erleben durfte:
    Windgassen, Ligendza, Hoffmann, Neidlinger, Frick; Carlos Kleiber.
    Tempi passati.... Vielleicht käme mit etwas Derartigem auch meine Unschuld zurück....

  • Hallo!


    Dann bin ich ja froh, dass ich erst mit 55 meine Unschuld verloren habe! :P


    Jedenfalls werde ich die Carlos Kleiber Box nicht mehr nur aus dem Schrank nehmen, wenn ich Sinfonisches oder die Fledermaus hören möchte. Jetzt traue ich mich auch an seinen Tristan heran.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Wie aus einem Newsletter der Bayreuther Festspiele hervorgeht, wird die Isolde 2016 von Petra Lang gesungen werden, die bisher als Orthrud im Lohengrin in Bayreuth aufgetreten ist.



    Liebe Grüße


    Portator

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  • Alles völlig nebensächlich! Ich habe an diesem Abend, mitgerissen von dem faszinierenden leitmotivischen Spiel mit der klanglichen Raffinesse und der wahrlich in Bann schlagenden Harmonik dieser Tristan-Musik wieder einmal Friedrich Nietzsche begriffen, wenn er meinte:
    „Aber ich suche heute noch nach einem Werke von gleich gefährlicher Faszination, von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit, wie der „Tristan“ ist, – ich suche in allen Künsten vergebens.“


    Lieber Helmut,
    im Himmel ist mehr Freude über einen reuigen Sünder ...


    Für mich, dem der Tristan schon seit Jahrzehnten das Non plus ultra der Opernkunst war, geht die Entwicklung leider in Richtung Rheingolds.
    Aber da immerhin ganz hervorragende Aufnahmen auf CD und DVD existieren, ist die Trauer über die gegenwärtige Entwicklung nicht allzu groß.


    Jedenfalls freue ich mich riesig, dass Dir die heurige Bayreuth-Produktion trotz ihrer Mängel den Blick in die Urgewalt dieses Werkes nicht versperrt hat.

  • Dieses "Alles völlig nebensächlich", das Du von mir zitierst, lieber hami, gilt natürlich nur für mich. Die Mängel dieser Aufführung habe ich wohl bemerkt, - sagen wir besser: einige, die gravierenden und längst nicht alle. Aber ich wurde tatsächlich von dieser gewaltigen und wahrlich verführerischen und verzaubern könnenden Tristan-Musik - wieder einmal! - hin- und mitgerissen. Durch die Sänger habe ich einfach hindurchgehört.
    "Tristan und Isolde" habe ich leider nicht auf der Bühne erlebt, - im Unterschied zum "Ring" und einigen anderen Wagner-Opern noch. Das war zu der weit zurückliegenden Zeit, in der ich von der "Wagneritis" befallen war. Zeugnisse dieser Zeit stehen noch bei mir hier herum, - in Gestalt mächtiger Schallplatten-Kassetten. Dazu gehören u.a. der "Solti-Ring" und die EMI-Produktion des "Tristan" unter der Leitung von Herbert von Karajan (mit Jon Vickers, Helga Dernesch, Christa Ludwig, Walter Berry, Karl Ridderbusch u.a.). Diese Aufnahme hat mein Tristan-Bild geprägt. Ich weiß nicht, wie die Fachleute hier im Forum sie einschätzen. Nach dem Bildschirm-Bayreuth-Erlebnis habe ich am nächsten Tag ein wenig in sie hineingehört. Und da kam ich dann doch zu einem etwas anderen Urteil über das, was ich tags zuvor erlebt hatte.