Samuel Scheidt: Ahnherr der deutschen Orgelmusik

  • Er ist neben Heinrich Schütz (1585-1672) und Johann Hermann Schein (1586-1630) einer der drei großen SCH: Samuel Scheidt. Weil der Hallenser bisher noch keinen eigenen Thread hat, möchte ich ihn und seine Musik in diesem Beitrag den interessierten Musikfreunden näher vorstellen. Ich würde ihn, diese Bemerkung als Einschub, zwar noch unter die Komponisten der Renaissance einordnen, habe aber auch kein Problem damit, Scheidt als Komponist des Frühbarock zu sehen. Hier, in diesem Bereich des Forums, befindet er sich dann mit seinen Kollegen Schütz und Schein eingeordnet.



    Geboren wurde er in Halle an der Saale; als Taufdatum werden der 3. oder der 4. November 1587 genannt. Zur Familie seien folgende kurze Hinweise gegeben: Der Vater Conrad (auch Curt, 1555-1618) war erst Hausschenk auf Burg Giebichenstein (seit 1900 ein nördlicher Stadtteil von Halle), später Ratsbierschenk und Bornmeister (Aufsichtsperson in Saline bzw. Bergwerk); über die Mutter Anna (geborene Achtmann) ist weiter nichts bekannt, selbst ihr Sterbejahr wird zwischen 1619 und 1637 nur vermutet. Das Ehepaar hatte acht Kinder, von denen Gottfried (1593-1661) Hoforganist in Altenburg wurde, Christian (1600 bis nach 1626) Organist in Eisleben, Alsleben und Frankenhausen war.


    Nachdem Samuels musikalische Begabung erkannt war, erhielt er während seiner Gymnasialzeit in Halle musikalischen Unterricht sowohl vom Organisten der Marktkirche, Wolff Eisentraut, als auch von Salomon Kramer, dem Organisten der Ulrichskirche; genannt wird auch der Orgelbaumeister Heinrich Compenius d.J - sie alle standen in privatem Kontakt mit der Familie Scheidt.


    Von 1603-1607 war Samuel Scheidt Organist an der Moritzkirche, erhielt aber 1606 Urlaub, um in Amsterdam bei Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621), dem berühmten „Organistenmacher“, seine Kenntnisse zu vervollkommnen (übrigens waren auch Samuels Brüder Gottfried und Christian Schüler von Sweelinck - Gottfried von 1611-1614, Christian von 1614-1617. Obwohl es keine belastbaren Belege gibt, nehmen Musikwissenschaftler an, dass die Ausbildung bei Sweelinck zur Gänze von dem Administrator des Erzbistums Magdeburg, Christian Wilhelm von Brandenburg, finanziert wurde. Gesichert ist dagegen, dass der Administrator 1609 Scheidt zum Hoforganisten ernannte.


    Bedeutsam für die weitere Entwicklung Scheidts als Komponist war die Begegnung mit Michael Praetorius (1571-1621), die von der Wissenschaft für März/April 1614 anlässlich des Naumburger Fürstentages angenommen wird (bedeutsam insofern, als dass Scheidt den von Praetorius von den Italienern übernommenen konzertanten Stil in seinen Kompositionen weiter entwickelt hat). Weitere Kontakte dürften sich anlässlich der im selben Jahr stattfindenden Verlobung Christian Wilhelms, dessen Heirat und Einzug 1615 in Halle ergeben haben, wo auch Praetorius anwesend war. Am 15. August 1619 trafen sich Scheidt, Schütz, Praetorius und Johann Staden nochmals anlässlich einer Orgelweihe in Bayreuth, kurz danach wurde Scheidt zum Hofkapellmeisters in Halle ernannt.


    1620 erschienen Scheidts die achtunddreißig Werke der „Cantiones sacrae“ im Druck, 1622 folgte die Veröffentlichung „Concertus sacri“, 1624 die „Tabulatura nova“. Widmungsträger einzelner Bände waren der sächsische Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656), der Markgraf von Brandenburg sowie die Bürgermeister von Nürnberg, Danzig und Hamburg.


    Als Christian Wilhelm von Brandenburg 1625 Halle verließ, um als General am (dreißigjährigen) Krieg teilzunehmen (kolportiert wird aber auch, er sei vor Wallensteins Truppen geflohen), verlor Scheidt durch die Aufgabe der Hofhaltung seine Stellung. Es erstaunt, dass Scheidt trotz dieser misslichen Lage im Jahre 1627, mit vierzig Jahren also, in der Wörmlitzer Kirche St. Petrus Helena Magdalena Keller heiratete. Man könnte (spekulativ) den Schluss ziehen, dass Scheidt zu diesem Zeitpunkt bereits über Vermögenswerte verfügte, die ihm trotz Arbeitslosigkeit die Gründung einer Familie erlaubte.


    Erst 1628, als es Versuche gab, Halle zu rekatholisieren, berief man ihn in das Amt des „Director musices“. Er geriet jedoch schon kurze Zeit später in einen Streit mit dem Rektor des lutherischen Gymnasiums, Christian Gueinzius (in dem es um die Disziplinargewalt über die Chorschüler ging), der zugunsten des Rektors ausging und Scheidt deshalb abermals sein Amt verlor. In der neueren Forschung wird dieser Streit für überbewertet gehalten, sieht man die erwähnte Rekatholisierung der Stadt Halle eher als Grund für die Entlassung Scheidts an. Jedenfalls nutzte er die stellungslose Zeit und wandte sich wieder seiner kompositorischen Arbeit zu (es entstanden die ersten drei Teile der „Geistlichen Concerten“). Auch in diesem Fall bleibt unklar, wie Scheidt die Familie durchbringen konnte - von Verarmung und den damit verbundenen Schwierigkeiten ist jedenfalls in den Akten der Behörden nichts zu finden. Erst 1638 wurde Samuel Scheidt durch den neuen Administrator des Erzbistums Magdeburg, August von Sachsen, wieder als Hofkapellmeister eingesetzt, was er bis zu seinem Tode auch blieb.


    1640 erschien der vierte Teil der „Geistlichen Concerten“ im Druck, 1644 „Siebzig Symphonien“ (Instrumentalsätze für Konzerte, Motetten oder Madrigale, entweder vorgesetzt oder eingefügt). Im Jahre 1650 veröffentlichte Scheidt das.„Görlitzer Tabulatur-Buch“ (enthaltend 100 Choräle für die Orgel). Unterlagen aus dieser Zeit belegen, dass der Komponist seine neuen Werke zu verkaufen suchte. Er wurde mehrmals zur Orgelabnahmen restaurierter oder auch neuer Instrumente in verschiedene mitteldeutsche Städte eingeladen. Am Ende seines Lebens verlor Scheidt durch den Krieg sein Vermögen, starb am 24. März 1654 verarmt und vereinsamt in Halle. Die Akten verzeichnen ein Armenbegräbnis.


    Man muss Scheidt als einen wichtigen Ahnherren der deutschen Orgelmusik ansehen; sein Werk weist alle Errungenschaften der musikalischen Technik seiner Zeit auf. Sein bekanntestes Opus, die dreibändige „Tabulatura nova“, zeigt ein Notensystem, das dem heutigen sehr nahe kommt. Der Titel leitet sich aus der Notierung nach italienischem Vorbild her, das auf zwei Liniensystemen mit Mensuralnoten aufgeschrieben wurde - entgegen der in Deutschland üblichen Buchstabennotierung. Während die ersten beiden Bände eine Sammlung von Tanzbearbeitungen, Variationen, Choral- und Liedbearbeitungen, Fantasien, Fugen, Kanons Toccaten und auf zwei Manualen zu spielende Echo-Kompositionen aufweist, enthält der dritte Band nur kirchliche Gebrauchsmusik. Nach Anweisung können die Stücke auch auf anderen „clavierten Instrumenten“ gespielt werden, allerdings dürfte Scheidt an die Orgel gedacht haben. Hier ist die erste Folge von drei Ausgaben der "Tabulatura nova" des Labels Dabringhaus und Grimm abgebildet.



    In neun Volumina hat das Label "Fagott" Scheidts Orgel-Œuvre veröffentlicht. Verschiedene Organisten spielen an unterschiedlichen, hauptsächlich Orgeln deutscher Kirchen. Ich weiß allerdings nicht zu sagen, ob mit diesen neun Ausgaben das Orgelwerk Scheidt vollständig eingespielt wurde oder ob noch weitere ausstehen.












    In den „Cantiones sacrae“, achtunddreißig Motetten für acht Stimmen und zwei Chöre, lässt Scheidt die niederländisch-deutsche Motettentradition neu aufleben und bekennt:
    „Ich bleibe bey der reinen alten Composition und reinen Regeln“.
    Von großer Klangpracht erweist sich die Motette „Ein feste Burg“, in der der Chor akkordisch auftritt. Dagegen ist „Christe der du bist Tag und Licht“ mit sieben Strophen durchkomponiert, wobei die erste achtstimmig mit einfachen Harmonien, die zweite die Melodie im Sopran führt und vierstimmig angelegt ist. In der dritten Motette, ebenfalls zu vier Stimmen, liegt die Melodie im Tenor, in der vierten schreibt Scheidt ein Duett zwischen Sopran und Alt. Die wieder vierstimmige fünfte Motette hat den Cantus firmus im Bass, die sechste ist als ein Kanon angelegt, und die letzte schließt das Werk homophon ab. In den übrigen Motetten nutzt der Komponist alle Kombinationsmöglichkeiten der geforderten Besetzung aus, hält sich aber an die Vorgaben der überkommenen Polyphonie.



    Von den „Musikalischen Spielen“ (Ludi musici) ist nur der erste Teil erhalten geblieben; die Tanz- und freien Instrumentalstücke entstanden 1621. Diese Musik steht ganz unter dem Einfluss der englischen Instrumentalmusik. Scheidt hat jedes Stück einem der Musiker des Hallenser Hofes gewidmet. Besonders auffällig ist die „Intrada“ für Bläser, Viole, Cembalo, Theorbe, Trommel und Tambourin; sie wirkt wie eine festive Ouvertüre. Die „Gaillarde Battaglia“ mit Fanfarenmotiven und scharfen Tonrepetitionen entspricht der damals beliebten Darstellung von Kampfgeschehen und ist für Bläser, Gambe, Positiv und Gitarre gesetzt. Scheidt hat die beliebtesten Melodien von Tänzen seiner Zeit verwendet; gleiches gilt auch für die sechs „Canzonen“, die kunstvoll und in immer neuen Klangvariationen seinerzeit bekannte Themen verarbeitet.





    Hörenswert sind auch diese geistlichen Konzerte; sie sind, sicherlich kriegsbedingt, für kleinste Besetzungen komponiert - für zwei oder drei Stimmen mit Generalbass. Insgesamt hat Scheidt vier Bücher „Geistliche Concerte“ im Druck erscheinen lassen. Es muss allerdings auch "Urfassungen" gegeben haben, denn Roland Wilson erläutert im Beiheft dieser Einspielung, dass sie ursprünglich für viel größere Besetzungen konzipiert waren; er hat diese Urfassungen teilweise aufwendig rekonstruiert, teilweise aus handschriftlichen Quellen zum ersten Male realisiert.


    :hello:

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    MUSIKWANDERER

  • Heute können wir Samuel Scheidts 428. Tauftag gedenken:



    Die Taufe könnte, wie es dem obigen Beitrag zu entnehmen ist, auch der morgige 4. November gewesen sein. Der Geburtstag wäre demnach ein oder zwei Tage vorher anzusetzen. Sich des großen Künstlers mit dessen "Cantiones sacrae" zu erinnern, ist nicht der schlechteste Gedanke, denn mit diesen Motetten, die denen seines ebenso großen Landsmannes Heinrich Schütz in nichts nachstehen,
    wird er immer lebendig bleiben...


    :hello:

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    MUSIKWANDERER