Die Zigeunerliebe von Franz Lehár


  • Häufig ist bei Lehár von seiner zweiten Schaffensperiode die Rede, wo er, beginnend mit Paganini (1925) sich mehr und mehr dem opernhaften zuwandte bzw. seinen Anspruch verwirklichen wollte, „dass es zwischen Oper und Operette keine Scheidewand mehr geben wird“. Anlässlich der Premiere zu Paganini soll er sogar geäußert haben, er sei zum zweiten Mal künstlerisch geboren worden. Es wird aber gerne übersehen, dass er schon sehr viel früher damit experimentierte, opern- und operettenhaftes miteinander zu verbinden. Eine erste „Fingerübung“ dahingehend machte er 1909 mit dem Fürstenkind, das er parallel zum durch und durch operettengemäßen Graf von Luxemburg komponierte. Aber bereits ein Jahr später ist ihm mit der Zigeunerliebe dieser Mix (ich würde in diesem Zusammenhang nicht von Verschmelzung reden wollen) aus Oper und Operette dermaßen gut gelungen, wie er ihn m. E. auch in seinen sog. Spätwerken mit ihren fehlenden Happy Ends nicht mehr verbessern konnte.


    Die Zigeunerliebe hat ja noch einen glücklichen Ausgang, steht aber dafür noch in der längst überkommenen Tradition Alt-Wiener Besserungsstücke (wie etwa auch verspätet noch Suppés Die Jagd nach dem Glück). Eine ausführliche Inhaltsbeschreibung findet sich im Operettenführer.


    „Eine Oper, die man zur Not auch in einem Operettentheater aufführen könnte“ oder „Man weiß als Publikum gar nicht, wie man sich einstellen soll, ob auf die Oper oder auf die Operette“ lauteten einige Anmerkungen zu Zeiten der Uraufführung.


    Wo verläuft aber die Scheidewand zwischen Oper und Operette? Nach meiner Theorie, wenn man einmal von den tragischen Momenten in der Oper absieht, zwischen gesangstechnisch anspruchsvollen, in bestimmten Perioden auch durchaus melodischen, aber die allzu einschmeichelnde Melodie wie der Teufel das Weihwasser meidenden Gesangsnummern einerseits und der auf eingängige, populäre Melodien bedachten Kompositionen mit geringeren gesangstechnischen Ansprüchen, die sich schon aus dem vorhandenen Personal ergaben, andererseits. Natürlich gab es immer auch Grenzüberschreitungen auf beiden Seiten. In der Oper die populäre Melodik, Verdis "La donna é mobile" etwa oder der Chor der Zigeunerinnen aus La Traviata, das Torerolied aus Bizets Carmen, u. v. m. Bei solchen Nummern denke ich immer, die könnten auch in einer (guten) Operette vorkommen. Und umgekehrt gibt es in der Operette auch durchaus anspruchsvolle Gesangsnummern bei gleichzeitig eingängiger Melodik. Vor allem Lehár hat sich hierin als großer Meister erwiesen.


    Dennoch sind die Stilbrüche gerade auch in der Zigeunerliebe unüberhörbar. Der Oper am nächsten kommt nach meinem Eindruck die Introduktion mit dem Soloauftritt Zorikas und einer fast 9-minütigen Natur- und Gemütsschilderung. Ähnlich opernhaft ist auch das erste Finale. Operettenhaftes Melos und Pathos finden wir dagegen in der Nummer zwei: „So sprach noch niemals ein Mann zu mir“. Operette und Pathos, gab’s das schon mal (etwa im Zigeunerbaron?) oder hat Lehár das erfunden? Und im nachfolgenden großen Ensemble haben wir dann eine bunte Mischung aus zigeunerhafter Folklore und romantischem deutschen Lied vom Röslein, das schon auf ein weiteres Lehár–Spätwerk, Friederike, vorausweist.


    Ganz und gar nicht verstehen kann ich, warum Lehár bei diesem ambitionierten Werk nicht auf die doch eher banalen Buffo-Liedchen verzichten wollte, zumal er doch sogar in seiner Lustigen Witwe (ich habe dies an anderer Stelle schon mal angemerkt) auch ohne solche ausgekommen ist. Ein Hauch von Humor findet sich auch im dritten Akt in einem Walzerterzett, bei welchem die Nebenbuhlerin Ilona den Zigeuner Józsi nach seiner aktuellen Liebsten fragt und er damit antwortet, dass er gleich mit einigen Damen nacheinander tanzt. Eine Szene, die in einer Oper zu dramatischen Verwicklungen führen würde, läutet hier das operettenhafte Ende ein.


    Am besten gefallen mir die folkloristischen Elemente in dieser teilweise opernhaften Operette. Und auch Volker Klotz schreibt:


    Zitat

    Kaum eine zweite Partitur des Komponisten ist melodisch so erfinderisch, harmonisch so verwegen, klanglich so farbenreich wie die der Zigeunerliebe. [...] Kaum eine zweite auch - ob von Lehár selbst oder von seinen magyarischen Landsleuten Huszka, Kálmán, Jacobi, Abraham – mobilisiert ungarische und zigeunerische Volksmusik derartig triftig, aber auch mit derartig unverwechselbarem persönlichen Stil.


    Bleibt noch nachzutragen, dass das bekannteste Lied aus der Operette, "Hör ich Zimbalklänge", zwar in der Entstehungszeit komponiert, aber nicht bei der Uraufführung sondern erst bei einer Budapester Fassung verwendet wurde. Erst ab 1915 wurde es auch überall in deutschen Aufführungen eingelegt.


    :) Uwe

  • Mein lieber Uwe!


    Hier sind wir mal nicht gleicher Meinung. Ich liebe diese Operette mit all ihren Vorzügen und auch Schwächen. Herrliche Melodien ("Ich bin ein Zigeunerkind...", "Glück hat als Gast..." usw.) mischen sich mit der Zigeunerromantik. Ich besitze mehrere Aufnahmen von dieser Operette. Vor Kurzem erst gehört und gesehen:

    W.S.