Richard Genée und die Wiener Operette

  • Vorabinforfmation



    Wer vorhaben sollte, in nächster Zeit dieses Buch zu erwerben, warte lieber noch ein Weilchen. Ich habe es gerade heute erhalten. Erste große Enttäuschung: das Buch enthält von 350 Seiten gerade mal 145 Seiten Biographisches, die restlichen 255 Seiten enthalten Werksbeschreibungen, darunter auch viele, viele Werke, die Genée "nur" ins deutsche übersetzt hat und natürlich viele heute völlig unbekannte Werke.


    Die biographischen Details sind, auf den ersten Blick gesehen, naturgemäß nicht sehr ausführlich und vieles wird vom Autor auch nur zitiert, was mir dann aus den zitierten Werken schon bekannt war. Es sind mir aber auch schon einige noch nicht bekannte Informationen aufgefallen.


    Ich werde mich zu diesem Buch noch ausführlich äußern, wenn ich es zu Ende gelesen habe.


    :| Uwe

  • Aufgrund der Komplexität dieses Buches und der Zweiteilung in Biographie und (umfangreichstes) Werksverzeichnis habe ich mich entschlossen, die Informationen zu diesem Buch ebenfalls aufzuteilen. Hier zunächst der biographische Teil.


    Das Buch erschien mir mit einem Preis von 29,90 eigentlich recht teuer und ich habe lange gezögert, es mir anzuschaffen. Auch die Tatsache, dass der Autor, Pierre Genée, keine musikalische Ausbildung besitzt und wie er selbst schreibt, es ihm daher nicht möglich ist, „aus eigener Anschauung zu musikwissenschaftlichen Fragen Stellung zu nehmen“, hat mich in dieser Ansicht noch bestärkt. So gibt es kaum eine persönliche Anmerkung des Autors zu den vorgestellten Werken und die meisten Aussagen dazu wurden als Zitate der entsprechenden Sekundärliteratur entnommen. Ein ganzes Kapitel gar ist weitgehend wörtlich einem noch unveröffentlichten Aufsatz von Volker Klotz über Richard Genée entnommen.


    Den einzigen Vorteil, den der Autor in die Waagschale werfen kann, ist, dass er als direkter Nachfahre von Richard Genée den wohl besten Zugang zu biographischen Details hat. Am meisten enttäuscht hat mich aber, dass das Buch so gar nichts über die wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit den Komponisten Franz von Suppé und Carl Millöcker zu berichten weiß, für die Genée (zumeist im Zusammenwirken mit F. Zell aber auch mit anderen Autoren) die Libretti für jeweils sechs Operetten geschrieben hat. Der Autor beschränkt sich hauptsächlich auf die Inhaltsangaben dieser Operetten und zitiert einige Kritiken aus der Zeit der Uraufführungen. Da es von Millöcker zurzeit noch keine Biographie gibt, erfährt man hier wenigstens noch einiges über dessen weniger bekannte Operetten.


    Für Johann Strauß hat Genée an den Textbüchern von sieben Operetten zumindest mitgewirkt, teils mit F. Zell zusammen komplett verfasst und die Fledermaus mehr oder wenig ganz alleine getextet, trotz der Namensnennung von Carl Haffner. Die Zusammenarbeit zwischen Genée und Strauß unterscheidet sich zu der mit den beiden vorgenannten Komponisten vor allem dadurch, dass Genée zur Zeit der Entstehung der Fledermaus noch angestellter Kapellmeister am Theater an der Wien und in dieser Eigenschaft verpflichtet war, dem noch bühnenunerfahrenen Strauß in allen Belangen zur Seite zu stehen. Und so gibt es dann auch in diesem Buch über diese besondere Art der Zusammenarbeit und den kompositorischen Anteil Genées an der Fledermaus mehr zu berichten. Für mich war das zwar alles nicht ganz neu, aber ich hatte es bisher noch nie in dieser Ausführlichkeit gelesen. Hierbei konnte auch der Autor einige Details aus dem Nachlass seines Vorfahren beisteuern. Interessant der Hinweis darauf, dass Strauß die kompositorische Unterstützung durch Genée stets zu verdunkeln suchte. Ein Jahr vor seinem Tod kann Genée anlässlich eines Gratulationsschreibens an Strauß zu dessen 50. jährigem Künstlerleben seiner Verbitterung nicht ganz verbergen, die zwar nur zwischen den Zeilen zu lesen ist: "Wenn ich jener schönen Tage gedenke, wo wir uns musikalische Einfälle mitteilten...“


    Als weitere interessante Details aus diesem Buch wären zu nennen:


    • die von Genée beabsichtigte Rückführung der Offenbach‘schen Operette hin zur komischen Oper
    • die Art der Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit F. Zell
    • ein Brief von F. Zell an Johann Strauß, in welchem sich ersterer über ungerechtfertigte Kritik von Strauß’s dritter Ehefrau und deren Einflussnahme auf die Libretti beklagt
    • die Zusammenarbeit Genées mit weiteren, z. T. heute völlig unbekannten Komponisten
    • das Kapitel über Genées kompositorisches Schaffen für die Bühne, der ja selbst etliche Operetten komponiert hat (Nanon, Seekadet, usw.)


    Insgesamt ist der Informationsgehalt des ersten Teiles aber doch recht dürftig und bietet eigentlich nicht viel Neues. Unter diesem Aspekt erscheint der Preis des Buches immer noch zu hoch.


    Als Ausblick auf den zweiten Teil des Buches (200 Seiten Werksverzeichnis) sei anzumerken, dass sich darin neben einer Vielzahl nummerierter und nicht nummerierten Werken wie Lieder, Chören, musikalischen Szenen, Operetten für Gesangvereine (!!!), eigenen Kompositionen für Bühnenwerke auch ein 100-seitiges Kapitel „RG als Librettist“ befindet. Darin enthalten sind die Inhaltsangaben auch weniger bis völlig unbekannter Operetten und da sich Genée auch als Übersetzer französischer und englischer Operetten betätigt hat, finden sich dort u. a. auch solche von Offenbach, die man nicht einmal in dessen Biographien oder in einschlägigen Operettenführern finden wird. Unter diesem Gesichtspunkt hat die von mir kritisierte Überdimensionierung des Werksverzeichnisses doch einen gewissen Wert als Nachschlagewerk. Ob damit der hohe Preis gerechtfertigt werden kann, bleibt noch die Frage.


    Ebenso enthalten in diesem vielseitigen Anhang sind weitere Details zur Entstehung der Fledermaus und zum Streit um die Tantiemen. Doch davon mehr im nächsten Teil (aber erst nach meinem Urlaub).


    :S Uwe

  • Nun habe ich den zweiten Teil des Buches doch schneller durch, so dass ich darüber doch noch vor meinem Urlaub berichten kann. Wenn ich sage „durch“, so meine ich damit nicht durchgelesen, sondern durchgeblättert und einige Themen herausgepickt und gelesen, denn wie am Schluss meines ersten Berichts schon erwähnt, eignet sich dieser Teil des Buches eher zum Nachschlagen als zum kontinuierlichen durchlesen.


    Das Werksverzeichnis unterteilt sich in folgende Kapitel:


    Werke mit Opuszahl – 47 Seiten


    Hier finden sich nummerierte, kleinteilige Werke Genées, wie z. B. Lieder, Chöre, musikalische Szenen, Operetten für Gesangvereine. Die Auflistung und Beschreibung dieser Werke sind eigentlich nur für den ambitionierten Freak von Interesse, dem wirklich an einer möglichst vollständigen Darstellung des Oeuvres des Komponisten Genée gelegen ist. Möglicherweise findet auch so mancher Gesangverein hier eine unerschöpfliche Quelle zur Erweiterung seines Repertoires, zumal teilweise auch die Verlage dieser Werke genannt sind. Von besonderem Interesse sind dabei die Operetten für Gesangvereine. Ich wusste ja bisher gar nicht, dass es so etwas je gegeben hat und zwar schon sehr früh in der Geschichte der Operette, beispielsweise 1866! Ganz allgemein interessant könnte auch das Beispiel einer musikalischen Szene sein wie „Italienischer Salat“, in welcher die vielfältigen Formen und Stilelemente der italienischen Oper aufs Korn genommen werden.


    Handschriftliche Liedersammlung – 6 Seiten


    Hier werden 59 Chöre für Männer aufgelistet.


    Ungedruckte Werke – 3 Seiten


    Nur handschriftliche Aufzeichnungen von Genée, hauptsächlich Choräle. Dabei auch ein Romulus Fragment, welches auf eine sehr frühe Zusammenarbeit zwischen Genée und Strauß um etwa 1870 zu einer nie fertiggestellten Operette „Romulus“ verweist.


    Werke ohne Opuszahl, im Druck erschienen – 2 Seiten


    Ein kleines, aber sehr buntes Sammelsurium von Mainzer Karnevals-Ouvertüren bis zur Sammlung von Kompositionen Wiener Komponisten.


    Französischen Themen – Italienische Themen – Englische Texte – insgesamt 2 Seiten


    Hauptsächlich Lieder und Chöre von Genée in den angegebenen Sprachen.


    Bearbeitungen und Einlagen zu Bühnenwerken – 12 Seiten

    Die Komposition von Einlagen zu anderen Bühnenwerken war ja zu Genées Zeit gang und gäbe; zumeist auf Forderung bekannter Bühnenstars, die für sich noch ein zusätzliches Sahnestück haben wollten. Interessant dabei ein Lied für Mephisto für „Le Petit Faust“, eine Zwischenaktmusik für die gleiche Operette mit dem Titel „Hexensabbath“, Einlagen für Offenbachs „Le Roi Carotte“ oder Lecoqs „Teeblüte“. Es sind aber auch Einlagen für Genées eigene Operetten dabei, weiter Potpourris, Märsche und Walzer oder auch Klavierauszüge, die Genée aus anderen Werken zusammengestellt hat.


    Textierungen – 2 Seiten

    Gesangstexte für Werke andere Komponisten, z. B. Frühlingsstimmenwalzer von Johann Strauß.


    Bühnenwerke (eigene Kompositionen) – 21 Seiten

    Hier gibt es naturgemäß Überschneidungen zum Kapitel im ersten Teil des Buches „Das Kompositorische Schaffen Richard Genées für die Bühne“. Aber die Auflistung hier ist statischer, dafür aber vollständiger. Hier wird nochmals deutlich, dass Genée genau wie Suppé als angestellter Kapellmeister die Musik zu den vielfältigsten Bühnenwerken zu schreiben hatte, wie Schauspiele, Tanzdivertissemente, historische Trauerspiele, Zauberpossen, Carnevalspossen, Melodramen, Zaubermärchen, phantastische Burlesken, Quodlibets usw. Aber mir fällt auf, dass Genée wesentlich mehr Opern und komische Opern zur Aufführung gebracht hat, als Suppé. Ebenso hat er schon sehr früh eigene Operetten komponiert, die erste datiert auf das Jahr 1862, uraufgeführt allerdings nicht in Wien sondern in Berlin.


    Richard Genée als Librettist – 103 Seiten


    Hier finden sich die Beschreibungen von über 70 Operetten, zu denen Genée die Textbücher (mit)verfasst oder deren fremdsprachige Textbücher er ins Deutsche übersetzt hat. Wie ich schon am Ende meines ersten Berichtes erwähnt habe, ist die Inhaltsbeschreibung von z. T. wenig bis gänzlich unbekannten Werken namhafter Komponisten schon von einem gewissen Wert. Daneben werden auch Kritiken aus der Uraufführungszeit zitiert und es ist schon interessant, wie wenig zimperlich die Wiener Presse auch mit einem Offenbach umgesprungen ist.


    Innerhalb dieser 103 Seiten gibt es nochmals fünf besondere Abschnitte, die sich mit der Fledermaus befassen und die nicht so ganz ins übrige Schema dieser Seiten passen:

    • Reminiszensen zur Fledermaus beschäftigt sich nochmals zur Quellenlage dieser Operette.
    • Carl Haffner und das Textbuch zur Fledermaus gibt einen kurzen Abriss über die Biographie dieses Autors, seinen geringen Anteil an der Fledermaus und enthält auch die Information, dass Richard Genée diesen „Co-Autor“ nie kennen gelernt hat.
    • Fledermaus – Rezensionen anlässlich ihrer Uraufführung enthält Ausschnitte aus Kritiken der Wiener Presse. Für mich als „Geschädigten“ ähnlicher Auszüge aus der Suppé Biographie ein gewisser Trost, dass man in der Wiener Presse auch bei der Fledermaus vor Gehässigkeiten nicht zurückgeschreckt ist. Und der gefürchtete Eduard Hanslick (der ja angeblich mit Strauß befreundet war) hat wohl vollkommen danebengegriffen.
    • Brief an die Direktion des Theater an der Wien. Hier beschwert sich Richard Genée anlässlich der 200. Vorstellung der Fledermaus, dass diese als Autoren-Benefice angekündigt worden sei, wobei doch nur der Komponist davon profitiere. Er verlangt dabei, die Vorstellung als Komponisten-Benefice anzukündigen.
    • Dokumente zum Tantiemen-Vertrag mit Johann Strauß. Genée, der 1874 das Textbuch zur Fledermaus im Auftrag der Direktion des ThW verfasste und mit 300fl einmalig „abgespeist“ worden war, verlangt 1891, also 16 Jahre danach (und vier Jahre vor seinem Tod) von Strauß eine Beteiligung an den Tantiemen zu 25 %. Nach einigem Hin und Her bekommt er dieses zugesprochen, muss jedoch eine Erklärung unterscheiben, dass er diese nur persönlich erhält und sie nicht vererben kann.

    Über die letzten drei Kapitel gibt es nun nichts weiter zu sagen:


    Werke mit unbekanntem Aufführungsdatum und Ort – ½ Seite


    Werke nach Motiven von R.G. – ½ Seite


    Ein Werk mit unsicherer Zuordnung – ½ Seite


    Der Informationsgehalt dieses zweiten Buchteiles ist sicher nicht ganz ohne und Jeder möge nun selbst entscheiden, ob der Buchpreis damit für ihn gerechtfertigt ist.


    :) Uwe