Das Hohelied ist ein Buch des alten Testamentes, das eine Sammlung von Liebesliedern darstellt.
Der hebräische Titel dieses Buches lautet "Schir ha-Schirim", welches übersetzt etwa bedeutet: Das Lied der Lieder, also sinngemäß in etwa: Das Schönste aller Lieder. Entsprechend dieses Titels ist der Text der Lieder sehr poetisch, fallweise schwärmerisch und sehr bilderreich und symbolträchtig.
Mann und Frau besingen hier wechselnd ihre Liebe zueinander, wobei die Frau wesentlich häufiger zu Wort kommt, als der Mann. Dies hat immer wieder zu Hinweisen in feministische Richtung geführt. Bedenkt man jedoch, dass diese Lieder in einer patriarchalen Gesellschaft entstanden, so legt gerade dieses Faktum nahe, dass es sich möglicherweise nicht tatsächlich um erotische Liebeslyrik sondern um Texte mit einem tieferen Sinn handelt.
Diese Überlegung stellten natürlich auch Religionen und Kirchen an, die die Lieder als Kommunikation Gottes mit dem Volk Israel bzw. im christlichen Falle mit der Kirche (Braut Christi) betrachten.
Im christlichen Mittelalter wurde die Figur der Sulamith oft mit Maria gleichgesetzt und im Sinne einer Darstellung ihrer Reinheit verstanden. Der "hortus conclusius" (geschlossener Garten) aus dem Hohelied spielt hier eine zentrale Rolle. Maria wird oft mit der Lilie sowie auch mit der Rose gleichgesetzt. Hieraus resultiert möglicherweise ein 'Übersetzungsfehler' der Lutherbibel:
(die Originalen Texte sowie wörtlichen Übersetzungen hat mir dankenswerterweise Dr. Pingel zukommen lassen).
Canticum 2, 1
Hebräisch: Ani chabazzälät hascharon - Ich bin die Herbstzeitlose (crocus vitellius) in Scharon (Ebene zwischen Joppe und Cäsarea)
Schoschanah ha-amakim - wie eine Lilie (oder mehrere Blumenarten) in den Tälern (Tiefebene)
Latein:
ego flos campi - Ich bin die Blume des Feldes
et lilium convallium - und eine Lilie im Tal
Die Lutherbibel hingegen übersetzt
Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal.
Die Texte des Hoheliedes erfreuten sich ganz besonders im 15. und 16 Jahrhundert als Textgrundlage für Kompositionen sehr großer Beliebtheit. Die Gründe hierfür sind wohl mehrfache: sie sind sehr poetisch und bildhaft und somit für sich bereits sehr gut als Kompositionsgrundlage geeignet. Sogar in der sonst tendenziell eher spröden Sprache Latein vermitteln sie eine poetische Kraft.
Ein grosser Teil der Motettentexte war ohnhin höchstens semiliturgisch angelegt und brachte gewisse weltliche Aspekte mit Interpretationsspielraum in den gewöhnlichen Ablauf einer Messe - die Vertonungen des Hoheliedes stellen ein ganz besonders prägnantes Beispiel für dieses Phänomen dar.
In diesem Sinne sind die vertonen Textteil in der Regel sehr ruhig und schön, auch gibt es Spielraum für individuellen Stimmungsausdruck und Klangmalerei, selbst innerhalb des relativ einheitlichen polyphonen Stils der Franko-flämischen Schule. Dies verstärkt sich natürlich in Richtung der barocken Musiksprache.
Dieser Thread hat die Absicht, Vertonungen des Hoheliedes zu sammeln, vorzustellen und eventuell gewisse gemeinsame Wesensmerkmale dieser Vertonungen festzustellen.
Ich habe mir zunächst Vertonungen des Beginns des ersten Liedes auf den oben erwähnten Text
Ego flos campi sicut lilium inter spinas.
angehört.
Eine der schönsten stammt von Jacobus Clemens non Papa, einem Vertreter der vierten Generation der Franko-flämischen Schule, hier in einer sehr schönen Aufnahme:
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Diese Vertonung für 7 Stimmen legt großen Wert auf schönen und zarten Klang. Die drei Oberstimmen dominieren den Satz, der nur rein technisch gesprochen "polyphon" ist. Clemens zeigt hier beispielhaft sein ganzes Talent in eine durchaus polyphon angelegte Stimmführung einen fließendes, terzbetontes, zartes Klanggewebe einzubauen. Stellenweise verläuft die Musik überhaupt homophon. So etwa bei "sicut lilium", wo ein langer auskomponierter reiner Durakkord die "Reinheit" der Lilie (Symbol Mariae) verdeutlicht. Bis zum Schluss erscheinen mehrere verschiedene Themen, die durch alle Stimmen geführt werden. Stets jedoch steht der innig glänzende sanfte und oberstimmenbetonte und sehr konsonante Klangeffekt in Dur-tonalem Gewand im Vordergrund.
Sind im Allgemeinen Clemens Motetten durchimitiert und polyphon verdichtet - bei gleichzeitiger Verwischung der Textphrasen - ist diese Hoheliedvertonung also unverkennbar textbezogen angelegt. Ähnliches lässt sich auch für Parallelwerke konstatieren, etwa die "Ego flos campi"-Version von Francisco Guerrero. Doch war es eben die im Jahr des Augsburger Religionsfriedens veröffentlichte Clemens-Fassung, welche die weiteste Verbreitung fand. Dem entsprechend diente sie mehrfach als Parodievorlage, besonders brillant genutzt für die gleichnamige Messe von Jacobus Vaet.
Ich freue mich auf weiter Beispiele in diesem Kontext !
Bachiania
PS Verbindlichsten Dank an Gombert, der diesen Beitrag ebenso behutsam wie sehr sachkundig redigiert und verbessert hat.
PPS falls ihr der Meinung seid, dieses Thema wäre besser in einem anderen Forum (Alte Musik ? Chormusik ?) angesiedelt, können wir gerne eine Verschiebung beantragen ....