Arnold Schönberg. Liedkomposition auf dem Weg in die Atonalität

  • Dieser Thread will den für einen musikwissenschaftlichen Laien zweifellos vermessenen Versuch unternehmen, den Gründen nachzuspüren, die Arnold Schönberg kompositorisch in die Atonalität führten und zur Entwicklung des Konzepts der Dodekaphonie motivierten. Hierbei wird von der These ausgegangen, dass das Klavierlied es den Komponisten gegen Ende des Jahrhunderts ermöglichte, ein „spätes Primat der Subjektivität“ (H. Danuser) zu setzen und ihnen, als noch stark der spätromantischen Tradition verhaftete Gattung, einen gleichsam kleinen und überschaubaren Ort bot, kompositorisch zu experimentieren und neue musikalische Ausdrucksmittel zu entwickeln und zu erproben.


    Die bei Schönberg Anfang der neunziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts einsetzende, bis zum Jahr 1909 andauernde, im Opus 15 („Das Buch der hängenden Gärten“) gleichsam kulminierende und danach endende und nur noch mit einem späten „Nachklang“ versehene Klavierlied-Komposition bildet seine kompositorische Entwicklung tatsächlich in allen ihren Stufen ab, - im Miniformat sozusagen. Insofern lohnt es sich also, sein Liedschaffen ein wenig näher unter die Lupe zu nehmen, in der Hoffnung, dort nicht nur diese Entwicklung in ihrem musikalisch materialisierten Niederschlag fassen zu können, sondern vielleicht sogar, eben weil das Lied wie keine andere Gattung sonst das Medium für die Artikulation von Subjektivität ist, auf die Ebene der Motive vorzustoßen.


    Schönbergs kompositorisches Schaffen ist wesenhaft sprachorientiert und -initiiert. Nicht nur seine ersten Kompositionen als Autodidakt lassen das erkennen, eben weil es Lieder waren, - im Gesamtkatalog seiner Werke haben Textkompositionen ein deutliches Übergewicht. Bis hin zu Opus 22 finden sich in diesem Katalog nur fünf Werke, die keinen wie auch immer gearteten Textbezug aufweisen. Nicht nur sein umfangreiches Klavierlied-Schaffen, auch das kammermusikalische und orchestrale lassen diese gleichsam fundamentale kompositorische Ausrichtung auf lyrische Sprache und Auseinandersetzung mit ihr erkennen. Das geht so weit, dass in das zweite Streichquartett in fis-Moll (op.10) die melodische Linie auf zwei Gedichte von Stefan George integriert wurde. Und bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich zwischen dem ersten Streichquartett op.7 und den Liedern op.6 deutlich ausgeprägte stilistische Zusammenhänge aufzeigen lassen.


    In vielfältiger Weise hat sich Schönberg über den originären Sprachbezug seiner Musik geäußert. So etwa in dem Aufsatz „Das Verhältnis zum Text“, den er 1912 in Kandinskys „Der Blaue Reiter“ (S.27-33) publizierte. Höchst aufschlussreich ist diesbezüglich auch sein zur gleichen Zeit geäußertes briefliches Bekenntnis Richard Dehmel gegenüber:
    „Denn Ihre Gedichte haben auf meine musikalische Entwicklung entscheidenden Einfluß ausgeübt. Durch sie war ich zum ersten Mal genötigt, einen neuen Ton in der Lyrik zu suchen. Das heißt, ich fand ihn ungesucht, indem ich musikalisch widerspiegelte, was Ihre Verse in mir aufwühlten.“


    In diesem letzten Satz ist Schönbergs liedkompositorisches Konzept, das das Verhältnis von lyrischem Text und Musik anbelangt, auf den Punkt gebracht. Es ist freilich ein Konzept, das er erst auf dem Höhepunkt seiner Liedkomposition voll umsetzte. In deren Anfängen orientierte er sich zunächst stark an Johannes Brahms, bevor er auf die „neudeutsche Linie“ umschwenkte und sich Richard Wagner zum Vorbild nahm. Liedkomposition verstand er in eben diesen Anfängen noch primär als Umsetzung des lyrischen Textes in Musik, im Sinne einer unmittelbar dessen Struktur folgenden Interpretation seiner Aussage und Metaphorik. Seinem im Grunde expressionstischen Grundhabitus als Komponist konnte dies freilich nicht genügen. Und so bildete sich langsam aber höchst konsequent jene liedkompositorische Grundhaltung heraus, die in jenem Brief an Dehmel zum Ausdruck kommt und daraus hinausläuft, den lyrischen Text als Initialzündung und strukturierenden Faktor für eine sich eigenständig entfaltende Musik zu verstehen.


    In Schönbergs eigenen Worten, die im Anschluss an das als „Erlebnis“ bezeichnete Beschäftigung mit Schuberts Liedkomposition niederschrieb, liest sich das so:


    „Noch entscheidender als dieses Erlebnis war mir die Tatsache, daß ich viele meiner Lieder, berauscht nur von dem Anfangsklang der ersten Textworte, ohne mich auch nur im geringsten um den weiteren Verlauf der poetischen Vorgänge zu kümmern, ja ohne diese im Taumel des Komponierens auch nur im geringsten zu erfassen, zu Ende geschrieben und erst nach Tagen darauf kam, nachzusehen, was denn eigentlich der poetische Inhalt meines Liedes sei. Wobei sich dann zu meinem größten Erstaunen herausstellte, daß ich niemals dem Dichter voller gerecht geworden bin, als wenn ich, geführt von der ersten unmittelbaren Berührung mit dem Anfangsklang, alles erriet, was diesem Anfangsklang eben offenbar mit Notwendigkeit folgen mußte. Mir war daraus klar, daß es sich mit dem Kunstwerk so verhalte, wie mit jedem vollkommenen Organismus. Es ist so homogen in seiner Zusammensatzung, daß es in jeder Kleinigkeit sein wahrstes, innerstes Wesen enthüllt. Wenn man einen Vers von einem Gedicht, einen Takt von einem Tonstück hört, ist man imstande, das Ganze zu erfassen.“

    Das ist zwar eine doch wohl ein wenig überspitzte Sicht auf das „Verhältnis (der Musik) zum Text“, und überdies eine, die gleichsam aus der Retrospektive erfolgte, denn 1912 hatte Schönberg die Liedkomposition im wesentlichen hinter sich gelassen, aber sie bringt gerade in dieser Zuspitzung das liedkompositorische Konzept, wie es sich aus den Anfängen seines Liedschaffens allmählich entwickelte und in den Opera 14 (zwei Lieder), 15 („Das Buch der hängenden Gärten“) und dem „Nachzügler“ 48 (drei Lieder) seine volle Ausbildung erreichte. Liedkomposition versteht sich dabei nicht, wie dies bei Hugo Wolf der Fall ist, als Auslotung der semantischen Tiefendimension des lyrischen Textes mit musikalischen Mitteln, sondern als Fortschreibung des aus der Begegnung mit dem lyrischen Text hervorgehenden „Anfangsklangs“, der, weil er gleichsam den Kern der lyrischen Aussage erfasst hat, sich autonom, das heißt den eigenen musikalischen Gesetzen folgend, entwickeln und entfalten kann und gleichwohl immer die Nähe zur dichterischen Aussage wahrt.


    Das heißt aber nun nicht, dass in diese Lied-Musik kein subjektiver, emotional konditionierter Ausdruckswille einginge. In einem Brief an Leo Feld (14.1.1915) bekennt Schönberg, dass es oft vorkomme, dass er einen „Inhalt musikalisch spüre“ und dann „nach einer Dichtung“ suche, „die es zulässt, ihn auszudrücken; und wenn ich die nicht finde, dann muß ich selbst armselige Worte aneinanderreihen, die mir Platz für meine Musik lassen“. Der Schönberg- Biograph (und Alban Berg-Schüler) Willi Reich trifft das Wesen der Liedkomposition Schönbergs wohl recht genau, wenn er darauf hinweist, dass dieser Lyrik als ein Mittel des musikalisch „unmittelbaren Ausdrucks“ verstand, und dass das Lied, das daraus hergeht, als gleichsam materialisierter Niederschlag eines seelischen „Notschreis“ aufzunehmen ist. Der Musikologe Paul Bekker sprach 1922 im Hinblick auf Schönbergs Liedschaffen als von „Bekenntnismusik intimster Art“.


    Dem von der Tradition der Liedkomposition, wie sie etwa Johannes Brahms vertrat, her kommenden Hören mag das verwunderlich erscheinen, wirken doch die Lieder, die man zu Recht als typische Schönberg-Werke versteht, die aus dem „Buch der hängenden Gärten“ also, in gar keiner Weise geprägt von herkömmlich-klanglicher Emotionalität, sondern begegnen einem eher im Gewand einer ganz eigenen klanglichen Kühle. Hierbei ist aber der der spezifische musikästhetische Ansatz zu bedenken, von dem Schönberg ausging. Er ist ein wesenhaft expressionistischer, der ihn eigentlich ganz konsequent dazu führen musste, die Liedsprache des von ihm so sehr geschätzten Johannes Brahms zu transzendieren, - hin zu einer, die die tonale Führung der melodischen Linie verlässt und in die „Emanzipation der Dissonanz“ mündet.
    Darauf wird später noch näher einzugehen sein, wobei im Hintergrund immer zu beachten sein wird, dass Schönbergs Lied-Ästhetik in einer für ihn ganz typischen Weise geprägt ist von dem Neben- und Ineinander von klanglich-musikalischer Expressivität und hochgradig artifizieller Anlage der Komposition.

  • Das fängt schon mal nicht gut an. Ich muss mich gleich korrigieren und um Entschuldigung bitten. Es muss natürlich zu Beginn des zweiten Ansatzes heißen:
    "Die bei Schönberg Anfang der neunziger Jahre des neunzehnten (nicht "achtzehnten", wie ich fälschlicherweise schrieb) Jahrhunderts einsetzende, .....".

    Es fängt nicht nur nicht gut an, es wird wohl auch nicht gut weiterlaufen. Nicht gut, weil es zu einem monologischen Unterfangen werden wird, das überdies den selbst gesetzten Anspruch nicht wird einlösen können.
    Das könnte es vielleicht in einem Diskurs, in den die Erfahrungen einfließen, die andere Tamino-Liedliebhaber mit Schönbergs Liedern gemacht haben.
    Ist aber wohl ein Wunschtraum.

  • Schönbergs Liedkomposition setzt in autodidaktischer Weise um 1893 ein und intensiviert sich infolge der Begegnung mit Alexander Zemlinsky, der ihm den einzigen Kompositionsunterricht erteilte, den er je erhielt, und dem er in lebenslanger Freundschaft verbunden blieb.
    Die lyrischen Texte, zu denen er griff, waren überwiegend die zeitgenössischer Dichter. Unter anderen sind das: Paul Heyse, Ludwig Pfau, Hermann Lingg, Johannes Schlaf, Heinrich Hart, Otto Julius Bierbaum und vor allem – und gleichsam mit einem innovativen kompositorischen Schub verbunden – Richard Dehmel und Stefan George. Anders als etwa Hugo Wolf, griff er nicht nach den Großen der deutschen Lyrik. Nur zwei Versuche gibt es, sich auf Goethes Lyrik einzulassen („Mailied“ und „Deinem Blick mich zu bequemen“). Die einzigen älteren deutschen Lyriker, denen er sich kompositorisch zuwandte, waren Nikolaus Lenau und Gottfried Keller.


    Diese Konzentration auf lyrische Zeitgenossenschaft sagt durchaus etwas aus über Schönbergs Motivation, seine Liedkomposition betreffend. Er verstand diese ganz offensichtlich als musikalisches Bekenntnis seiner aus der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Lebenswelt hervorgehenden existenziellen Befindlichkeit. Daher also der Griff zur zeitgenössischen Lyrik. Richard Dehmel spielt, wie Schönberg diesem gegenüber selbst bekannte, dabei eine ganz besondere Rolle (s.o.!), findet doch der damalige Zeitgeist in dessen radikal-subjektivistischer und die konventionelle lyrische Sprachlichkeit in geradezu destruktiver Weise transzendierender Dichtung ganz besonders expressiven Ausdruck. Bei Stefan George findet sich dann Schönberg in gleichsam neuer Weise wieder. Er kam ihm in seinem Umgang mit lyrischer Sprache insofern entgegen, als diesem ein formal strenger, artifizieller gleichsam konstruktivistischer Geist zugrunde liegt. Worauf später noch näher einzugehen sein wird.


    Nur einen geringen Teil seiner Lied-Kompositionen hat Schönberg zu seinen Lebzeiten mit Opus-Ziffern versehen publiziert. Wenn man einmal die frühen Klavierlied-Fassungen späterer Orchester-Lieder außen vor lässt, dann kommt man bei den sog. „Frühen“ und den „Nachgelassenen“ Klavierliedern auf die Zahl zweiundvierzig.
    Die Liste der Lied-Kompositionen stellt sich (mit den Jahresangaben der Entstehung in Klammer) wie folgt dar:


    KLAVIERLIEDER ohne Opus-Ziffern
    --- Frühe und nachgelassene: 42 Lieder
    --- Acht Brettl-Lieder (z.T. mit Klavier, Trommel, Trompete und Piccolo)(1901)
    --- Vier deutsche Volkslieder (1929)
    KLAVIERLIEDER mit Opus-Ziffer:
    --- Zwei Gesänge op.1 (1898)
    --- Vier Lieder op.2 (1899)
    --- Sechs Lieder op.3 (1899-1903)
    --- Acht Lieder op.6 (1903-1905)
    --- Zwei Balladen op.12 (1907)
    --- Zwei Lieder op.14 (1907/8)
    --- Das Buch der hängender Gärten op.15 (1908/9)
    --- Drei Lieder op.48 (1933)
    ORCHESTERLIEDER: :
    --- Sechs Lieder für hohe Stimme und Orchester op..8 (1904)
    --- „Herzgewächse“ (für Sopran, Celesta, Harmonium und Harfe) op.20 (1911)
    --- Vier Lieder für Gesang und Orchester op.22 (1913-16)


    Die folgenden Lied-Besprechungen folgen den Opus-Ziffern. Auf sechs ausgewählte „Frühe Lieder“ wird dabei eingegangen. Dies deshalb, weil es darum gehen soll, den Prozess der Entwicklung der genuinen Liedsprache Schönbergs zu verfolgen und in diesem Zusammenhang der Frage nachzugehen, warum diese in die Atonalität und schließlich die Dodekaphonie mündete, - den Liedern des Opus 48 liegt diese zugrunde. Die Beschränkung auf die Gattung „Klavierlied“ gründet – neben rein ökonomisch-praktischen Aspekten – darin, dass hier das Wesen, die spezifische Eigenart und die Genese der Liedsprache Schönbergs gleichsam in nuce zu erfassen ist.

  • Folgende Aufnahmen wurden für die einzelnen Liedbetrachtungen herangezogen:
    (Sie sind alle im Handel erhältlich)


    ---Arnold Schönberg, Sämtliche Lieder. Claudia Barainsky, Melanie Diener, Anke Vondung, Christa Mayer, Markus Schäfer, Konrad Jarnot. Urs Liska, Klavier. 4 CDs, Capriccio 2011



    ---Arnold Schönberg, Sämtliche Lieder für Gesang und Klavier. Ellen Faull, Helen Vanni,
    Donald Gramm, Cornelis Opthof. Glenn Gould, Klavier. CBS 1972



    Arnold Schönberg, Ausgewählte Lieder. Mitsuko Shirai, Hartmut Höll. Capriccio 1995



    Schönberg, Berg, Lieder. Fischer-Dieskau, Aribert Reimann. EMI 1990


  • Die Leistungen von Helmut sind einfach bewundernswert!

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Helmut!


    Ich habe Deinen Eröffnungsbeitrag zweimal gelesen. Erstmals beim Arzt auf dem Smartphone (!) und zuhause ein zweites Mal. Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken und zum Ausdruck bringen, dass ich beeindruckt bin von der Fülle des Fachwissens und der Arbeit, die Du in diese Themen (ähnlich wie bei der Winterreise) investierst. Zuhause habe ich mich an den CD-Schrank gestellt und herausgezogen, was ich an einschlägigen Scheiben habe. Tatsächlich habe ich neben einigen Orchesterliedern von Arnold Schönberg auch „Das Buch der hängenden Gärten“ mit Christian Gerharher. Die CD habe ich mir hauptsächlich wegen Beethovens „An die ferne Geliebte“ zugelegt. An Schönberg hatte ich mich bisher nicht getraut. Das hat sich durch Deinen Beitrag mittlerweile geändert. Deshalb hat mich auch Dein folgender Kurzbeitrag nachdenklich gemacht.


    Zitat

    Es fängt nicht nur nicht gut an, es wird wohl auch nicht gut weiterlaufen. Nicht gut, weil es zu einem monologischen Unterfangen werden wird, das überdies den selbst gesetzten Anspruch nicht wird einlösen können.
    Das könnte es vielleicht in einem Diskurs, in den die Erfahrungen einfließen, die andere Tamino-Liedliebhaber mit Schönbergs Liedern gemacht haben.
    Ist aber wohl ein Wunschtraum.


    Ich verfüge nur über wenig musiktheoretisches Wissen. Ich höre Musik und stelle fest, ob sie mich anspricht oder nicht. Ich kann auch definieren, was mich anspricht und welche Einspielungen ich vorziehe. Ich werde allerdings leider nicht in einen Diskurs mit Dir einsteigen können – weil ich Deine Beiträge eher als Möglichkeit der Erweiterung meines musikalischen Wissens betrachte. Erfahrungsgemäß beschäftigen sich andere taminos ebenfalls in dieser Tiefe mit klassischer Musik - ich könnte mir allerdings dennoch vorstellen, dass ein solch anspruchsvolles Thema einen langen Atem voraussetzt.


    Vielen Dank an Dich
    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Lieber Klaus, lieber WoKa,


    habt Dank für eure Äußerungen zu diesem Thread-Vorhaben. Die Lieder Schönbergs, vor allem diejenigen, die er für gültige Kompositionen gehalten und deshalb mit einer Opus-Zahl versehen hat, sind als Gegenstand für einen solchen Thread ein schwieriges Kapitel. Sie gehen nicht unmittelbar an den Hörer heran und in ihn hinein, wie das ein Lied von Schubert, Schumann, Brahms oder auch Richard Strauss, ja auch eines von Reger vermag,- wie ich gerade eben wieder einmal erfahren habe. Man muss sich sehr intensiv auf sie einlassen und sich gründlich einhören, bis sie einem etwas zu sagen haben. Das ist aber dann doch sehr beachtlich!


    Du meinst, lieber woka: "Ich höre Musik und stelle fest, ob sie mich anspricht oder nicht." Ich mache das auch so und denke, dass dies die richtige Haltung ist, sich mit Musik zu beschäftigen. Du besitzt, wie ich mit Freude lese, die Aufnahme des "Buchs der hängenden Gärten" mit Christian Gerhaher. Auf diesen Zyklus werde ich hier natürlich eingehen - müssen! - , und ich würde mich freuen, wenn Du einfach ein wenig mithören würdest und vielleicht mal da und dort etwas zu diesem oder jenem Lied sagen könntest, - eben ob´s Dich anspricht oder völlig kalt lässt oder sogar abstößt.
    Immerhin sind sich die Musikwissenschaftler einig darin - wie ich feststellen konnte -, dass dieser Liederzyklus Schönbergs als gleichrangig neben den anderen großen Liederzyklen in die Musikgeschichte einzuordnen ist. Christian Gerhaher bekennt, dass er "nicht der größte Schönberg-Liebhaber, was sein Gesamtwerk anbelangt" sei. Er fügt aber dann hinzu: "Aber die Phase der Atonaliät oder der >schwebenden Tonalität< ... ist für mich einer der zauberhaftesten Werkkomplexe, die ich überhaupt kenne.

  • Karl Freiherr von Levetzow: „Dank“

    Großes hast du mir gegeben in jenen Hochstunden,
    Die für uns bestehen im Zeitlosen.
    Großes hast du mir gegeben: ich danke dir!


    Schönheit schenkten wir uns im stets Wachsenden,
    Was ich mir vorbehielt im Raumlosen.
    Schönheit schenkten wir uns: ich danke dir!


    Ungewollt schufst du mir noch das Gewaltigste,
    Schufst mir das Niegeahnte: den schönen Schmerz!
    Tief in die Seele bohrtest du mir
    Ein finsteres Schwertweh.
    Dumpf nächtig brennend
    Und dennoch hell winterlich leuchtend.


    Schön! dreifach schön! denn von dir kam es ja!
    Ungewollt schufst du mir noch das Gewaltigste,
    Schufst mir das Niegeahnte: ich danke dir!



    Arnold Schönberg: „Dank“, op.1, Nr.1

    Schönbergs Opus 1 entstand 1898 und wurde 1903 publiziert. Es besteht aus zwei Liedern für Bariton und Klavier auf Texte von Karl Freiherr von Levetzow und ist dem Lehrer Alexander von Zemlinsky gewidmet. Für ein liedkompositorisches Erstlingswerk zeigt der Vierundzwanzigjährige hier ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein: Beide Lieder sind nicht nur durch ihre schiere Länge, sondern auch durch ihre mit arioser Expressivität geführte Vokallinie und ihren orchestral angelegten Klaviersatz herausragende Kompositionen.


    Das Lied „Dank“ ist zwar das kürzere von beiden, beansprucht im Vortrag aber immer noch fast sechs Minuten. Die Anweisung dafür lautet „Sehr langsam“. Ein Viervierteltakt liegt zugrunde, und die Grundtonart ist D-Dur. Schon das viertaktige Vorspiel lässt ahnen, dass dieses Lied von seiner Harmonik her alles andere als eindimensional sein wird, vielmehr über eine diesbezüglich komplexe, an Modulationen reiche Struktur verfügt. Und so ist es auch. Der Grund dafür ist im lyrischen Text und in der Polyvalenz zu suchen, die das zentrale lyrische Wort „Dank“ aufweist. Dem lyrischen Ich wurde „Großes“ gegeben, aber auch das „Niegeahnte“, der „schöne Schmerz“ zugefügt. Der Reiz und die kompositorische Größe dieses Liedes gründen in erster Linie darin, wie sich die Mehrdeutigkeit des Wortes „Dank“ in Melodik und Harmonik niederschlägt.


    Das setzt schon mit dem Vorspiel ein. Die Abfolge von Akkorden beginnt in h-Moll und moduliert über mehrere Tonarten nach der Grundtonart D-Dur, wobei diese bogenförmige Bewegung eine Anmutung von klanglicher Lieblichkeit annimmt. Auf diese Weise wird zu der positiven lyrischen Aussage „Großes hast du mir gegeben“ hingeführt, aber der Ausgangspunkt h-Moll weist darauf hin, dass sich der „Dank“, der im folgenden ausgesprochen wird, nicht in dieser Eindimensionalität erschöpft. Bei der ersten Strophe ist sowohl in der melodischen Linie der Singstimme, wie auch im Klaviersatz davon noch nichts zu vernehmen. Die melodische Linie bewegt sich volltaktig und gewichtig und ist durchgängig in Dur harmonisiert. Der zentrale Vers „Großes hast du mir gegeben“ wird zweimal in markanter Weise deklamiert. Beim ersten Mal in aufsteigender melodischer Linie, beim zweiten in zwar fallender, aber mit einer langen Dehnung in hoher Lage ansetzender Bewegung. Die akkordische Begleitung trägt Portato-Zeichen, und die Anweisung lautet „Breit“. Das „Ich danke dir“ erklingt in durch eine Pause exponierter Weise auf einem gewichtigen Sekundfall.


    Dass die musikalische Aussage der zweiten Strophe eine andere sein wird, deutet das sechstaktige Zwischenspiel an, bei dem die Akkorde der ersten Strophe in zarte Achtel-Bewegungen übergehen, in die sich vereinzelt Moll-Harmonik hineindrängt. Eine Kombination aus Akkorden und Sechzehntel-Bewegungen stellt auch die Struktur der Begleitung der ersten Hälfte der zweiten Strophe dar. Hier ist das zentrale lyrische Wort „Schönheit“, das ja – wie das Wort „Großes“ – zweimal den Versanfang bildet. Bemerkenswert ist nun, dass dieses in beiden Fällen zwar auch eine Dehnung in hoher Lage trägt, diese aber nicht am Taktanfang deklamiert wird, sondern erst nach einer Viertelpause. Es kommt also eine deutliche Rhythmisierung in die Melodik, und dies wirkt auch auf die Struktur der übrigen Melodiezeilen dieser Strophe aus.


    Bei „schenkten wir uns“ beschreibt die Vokallinie einen triolischen kleinen Sekundfall, die Worte „im stets Wachsenden“ werden nach einer Achtel-Pause auftaktig deklamiert, und auch bei den folgenden Versen treten immer wieder Pausen in den Verlauf der Vokallinie, die bewirken, dass bestimmte lyrische Aussagen mit melodischem Gewicht versehen werden. So werden die Worte „im Raumlosen“ auf einer auftaktig mit einem Quartsprung einsetzenden und dann mit einer aus einer langen Dehnung in hoher Lage hervorgehenden Fallbewegung deklamiert. Ein zweitaktiges Zwischenspiel aus unruhig-wellenartig sich bewegenden Sechzehntel-Quartolen im Bass folgt, bevor die Singstimme erneut das Wort „Schönheit“ metrisch-rhythmisch verzögert auf einem gedehnten Sekundfall in hoher Lage deklamiert. Sowohl hier, wie auch bei dem nachfolgenden „Ich danke dir“, das auf der schon bekannten, durch Pausen hervorgehobenen gewichtigen melodischen Linie erklingt, leiten vorgeschaltete, markant emporsteigende Akkorde oder Oktaven im Bass auf die jeweilige lyrisch-melodische Aussage hin.


    Obwohl es in der zweiten Strophe noch keine Schroffheiten in der Melodik und Ausbrüche in große Emphase im Zusammenspiel von melodischer Linie und Klaviersatz gibt, deutet die Gewichtigkeit der Deklamation darauf hin, dass zu dem zentralen Wort „Schönheit“ noch etwas zu sagen sein wird. Und in der dritten und vierten Strophe ereignet dieses nun auch: Eine permanent anwachsende und sich ins Extrem steigernde Expressivität in Melodik und Klaviersatz. Im Unterschied zum Liedanfang wird letzterer nun hochkomplex im Zusammenspiel von lebhaften akkordischen Bewegungen und auf und ab stürmenden Sechzehntel-Ketten, wobei vor dem großen Einschnitt, der mit den Worten „Ungewollt schufst du mir noch das Gewaltigste“ in das Led kommt, das Klavier sich in einen regelrechten Wirbel von Tremoli steigert, der „molto crescendo“ im dreifachen Forte endet und mit einem gewaltigen dissonanten achtstimmigen Akkord und einer chromatisch ansteigenden Akkordfolge zum Schluss des Liedes überleitet.


    Und der ist nun wahrlich choralartig, was den Klaviersatz anbelangt. Ein mächtiger Akkord erklingt nach dem anderen, derweilen die Singstimme die letzten vier Verse auf zunächst zweimal in hoher Lage aufsteigender melodischer Linie deklamiert. Und nachdem sie das letzte „ich danke dir“ nun auf einer wesentlich expressiveren, weil über das Intervall einer None erfolgenden und mit langer Dehnung auf „danke“ versehenen melodischen Linie deklamiert hat, erklingen im Klavier choralartig in einem weit gespannten Bogen ansteigende und wieder fallende mehrstimmige Akkorde im Wert von halben Noten im Diskant, im Bass immer wieder einmal mit arpeggierten Akkorden unterstützt.


    Auch die melodische Linie der Singstimme ist in den beiden letzten Strophen auf hohe Expressivität angelegt. Schon das Wort „ungewollt“ wirkt mit seinem synkopischen kleinen Sextsprung wie eine schroffe Störung der Rhythmik. Immer wieder gibt es lang gedehnte chromatische Fallbewegungen, in die sich im Klaviersatz ein verminderter Septakkord hineindrängt, - so bei den Worten „schönen Schmerz“. Bemerkenswert ist übrigens, dass die mit einem verminderten Septsprung in extrem hohe Lage aufsteigende und danach über eine lange Dehnung in einen Septfall mündende melodische Linie bei dem lyrisch zentralen Wort „Schwertweh“ vom Klavier am Ende mit einem G-Dur-Dreiklang kommentiert wird. Im ersten Augenblick erscheint das unverständlich. Der Sinn dieser harmonischen Besonderheit enthüllt sich aber in der emphatischen, weil mit langen Dehnungen in hoher Lage verbleibenden melodischen Linie bei den Worten „Schön! dreifach schön! denn von dir kam es ja!“
    Und das ist auch der Ort in diesem Lied, an dem das Klavier in den klanglichen Jubel von Tremoli ausbricht.

  • Karl Freiherr von Levetzow: „Abschied“

    Aus den Trümmern einer hohen Schönheit
    Laß mich bauen einen tiefen Schmerz.
    Weinen laß mich aus den tiefsten Schmerzen
    Eine Träne, - wie nur Männer weinen.
    Und dann geh!


    Und nimm noch ein Gedenken heißer Liebe,
    Freudig dir geschenkt;
    Ewig mein bleibt, was du mir gelassen;
    Meiner Wehmut sternenloses Dunkel.
    Und dann geh!


    Und laß mich stumm erstarren;
    Du zieh fürder deine helle Bahn,
    Stern der Sterne! frage nicht nach Leichen!


    Sieh', mir naht der hehr'ste Göttertröster,
    Meine selbstgebor'ne Urgewalt.
    Tief in mir die alte Nacht der Nächte
    Weitet sich zur großen Weltumnachtung.
    Der Alleinheit schwere Trümmer,
    Schmerzen wachsen, wachsen zur Unendlichkeit.


    Sieh! Ich selber werde Nacht und Schönheit.
    Allumfassend unbegrenztes Weh!
    Ziehe weiter, heller Stern der Sterne.
    Unerkannt, wie meine große Liebe;


    Dunkel schweigend, wie die großen Schmerzen,
    Wo du wendest, wo du siegend leuchtest,
    Stets umwogt dich meine große Nacht!




    Arnold Schönberg: „Abschied“, Op.1, Nr.2

    Wie bei „Dank“ handelt es sich auch bei diesem zweiten Lied des Opus 1 um eine große Komposition. Im sängerischen Vortrag nimmt sie sogar noch mehr Zeit in Anspruch, nämlich fast neun Minuten. Aber dies ist natürlich nur die äußere Folge der inneren kompositorischen Größe des Liedes. Und diese besteht in der Fülle an musikalischen Ausdrucksformen, in denen eine emphatisch-arios geführte melodische Linie und ein orchestral angelegter Klaviersatz sich entfalten. Vorgegeben sind die Tonart d-Moll und ein Achtvierteltakt. Aber zum musikalischen Reichtum dieses Liedes gehört auch, dass die Harmonik permanent und zu weitab liegenden Tonarten moduliert und die melodische Linie der Singstimme im Tempo ihrer Bewegungen taktmäßig zwischen acht und vier Vierteln hin und her pendelt. Zwar ist „langsame Bewegung“ die Vortragsanweisung, immer wieder aber hat man als Hörer den Eindruck, in die lebhaft-emphatische Erregung, zu der die melodische Linie sich phasenweise zu steigern vermag, regelrecht hineingezogen zu werden.


    Die Singstimme setzt ohne Vorspiel in einer ruhig ansteigenden melodischen Linie ein, die bei den Worten „hohen Schönheit“ erst einmal aufgipfelt, dann (bei „lass mich“) eine Fallbewegung beschreibt, um danach bei den Worten Tiefen Schmerz“ mit einer Kombination aus Sextfall und verminderten Quartsprung in hoher Lage zum ersten Höhepunkt zu gelangen. Das Klavier folgt ihr in diesen Bewegungen am Anfang noch, dann aber entfaltet es Eigenständigkeit und intensiviert die melodische Emphase mit einer bogenförmigen Bewegung von Akkorden.


    Diese erste Melodiezeile des Liedes ist in ihrer Anlage typisch für die ganze Komposition, - in dem Sinne, dass sich in ihr eine permanente Steigerung der Emphase ereignet, und dies sowohl in einer bis ins Extrem gesteigert Expressivität der melodischen Linie, als auch in einem Klaviersatz, der in seiner vielstimmigen Klangfülle und seiner Dynamik mehr einem Orchestersatz als einer herkömmlichen Klavierlied-Begleitung gleicht. Mehr und mehr gewinnt der Hörer dabei das Gefühl, an der Aufführung einer Konzertarie teilzuhaben, wobei sich immer wieder einmal die Anmutung von wagnerscher Melodik und Harmonik einstellt. Das gilt insbesondere für die vierte Strophe, in deren Zentrum die übertrieben großen lyrischen Worte „Urgewalt“, „Nacht der Nächte“, „Weltumnachtung“, „Alleinheit“ und „Unendlichkeit“ stehen. Von diesem lyrischen Gigantismus hat sich Schönberg ganz offensichtlich zu einem entsprechenden musikalischen verführen lassen, wobei der Klaviersatz eine maßgebliche Rolle spielt. Es wimmelt geradezu von wilden Sechzehntel-Figuren, aus tiefem Bass nach oben schießenden Zweiunddreißigstel-Ketten und nicht enden wollenden Tremoli in Bass und Diskant. Und dies alles mindestens fortissimo, aber überwiegend im dreifachen Forte artikuliert.


    Was liegt dem an kompositorischer Intention zugrunde? Es ist wohl die Binnenspannung zwischen „Ich“ und „Du“, die der lyrischen Aussage ihre Dynamik und ihren spezifischen dichterischen Akzent verleiht, wobei das lyrische Ich eben daraus seine hochgradige Emphase bezieht. Das lyrische Du erscheint als ein „heller Stern“, der fern seine „helle Bahn“ zieht, dabei „siegend leuchtet“ und weit entfernt davon ist, nach den „Leichen“ zu fragen, die es auf seinem Weg zurückgelassen hat. Daraus erwächst dem lyrischen Ich die „selbstgebor´ne Urgewalt“ eines aus der Schmerzlichkeit der verlorenen Liebe sich speisenden Selbstbewusstseins, das ausdrücklich als „Gotteströster“ bezeichnet wird. Und aus genau diesem lyrischen Vorgang bezieht Schönbergs Liedkomposition ihre große musikalische Emphase. Dies ist der Punkt, an dem sie ansetzt, auf den sie ausgerichtet ist und den sie kompositorisch auskostet.


    Das kann und soll angesichts der Länge des Liedes im einzelnen nicht liedanalytisch aufgezeigt werden. Der Blick auf für die liedkompositorische Intention repräsentative Elemente sollte genügen. In der ersten Strophe bewegt sich die melodische Linie noch ruhig über einem Klaviersatz, der durchgehend aus der Abfolge von Akkorden besteht. Moll-Harmonik dominiert, schließlich spricht das lyrische Ich ja von „Schmerz, „Weinen“ und „Tränen“. Bei den Worten „tiefsten Schmerz“ gipfelt die melodische Linie bogenförmig in hoher Lage auf, und danach beschreibt sie zwei ganz und gar in Chroma gebettete und schmerzlich wirkende Fallbewegungen. Dem „Und dann geh!“, das auf einer Kombination aus Sekund- und Quintfall deklamiert wird, wohnt ein leicht dramatischer Ton inne, auch weil es durch Pausen davor und danach melodisch exponiert ist.


    Mit der zweiten Strophe kommt etwas mehr Lebhaftigkeit in die Bewegung der melodischen Linie, und erstmals ist sie auch – allerdings nur für einen Takt – in Dur harmonisiert: Bei den Worten „freudig dir geschenkt“. Aber schon beim nächsten Vers („Ewig mein bleibt…“) drängt sich wieder Moll-Harmonik in sie. Sie bewegt sich nun bogenförmig in hoher Lage auf und ab und entfaltet dabei mehr und mehr Expressivität, auch weil zentrale lyrische Worte mittels Dehnungen akzentuiert werden („ewig“, „mir“ und „Wehmut“). Und erneut erklingt das „Und dann geh!“ in der gleichen melodischen Fallbewegung bei exponierter Lage. Bei den Worten „und lass mich stumm erstarren“ vollzieht die Vokallinie einen langsamen Abstieg in tiefe Lage. In höchst expressivem Kontrast dazu stehen die kurzen Melodiezeilen, in denen das lyrische Du angesprochen wird. Sie sind aufwärts gerichtet, wiederum durch Pausen gegeneinander abgegrenzt und sowohl in ihrer Dynamik, wie auch in ihrer Harmonisierung voneinander abgesetzt. Während die Worte „Du zieh fürder deine helle Bahn“ in Moll harmonisiert sind und im dreifachen Piano deklamiert werden, geschieht dies bei „Stern der Sterne“ fortissimo, bei Dur-Harmonisierung der in hoher Lage in einen Quintfall mündenden melodischen Linie. Bei dem Wort „Leichen“ endet die nun wieder in Moll stehende Melodiezeile mit einem ausdrucksstarken Oktavfall.


    Mit der dritten Strophe, der ein fünftaktiges, sich in der Lebhaftigkeit ständig steigerndes Zwischenspiel vorgeschaltet ist, beginnt das Lied sich kontinuierlich auf den Höhepunkt seiner Emphase zuzubewegen. Auf den beiden ersten Versen liegen zwei in großen Intervallen ansteigende melodische Linien, von denen die zweite bei dem Wort „Urgewalt“ im dreifachen Forte mit einem gedehnten Sekundanstieg in extrem hoher Lage aufgipfelt. Auch das Klavier beginnt sich mit einer Kombination aus Akkorden und hochlaufenden Sechzehntel-Sextolen ins klangliche Extrem zu steigern. Es beansprucht immer mehr eigenen Raum in Gestalt von mehrere Takte langen Zwischenspielen. Nach dem Wort „Unendlichkeiten“ laufen z.B. über sechs Takte zunächst Zweiunddreißigstel-Ketten aus dem tiefen Bass in den Diskant, und danach entfaltet das Klavier „ff“ einen wahren Wirbel von Tremoli in Bass und Diskant. Und der Vers „Sieh! Ich selber werde Nacht und Schönheit“, bei dem das Wort „Nacht“ mit einer Dehnung melodisch hervorgehoben wird, ist ganz und gar von einer wirbelnden Klangflut im Klavier eingeschlossen.


    Die Singstimme verharrt immer häufiger in Gestalt von langen Dehnungen in hoher Lage, so bei dem Wort „Weltumnachtung“, und sie bringt noch dadurch einen Steigerungseffekt in die Melodik, dass sie diese Dehnungen langsam ansteigen lässt, wobei das Klavier mit steigenden Akkordbewegungen folgt. Bei den beiden letzten Versen dieser Strophe („Der Alleinheit schwere Trümmer…“) meint man, eben wegen dieser ins Extrem getriebenen Steigerungseffekts in Melodik und Klaviersatz in einer Wagner-Oper zu sitzen.


    Mit der zweitletzten Strophe kommt wieder etwas mehr Ruhe in das Lied. Zwar werden die Worte „Allumfassend unbegrenztes Weh“ noch einmal mit langen melodischen Dehnungen in hoher Lage und Fallbewegungen über große Intervalle deklamiert, dann aber kehrt mit einem ruhigen Zwischenspiel erst einmal das Pianissimo ein. Nicht lange bleibt es freilich dabei, denn mit dem Quartsprung bei den Worten „heller Stern“ ist das Fortissimo schon wieder da. Auch bei den Worten „die großen Schmerzen“ kommt es noch einmal zu einer höchst expressiven Aufgipfelung der melodischen Linie in Gestalt einer Dehnung in hoher Lage. Dann aber, mit den Worten „wo du siegend leuchtest“ kommt eine Art großes melodisches Ausatmen in das Lied, - freilich eines, das sich im Fortissimo ereignet. „Breit“ lautet hier die Vortragsanweisung. Auf dem Wort „siegend“ liegt eine lange Dehnung in hoher Lage, und die Worte „große Nacht“ werden von der Singstimme auf einer langgedehnten Fallbewegung aus hoher Lage im Sekundschritt deklamiert. Fermaten liegen dabei auf den halben Notenwerten, und das Wort „Nacht“ nimmt melodisch fast den ganzen Takt ein.


    Es folgt ein zehntaktiges(!) Nachspiel, bestehend aus einem Wirbel von vollgriffigen Akkorden und Achtelketten. „Nach und nach steigernd“ lautet hier die Vorschrift. Erst im drittletzten Takt heißt es „sehr zurückhaltend“.

  • Diese beiden Lieder, „Dank“ und „Abschied“ auf Gedichte von Karl von Levetzow, waren die ersten aus seinem frühen Liedschaffen, die Schönberg für würdig hielt, mit einer Opus-Ziffer, eben der eins, versehen zu werden und fünf Jahre nach ihrer Entstehung auch publizierte. Der Dichter stammt aus einem alten mecklenburgischen Adelsgeschlecht, war als Beamten in Staatsdiensten tätig, verfasste Libretti, Lyrik und Aphorismen und beteiligte sich am Berliner Kabarett von Ernst von Wolzogen, dem sog. „Überbrettl“, zu dem Schönberg seine „Brettl-Lieder“ beisteuerte.


    Die beiden Lieder atmen eine geradezu exzessive, spätromantische, dem Geist von Brahms und Wagner verpflichtete Klanglichkeit. Man mag gar nicht glauben, dass sie von jenem Komponisten stammen, der später die Lieder des „Buchs der hängenden Gärten“ schuf, Lieder also, die in ihrer dem Konzept der „Emanzipation der Dissonanz“ verpflichteten, also atonalen, und auf verdichtete Expressivität angelegten kompositorischen Faktur das klanglich absolute Gegenbild verkörpern. Der noch junge Schönberg scheint sich wohl durch das große lyrische Pathos, das ihm in den Gedichten Levetzows entgegenkam, unmittelbar in seinem eigenen musikalischen Ausdrucksbedürfnis angesprochen und animiert gefühlt haben.


    Dieser Thread will ja anhand ausgewählter Lieder den Weg, der sich zwischen diesen frühen, noch ganz und gar in der Tradition des romantischen Klavierliedes stehenden Kompositionen, und jenen anderen, diese Tradition transzendierenden Liedschöpfungen entspann, nachvollziehen. Deshalb soll nun anhand von sechs ausgewählten Liedern, die vor Schönbergs Opus 1 entstanden sind, der Frage nachgegangen werden, wie seine Anfänge in der Liedkomposition aussehen, an welche Vorbilder er sich dabei anlehnte und wie es ihm dabei gelang, einen eigenen liedsprachlichen Ton zu finden.


    Ein Hinweis noch: Das Lied „Dank“ ist bei Youtube in einer Aufnahme mit dem Bariton Kevin Wetzel (Begleitung: Michael Angelucci) zu hören.

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  • Unbekannter Verfasser: „Mein Herz, das ist ein tiefer Schacht“


    Mein Herz, das ist ein tiefer Schacht,
    drin gräbt die Liebste Tag und Nacht
    nach seinen edlen Erzen;
    und wie sie pocht auf dem Gestein,
    da klingt hervor ein Liedchen klein
    jubelnd aus meinem Herzen.


    Und Tag und Nacht und Nacht und Tag
    führ unbekümmert nur den Schlag,
    du Liebste, froh und munter;
    ist unerschöpflich doch der Schacht,
    meinst du, du hättst ihn leergemacht:
    steig tiefer dann hinunter.



    Arnold Schönberg: „Mein Herz, das ist ein tiefer Schacht“

    Das Manuskript ist undatiert. Man geht davon aus, dass dieses Lied zwischen 1894 und 1896 entstand. Es steht in As-Dur, weist einen Viervierteltakt auf, und die Vortragsanweisung lautet „Etwas bewegt, innig“. Im klanglichen Eindruck vernimmt man eine recht deutlich ausgeprägte Nähe zu Johannes Brahms. Melodik und Klaviersatz sind in ihrer Struktur einfach. Die melodische Linie der Singstimme ist auf Kantabilität hin angelegt, folgt der Gestalt der Verse und schließt mit einer Kadenz ab. In der Harmonik ereignen sich zwar Modulationen, diese bleiben aber im engen Rahmen des Quintenzirkels, und die Orientierung an der Grundtonart wird nie preisgegeben. Das Tongeschlecht Dur herrscht durchgehend, irgendwelche Einbrüche von Chroma gibt es nicht. Gleichwohl weist das Lied Passagen auf, in denen sich eine gewisse kompositorische Raffinesse zeigt, so dass man, unbeschadet der strukturellen Einfachheit des Satzes, nicht von einer Volkslied-Anmutung sprechen kann.


    Aus den zwei Strophen des lyrischen Textes macht Schönberg ein vierstrophiges Lied. Je drei Verse bilden eine melodische Einheit, wobei der Strophencharakter dadurch entsteht, dass der dritte Vers jeweils wiederholt wird und dabei auf eine Kadenz hin angelegt ist. Zudem ist die erste Vers-Dreiergruppe der zweiten Strophe in ihrer Faktur mit der der ersten identisch, und auch die ersten Schritte der melodischen Linie in den Versgruppen zwei und vier gleichen einander. Kommt noch hinzu, dass die kurzen Zwischenspiele, die in zwei Formen eine Überleitung zwischen den Strophen bilden, identisch sind, so dass man tatsächlich den Eindruck gewinnt, man habe es hier mit einer Strophenlied-Komposition zu tun, - was aber nicht der Fall ist.


    Das viertaktige Vorspiel, das als Zwischenspiel nach der ersten lyrischen(!) Strophe noch einmal erklingt, besteht aus einer Abfolge von Akkorden im Diskant, die die melodische Linie der Singstimme, wie sie anschließend auftaktig auf den ersten Vers liegt, andeutungsweise vorausnimmt. Auch das ein strukturelles Element, das volksliedhafte Anklänge aufweist. So wie das Vorspiel im Klaviersatz angelegt ist, besteht die Begleitung der Singstimme durchgehend: Maximal dreistimmige Akkordfolgen im Diskant über Achtel-Bewegungen im Bass. Nur zwei Mal – und im Nachspiel – finden sich dort einfache Oktaven.


    Die melodische Linie der Liedstrophen setzt sich aus jeweils drei Melodiezeilen zusammen. Die erste umfasst zwei Verse, danach folgt die zweite auf dem dritten Vers, der aber dann in der Wiederholung auf einer dritten Melodiezeile erklingt. Hierbei arbeitet Schönberg mit der Methode der Steigerung und des Ausklangs. Bei den Worten „nach seinen edlen Erzen“ steigt die melodische Linie in Terzschritten in hohe Lage auf, wobei das Wort „edlen“ mit einem gedehnten Sekundschritt einen besonderen Akzent erhält, ebenso das Wort „Erzen“ durch einen Sekundfall in hoher Lage. Die Wiederholung des Verses mutet dann wie ein großes Ausatmen an. Die melodische Linie beschreibt nun eine Fallbewegung über eine ganze Oktave, wobei das Wort „edlen“ dieses Mal eine noch wesentlich längere Dehnung trägt.


    Vor der zweiten und der vierten Strophe erklingt im Klavierdiskant ein einziges Mal ein leicht dissonanter Akkord, gebildet aus einer Kombination aus Terz und Sekunde, was man wohl als Hinweis auf das, „was sich in des Herzens Schacht“ verbirgt, verstehen darf. Hier begegnet man einer liedkompositorischen Könnerschaft, die die schlichte Nachahmung brahmsscher Liedfaktur ganz offensichtlich hinter sich gelassen hat und einen eigenen Liedton zu finden vermag. Dieser Sachverhalt zeigt sich auch noch einmal in der melodischen Linie, die auf dem letzten Verspaar der zweiten Liedstrophe liegt. Bei den Worten „da klingt hervor ein Liedchen klein / jubelnd aus meinem Herzen“ beschreibt die melodische Linie zunächst eine Steig- und danach, nach einer Pause, eine Fallbewegung, die beide jeweils in eine Dehnung münden. Diese bewirkt aber, dass der Sextsprung zu einem hohen „As“ und die nachfolgende abwärts gerichtete bogenförmige Bewegung in ihrem klanglichen Ausdruck von Jubel besonders eindringlich wirken. Und das steigert sich noch, denn bei der Wiederholung ist der melodische Bogen dann aufwärts gerichtet.


    Auch die Wiederholung des letzten Verses bringt diesen Steigerungseffekt mit sich, verbindet diesen aber mit einer Kadenz. Die Worte „steig tiefer dann hinunter“ werden beim zweiten Mal auf einer melodischen Linie deklamiert, die in ihrem Aufforderungscharakter entschiedener und energischer wirkt, weil sie am Anfang einen Quartsprung statt einen Sekundanstieg vollzieht und bei den nachfolgenden Steig- und Fallbewegungen Zwischenschritte vermeidet.
    Wie hier, so gilt für das ganze Lied: Der lyrische Text findet adäquaten und zugleich melodisch und harmonisch gefälligen musikalischen Ausdruck.

  • Paul Heyse: „Mädchenlied“


    Sang ein Bettlerpärlein am Schenkentor,
    Zwei geliebte Lippen an meinem Ohr:
    Schenkin, süße Schenkin, kredenz dem Paar,
    Ihrem Dürsten biete die Labung dar! –


    Und ich bot sie willig, doch der böse Mann
    Biß mir wund die Lippen und lachte dann:
    Ritzt der Gast dem Becher ein Zeichen ein,
    Heißt´s: er ist zu eigen nur ihm allein.



    Arnold Schönberg: „Mädchenlied“


    Schönberg komponierte dieses Lied vermutlich 1897. Es steht in D-Dur und weist einen Viervierteltakt auf. Eine Vortragsanweisung gibt es nicht. Obgleich es durchkomponiert ist, geht von ihm eine Strophenlied-Anmutung aus, und zwar deshalb, weil Melodik und Klaviersatz der beiden ersten Verse der Strophen weitgehend identisch sind. Lediglich an ihrem Ende weicht die melodische Linie in der zweiten Strophe von der auf dem Verspaar der ersten ab. Während sie dort bei den Worten „an meinem Ohr“ in Sekundschritten auf ein tiefes „C“ absinkt, beschreibt sie bei den Worten „und lachte dann“ – ganz dem lyrischen Bild gemäß – eine neckisch wirkende Kombination aus Nonensprung und Oktavfall.


    Ohne Vorspiel setzt die melodische Linie der Singstimme auftaktig ein. Sie bewegt sich lebhaft, von einem leicht tänzerischen Klaviersatz getragen und begleitet. Diese Rhythmisierung kommt dadurch zustande, dass häufig – und dies wechselnd in Bass und Diskant – Viertel-Akkorde mit triolischen Achtel-Figuren kombiniert werden. Durchweg ist der Klaviersatz in seiner Struktur einfach und funktionell auf eine klangliche Akzente setzende Begleitung der melodischen Linie angelegt. Hierzu gehört auch, dass die durchaus zahlreichen harmonischen Modulationen allesamt um die Grundtonart wie um einen Schwerpunkt kreisen und sich nur kleine Moll-Einsprengsel im dominanten Tongeschlecht Dur finden.


    Je zwei Verse der beiden Strophen sind in einer Melodiezeile zusammengefasst. Die erste - und die mit ihr identische dritte – zeichnet sich durch lebhafte Bewegung der melodischen Linie über einen relativ großen tonalen Raum aus, wobei sich ein Sextsprung ereignet, der die Worte „Bettler“, „Lippen“ und „bot“ in markanter Weise akzentuiert. Gesteigert wird dieses dann noch durch den Nonensprung, der das Lachen des „bösen Mannes“ musikalisch in den Vordergrund rückt. Alle Melodiezeilen enden in einer Dehnung, wobei aus Gründen der strophischen Gliederung und der Kadenzierung bei der zweiten und der vierten Melodiezeile die Quinte „A“ erklingt. Auch das ein Element der strukturellen Einfachheit dieser Liedkomposition.


    Melodisch interessant sind die Vokallinien auf den zweiten Verspaaren der Strophen, und zwar deshalb, weil sie in ihrer Struktur wörtliche Rede reflektieren. Bei der ersten wird das Wort „süße“ mit einem nach unten gerichteten bogenförmigen Melisma versehen. Das imperativische „kredenz dem Paar“ wird auf einem verminderten Quartsprung mit nachfolgendem Sekundanstieg der melodischen Linie in eindringlicher Weise deklamiert. Und das Wort „Labung“ trägt anschließend eine lange Dehnung auf einem „A“, wobei das Klavier durch Pausen getrennte und deshalb klanglich hingetupft anmutende Terzen erklingen lässt. Das wirkt klanglich eindringlich und verführerisch.


    Auch bei der letzten Melodiezeile reflektiert die melodische Linie die lyrische Aussage. Das Wort „Gast“ ist mit einem gedehnten Terzfall versehen. Das wirkt wie eine Vorstufe zu der sehr langen, in fünf melodischen Schritten sich vollziehenden Dehnung auf dem Wort „Zeichen“, das auf diese Weise einen starken melodischen Akzent erhält. Und noch einmal wird ein solcher gesetzt bei den Worten „nur ihm allein“. Dies in gleich doppelter Weise, denn diese Worte werden wiederholt. Im ersten Fall liegt auf ihnen eine lange Dehnung in Gestalt einer Kombination aus Terzfall und Terzsprung. Im zweiten macht die melodische Linie bei dem Wort „nur“ einen Sekundfall und verharrt dann deklamatorisch auf dem damit erreichten „A“, auf dem sie ausklingt.


    Auch hier artikuliert das Klavier wieder die auf dem klanglichen Hintergrund eines angeschlagenen und gehaltenen Einzeltons hingetupften Terzen. Und das ist eigentlich die einzige Stelle im Lied, an der man das Gefühl hat, das Klavier habe auch etwas zu sagen.

  • Dieser Thread will ja den Weg verfolgen, den Schönberg in der Entwicklung seiner ihm ganz und gar eigenen und liedhistorisch bedeutsamen Liedsprache zurückgelegt hat. Das gerade vorgestellte „Mädchenlied“ lässt noch keine diesbezüglich irgendwie relevanten Töne vernehmen. Es steht ganz und gar in der Tradition der liedkompositorischen Spätromantik und vermag selbst darin keine neuen, sich aus der musikalischen Reflektion des lyrischen Textes generierenden liedsprachlichen Konturen zu entwickeln.


    Schönberg war sich dessen, im Rückblick auf diese Zeit, sehr wohl bewusst, wie man seiner Bemerkung entnehmen kann:
    „Ich war zu der Zeit, als ich mit Zemlinsky bekannt wurde, >Brahmsianer<. Seine Liebe galt sowohl Brahms wie Wagner, und in kurzer Zeit wurde ich gleichermaßen ein überzeugter Anhänger beider. Kein Wunder daher, daß die Musik, die ich damals komponierte, den Einfluß beider Meister widerspiegelte, zu dem noch eine Spur von Liszt, Bruckner und vielleicht auch Hugo Wolf hinzukam.“
    Der „Einfluss“ eines Johannes Brahms ist hier, mehr allerdings als der eines Hugo Wolf, sehr wohl vernehmlich, - wie in der Beschreibung der Faktur dieses Liedes hoffentlich deutlich geworden sein sollte.

  • Richard Dehmel: „Mädchenfrühling“

    Aprilwind;
    Alle Knospen sind
    Schon aufgesprossen.
    Es sprießt der Grund,
    Und
    Sein Mund
    Bleibt so verschlossen!


    Maisonnenregen;
    Alle Blumen langen,
    Stille aufgegangen,
    (Dem Licht entgegen.)
    Dem lieben Licht.
    Fühlt, fühlt er es nicht?!



    Arnold Schönberg: „Mädchenfrühling“

    Das Autograph trägt die Datierung 15.9.97. Warum wohl hat Schönberg hier – ausnahmsweise – das Datum der Komposition dieses Liedes angegeben? Hielt er es für besonders gelungen? Er hätte recht darin gehabt, denn das Lied fängt die lyrische Aussage auf musikalisch beeindruckende und ihren Kern treffende Weise ein. „Rasch, etwas flüchtig, durchweg leise“, so lautet die Vortragsanweisung. Und in der Tat: Etwas von Flüchtigkeit wohnt diesem Lied klanglich inne. Das gilt vor allem für die erste Strophe und ist wohl auf das lyrische Bild vom Aprilwind zurückzuführen, mit dem das Gedicht einsetzt und das, so meint man zu vernehmen, seiner Komposition zugrunde gelegen hat.


    Der klangliche Eindruck von leichter, lebhafter und zugleich flüchtiger Bewegung stellt sich schon mit dem dreitaktigen Vorspiel ein. Über aufsteigenden Sechzehntel-Quartolen im Bass bewegen sich wellenartig Sechzehntel im Diskant. Diese Kombination von Sechzehntel-Figuren bleibt bis auf wenige Takte die Grundstruktur der Begleitung. Nur bei dem Bild von den „aufgesprossenen Knospen“ erklingen im Bass arpeggierte Akkorde, und dies dann noch einmal in dem fünftaktigen Zwischenspiel. Auch hier laufen aber die Sechzehntel in wellenartigem Auf und Ab weiter, so dass man diese tatsächlich als klanglich prägendes Merkmal des Liedes empfindet.


    Zwischen der ersten und der zweiten Strophe besteht allerdings, was diese Sechzehntel-Figuren, ihr Zusammenspiel und den klanglichen Eindruck betrifft, den dieses bewirkt, ein deutlicher Unterschied. Auch bei der zweiten Strophe bewegen sich die Sechzehntel in Bass und Diskant unabhängig voneinander. Mit Ausnahme des letzten Verses erfolgt dies aber anders als in der ersten, - gleichsam parallel auf einer tonalen Ebene und dabei immer wieder einmal wohllautende Terzenklänge bildend. Auf diese Weise werden die lyrischen Bilder von dem „Maiensonnenregen“ und den „stille aufgegangenen“ Blumen mit einem ihrer Lieblichkeit angemessenen musikalischen Akzent versehen.


    Auch in der Struktur der melodischen Linie der Singstimme unterscheiden sich erste und zweite Strophe zwar nicht markant, aber in doch ausgeprägter Weise. Der Eindruck von klanglicher Flüchtigkeit wird in der ersten nicht nur durch den Klaviersatz, sondern auch dadurch hervorgerufen, dass die Vokallinie von Vers zu Vers durch Pausen unterbrochen wird, die den Wert von einem Achtel bis hin zu fast zwei Takten einnehmen. Zwar greifen die kleinen Melodiezeilchen, die dadurch entstehen, tonal ineinander, so dass tatsächlich eine kantable melodische Linie entsteht, aber es stellt sich der Eindruck einer in den Fluss der Sechzehntel im Klavier wie impressionistisch hinein getupften Melodik ein. Selbst die Konjunktion „und“, die auf einem hohen „Fis“ deklamiert wird, ist durch zwei Achtel-Pausen eingegrenzt und melodisch leicht isoliert. Nur die beiden letzten Verse („Sein Mund / Bleibt so verschlossen“) sind in einer Melodiezeile zusammengefasst, in der das Wort „Mund“ eine kleine Dehnung trägt. Das Wort „Aprilwind“ am Anfang wird auf einer Kombination von Quartsprung und –fall deklamiert, in der die Silbe „-pril“ durch eine Dehnung auf einem hohen „E“ melodisch akzentuiert ist. Dieses sprunghafte Auf und Ab ist typisch für die Struktur der melodischen Linie in der ersten Strophe.


    Das ist in der zweiten anders. Mit dem Wort „Maiensonnenregen“ kehrt nicht nur das Tongeschlecht Dur in das bislang von Moll-Harmonik beherrschte Lied ein, in die melodische Linie kommt auch ein weit phrasierter Fluss. Sie wirkt nun nicht mehr wie von Pausen zerstückelt. Bei diesem ersten Wort der Strophe bewegt sich die melodische Linie langsam über eine ganze Oktave aus hoher Lage abwärts. Die beiden folgenden Verse (Schönberg hat Dehmels Vers „Dem Licht entgegen“ nicht berücksichtigt) sind in einer Melodiezeile zusammengefasst, bei der die Vokallinie im Intervall einer Terz auf einer tonalen Ebene verbleibt und nur das Wort „aufgegangen“ durch eine syllabisch exakt deklamierte Fallbewegung in Gestalt einer Kombination aus punktiertem Achtel, Sechzehntel und zwei Viertelnoten besonders hervorgehoben wird,


    Bei den Worten „dem lieben Licht“ steigt die melodische Linie in Sekundschritten an und gipfelt auf eindrucksvolle Wise in einer langen Dehnung auf einem hohen „Fis“ auf. Wieder folgt eine Pause von fast zwei Takten, in denen das Klavier zu dem Auf und Ab von Sechzehnteln zurückkehrt, wie man es aus der ersten Strophe kennt. Pianissimo – wie generell im ganzen Lied – werden dann ritardando die letzten Worte deklamiert. Ihr lyrischer Fragecharakter („Fühlt, fühlt er es nicht?“) gewinnt dabei eine hohe musikalische Eindringlichkeit. Die melodische Linie setzt mit einer langen Dehnung auf einem hohen „G“, also in Moll harmonisiert, ein, beschreibt dann zu dem zweit „fühlt“ hin einen Quartfall, der, zu einem „D“ führend, ebenfalls noch in Moll gebettet ist, und geht danach in eine nun in Dur harmonisierte Fallbewegung über, die in eine Dehnung auf dem Wort „nicht“ mündet.


    Das Klavier schließt das Lied mit einem fünftaktigen Nachspiel, das, weil sich die Sechzehntel im Diskant nun kontinuierlich abwärts bewegen und im Bass weiterlaufen, während in Diskant ein Akkord angeschlagen wird, wie ein Verklingen der Frage im leeren Raum wirkt.

  • Ob dieses Lied einige Zeit nach jenem vorangehend vorgestellten, bei dem auch ein „Mädchen“ das lyrische Ich verkörpert („Mädchenlied“), entstanden ist, das vermag ich nicht herauszufinden. Man möchte es, obwohl das Jahr das gleiche ist, eigentlich annehmen, denn es lassen sich deutliche Fortschritte des jungen Schönberg in der Entwicklung einer eigenen Liedsprache feststellen.
    Ob die lyrische Sprache eines Richard Dehmel dafür verantwortlich zu machen ist? Es ist zu vermuten, hat dieser Lyriker doch, dem Geständnis Schönbergs ihm gegenüber zufolge, eine maßgebliche Rolle in eben dieser seiner Entwicklung als Liedkomponist gespielt:
    „Ihre Gedichte haben auf meine musikalische Entwicklung entscheidenden Einfluß ausgeübt. Durch sie war ich zum ersten Mal genötigt, einen neuen Ton in der Lyrik zu suchen. Das heißt, ich fand ihn ungesucht, indem ich musikalisch widerspiegelte, was Ihre Verse in mir aufwühlten.“

    Es ist also Dehmels lyrische Sprache, die es vermochte, Schönberg innerlich "aufzuwühlen". Nimmt man diejenige Heyses, die dem vorangehenden Lied zugrunde liegt, als „Vergleichsobjekt“, dann wird alsbald deutlich, was es ist, das Schönberg „aufzuwühlen“ vermochte, - bei diesem Lied jedenfalls. Heyses Gedicht ist eine im Grunde harm- und arglose lyrische Verarbeitung eines Volks-Aberglaubens: „Ritzt der Gast dem Becher ein Zeichen ein, / Heißt´s: er ist zu eigen nur ihm allein.“ Derlei lyrische Sprachlichkeit mag zur Entfaltung einer volksliedhaft sich gerierenden Liedsprache animieren. Zu affektiv tiefreichender Klanglichkeit aber auf keinen Fall.


    Ganz anders ist das bei der lyrischen Sprache Dehmels. In der Alleinstellung sprachlicher Partikel, dem Abreißen des syntaktischen Flusses am Versende, entwickelt sie ein hohes evokatives Potential. Überdies liegt ihrer Metaphorik eine – für Dehmel ja typische – untergründige und geradezu ungeniert an die Oberfläche drängende Sinnlichkeit zugrunde: „Sein Mund / Bleibt so verschlossen“.
    Ist es da ein Wunder, dass sich hier, im Unterschied zu Heyses Gedicht, das einstellte, was Schönberg einmal den für seine Liedkomposition konstitutiven „Anfangsklang“ genannt hat?:
    Die „Tatsache“, daß er „viele meiner Lieder, berauscht nur von dem Anfangsklang der ersten Textworte, ohne mich auch nur im geringsten um den weiteren Verlauf der poetischen Vorgänge zu kümmern, ja ohne diese im Taumel des Komponierens auch nur im geringsten zu erfassen, zu Ende geschrieben“ hat.
    Hier, bei diesem Lied ist dieser „Anfangsklang“ unüberhörbar jene wellenartige klangliche Sechzehntel-Figur, die im Vorspiel aufklingt und nicht nur den ganzen Klaviersatz prägt, sondern auch die Grundstruktur der melodischen Linie.

  • Paul Heyse: „Waldesnacht“

    Waldesnacht, du wunderkühle,
    Die ich tausend Male grüß',
    Nach dem lauten Weltgewühle
    O wie ist dein Rauschen süß!


    Träumerisch die müden Glieder
    Berg' ich weich ins Moos,
    Und mir ist, als würd' ich wieder
    All der irren Qualen los.


    Fernes Flötenlied, vertöne,
    Das ein weites Sehnen rührt,
    Die Gedanken in die schöne,
    Ach, mißgönnte Ferne führt!


    Laß die Waldesnacht mich wiegen,
    Stillen jede Pein,
    Und ein seliges Genügen
    Saug' ich mit den Düften ein.


    In den heimlich engen Kreisen
    Wird dir wohl, du wildes Herz,
    Und ein Friede schwebt mit leisen
    Flügelschlägen niederwärts.


    Singet, holde Vögellieder,
    Mich in Schlummer sacht!
    Irre Qualen, löst euch wieder;
    Wildes Herz, nun gute Nacht!



    Arnold Schönberg: „Waldesnacht“

    Dieses Lied entstand vermutlich in den Jahren 1896/97. Es steht in H-Dur, weist einen Viervierteltakt auf, und die Vortragsanweisung lautet: „Sehr ruhig“. Musikalisch ist es geprägt von der Bipolarität des lyrischen Textes. Hier das von „irren Qualen“ verstörte lyrische Ich, dort die „wunderkühle Waldesnacht“ mit all ihren Erlösung versprechenden Bildern. Im Lied drückt sich dies in einer deutlichen inneren Gliederung aus: Die zweite, die vierte und die letzte Strophe heben sich in der Struktur ihrer Melodik und des Klaviersatzes deutlich von der jeweils vorangehenden Strophe ab, und beide Strophengruppen bilden insofern eine Einheit, als sie in ihrer Faktur grundsätzlich einander ähneln, ohne freilich identisch zu sein. Obwohl das Lied durchkomponiert ist, wirkt die strophische Gliederung doch recht ausgeprägt.


    Den lyrischen Bildern, die der Sphäre des „Waldesnacht“ zugehören, sind melodische Phrasen zugeordnet, die bogenförmig angelegt und weit gespannt sind. Man begegnet einer solchen Phrase gleich am Anfang bei der melodischen Linie, die auf den ersten beiden Versen liegt. Nach einem zweitaktigen Vorspiel, in dem im Bass pianissimo Viertel langsam nach oben steigen, während im Diskant zwischengelagerte Akkorde erklingen, setzt die Singstimme bei dem Wort „Waldesnacht“ in tiefer Lage ein und beschreibt dann bei den nachfolgenden Worten einen weit gespannten Bogen, der bei der Silbe „wunder-„ in drei deklamatorischen Schritten ansteigt und sich dann mit noch einmal zwei eingelagerten kleinen Dehnungen unter den Ausgangspunkt absenkt, - zu einem tiefen „Cis“ nämlich.


    Dieser melodischen Figur begegnet man vor allem in der ersten, der dritten und der fünften Strophe immer wieder, so dass man diesbezüglich von einem klanglichen Charakteristikum des Liedes sprachen kann. Auch bei dem zweiten Verspaar der ersten Strophe beschreibt die melodische Linie der Singstimme eine ähnliche Bewegung. Sie setzt bei den Worten „nach dem“ auf einem tiefen „Cis“ an, steigt dann mit einer Dehnung auf dem Wort „lauten“ zu einem hohen „Fis“ auf und senkt sich danach in silbengetreuer Deklamation des Wortes „Weltgewühle“ langsam ab, wobei sie diese Bewegung bei den restlichen Worten des letzten Verses zu einem tiefen „Fis“ hin fortführt. Das Klavier begleitet all dieses mit aufeinander folgenden aufwärts gerichteten Dreiergruppen von Achteln in Bass und Diskant.


    Wenn das lyrische Ich nun von sich selbst und seinem seelischen Innern spricht, dann lässt Schönberg es dies in einer anders strukturierten melodischen Linie tun, und auch der zugehörige Klaviersatz nimmt eine andere Gestalt an. Die Vokallinie ist am Beginn der zweiten Strophe nun nicht mehr weiträumig ausgreifend phrasiert, sondern sie besteht nun aus gleichsam kurzschrittigen, mehr deklamatorisch ausgerichteten Passagen. Das Wort „träumerisch“ wird auf einem kleinen Sekundschritt deklamiert, und danach folgt erst einmal eine Viertel-Pause. Dann, bei den Worten „die müden Glieder / berg' ich weich ins Moos“, steigt die melodische Linie in silbengetreuer Deklamation zu einem hohen „Cis“ bei dem Wort „Glieder“ an und fällt danach schrittweise wieder ab, wobei sie am Ende (bei dem Wort „Moos“) einen ausdrucksstarken verminderten Sextsprung mit nachfolgender Dehnung beschreibt. Das Klavier begleitet dies alles nun mit zwischen die deklamatorischen Schritte gesetzten Akkorden, was der Musik insgesamt einen leicht stockenden Rhythmus verleiht.


    Bei den nun folgenden beiden Verse („Und mir ist, als würd' ich wieder / All der irren Qualen los“) nimmt das lyrische Ich nun die befreiende und erlösende Aura der „Waldesnacht“ in sich auf, und die Folge ist, dass die melodische Linie wieder die weit phrasierte, bogenförmig fallende Gestalt annimmt. Forte setzt sie auf einem hohen „E“ ein und fällt langsam, aber stetig und mit mehreren Dehnungen versehen über eine Dezime bis zum Grundton in tiefer Lage ab. Das wirkt deshalb so eindringlich, weil das Klavier dieser bogenförmigen Bewegung anfänglich mit Akkorden im Diskant und Oktaven im Bass folgt, bevor es zu länger gehaltenen Akkorden übergeht, - dort nämlich, wo die melodische Linie in ihrer Fallbewegung immer langsamer wird, weil punktierte halbe Noten in sie eintreten.


    Dieses am Beispiel der beiden ersten Strophen aufgezeigte und konkretisierte kompositorische Konzept wiederholt sich in den folgenden Strophen immer wieder, - natürlich in verschiedenen Varianten. Deshalb ist es nicht nötig, das nun immer wieder im einzelnen analytisch herauszuarbeiten. Bei dem Bild von dem „Flötenlied“ und bei den Worten „Gedanken in die schöne, / Ach, mißgönnte Ferne führt“ entfaltet die melodische Linie wieder diese aus bogenförmig weit gespannter Phrasierung hervorgehende Emphase. Und wenn die vierte Strophe mit den Worten „Laß die Waldesnacht mich wiegen“ einsetzt, dann nimmt die Vokallinie wieder die kurzschrittige und von Pausen unterbrochene Gestalt an, wie man das von der zweiten Strophe her kennt. Das Klavier verlässt seine Achtel-Arpeggien und setzt seine Akkorde in akzentuierender Weise in die melodische Deklamation. Wenn aber das lyrische Ich dann bekennt, dass es ein „seliges Genügen“ mit „den Düften“ einsauge, dann bringt es dies wieder mit einer emphatischen, weil über sechs Takte in einer bogenförmigen Gestalt sich erstreckenden fallenden melodischen Linie zum Ausdruck, wobei das Klavier dort, wo sie langsamer wird, wieder seine lang gehaltenen Akkorde anschlägt.


    Es gibt tatsächlich eine strukturelle Ähnlichkeit in der Faktur der einzelnen Strophen. Die ist aber in keiner Weise ermüdend. In Gegenteil: Dadurch dass sie immer wieder neue Gestalt annimmt, gewinnt das Lied hohen musikalischen Reichtum.

  • Richard Dehmel: „Nicht doch!“

    Mädel, laß das Stricken – geh,
    Tu den Strumpf beiseite heute;
    Das ist was für alte Leute,
    Für die jungen blüht der Klee!
    Laß, mein Kind;
    Komm, mein Schätzchen!
    Siehst du nicht, der Abendwind
    Schäkert mit den Weidenkätzchen …


    Mädel, liebes, sieh doch nicht
    Immer so beiseite heute;
    Das ist was für alte Leute,
    Junge sehn sich ins Gesicht!
    Komm, mein Kind,
    Sie doch, Schätzchen:
    Über uns der Abendwind
    Schäkert mit den Weidenkätzchen …


    Siehst du, Mädel, war´s nicht nett
    So an meiner Seite heute?
    Das ist was für junge Leute,
    Alte gehen allein zu Bette! –
    Was denn, Kind?
    Weinen, Schätzchen?
    Nicht doch – sieh, der Abendwind
    Schäkert mit den Weidenkätzchen…



    Arnold Schönberg: „Nicht doch!“

    Dieses Lied, das vermutlich 1897 entstand, ist eine zweifellos hochoriginelle und klanglich faszinierende Komposition. Dies deshalb, weil sie sich sozusagen hautnah auf den lyrischen Text einlässt und dessen Ineinander von drängender Aufforderung und lockender Verführung mit allen musikalischen Mitteln reflektiert und in Klang verwandelt: Von einer zwischen deklamatorischem und kantablem Gestus hin und her pendelnden Vokallinie über einen sich in Arpeggien, Akkorden und langen Zwischenspielen auslebenden und darin die Melodik kommentierenden und weiterführenden Klaviersatz bis hin zu immer wieder eintretendem Tempowechsel. Jede Seite im Notentext weist mehrere Tempo-Anweisungen auf. Die generelle Vortragsanweisung dieses Liedes, das in D-Dur steht und dem ein Sechsachteltakt zugrundeliegt, lautet „Leicht“. Apropos Sechsachteltakt: Auch dieser bleibt nicht durchgängig konstant, sondern wird zweimal von einem Zweivierteltakt abgelöst. Es ist unglaublich viel Bewegung in diesem Lied. Und eben dieses macht es so interessant!


    Die drei Strophen sind in sich musikalisch noch einmal deutlich untergliedert, wobei Schönberg immer das gleiche kompositorische Prinzip anwendet. Bei den ersten vier Versen bringen melodische Linie und Klaviersatz den Aufforderungscharakter der Ansprache an das „Mädel“ zum Ausdruck. Die melodische Linie auf der zweiten Vers-Vierergruppe weist einen suggestiven Ton auf, und das Tempo ist deutlich langsamer. Konkret sieht dies bei der ersten Strophe so aus, dass die Ansprache an das „Mädel“ zunächst in silbengetreuer und von Pausen unterbrochener Deklamation auf einer melodischen Linie erfolgt, die auf einer tonalen Ebene verbleibt und dann zu dem Wort „Heute“ hin absinkt. Das Klavier begleitet dies mit einem Auf und Ab von Sechzehnteln im Diskant und Achteln im Bass. Durch eine Pause abgesetzt sind die belehrenden Worte „Das ist was für alte Leute“. Sie werden auf einer bogenförmig ansteigenden und wieder fallenden melodischen Linie deklamiert. Das Klavier setzt hier leichte Akzente durch zweistimmige Akkorde, die sich in die Bewegung der sechzehntel einschieben. Bei den Worten „Für die Jungen blüht der Klee“ macht die Vokallinie wie in einer Art Jubel einen Quartsprung zu einem hohen „A“ bei dem Wort „Jungen“ und mündet dann nach einer Kombination aus Sekund- und Quintfall in eine Dehnung in mittlerer tonaler Lage bei dem Wort „Klee“. Diese kleine Melodiezeile ist nicht nur durch Pausen von der vorangehenden abgesetzt, sondern auch durch einen Taktwechsel. Während die „alten Leute“ mit einem Zweivierteltakt bedacht werden, kehrt bei den „Jungen“ der beschwingte Sechsachteltakt wieder zurück.


    Nacheinem zweitaktigen Zwischenspiel kommt mit den Worten „Laß mein Kind“ ein neuer Ton in das Lied. Es ist ein suggestiv-beschwörender, der dadurch so eindringlich wirkt, dass ihm ein wiegender Rhythmus zugrunde liegt, die Tempovorschrift „langsamer“ lautet und melodische Linie und Klaviersatz pianissimo vorgetragen werden müssen. Überdies bezieht die Vokallinie ihre Eindringlichkeit auch noch aus dem Ineinandergreifen von Sechzehntel-Sprungbewegungen und melodischen Dehnungen. In die Dehnungen auf den Worten „laß“ und „komm“ tritt mit dem Wort „mein“ ein Sechzehntel-Fall, und in dieser Weise geht das melodisch weiter (bei „siehst“, „Abendwind“ und „schäkert“), bis dann die melodische Linie bei dem Wort „Weidenkätzchen“ mit einer langen Dehnung auf einem hohen „A“ aufgipfelt und wieder eine mit Sechzehnteln durchsetzte Fallbewegung beschreibt. Das Klavier begleitet diese vier Verse mit Arpeggien im Diskant und Akkorden im Bass und verstärkt auf diese Weise den verführerischen und verlockenden Charakter der Melodik.


    Bevor die nächste Strophe einsetzt, bei der sich die soeben beschriebene Aufeinanderfolge von zwei deutlich voneinander abgehobenen Formen musikalischer Expression erneut ereignet – in variierter Gestalt freilich -, hat Schönberg noch einen eigenen Vers eingeschoben. Er folgt nach einer zweitaktigen Pause der Singstimme und lautet: „Laß mein Kind, komm mein Schätzchen, laß“. Auch er wird auf dieser melodischen Linie deklamiert, die man von der zweiten Versgruppe her kennt. Ein sechstaktiges Zwischenspiel folgt, bei dem das Anfangstempo wieder in das Lied zurückkommt.


    Das ist ja auch erforderlich, weil die Singstimme nun wieder in den Ansprache-Gestus verfällt: „Mädel, liebes Mädel, sieh doch nicht…“. Die melodische Linie ist hier zwar nicht die gleiche wie bei den ersten vier Versen der ersten Strophe – dem Wort „liebes“ wird zum Beispiel durch einen Septfall ein besonderer Akzent verliehen -, aber in der Grundstruktur ähneln sich beide Vokallinien. Bei den Versen, in denen die „alten Leute“ wieder von den „Jungen“ abgesetzt werden, herrscht sogar weitgehende melodische Identität. Nur wird das Wort „Gesicht“ durch eine Kombination aus Sextsprung und Quintfall in besonderer Weise akzentuiert.


    Mit der dritten Strophe kehrt das kompositorische Modell erneut wieder, - nur dieses Mal in seiner Expressivität noch gesteigert. Die Worte „Siehst du, Mädel“ werden langsam in gedehnten melodischen Schritten deklamiert, und das gilt auch für die Vokallinie auf den Versen, bei denen es erneut um die „Alten“ und die „Jungen“ geht. Am Ende fügt Schönberg erneut einen eigenen Vers an: „Weinen, Schätzchen? Nicht doch!“. Er wird silbengetreu auf drei melodischen Fallbewegungen deklamiert: Kleiner Sekundfall, Terzfall und verminderter Sextfall, - mit dem das „Nicht doch!“ das Lied in besonders eindringlicher Weise beschließt.

  • In diesem Lied hat sich Schönberg von der ansonsten doch noch recht engen Anlehnung an Johannes Brahms in signifikanter Form gelöst. Im vorangehend vorgestellten Lied „Waldesnacht“ ist diese Anlehnung deutlich vernehmbar: In der auf Kantabilität angelegten weit phrasierten melodischen Linie, in der Volksliednähe suggerierenden Wiederholung bestimmter melodischer Figuren, im relativ einfach strukturierten, zwischen triolischen Achtelfiguren und Akkordfolgen wechselnden Klaviersatz und in einer Harmonik, die bei aller Modulation die Orientierung an der Grundtonart H-Dur wahrt.


    Dass bei „Nicht doch!“ ein sich in seiner Klanglichkeit fundamental von „Waldesnacht“ abhebendes Lied vorliegt, ist natürlich zunächst einmal dem lyrischen Text geschuldet: Kein spätromantisches Beschwören von Naturmetaphorik, sondern ein sprachlich höchst vielfältiges, kunstvolles, ja raffiniertes Spiel der Verführung. Und hier nun zeigt der junge Schönberg eine liedkompositorische Intention, die, wenn sie sich überhaupt an einem Vorbild orientiert, dies nicht an Johannes Brahms, sondern in recht klar fassbarer Weise an Hugo Wolf tut. Die Liedmusik ist in einer Weise an die lyrische Sprache gebunden, wie Schönberg dies eben bei Hugo Wolf vorfinden konnte. Sie folgt deren syntaktischer Struktur, greift ihre Semantik auf und lotet sie mit dem Instrumentarium des Klanges in ihren Tiefschichten aus. Hier, im Falle dieses Liedes auf beeindruckende Weise vernehmlich und erfahrbar in dem Nebeneinander von belehrendem, verführerischem und beschwörendem Ton, den die Liedmusik annimmt..


    Dieses Lied vermag den Hörer durchaus in Bann zu schlagen, - mit einer melodischen Linie der Singstimme, die von einem deklamatorischen, gleichsam konstatierenden Gestus mit einem Mal in einen kantablen, von klanglicher Lieblichkeit geprägten überzugehen vermag und darin von einem Klaviersatz getragen wird, der nun von dem gerade praktizierten, klanglich sachlich wirkenden Auf und Ab von Sechzehnteln ab und zu einem klanglich verführerischen, sich dem Sechsachtelrhythmus voll und ganz überlassenden Zusammenklang von Arpeggien im Bass und Akkorden im Diskant übergeht. Man meint zu hören, dass Schönberg in dieser melodischen, harmonischen und klanglichen Vielfalt, wie sie dieses Lied aufweist, auf dem Weg ist, eine, über Hugo Wolf hinausführende, ganz und gar eigene und darin zeitgemäße Liedsprache zu entwickeln.

  • Richard Dehmel: „Mannesbangen“

    Du mußt nicht meinen,
    Ich hätte Furcht vor dir.
    Nur wenn du mit deinen
    Scheuen Augen Glück begehrst
    Und mir mit solchen
    Zuckenden Händen
    Wie mit Dolchen
    Durch die Haare fährst,
    Und mein Kopf
    Liegt an deinen Lenden:
    Dann, du Sünderin,
    Beb´ ich vor dir.



    Arnold Schönberg: „Mannesbangen“

    Das Lied wird auf 1899 datiert, ist also vermutlich nach den Liedern des Opus 1 entstanden, so dass es eigentlich in die hier leitende Fragestellung, die sich ja auf das „Davor“ richtet, nicht einbezogen werden sollte. Aber das wäre eine formalistische Verfahrensweise, zumal ja alle diese „frühen“ Lieder bis auf wenige Ausnahmen im Autograph kein Datum tragen und man gezwungen ist, sich bei Datierungsversuchen an spezifischen Merkmalen der jeweiligen kompositorischen Faktur zu orientieren, - nach der Schlüsselfrage also: Wie weit ist der Prozess der Entfaltung von immer mehr Individualität in der Behandlung der Vokallinie und der „Entwicklung der Klavierstimme (wie das der Herausgeber dieser Lieder, Leonard Stein, nennt) vorangeschritten?


    „Sehr rasch. Leidenschaftlich bewegt“, so lautet die Vortragsanweisung für dieses Lied, das in fis-Moll steht und einen Viervierteltakt aufweist. Die Situation, in der sich das lyrische Ich befindet, dieses Zugleich von leidenschaftlichem Hingezogen-Sein zum begehrten Du und dem Bemühen, sich dich selbst zu bewahren, schlägt sich in der Polarität nieder, die sich zwischen Melodik und Klaviersatz entfaltet. Letzterer weist einen hohen Grad an Autonomie auf, und die zeigt, dass Schönberg in der Entwicklung einer eigenständigen Liedsprache große Schritte vorangekommen ist. Während die melodische Linie der Singstimme in dem Sich-Aufbäumen gegen das Du und der Macht, die von ihm ausgeht, so etwas wie eine Abwehrhaltung vernehmen lässt, verweist der Klaviersatz mit seinen nicht enden wollenden und regelrecht wilden Sechzehntel-Läufen auf die leidenschaftliche innere Erregtheit des lyrischen Ichs. Dessen Bipolarität ist in diesem so kurzen Lied (eine gute Minute Vortragszeit) auf höchst beeindruckende Weise klanglich verdichtet.


    Wie eng – im Sinne von Hugo Wolf – Schönberg die Musik hier an den lyrischen Text bindet, das lässt sich schon an den ersten beiden Versen gut erkennen. Sie stellen ja eine Art Abwehr-Behauptung dar. In der melodischen Linie der Singstimme schlägt sich das in der Weise nieder, dass sie gleichsam zwei Anläufe nimmt, um mit triolischem (bei „meinen, ich“) Schwung dann bei dem Wort „Furcht“ aufzugipfeln und danach in eine nur kurze Fallbewegung überzugehen, die durch eine Pause abgebrochen wird. Das Klavier verleiht diesem melodischen Gestus Nachdruck, indem es im Diskant fortissimo und leicht rhythmisiert die immer gleichen Akkorde anschlägt, im Bass hingegen der melodischen Linie in ihren Bewegungen folgt und sie dadurch akzentuiert. Noch zwei Takte lang setzt das Klavier, während de Singstimme schweigt, seine energische Artikulation von Akkorden fort, bevor es am Ende einen den ganzen Takt lang gehaltenen Moll-Terzakkord erklingen lässt, in den die Singstimme mit dem „nur“ des dritten Verses einfällt.


    Der Ton „H“, der auf diesem „nur“ liegt, wird erst einmal lange gehalten, um das Wort zu akzentuieren., bevor die Singstimme erneut zu einer triolischen Aufstiegsbewegung ansetzt, die aber gleich wieder in einen Fall übergeht. Was nun melodisch nachfolgt, ist typisch für die Art und Weise, wie sich die Vokallinie in diesem Lied entfaltet. Aus einer wellenförmigen Bewegung erfolgt mit einem Mal ein Sprung über ein relativ großes Intervall, der dann in eine lang gedehnte Fallbewegung aus hoher Lage übergeht. So zu vernehmen bei den Worten „Glück begehrst, „Dolchen durch“ und „Haare fährst“. Das Klavier ist mit dem dritten Vers von seinen Akkorden abgegangen und artikuliert nun im Diskant einen wilden Wirbel von Sechzehntel-Ketten über triolischen Achtelakkorden im Bass. Dabei entfaltet es immer wieder – und gerade bei den melodischen Dehnungen in hoher Lage – große Expressivität, weil die Sechzehntel rasant emporstürmen und danach wieder in die Tiefe stürzen (Wie bei „Glück begehrst“) oder in hoher Lage triolische Fallbewegungen beschreiben.


    Gegen Ende des Liedes steigert sich diese klangliche Binnenspannung von Melodik und Klaviersatz deutlich. Die melodische Linie verbleibt nun – ab dem viertletzten Vers – durchgängig in hoher Lage und bewegt sich dort zwar langsam, weil in Gestalt von Dehnungen, sie wirkt gleichwohl höchst eindringlich, weil sie Sekundfallbewegungen beschreibt, die von Pausen unterbrochen werden und deshalb wie Klagerufe anmuten. Das Klavier lässt bei dem Bild von dem an den Lenden liegenden Kopf zunächst eine repetierende Abfolge von Sechzehntel-Figuren erklingen, die wie ein insistierendes Flirren wirkt, und beschreibt anschließend eine in sehr hoher Lage ansetzende und sich über fast zwei Oktaven erstreckende Fall- und Steigbewegung von Sechzehnteln, die danach in rhythmisiert empor schießende Figuren übergeht. Wenn die Singstimme die Worte „Beb´ ich vor dir“ auf einer gedehnten, in kleinen Sekunden fallenden und mit einer harmonischen Rückung verbundenen melodischen Linie deklamiert, dann wirken die vom Klavier artikulierten fallenden und wieder steigenden Sechzehntel-Figuren wie ein harter klanglicher Kontrast zu dem kläglich wirkenden Ton der Melodik.


    Und das Klavier hat zu dem, was diese zum Ausdruck bringt, noch einen weiteren Kommentar zu geben. Im Nachspiel lässt es nämlich im Bass die Anfangsmelodie erklingen und gibt ihr im Diskant die Akkorde bei, die es dort artikulierte.

  • Mit dem Lied „Mannesbangen“ soll der Blick auf das frühe Liedschaffen Schönbergs, die Lieder, die zeitlich denen des Opus 1 vorausgehen also, abgeschlossen sein. Bei ihm ist, ähnlich wie bei dem vorangehenden Lied „Nicht doch“, wieder ein Schritt in der Ablösung Schönbergs von seinem liedkompositorischen Leitbild Johannes Brahms zu konstatieren, und die Lyrik Richard Dehmels dürfte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Im Grunde ist es – wie dort – ein Schritt hin zu einer stärkeren Orientierung der melodischen Linie der Singstimme an der Semantik und der Struktur der lyrischen Sprache, - ein Schritt also weg von der Kantabilität der Brahmsschen Melodik hin zur deklamatorischen Strukturierung derselben, wie Schönberg sie bei Hugo Wolf vorfand.


    Man kann – und es ist zu hoffen, dass dies in dem mit sechs Beispielen doch recht beschränkten Blick auf und in das frühe Liedschaffen deutlich geworden ist – im Liedschaffen des jungen Schönberg eine Entwicklung ausmachen, auf die in der Anfangsphase das Volkslied, später dann Johannes Brahms und schließlich Hugo Wolf und die „Neudeutsche Schule“ maßgeblichen Einfluss hatten. In der Auseinandersetzung mit diesen Formen des Liedes, bzw. den dahinterstehenden liedkompositorischen Konzepten entwickelte er seine eigene Liedsprache, die in der Endstufe die Ablösung vom Prinzip der Tonalität mit sich brachte. Dabei hat Schönberg seine Verbundenheit mit Johannes Brahms nie aufgegeben. In einem Brief an Hans Rosbaud bekannte er (1933), dass er zu musikalischen Aussagen in der Lage sei, „die nur ich sagen kann. Denn meine Altersgenossen und die, die älter sind als ich, haben zwar auch noch die Brahmszeit erlebt, sind aber nicht >modern<. Die jüngeren Brahmsianer aber kennen die Brahmstradition nicht mehr aus eigenem Erleben und sind meist eher >reaktionär<.“


    Mit der „Modernität“ seiner musikalischen Sprache, die er in diesem Brief an Hans Rosbaud anspricht, hebt er, was seine Liedkomposition betrifft, natürlich zunächst einmal auf jene Liedsprache ab, die er in seinem „Buch der hängenden Gärten“ vorgelegt hat. Im Rückblick stellt sich freilich dieser Prozess der Modernisierung als einer dar, in dem – auf dem Hintergrund von Schönbergs Brahms- Rezeption - die „Neudeutsche Schule“ eine maßgebliche Rolle gespielt hat. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Auseinandersetzung mit der Liedsprache des von ihm bewunderten Hugo Wolf, wie auch die Rezeption der Musik Richard Wagners als wichtige Faktoren zu nennen.


    Was nicht nur die frühe, sondern alle Phasen von Schönbergs Liedkomposition anbelangt, so vollzogen sie sich natürlich in permanenter Reflektion und Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Musikleben. In einem Kommentar zu seinem 1897 komponierten Quartett (D-Dur) für zwei Violinen, Bratsche und Violoncello stellt er das so dar:
    „Während dieses Werk noch stark unter dem Einfluß von Brahms und Dvorak stand, trat eine fast plötzliche Wende zu einer >fortschrittlicheren< Kompositionsweise ein. Mahler und Strauss waren auf der Musikszene erschienen, und ihr Auftreten war so faszinierend, daß jeder Musiker sofort gezwungen war, Partei zu ergreifen, pro oder contra.“

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  • Dieses Werk von Helmut ist aller Ehren wert! Es ist unfassbar, was der hier leistet. Hut ab! :jubel:

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Es freut mich, lieber Klaus, dass Du mich in dem, was ich zu diesem Thread beizutragen habe, lesend begleitest, und ich danke Dir sehr dafür.


    Aber glaube mir: „Unfassbar“ – um dieses von Dir gebrauchte Wort aufzugreifen – ist das nicht, was ich da schreibe. Es ist einfach nur der schriftliche Niederschlag einer intensiven Beschäftigung mit dem liedkompositorischen Werk Arnold Schönbergs.
    Das könnte jedes andere unter den aktiven Mitgliedern dieses Forums auch. Es hat nur seinen Preis. Der besteht weniger in der Mühe und dem zeitlichen Aufwand, die damit verbunden sind. Mit denen gehen ja hocherfreuliche und bereichernde Musikerfahrungen einher.


    Nein, der Preis ist ein anderer: Man kann am wirklichen Leben in diesem Forum nicht teilnehmen, - dem Leben in jenen Threads, in denen es diskursiv und strittig munter einhergeht, - wie eben zum Beispiel in jenen über Richard Wagner oder das Regietheater. Man kann daran nicht teilnehmen, weil die Zeit dafür fehlt, und man gerät in Folge davon zwangsläufig ins Foren-Abseits.


    Und wenn man Pech hat, dann wird man dafür auch noch verunglimpft: Als monologisch rechthaberischer Verwalter von musikologischen Weisheiten und Thesen über Schubert und die Liedkomposition ganz allgemein.
    Wie geschehen!

  • Lieber Helmut1
    Alles falsch, was du da schreibst. Denn es ist unfassbar! Dass sich ein Mensch in so ein Thema so einarbeitet, so eine unglaubliche Menge an Wissen anhäuft, das übertrifft mein Vorstellungsvermögen bei weitem.
    Jeder andere könnte das?? Ich könnte es nicht, bin aber ein schlechtes Beispiel, weiß Gott! Ich behaupte: Niemand im Forum könnte das!
    Dass du am Rest des Forums nicht teilnehmen kannst, Helmut, so viel verpasst du da nicht.
    Die Verunglimpfung besteht wahrscheinlich doch mehr in Unverständnis.


    Und nun noch einmal ganz privat (hoffentlich erwischt Alfred mich nicht): Ich wünsche mir so sehr, dass mich jemand mal an der Hand nimmt und mir den Zauber der LIeder näherbringt. Es gab ja schon einmal einen Anfang, der mich auch sehr bewegt hat. Aber das wäre für mcih die ganz große Gabe: Ein Führer zum LIed. Du wärest derjenige, der das könnte. Bitte!

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo!


    Ich habe sogar schon versucht, mir CDs mit den ersten Liedern zu besorgen, habe bislang allerdings nur diese hier erworben:



    Die Mannheimer Musikbibliothek hat einen "Beschaffungsauftrag".


    Das heißt: Ich habe vor, das Wissen von Helmut zu nutzen!


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Du sagst, lieber Klaus: „Es gab ja schon einmal einen Anfang, der mich auch sehr bewegt hat.“
    …und ich erinnere mich sehr gut daran. Mit einem schlechten Gewissen freilich, denn ich hatte Dir ja zugesagt, das fortsetzen zu wollen. Ich hab´s dann aber doch nicht gemacht, weil ich mich ein wenig überfordert fühlte. Und das ist auch heute noch der Fall.
    Eine Idee aber habe ich. Die Lieder Schönbergs sind ja nicht so zahlreich bei Youtube vertreten, und als „Objekte“ zur Heranführung an das Kunstlied eignen sie sich wohl nur in wenigen Fällen.


    Einer dieser „Fälle“ dürfte das Lied „Erwartung“ aus Schönbergs Opus 2 sein. Das gibt es bei Youtube gleich in mehreren sängerischen Interpretationen zu hören. In meinem übernächsten Beitrag werde ich versuchen, dieses Lied zu besprechen, und stelle mir nun vor, dass Du es Dir einfach einmal anhörst und sagst, was Du davon hältst, - ob es Dich anzusprechen vermag oder nicht. Ich könnte dann darauf Bezug nehmen, und wir könnten ins Gespräch über dieses Lied kommen.


    Das Problem bei den bisher hier vorgestellten Liedern war ja: Man kann sie nur auf den oben im Einführungsteil von mir vorgestellten CDs mit den Gesamtaufnahmen aller Klavierlieder hören. Und natürlich kann man niemandem zumuten, sich eine solche Gesamtaufnahme zuzulegen, wenn er´s ohnehin nicht mit Schönberg und seinen Lieder hat.
    Aber bei den nun anstehenden Lied-Opera Schönbergs ist das ein wenig anders: Da sind einige Lieder dabei, die auch denjenigen anzusprechen vermögen, der sich ansonsten mit Schönbergs Liedern nicht so recht anzufreunden vermag.
    Und in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal die Aufnahme von Schönberg-Liedern empfehlen, die Dietrich Fischer-Dieskau 1983 zusammen mit Aribert Reimann gemacht hat und die auf CD in Koppelung mit Liedern von Alban Berg erschien.



    Mit dem sicheren Griff des großen Kenners hat Fischer-Dieskau genau die Lieder ausgewählt, die zu den bedeutenden und beeindruckenden Schönbergs zählen. Und er hat sie – wie nicht anders zu erwarten – in großartiger Weise gesanglich interpretiert.

  • Zitat


    Ich habe mir das Stück angehört. Und schon steht da als erstes Problem, dass ich den Text nicht verstehe, was übrigens bei den meisten Liedern so ist, auch bei Opern. So kann ich den Inhalt also nicht mit der Musik verbinden. Das ist eine Hürde.
    Den Gesang empfinde ich als recht schrill, so sehr, dass er manchmal die ruhige melancholische Klavierbegleitung konterkariert. Es ist schon schön, aber es stellt sich bei mir kein "Verständnis" ein, meine Empfindung ist, anders als bei Instrumentalmusik, gefiltert, angestrengt.
    Ich werde es mir aber noch mal anhören.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo, Klaus,


    hab ein bisschen Geduld, bitte. Ich muss erst noch einen Beitrag zum Thema "Schönberg und Dehmel" hier einstellen, weil es da um grundsätzliche Fragen geht. Dann werde ich, und das wird am Dienstag der Fall sein, mich auf das Opus 2 und sein erstes Lied, "Erwartung" also, einlassen. Vielleicht wird ja dann einiges klarer für Dich, - hoffe ich jedenfalls! Und wenn nicht, werde ich mich bemühen, auf alle Deine Fragen, soweit ich kann, eine Antwort zu geben.


    Also bis Dienstag!

  • Lieber Helmut


    auch ich lese Deine Beiträge hier mit Gewinn, zumindest die die etwas allgemeinerer Natur sind. Zum Verständnis der Einzelbeschreibungen müsste ich natürlich die Lieder selbst hören, was ich vielleicht auszugsweise auch tun werde. Der Weg Schönbergs in die Atonalität ist für mich ein sehr faszinierendes Kapitel der Musikgeschichte und als Liebhaber von Streichquartetten habe ich ihn vor allem an Hand dieser bisher versucht, hörend nachzuvollziehen. Beim Streichquartett op. 10 berühren sich dann unsere Sphären sozusagen, denn wie Du ja auch schon erwähntest, sind die beiden letzten Sätze "Litanei" und "Entrückung" Lieder für Sopran und Streichquartett nach Texten von Stefan George. Wenn Du einverstanden bist, werde ich versuchen, zu gegebener Zeit zu diesen etwas zu sagen. Ich hatte in einem meiner frühen Beiträge das Quartett plus Text schon einmal vorgestellt, aber nicht speziell auf die Lieder Bezug genommen.


    Gruß
    lutgra

  • Hallo lutgra,


    ob ich "einverstanden" bin? Was für eine Frage!
    Ich freue mich darauf, wenn Du Dich an diesem Thread beteiligst.
    Die Frage freilich, wie und warum Schönberg allgemein und in Sachen Lied im Besonderen zur Atonalität fand, ist eine höchst schwierige, - für mich jedenfalls.
    Ich weiß nicht, ob ich eine Antwort darauf finden werde. Und allein deshalb schon bin ich für jede Hilfe in meinen Bemühungen darum überaus dankbar!

  • Eine Durchsicht durch meine Sammlung hat ergeben, dass ich mit Klavierliedern von Schönberg äußerst dünn bestückt bin. Das einzige was ich überhaupt gefunden habe, sind die Brettl-Lieder als Zugabe zu "Erwartung". Ich muss zugeben, diese Stücke noch nie gehört zu haben, da die Anschaffung der CD wegen des Monodrams erfolgte. Selbiges habe ich in genau dieser luxuriösen Besetzung live in New York erlebt. Ein schwieriges Stück Musik.
    Die Lieder von der von Dir gezeigten GA auf 4 CDs kann man übrigens bei itunes alle einzeln herunterladen für je € 0,99, was ich dann in dem einen oder anderen Falle tun werde. Beabsichtigst Du die Brettl-Lieder mit abzuhandeln?

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