Komponisten und Kompositionen des 20. Jahrhunderts und ihre Beurteilungen

  • Auf die Idee zu diesem Thema kam ich beim mitlesen im Thread
    Musik des 20./21. Jahrhunderts - gerade gehört - kurz kommentiert
    wo sich - für mich völlig unerwartet - eine Diskussion über die Qualität der Sinfonien von Henze entwickelt hat.
    Aus meiner Sicht ist hier das Problem der Musik des 20. Jahrhunderts sehr gut enthüllt: Es gibt keine wirklichen Regel, keinen "Mainstream". Was will der Komponist eigentlich? - dem Publikum gefallen? - das Interesse der Presse auf sich ziehen? das bürgerliche Publikum verstören? - sich bei den Intellektuellen oder der Jugend, den Avantgardisten anbiedern? - in die Musikgeschichte eingehen?


    Ehrlich gesagt - ich weiß es nicht. Neue Werke wurden ja auch in der Vergangenheit abgelehnt, wenn sie die Regeln nicht beachteten, sie überschritten oder bewusst Tabus brachen. Das Problem heute ist ja dieses, daß es in Wahrheit gar keine Regeln mehr gibt an denen sich irgendjemand orientieren könnte, und ich wage zu behaupten, daß man heute schwer abschätzen kann, welche Kompositionen (und ihre Schöpfer) in künftigen Zeiten als Meilensteine der Klassik gelten werden, welche als "Konsens an die breite Masse oder auch an die Kritik" bewertet werden - und welche am Müllhaufen der Musikgeschichte landen werden, entweder verfemt als "Irrweg" gesehen - oder sogar völlig verdrängt und vergessen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn ein Komponist ein Werk komponiert, dann sollte er doch dem Hörer Freude und ein Aha-Erlebnis bereiten.
    :thumbup: Wenn man bei einer Uraufführung ein Werk hört und voll begeistert ist - und sich denkt "davon muss ich die Aufnahme /CD haben" sobald diese verfügbar ist, so ist das doch voll angemessen und wünschenswert für den Komponisten.


    :thumbdown: Besser als wenn man aus dem Konzert geht und denkt "was ist das für´ne ungenissbare sch.. Musik", davon bekommt er nie eine CD verkauft, was soll dieser Quark".


    Ich habe den Eindruck, dass immer mehr zeitgenössische Komponisten dies verstanden haben und wieder eingängiger Komponieren = für und nicht gegen den Hörer !



    *** Als ein positives Beispiel unserer Zeit würde ich unter einer Ganze Reihe Anderer Michael Daugherty nennen wollen.
    Auch wenn die Werke nicht die grössten Eingebungen und Offenbarungen sind, so lösen sie beim Hörer einen Hörspass aus mit dem er etwas anfangen kann. Es macht Spass Daugherty zu hören und langweilig ist da nichts ! Das ist durchsetzt mit moderem Zeitgeist; guten Programmen thematisch aus unserer Zeit.


    *** Ein weiteres absolutes TOP-Beispiel wäre Andrei Eshpai, der zu den interessantesten Russen unserer Zeit gehört. Leider in unseren Breiten immer noch total vernachlässigt. Ich persönlich sehe Eshpai deutlich vor Schnittke, der bei aller Wertschätzung so einiges im Werkprogramm hat, dass zu den eher "Ungeniessbaren" gehört.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich wage mal zu behaupten, dass man für Musik der 1. Hälfte des 20. Jhds. inzwischen ziemlich gut beurteilen kann, was sich "durchgesetzt" hat und was als "Meilenstein" gilt und was nicht. Weil sich das relativ deutlich abgezeichnet hat, spricht man ja von "klassischer Moderne" für die entsprechende Musik dieser Zeit. Klar, das reicht von Werken, bei denen man heute kaum mehr auf die Idee kommt, dass sie als neuartig und schwierig empfunden wurden (etwa das meiste von Mahler, Debussy, Ravel, Prokofieff) bis zu solchen, bei der man das oft noch ganz gut nachvollziehen kann, die aber dennoch voll etabliert ist (Stravinsky, Bartok, Berg, Schönberg, Webern).

    Bei Musik von Komponisten der Geneneration Henze, Ligeti, Stockhausen, Boulez usw., entsprechend also (größtenteils) Musik der 1950er bis 1980er Jahre ist das vielleicht noch ein wenig zu früh. Andererseits hat man auch hier ziemlich deutlich den Eindruck, was etabliert ist und was nicht.


    Schließlich ist ja auch völlig normal, dass sich so etwas ändert. Wurden Spohrs Opern "Faust" und "Jessonda" bis Ende des 19. Jhds. "zu unrecht" verbreitet gespielt, bloß weil sie seitdem wieder vom Spielplan verschwunden sind? Dass alle Musik, die in den letzten 60 Jahre eine gewisse Bekanntheit erlangte, vom Kaliber JS Bach oder Beethoven ist, behauptet wohl kaum jemand. Natürlich sind da auch viele Spohrs, Hummels, Lachners usw. dabei.


    Es scheint mir eine ziemlich fruchtlose Unternehmung, nur oder hauptsächlich solche Musik hören zu wollen, von der man vermutet, dass sie in 300 Jahren noch in der Weise geschätzt wird, wie heute Bachs und Händels. Das können wir über die heutige Musik genausowenig wissen wie die damals (bl0ß wäre damals vermutlich kein Mensch auf die Idee gekommen, überhaupt darüber nachzudenken, was in 300 Jahren für Musik gehört wird und das als möglichen Qualitätsausweis für die zeitgenössische Musik zu nehmen).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wenn ein Komponist ein Werk komponiert, dann sollte er doch dem Hörer Freude und ein Aha-Erlebnis bereiten.

    Ich meine: Er kann das, aber er muss nicht. Es gibt sicher noch andere Gründe dafür, musikalische Werke zu komponieren.

  • Ich meine: Er kann das, aber er muss nicht. Es gibt sicher noch andere Gründe dafür, musikalische Werke zu komponieren.


    Oh ja, sehr viele. Ich würde sogar sagen, dass die Freude des Publikums nur ein nachrangiges Motiv für einen Künstler sein sollte, ein Werk zu erschaffen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat

    Oh ja, sehr viele. Ich würde sogar sagen, dass die Freude des Publikums nur ein nachrangiges Motiv für einen Künstler sein sollte, ein Werk zu erschaffen.


    Diese Ansicht wird leider in den letzten Jahrzehnten immer wieder vertreten, wobei ungeliebte Künstler sich erfrechen den Geschmack des Publikums nicht nur in Frage zu stellen, sondern sogar zu kritisieren und dasselbe als inkompetent zu bezeichnen. Egal ob letzteres zutrifft oder nicht -der Künstler hat keinen wie immer gearteten Anspruch darauf, "Werke" zu schaffen, die lediglich den einzigen Zweck haben, sich selbst zu verwirklichen. Genauer gesagt, er hat diesen Anspruch dann, wenn er finanziell so gut gestellt ist, daß er seine "Kunst" oder Kunst ausüben kann ohne der öffentlichen Hand zur Last zu fallen.
    Otto Schenk hat heute in einem Interview anlässlich seines 85 Geburtstages singemäß gesagt: "Die höchste Instanz ist das Publikum" - Da kann ich lediglich beifällig nicken - und das ist selten bei mir......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Die höchste Instanz ist das Publikum" - Da kann ich lediglich beifällig nicht - und das ist selten bei mir......


    Die höchste Instanz für was? Und was ist "das Publikum"? Gibt es nicht viele Publika? Wenn in Donaueschingen oder Witten ausschließlich neue Musik gespielt wird, sind dort einige hunderte bis tausende versammelt, die genau das hören wollen, was geboten wird, also ein Publikum. Dasselbe gilt für Bayreuth. Ein anderes "Publikum". Und wir wollen es ja nicht jetzt von der Größe des Publikums abhängig machen, denn dann wäre der erfolgreichste deutsche Dirigent der kürzlich - Gott hab ihn selig - verstorbene James Last. :D

  • »Dichter : erhältst Du den Beifall des Volkes, so frage Dich : was habe ich schlecht gemacht?! Erhält ihn auch Dein zweites Buch, so wirf die Feder fort : Du kannst nie ein Großer werden. Denn das Volk kennt Kunst nur in Verbindung mit -dünger und -honig.« (Arno Schmidt)

  • Genauer gesagt, er hat diesen Anspruch dann, wenn er finanziell so gut gestellt ist, daß er seine "Kunst" oder Kunst ausüben kann ohne der öffentlichen Hand zur Last zu fallen


    Da müsste man dann wohl vieles abschaffen, was jetzt noch die öffentliche Hand zahlt.

  • »Dichter : erhältst Du den Beifall des Volkes, so frage Dich : was habe ich schlecht gemacht?! Erhält ihn auch Dein zweites Buch, so wirf die Feder fort : Du kannst nie ein Großer werden. Denn das Volk kennt Kunst nur in Verbindung mit -dünger und -honig.« (Arno Schmidt)


    Diese Aussage finde ich persönlich ziemlich widerlich, aber sie erklärt natürlich eindrucksvoll, warum heute kaum noch jemand Arno Schmidt kennt...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Hausaufgabe: Lesen Sie das "Vorspiel auf dem Theater" (Goethe, Faust) und kontrastieren Sie die Positionen des Dichters, des Theaterdirektors und der Lustigen Person!


    Wer meint, dass es sich hier um eine neue Auseinandersetzung handelt, hat anscheinend nur selten die Hausaufgaben gemacht ;)


    Der Verweis auf "das Publikum" hilft doch nicht weiter. Stravinskys "Le Sacre du Printemps" hat es in weniger als 30 Jahren vom Skandalstück zur Trickfilmbegleitung geschafft. Beim Chereau/Boulez-Ring wurden im ersten Jahr noch Unterschriften dagegen gesammelt (es sei auch zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen), 5 Jahre später wurde er mit 101 Vorhängen verabschiedet.
    Welches Publikum hatte "recht", nach wem hätten sich die Künstler richten sollen?

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  • Zitat

    »Dichter : erhältst Du den Beifall des Volkes, so frage Dich : was habe ich schlecht gemacht?! Erhält ihn auch Dein zweites Buch, so wirf die Feder fort : Du kannst nie ein Großer werden. Denn das Volk kennt Kunst nur in Verbindung mit -dünger und -honig.« (Arno Schmidt)

    Welche Leute immer wieder zitiert werden - das ist schon bemerkenswert. Ich werde das nur insofern kommentieren als ich dem Zitat Namen von erfolgreichen Verfassern von Theaterstücken und Büchern gegenüberstelle die allesamt die Feder hätten wegwerfen müssen wären sie diesem dubiosen Ratschlag gefolgt.


    William Shakespeare, Moliere, Oscar Wilde, Johann Wolfgang von Goethe, Victor Hugo, Charles Dickens, Giovanni Boccaccio, Geoffrey Chaucer - ja sogar Agatha Christie, die Grand Dame der Weltliteratur des Kriminalromans werfe ich hier als Gegengewicht in die Wage.


    Zum Fall "Arno Schmidt" rate ich, den Wikipedia Lebenslauf zu Lesen, über Herkunft und Ausbildung, Sprachstil und ähnlichen Zitaten mit denen er die Welt beschrieb.


    Zur Frage nach dem "Publikum"
    Es wurde weiter oben ganz richtig behauptet "das Publikum" gäbe es als einheitliches Gebilde nicht.
    Ganz richtig:
    Otto Schenk dachte, als er über das Publikum sprach an SEIN Publikum, dem er sich verpflichtet fühle, für das er spiele und inszeniere - nicht für Presse oder Kritiker. (Die Rechnung scheint aufzugehen, denn immerhin laufen EINIGE Schenk Inszenierungen seit Jahren an der Wiener Staatsoper - und sorgen für volle Häuser.



    Zitat

    Wenn in Donaueschingen oder Witten ausschließlich neue Musik gespielt wird, sind dort einige hunderte bis tausende versammelt, die genau das hören wollen, was geboten wird, also ein Publikum. Dasselbe gilt für Bayreuth. Ein anderes "Publikum". Und wir wollen es ja nicht jetzt von der Größe des Publikums abhängig machen, denn dann wäre der erfolgreichste deutsche Dirigent der kürzlich - Gott hab ihn selig - verstorbene James Last. :D

    Natürlich spielt die Größe des Publikums doch eine gewisse Rolle, denn wenn beispielweise ICH sänge und mein Publikum bestünde aus 5 Leuten mit eigenwilligem Geschmack - das würde zu Recht niemand subventionieren. Ich müsste also- wie einst die selige Foster Jenkins die Konzerte selbst finanzieren.


    James Last war sicher kein Dirigent im eigentlichen Sinne, sondern vor allem ein genialer Arrangeur mit Sinn für wirkungsvolle Orchestrierung - allerdings nur die ersten Jahre - später kam Konfektionsware.
    Und er war sicher einer der erfolgreichsten Bandleader Deutschlands - für SEIN - allerdings recht großes Publikum.


    Werke die vor KEINEM Publikum bestehen können sind einfach nicht wirklich existent....


    Ich habe - etwas umständlich zwar - den Bogen zum eigentlichen Thema wieder hingekriegt.


    Über alle Jahrhunderte war eine der Anforderungen an ein Kunstwerk die hohe Akzeptanz durch "das Publikum" (oder "ein Publikum") Erst im 20 Jahrhundert haben gewisse Künstler postuliert, daß die Ablehnung eines Werkes durch das Publikum quasi ein Qualitätsmerkmal sei...


    und das macht eine Bewertung in der Tat sehr schwer - in einer Zeit wo das einst positive Attribut "gefällig" als abwertend gesehen wird......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Über alle Jahrhunderte war eine der Anforderungen an ein Kunstwerk die hohe Akzeptanz durch "das Publikum" (oder "ein Publikum")


    [font='Georgia, Times New Roman, Times, serif'][size=12]Stimmt es, dass manche Beethoven-Werke von den Zeitgenossen als schrill und unmusikalisch abgelehnt worden seien. Beethoven hatte sich wohl nicht so sehr um die Hörerwartungen seines Publikums gekümmert. Heute kann man das kaum mehr nachvollziehen. Aber das sagt zumindest mir, dass man mit Deinen Kriterien nicht viel weiterkommt, wenn man Kunstwerke beurteilen will.

  • Diese Aussage finde ich persönlich ziemlich widerlich, aber sie erklärt natürlich eindrucksvoll, warum heute kaum noch jemand Arno Schmidt kennt...


    Immerhin wurde Arno Schmidt von Fachleuten (Andersch, Böll, Grass, Heißenbüttel, Kempowski, Walser ...) sehr geschätzt, und das bestimmt nicht wegen seiner Persönlichkeitsdefekte. So schlecht kann er also nicht gewesen sein. Aber davon abgesehen fände ich es arg naiv, solche Aussagen von Künstlern sozusagen absolut und außerhalb des Werkkontexts zu bewerten. Warum habe ich das Zitat dann trotzdem gebracht? Weil es mir angemessen erschien, auf Alfreds Äußerung eins mit dem Holzhammer draufzusetzen.

  • Weil es mir angemessen erschien, auf Alfreds Äußerung eins mit dem Holzhammer draufzusetzen.


    Ja, den Eindruck, dass dir der Holzhammer häufig angemessen erscheint, den habe ich schon lange...


    Und natürlich hat sich Beethoven um die Hörerwartungen gekümmert und diese nicht völlig negiert und ignoriert, und das damalige Publikum erwartete (zumindest in großen Teilen) von ihm keine Mozart-Kopie, sondern schon etwas Neues. Natürlich hat Beethoven damals polarisiert, aber er hat viele dabei eben auch begeistert - und er wurde und wird - im Gegensatz zu Arno Schmidt - rezipiert! 8-)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • und er wurde und wird - im Gegensatz zu Arno Schmidt - rezipiert! 8-)


    Immerhin wurden Werke von Arno Schmidt in über dreißig Sprachen übersetzt. Schmidt hat unter anderem den Fontane- und den Goethepreis erhalten (aber wie Joyce und Beckett nicht den Nobelpreis, das blieb beispielsweise Churchill vorbehalten). Und gibt es noch einen Schriftsteller, dem bereits zu Lebzeiten mehrere regelmäßig erscheinende und ernst zu nehmende Periodika gewidmet waren?

  • Und natürlich hat sich Beethoven um die Hörerwartungen gekümmert und diese nicht völlig negiert und ignoriert.


    Das liest sich doch ganz anders und differenzierter als das, was Alfred geschrieben hat. Auf so einer Basis kann man auch ohne Holzhammer miteinander reden.

  • »Dichter : erhältst Du den Beifall des Volkes, so frage Dich : was habe ich schlecht gemacht?! Erhält ihn auch Dein zweites Buch, so wirf die Feder fort : Du kannst nie ein Großer werden. Denn das Volk kennt Kunst nur in Verbindung mit -dünger und -honig.« (Arno Schmidt)

    Diese Aussage finde ich persönlich ziemlich widerlich, aber sie erklärt natürlich eindrucksvoll, warum heute kaum noch jemand Arno Schmidt kennt...


    Publikum ist ja nicht gleich Publikum. Von welchem Publikum spricht Arno Schmidt? Es gibt ein verständiges und unverständiges, gebildetes oder ungebildetes, voreingenommenes oder unvoreingenommenes Publikum. Arno Schmidt redet vom "Volk" - die Aussage ist offenbar eine Kritik des Massen-Populismus - ein modernes Phänomen.


    Große Kunst ist letztlich die, welche sich ihr Publikum sucht und (irgendwann) auch findet, als irgend einem ephemeren Publikumsgeschmack nachzulaufen. Johann Sebastian Bachs bedeutendste Musik war nie populär - galt zu Lebzeiten bereits als veraltet (vor allem die Fugen, die ja heute so hoch geschätzt werden, als der Inbegriff von Bach gelten). Folgte man dem Publikumsgeschmack der Zeit, dann wäre sein Sohn Carl Philipp Emanuel Bach der größere und bedeutendere weil populäre Komponist.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mit der Sinfonie Nr.2 (1980) hat Penderecki seine Wende eingeleitet, die aus der avantgardistischen Sackgasse heraus, zu tonalen und geniessbaren Werken führte.
    Nicht das vorher einiges dabei wäre, was ich trotzdem schätze, aber ich gehöre zu den Musikhörern, die seine "Wende" ausdrücklich begrüssen !


    :angel: Heute habe ich mir intensiv die Sinfonien Nr.3 (1988-1995) und Nr.4 (1989) angehört und bin erneut "von den Socken".
    So ist das mit CD-Boxen: Dabei fiel mir auf, das ich zwar die CD´s aus der sehr guten Penderecki-Sinfonien-GA mit A.Wit/National Polnisches RSO (NAXOS) alle mal mehr oder weniger intensiv gehört habe, um mir ein Bild zu machen. Verinnerlicht und dauerhaft als hörenwert eingestuft hatte ich bisher nur die Sinfonie Nr.2.
    Heute muss ich sagen: Auch die Sinfonie Nr.3 gehört zu den essentiellen Sinfonien am Ende des 20.Jhd (dazu kann man im Penderecki-Sinfonien-Threaddie informativen Beiträge von Lutgra (Beitrag 3) und MSChenk (Beitrag 9) lesen, denen ich mich inhaltlich voll anschliessen möchte).


    Die Sinfonie Nr.4 ist ebenfalls ein wichtiges und zugängliches Werk, das als emotionales Gegenstück zu seiner Oper Die schwarze Maske 1989 von Maazel in Paris uraufgeführt wurde.


    Hier die NAXOS-GA mit den Sinfonien Nr.1-5,7,8 und anderen Orchesterwerken, die in einer Pappschachtel die Originalen Einzel-CD´s (mit Case) enthält (und natürlich weit preisgünstiger ist, als wenn man die 5 CD´s einzeln kauft):

    NAXOS, DDD


    Wie es aussieht sind meine Favoriten die Sinfonien Nr.2 - 4. An der Fünften kann ich, wie Lutgra, nicht den grossen Gefallen finden. Die Chorsinfonien Nr.7 und 8 mögen ja noch im Falle der 7ten ganz interessant sein, aber die Achte habe ich als recht langatmig in Erinnerung und nicht bis zum Ende durchgehalten; zumal ich Chorsinfonien ohnehin weniger schätze ... aber die drei Favoriten ... :thumbsup:

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es gibt von Beethoven ähnlich grobe Äußerungen, wenn sie auch nicht so allgemein formuliert waren wie Schmidts, sondern sich eher konkret darauf bezogen, dass das "Publikum" die Werke, die er für besonders gut hielt, nicht angemessen schätzte. Wie gesagt, werden die unterschiedlichen Ansprüche der an der Kulturproduktion Beteiligten, in dem Faust-Vorspiel sehr schön und witzig einander gegenübergestellt. Auch dort meint der Dichter, dass ihm beim Anblick der Masse (die der Direktor ins Theater locken will) der "Geist entflieht". Beides zeigt, dass das kein neues Phänomen, sondern mindestens 200 Jahre alt ist.


    Erschwerend kommt hinzu, dass die "Masse" im 20. Jhds. der Massenmedien oft eine sehr viel größere Masse bezeichnet als Beethovens Publikum in Wien 1820. Um die Masse, die man für einen erfolgreichen Hollywood-Blockbuster erreichen muss, zusammenzukriegen, darf man das Niveau nicht allzu hoch hängen. Aber die "gebildeten Stände" in Wien 1820, vermutlich selbst wenn man sehr großzügig zählt, nicht mehr als 20% der Bevölkerung, zogen Rossini Beethoven oder Schubert vor. Hätten die deswegen lieber a la Rossini komponieren sollen? (Schubert hat es in einigen Nebenwerken getan.) Mir ist ein einziges spätes Beethoven-Quartett oder Schuberts Trios oder Streichquintett weit wichtiger als das gesamte Oeuvre Rossinis... in jedem Falle hätte die Kunstwelt wohl kaum von Kompositionen Beethovens a la Rossini profitiert. Es gibt ja schon dutzendweise davon von Rossini selber!


    Selbst wenn man mit zB Schmidt oder Schönberg nichts anfangen kann, wäre doch kaum jemandem damit gedient, wenn Schmidt geschrieben hätte wie Simmel oder Schönberg wie Lehar. Es ist ja nicht so, dass wegen "Moses und Aron" die "Lustige Witwe" nicht mehr aufgeführt würde, oder wegen Schmidts 100. Geburtstag Simmels Bücher nicht mehr aufgelegt würden.
    Die Arroganz, die aus solchen Äußerungen wie Schmidts (o.ä.) spricht, mag man unangenehm finden, aber das ist kaum ein Alleinstellungsmerkmal dieser Künstler und letztlich doch irrelevant. Es besteht kein Zwang, deren Kunst überhaupt zu rezipieren, v.a. aber ist mir überhaupt nicht klar, inwiefern z.B. Schmidts Erfolg innerhalb eines relativ kleinen intellektuellen Publikums, dem Simmel-Publikum schaden sollte. Oder auch den Lesern, die zB Böll schätzen, denen Schmidt aber zu abgedreht ist. Es gibt doch ausreichend Böll zu lesen, was schadet der Schmidt?


    Von Schmidt, Beethoven oder Stockhausen zu verlangen, dass sie bitteschön so schreiben sollen wie Simmel, Rossini oder Lehar, scheint mir allerdings eine noch größere Arroganz als die, die aus Schmidts Äußerung spricht, mal ganz abgesehen davon, dass schwer vorstellbar ist, wie so ein Zwang praktisch umgesetzt werden sollte.

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  • Von Schmidt, Beethoven oder Stockhausen zu verlangen, dass sie bitteschön so schreiben sollen wie Simmel, Rossini oder Lehar, scheint mir allerdings eine noch größere Arroganz als die, die aus Schmidts Äußerung spricht, mal ganz abgesehen davon, dass schwer vorstellbar ist, wie so ein Zwang praktisch umgesetzt werden sollte.


    Das hat ja niemand ernsthaft verlangt, trotzdem kann man solche publikumsfeindlichen Äußerung von Künstlern ohne große Breitenwirkung halt nicht besonders ernst nehmen - wie es mir auch sehr schwer fällt, deine Äußerung, dass ein Streichquartett Beethovens mehr wert sein soll als Rossinis gesamtes Schaffen, wirklich ernst zu nehmen. Ich denke, nicht mal Beethoven selbst hätte das so gesehen. Für mich sprechen aus solchen Äußerungen ein pseudointellektueller Elitarismus, der mir persönlich so fremd ist, dass ich ihn nur ganz schwer ertragen kann.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Für mich sprechen aus solchen Äußerungen ein pseudointellektueller Elitarismus, der mir persönlich so fremd ist, dass ich ihn nur ganz schwer ertragen kann.


    Johannes hat aber schon Recht mit seinem Hinweis auf Goethe. Arno Schmidt geht es ja eigentlich um sein Selbstverständnis als Künstler - woran er sich als Maßstab orientiert. Schreibe ich populär und erfolgreich oder folge meinem ethischen Anspruch als Schriftsteller? Dieses Motiv ist auch nicht neu. Ein Sören Kierkegaard schreibt auch nicht besonders freundlich über die "Menge", die "Presse" u.sw. Das Ethische und Religiöse beginnt bei Kierkegaard gerade dort, wo man sich nicht mehr den Zwängen der Publikumswirksamkeit unterwirft. Insofern solche Kritik auf den Schriftsteller selber zielt, wie er sein Schaffen versteht, ist das auch nicht eigentlich nur "arrogant", sondern eine Form der Selbstkritik. (Kierkegaard haben in der Zeit des Expressionismus eigentlich so ziemlich alle gelesen.) Kunst darf ja nun wirklich einen ethischen Anspruch haben - und der bemißt sich nicht am Publikum. Unpopularität in Kauf zu nehmen, ist letztlich der ehrlichere aber auch schwerere Weg für einen Künstler.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Schreibe ich populär und erfolgreich oder folge meinem ethischen Anspruch als Schriftsteller?

    Was mich an dieser Diskussion stört, ist, dass so getan wird, als wenn sich das zwingend ausschließen muss - entweder sei man populär oder aber wertvoll. Ich halte dieses Entweder-Oder für Unsinn.



    Kunst darf ja nun wirklich einen ethischen Anspruch haben - und der bemißt sich nicht am Publikum.

    Natürlich darf Kunst einen Anspruch haben - aber an was soll sie sich sonst messen, wenn nicht am Publikum, also am Rezipienten? Nachdem die Verfechter des Regietheaters erklärt haben, dass das Werk die Aufführung sei, die es erst zum Leben erwecke, denn ohne die Aufführung sei es totes Papier, gilt ja wohl dann umgekehrt bei sämtlicher Kunst (z.B. Literatur) auch, dass entscheidend sein müsste, ob und wie die Kunst rezipiert wird. Eine Kunst, die von niemandem rezipiert wird, ist keine Kunst. Nicht nur die Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt, und so ist eben auch die Kunst letztlich für den Menschen da.



    Unpopularität in Kauf zu nehmen, ist letztlich der ehrlichere aber auch schwerere Weg für einen Künstler.

    Da ist dieses Entweder-oder Schon wieder. Was ehrlich ist, müsse unpopulär sein, was leicht wirkt, ist nicht schwer genug, was populär ist, könne nicht schwer genug, nicht gut genug, nicht ehrlich sein usw.


    Pardon, aber ich halte ein solches Weltbild für realitätsfern und werde meine Zeit nicht weiter damit vergeuden, hier über solche grundsätzlichen Dinge zu diskutieren.


    Dass meine Grundüberzeugung, dass Oper und klassische Musik für alle da sein müsse und nicht einer kleinen Elite vorbehalten sein solle, weil sie andernfalls nicht überlebt (und damit meine ich nicht die Elite), hier im Forum auf wenig Gegenliebe stößt, damit muss ich halt leben, trotzdem werde ich in diesen Grundsatzüberzeugungen in diesem Leben nicht mehr "umschwenken".

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dieser Arno Schmidt hatte es ja wirklich in sich. Einige weitere Zitate von ihm:


    "Das ist mein größter Einwand gegen Musik, dass Österreicher darin exzelliert haben."


    "Ich finde Niemanden, der so häufig recht hätte, wie ich!"


    "Alle Politiker, alle Generäle, alle irgendwie Herrschenden oder Befehlenden sind Schufte! Ohne Ausnahme! Alle!"


    Das lasse ich mal unkommentiert hier stehen. Spricht ja eigentlich schon für sich. :rolleyes:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das hat ja niemand ersthaft verlangt, trotzdem kann man solche publikumsfeindlichen Äußerung von Künstlern ohne große Breitenwirkung halt nicht besonders ernst nehmen - wie es mir auch sehr schwer fällt, deine Äußerung, dass ein Streichquartett Beethovens mehr wert sein soll als Rossinis gesamtes Schaffen, wirklich ernst zu nehmen. Ich denke, nicht mal Beethoven selbst hätte das so gesehen. Für mich sprechen aus solchen Äußerungen ein pseudointellektueller Elitarismus, der mir persönlich so fremd ist, dass ich ihn nur ganz schwer ertragen kann.


    Was Beethoven vs. Rossini betrifft ist das erstmal nur mein (allerdings ganz erst gemeinter) persönlicher Geschmack (ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Beethoven das ähnlich gesehen hätte; Rossinis Musik war ihm vermutlich musikalisch schlicht egal, er ärgerte sich nur darüber, dass Rossinis Popularität die zaghaften Versuche der deutschsprachigen Oper unterminierte)
    Vielleicht etwas anders formuliert: Wenn Beethoven (oder vielleicht plausibler: Schubert) im Versuch an Rossinis Popularität anzuknüpfen (mit einer Oper o.ä.), was er hätte machen sollen, wenn Alfred sein Ratgeber gewesen wäre, deswegen die 9. Sinfonie oder eines der späten Quartette nicht komponiert hätte, würde ich das vermutlich als einen riesigen Verlust betrachten.


    Das ist aber nicht der Punkt. Wie gesagt, will niemand Rossini oder Lehar oder Dan Brown verbieten (o.k., das war jetzt unter der Gürtellinie, der Abstand von Dan Brown zu Lehar ist ungefähr so wie Lehar zu Beethoven...). Es geht aber auch nicht an, pauschal "pseudointellektuellen Elitarismus" zu unterstellen, wenn man dafür eintritt, dass ein Künstler "seinem Ideal" folgt, oft auch unter persönlichen und/oder wirtschaftlichen Opfern. Es mag Fälle geben, wo das tatsächlich "pseudo"-Gehabe ist, aber auch solche, in denen epochemachende Kunstwerke nicht entstanden wären, wenn Künstler sich stattdessen nach dem Massengeschmack gerichtet hätten.
    Natürlich gibt es auch Fälle, in denen das ganz gut kompatibel ist. Ich stimme zu, dass es falsch ist, dass sich das notwendig ausschlösse.
    Aber wer sind wir denn, dass wir Beethoven oder Arno Schmidt vorschreiben können, welchem Ideal sie folgen? Wenn die Kunst, die sie "in sich haben", eben eine ist, die nicht auf Popularität zielt, dann ist das eben so. Und das ist erstmal unabhängig davon, ob so ein Künstler obendrein ein "Großmogul" oder ein arrogantes A...ch ist. Für mich ist sehr einleuchtend, dass ein Künstler auf einem "einsamen" Weg oft ein Selbstbewusstsein oder gar eine Monomanie entwickeln muss, die sich nach außen als Arroganz äußern kann. Wieder: es folgt natürlich nicht, dass jeder mit arrogantem Gehabe, der meint, ein Genie zu sein, auch eines ist und auch nicht, dass so mancher "Jünger" eines hermetischen Künstlers nicht eher als Trittbrettfahrer einzuordnen ist.


    Aber der "inverse Elitarismus", dem alles, was nicht populär (oder bewusst schwierig und unpopulär) scheint, aus diesem Grunde verdächtig ist, die Arroganz des "kleinen Mannes" oder "gesunden Menschenverstands", der alles ablehnt, was über seinen engen Horizont geht, ist mir ähnlich zuwider wie übertriebene Verehrung solcher Künstler.

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    (Bob Dylan)

  • Was mich an dieser Diskussion stört, ist, dass so getan wird, als wenn sich das zwingend ausschließen muss - entweder sei man populär oder aber wertvoll. Ich halte dieses Entweder-Oder für Unsinn.

    Das ist für meinen Geschmack kurzschlüssig gedacht. Die eigentliche Frage liegt davor: Wie kommt es zu diesem "Entweder-Oder" - dem "Ethischen" nach Kierkegaard, sich für oder gegen etwas zu entscheiden? Man muß einfach konstatieren, dass sich die Stellung des Künstlers ändert, wenn sich auch das Publikum ändert, wenn es zu einem Massenpublikum wird. Nietzsche schreibt bezeichnend "Unzeitgemäße Betrachtungen". Der Künstler oder Philosoph gibt sich "unzeitgemäß", weil er unter der Gegenwart leidet, einem bestimmten kulturellen Verfall, der mit dem Massengeschmack verbunden ist. Er will sozusagen nicht mehr mit dieser Masse mitschwimmen. Und Nietzsche ist - bei aller Übertreibung seiner Karrikatur - nicht nur boshaft, wenn er dem Wagner-Publikum Geschmacklosigkeit vorhält. Da ist doch etwas dran. Das gebildete Publikum, das die subtilen Späße eines Joseph Haydn verstehen konnte, hatte in dieser Hinsicht sicher weit mehr guten Geschmack und Bildung als die Wagnerianer, die um 1970 und 1880 nach Bayreuth gepilgert sind. Bei Ferruccio Busoni findet sich auch eine radikale Kritik der Musik- und Aufführungskulter, die er als ziemlich elendig ablehnt. Nicht zuletzt gibt es bei Martin Heidegger die berühmte Analyse des durchschnittlichen "Man" in Sein und Zeit, wo all das noch einmal verdichtet wird. Dass der Künstler sein "Ethos" gegen den herrschenden Publikumsgeschmack behaupten muß, hat sehr "reale" Gründe, wo es wenig Sinn macht, sie zu verleugnen. Wenn es diese Verödung des Massengeschmacks nicht gäbe, dann freilich brauchte es eines solchen "Entweder-Oder" nicht.



    Natürlich darf Kunst einen Anspruch haben - aber an was soll sie sich sonst messen, wenn nicht am Publikum, also am Rezipienten?

    Schon die Romantiker haben das ganz anders gesehen. Die Kunst und der Künstler definiert die Ansprüche für das Publikum und nicht umgekehrt. Dahinter steht letztlich auch die humanistische Tradition der "Verfeinerung der Sinne" (von Herder bis Kandinsky und Stockhausen), wo der Kunst ein Bildungsanspruch in Bezug auf die Menschheit zugesprochen wird, die eben nicht in dem miserablen Zustand, in dem sie exiostiert, bleiben soll. Schon Johann Sebastian Bach hat diesen Anspruch erhoben - die Auftraggeber, die gemurrt haben, sollten bei seinen Messen seine hohen künstlerischen Ansprüche respektieren. Wo sie es nicht tun wollten, hat er sich mit seinem Künstlerethos durchgesetzt.



    Eine Kunst, die von niemandem rezipiert wird, ist keine Kunst. Nicht nur die Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt, und so ist eben auch die Kunst letztlich für den Menschen da.

    Das ist ein Konstrukt. Es geht um eine Kunst, die nicht von jedem rezipiert wird. Es gibt genügend Beispiele von populärer Kunst, die im Laufe der Geschichte unpopulär wird und umgekehrt höchst unpopulärer, die höchste Popularität erlangt. Es gab Zeiten, da spielte jeder Pianist von Rang (sogar Michelangeli!) Cesar Francks "Symphonische Variationen". Dieses einst so beliebte Stück ist heute vom Konzertpodium so gut wie verschwunden. Und wer hat z.B. von Schuberts Klaviersonaten etwas wissen wollen? Bis Arthur Schnabel hatten die überhaupt keinerlei Publikum. Selbst ein Sergei Rachmaninow kannte sie nicht einmal! Zu behaupten, Kunst sei nur Kunst, wenn sie rezipiert wird - das ist für mich "Unsinn"!



    Da ist dieses Entweder-oder Schon wieder. Was ehrlich ist, müsse unpopulär sein, was leicht wirkt, ist nicht schwer genug, was populär ist, könne nicht schwer genug, nicht gut genug, nicht ehrlich sein usw.


    Pardon, aber ich halte ein solches Weltbild für realitätsfern und werde meine Zeit nicht weiter damit vergeuden, hier über solche grundsätzlichen Dinge zu diskutieren.

    Populismus ist der Zwang, um jeden Preis populär sein zu müssen. Wenn man z.B. sich anhört, wie Schlagersänger reden, dann ist ihr größtes Leiden, nicht populär sein, keinen "Hit" in den Charts landen zu können. Das ist "Realität" - und eine ziemlich fragwürdige. Das kann man ja nun wirklich nicht ausblenden.



    Dass meine Grundüberzeugung, dass Oper und klassische Musik für alle da sein müsse und nicht einer kleinen Elite vorbehalten sein solle, weil die andernfalls nicht überlebt, hier im Forum auf wenig Gegenliebe stößt, damit muss ich halt leben, trotzdem werde ich in diesen Grundsatzüberzeugungen in diesem Leben nicht mehr "umschwenken".

    Richtig! Potentiell ist klassische Musik für alle da. Nur wenn man faktisch betont "unelitär" sein will, Klassik für alle haben will, dann landet man bei dem Niveau von David Garrett, der Mozarts Requiem zum Pop-Schlager verhunzt. Klassische Musik ist notwendig elitär wie jede gute Kunst, denn sie setzt ein engagiertes Publikum voraus, das mehr will als den bloßen Konsum. Letzteren gibt es immer leicht und für alle.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nur wenn man faktisch betont "unelitär" sein will, Klassik für alle haben will, dann landet man bei dem Niveau von David Garrett, der Mozarts Requiem zum Pop-Schlager verhunzt.


    Allein diese Antwort, die die Idee von Klassik für alle, also etwa flächendeckende und finanziell leicht erschwingliche Sinfoniekonzertangebote (und diese Orchesterlandschaft gibt es ja in Deutschland NOCH) mit den angeführten Beispielen gleichzusetzen, zeigt mir einmal mehr, wie sinnlos diese Diskussion ist. Deshalb werde ich sie auch nicht weiterführen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Allein diese Antwort, die die Idee von Klassik für alle, also etwa flächendeckende und finanziell leicht erschwingliche Sinfoniekonzertabgebote (und diese Orchesterlandschaft gibt es ja in Deutschland NOCH) mit den angeführten Beispielen gleichzusetzen, zeigt mir einmal mehr, wie sinnlos diese Diskussion ist.


    Wenn Du unter Klassik für alle verstehst, dass es ein Angebot gibt beispielsweise in Form einer (subventionierten) flächendeckenden und finanziell leicht erschwinglichen Orchesterlandschaft, dann glaube ich zu verstehen, dass Du diese Diskussion als sinnlos empfindest. Aber so wie ich das alles bisher gelesen habe, geht es darum eben überhaupt nicht. Die Rede war doch nicht von der leichten Zugänglichkeit im Sinne von ins Konzert gehen können, ohne dafür zu große Opfer an Zeit oder Geld bringen zu müssen, sondern davon, inwiefern bzw. für welches Publikum die Kunst verständlich zu sein hat. Da gibt es natürlich Zusammenhänge, aber ich würde diese beiden Aspekte argumentativ doch auseinanderhalten.

  • Holger mag etwas übertrieben haben, aber im Grunde ist das doch nur das Argument der Popularität zu Ende gedacht: Wenn es v.a. auf Popularität ankommt (bzw. Unpopularität möglichst zu vermeiden ist), dann geht die Tendenz zu Garrett und Rieu. Garrett war ein klassisches Wunderkind, erlitt dann mit Anfang 20 einen Karriereknick und hat für sich selbst sicher sehr rational entschieden, dass er als Popgeiger eine attraktivere Karriere hat als am zweitletzten Pult eines soliden Provinzorchesters (oder sogar am ersten eines Rundfunkorchesters, jeder kennt Garrett, aber kaum einer weiß, wer Konzertmeister beim NDR-Orchester ist (ich jedenfalls nicht)).
    D.h. wenn wir meinen (und da sind wir uns im Forum wohl alle einig), dass es nicht nur oder hauptsächlich "leichte Muse" geben sollte, sondern dass wünschenswert ist, dass auch mal Beethovensinfonien und Wagner-Opern gespielt werden, obwohl "Phantom der Oper" weit populärer ist als "Tristan", dann haben uns doch schon dazu bekannt, dass Popularität zweitrangig ist! Und wenn wir soweit einig sind, sehe ich nicht so recht, worüber Dissens besteht.


    Und noch einmal, worin genau besteht das Problem einzelner, bewusst hermetischer Künstler wie Stockhausen oder Arno Schmidt? Schmidt nimmt doch Böll, Simmel oder Dan Brown keine Auflage weg. Klar, wenn das Orchester Stockhausen spielt, kann es nicht gleichzeitig Mozart spielen. Aber es besteht doch keine ernste Gefahr, dass zu viel Stockhausen oder Widmann (um mal jemand Lebenden zu nennen) zulasten von Mozart gespielt wird. (Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein, aber zumindest bei Alfred verspüre ich immer einen Unterton in so eine Richtung. Dass potentielle Klassikhörer verscheucht werden, weil auch mal ein modernes Stück im Konzert auftaucht, halte ich für eine Ente. Potentielle, unerfahrene Hörer sind oft weit aufgeschlossener als solche, denen nach 50 Jahren Klassikhörens Le Sacre immer noch "zu modern" ist.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • inwiefern bzw. für welches Publikum die Kunst verständlich zu sein hat. Da gibt es natürlich Zusammenhänge, aber ich würde diese beiden Aspekte argumentativ doch auseinanderhalten.


    Wenn ich hier bei der Elite-Fraktion tendenziell immer wieder lese, dass die Kunst je größer je unpopulärer zu sein hat, dann sind diese Aspekte eben nicht argumentativ auseinanderzuhalten.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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