KLEBE, Giselher Wolfgang: FIGARO LÄSST SICH SCHEIDEN

  • Giselher Wolfgang Klebe (1925-2009):


    FIGARO LÄSST SICH SCHEIDEN
    Oper in drei Akten mit neun Bildern - Libretto vom Komponisten und Lore Klebe nach Ödön von Horvaths Komödie


    Uraufführung am 28. Juni 1963 in der Hamburgischen Staatsoper


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Graf Almaviva, Bariton
    Gräfin Rosina, seine Frau, Sopran
    Figaro, Kammerdiener des Grafen, Bariton
    Susanna, seine Frau und Kammerzofe der Gräfin, Sopran
    Ein Offizier, Tenor *
    Ein Arzt, Bass °
    Vier Grenzbeamte, Bässe
    Der Forstadjunkt, Tenor *
    Die Hebamme, Mezzosopran
    Der Hauptlehrer, Bass °
    Antonio, Susannas Onkel und ehemaliger Schlossgärtner, Bass °
    Fanchette, seine Tochter, Sopran
    Pedrillo, ihr Ehemann, ehemaliger Reitknecht des Grafen, Bass-Bariton
    Ein Wachtmeister, Bass °
    Cherubin, ehemaliger Page des Grafen, Tenor
    Ein Gast, Bass
    Der Kommissar, Bass
    Carlos und Maurizio, Findelkinder, Sprechrollen
    Die Wache, ein Trommler, stumme Rollen
    Die mit * und ° gekennzeichneten Rollen können jeweils mit einem Darsteller besetzt werden


    Das Stück spielt einige Jahre nach der Hochzeit des Figaro während einer Revolution, anzunehmen der französischen, doch kann die Handlung auch im Kontext der NS-Zeit inszeniert werden.



    ERSTER AKT


    Erstes Bild: Ein Grenzwald in stockdunkler Nacht.


    Vier Menschen sind auf der Flucht vor Revolutionswirren im Wald unterwegs: Es sind Graf und Gräfin Almaviva sowie ihre Bediensteten Figaro und Susanna. Die Gräfin ist am Ende ihrer Kräfte, möchte sich einen Moment ausruhen, doch Figaro drängt zur Eile, denn die Grenze und damit die Freiheit ist nahe. Der Graf nimmt die Probleme seiner Frau nicht wahr, er kann nur an den Umsturz denken: Die Majestät ermordet, die Adligen vertrieben, viele ermordet, ihre Güter ausgeraubt und in Brand gesteckt, Adelsprivilegien abgeschafft, und Kirchen zerstört. Die größte Absurdität ist aber, dass die Revolutionäre postulieren, alle Menschen seien gleich, was nur ein krankes Hirn erdacht haben kann! Ein Graf und ein Lakai sind niemals gleich! Das widerspricht göttlichem Gesetz und wird keinen Bestand haben!


    Das gräfliche Lamento kontrapunktiert Figaro mit erstaunlichen Bemerkungen: War er nicht bisher der „hoch- und hochwohlgeborene Herr Graf, oberster Erb-, Lohn- und Gerichtsherr“? Sind das nicht schon „der Verbrechen“ genug? Solche Töne von seinem Kammerdiener müssten den Grafen eigentlich explodieren lassen - doch er reagiert nicht. Hat er es nicht gehört oder wollte er nicht hören, was sein Kammerdiener da sagte?


    Ein Schuss in nächster Nähe lässt alle zusammenzucken und einen Moment stille verharren, ehe sie von Figaro weiter getrieben werden. Da sieht Susanna plötzlich durch die Bäume ein Licht, und alle blicken in die von ihr gewiesene Richtung: Das muss die Grenze sein!


    Zweites Bild: Grenzstation.


    Vier Grenzbeamte sind anwesend: Zwei spielen Schach, einer döst auf der Pritsche vor sich hin. Der Vierte, der Älteste, liest aus einem Dekret vor, das wegen der Unruhen beim staatlichen Nachbarn eine Grenzverstärkung ankündigt. Die Regierung will weder unerwünschte Elemente noch Irrlehren im Lande haben. Der Beamte legt, weil die Kollegen offensichtlich uninteressiert sind, das Dekret in die Ablage.


    Munter werden sie jedoch beim Eintritt des Offiziers: Alle salutieren und der Älteste meldet die Inhaftierung von vier Personen, zwei Männern und zwei Frauen, die ohne Legitimationen über die Grenze kamen. Der Offizier verlangt die vier Personen sofort zu verhören, doch kommt der Beamte nur mit den beiden Männern zurück; eine der Frauen, eine Gräfin, sei zusammengebrochen und die andere, ihre Kammerzofe, sei deshalb bei ihr geblieben, erklärt der Grenzer. Der Offizier befiehlt, sofort einen Arzt zu holen. Nur keinen Ärger mit seinen Vorgesetzten einhandeln, mag er gedacht haben.


    Zunächst muss sich der Graf dem Verhör unterziehen. Er nennt Namen und Stand, beantwortet die Frage nach seinem Beruf mit „Groß-Corregidor, diplomatischer Gesandter in Lissabon, London und Rom“ im Dienste seines ermordeten Königs. Dann beschwert er sich, ohne weitere Fragen des Offiziers aufkommen zu lassen, über die ihm, seiner Frau und den Bediensteten erwiesene schlechte Behandlung. Personen ohne Ausweispapiere, antwortet der Offizier höflich, aber bestimmt, müssen sich dieser Prozedur unterziehen; sollte aber eine Notsituation nachgewiesen und anerkannt werden, haben er und seine Begleitung nichts zu befürchten. Almaviva hält es für nötig, jetzt seinen Trumpf auszuspielen, denn der könnte das Verfahren abkürzen: Er gibt an, dass der Herr Unterstaatssekretär dieses Landes zu seinen Freunden zählt, und seine Angaben ganz sicher bestätigen werde. Das will der Offizier in die Wege leiten und erlaubt dem Grafen dann, zu seiner Frau zu gehen.


    Jetzt ist Figaro an der Reihe: Auch er nennt seinen Namen, gibt seinen Beruf mit Kammerdiener an, kann aber weder Eltern, noch den Tag seiner Geburt nennen, weil er ein Findelkind ist. Verwundert starrt der Offizier auf Figaro, der aber ist noch längst nicht fertig ist: Aufgewachsen bei Zigeunern, konnte er Jahre später fliehen, und hat beruflich alles mögliche ausprobiert: er hat als Journalist und Kellner, als Politiker, Spieler und Barbier gearbeitet. Als er dann in gräflichen Dienst trat, änderte sich sein Leben grundlegend, denn er verliebte sich in die Kammerzofe der Gräfin, die auch in ihn, und sie heirateten.


    In diesem Moment unterbricht der herbeigerufene Arzt das Verhör und der Offizier begibt sich mit ihm sofort zur Gräfin. Das nutzen die Grenzbeamten aus, um sich bei Figaro aus erster Hand über die Unruhen „drüben“ zu informieren: Ist es richtig, was in den Zeitungen steht, fragt einer? Ach was, alles halb so schlimm, sagt Figaro leichthin; man muss nur übersehen, dass die Adligen vertrieben, zum Teil auch erschlagen und ihre Paläste in Brand gesteckt werden. Kopfschütteln bei den Grenzbeamten: Da sieht man mal wieder, wie die hiesigen Gazetten übertreiben! Ein anderer will wissen, ob der Bericht über die Einführung der „freien Liebe“ stimme, was Figaro bestätigt. Was ist dann aber mit den Kindern? Figaros Antwort verblüfft: Das muss die Allgemeinheit regeln! Die Grenzer sehen sich erst erstaunt an und wünschen sich dann feixend diese „Reform“ auch für ihr Land!


    Figaro will gerade in den Arrest gehen, als Susanna auf die Szene tritt und ihm erzählt, dass Frau Gräfin sich verfolgt fühle. Das kann nicht sein, meint er, hier herrscht Ruhe und Ordnung. Dann bringt er Susanna mit einem Vorwurf aus dem Gleichgewicht: Sie hätten nicht fliehen sollen, ihnen wäre nichts geschehen, was sie an ihrer Verwandtschaft - Antonio, dessen Tochter Fanchette und deren Mann Pedrillo - sehen könne. Und er selber wäre jetzt sicher Schlossverwalter. Susanna fragt empört, warum er das nicht vor der Flucht gesagt habe, jetzt mache er ihr Vorwürfe, die sie nicht akzeptiert. Sie lässt Figaro einfach stehen und geht davon. Einer der Grenzer wundert sich über Susannas Reaktion und Figaro sagt achselzuckend, seine Frau sei eben ein „Mensch mit Herz“.


    Interludio primo.


    Drittes Bild: Drei Monate später.


    Die Almavivas haben sich mit Figaro und Susanna im noblen Hotel eines mondänen Winterkurortes in den Bergen einquartiert. Es wird zwar nicht explizit erwähnt, aber man kann annehmen, dass der Herr Unterstaatssekretär für die Freilassung der Flüchtlinge gesorgt hat. Allerdings bleibt die Frage offen, woher das Geld für das luxuriöse Leben stammt: Konten die Hochwohlgeborenen den Familienschmuck über die Grenze schmuggeln? Oder hat der Herr Graf hier ein geheimes und gut gefülltes Bankkonto? Man könnte auch daran denken, dass der Aufenthalt der vier Personen aus dem Reptilienfonds der Regierung bezahlt wird. Diese Problematik ist, wie sich noch zeigen wird, durchaus von Bedeutung:


    Susanna hat die Gräfin überredet, auf der Eisbahn ihrer alten Passion, dem Schlittschuhlaufen, zu frönen. Währenddessen ist der Graf mal wieder im Spielkasino. Mit Figaro setzt sich Susanna in bereitstehende Liegestühle, um die Herrin zu beobachten. Unvermittelt sagt Susanna zu Figaro, dass sie sich Sorgen um die Zukunft macht: Wie lange können sich die Herrschaften den aufwändigen Lebensstil noch leisten? Figaros Antwort verblüfft Susanna, denn er gibt zu, darüber schon lange nachgedacht und auch bereits eine Lösung gefunden zu haben: Er hat aus einer Zeitungsanzeige vom anstehenden Verkauf eines „bestrenommierten Frisiersalons“ in Großhadersdorf erfahren, und will sich dort selbstständig machen. Die notwendigen Investitionen soll der Graf durch Zahlung einer Abfindung ermöglichen - das Tänzchen will er wagen!


    Susanna ist klar bei der Sache und erinnert Figaro daran, dass er vor der Hochzeit, ihren Wunsch nach einem Kind abgelehnt habe, weil es angesichts ihres prekären Dienstes, nämlich jederzeit den Fußtritt von den Herrschaften bekommen zu können, verbiete, ein Kind in die Welt zu setzen. Sie hat das damals eingesehen. Jetzt aber, eine gesicherte Existenz vor Augen, sollten sie noch einmal ernsthaft darüber reden. Figaro ist nur kurz verblüfft, lehnt aber ihren Kinderwunsch wieder ab, denn man muss erst sehen, wie „der Hase läuft“. Susanna ist enttäuscht, und fragt, ob sie jemals das Wort „Mutter“ hören werde.


    Graf Almaviva kommt aus dem Kasino und Figaro versucht sofort, dem Hochwohlgeborenen durch langsames Herantasten sein Vorhaben schmackhaft zu machen. Susanna dauert sein Lavieren viel zu lange und platzt mit der Wahrheit heraus: Figaro will kündigen und wieder als Friseur arbeiten. Nun gut, meint der Graf, wer nicht bei ihm bleiben will, kann jederzeit gehen. In diesem Moment kommt die Gräfin von der Eisbahn und wundert sich, dass ihr Gatte schon aus dem Kasino zurück ist; sie fragt ihn, was er „denn heute verloren“ habe und bekommt eine überraschende, und sie erschreckende Antwort: „Figaro und Susanna.“


    Interludio secondo.


    Viertes Bild: Friseursalon in Großhadersdorf.


    Ein Jahr später ist Figaros Friseursalon in Großhadersdorf fest etabliert, die Bürger haben nicht nur seine Frisierkunst, sondern auch seine Art, mit Kunden umzugehen, schätzen gelernt. Offen bleibt allerdings die Frage, ob Figaros Selbstständigkeit tatsächlich mit einer Abfindung der Almavivas ermöglicht wurde, wie es sein Plan (man erinnere sich an seine Bemerkungen gegenüber Susanna im dritten Bild) vorsah.


    Der Blick in den Salon an diesem Mittag macht eines klar: Susanna hat sich von ihrem Mann in das Friseurhandwerk einarbeiten lassen und ermöglicht ihm den täglichen Mittagsschlaf. Gerade hat sie einen Forstadjunkten als Kunden, der sie mit anzüglichen Fragen und Bemerkungen nervt. Vor allen Dingen ärgert sie sich, dass sie ihm verraten hat, wo sie mit Figaro den Silvesterabend feiern wird, nämlich beim Postwirt. Susannas bemüht ruhige Art stachelt seine Begierde an und es gelingt ihm schließlich, sie zu packen und zu küssen. Zwar kann sich losreißen und das Rasiermesser abwehrend gegen ihn richten, doch er kann es ihr ohne Mühe aus der Hand schlagen, sie in die Ecke drängen und erneut küssen. Genauso plötzlich lässt er von ihr ab, worauf Susanna eilig zur Kasse geht und ihn auffordert zu zahlen und zu verschwinden. Nach seinem Weggang steht sie schwer atmend und wie geistesabwesend an der Kasse.


    Susanna bleibt keine Zeit, sich zu beruhigen, denn eine Hebamme betritt den Laden und will sich die Haare ondulieren lassen. Sie klagt über ihren nervenaufreibenden Job, denn in Großhadersdorf geht der Storch wie wild um: „Wenn das so weitergeht, wird Großhadersdorf Weltstadt!“ Dann lenkt sie das Gespräch auf die familiären Verhältnisse im Hause Figaro, will wissen, wann sie geheiratet hat, und was mit Nachwuchs ist. Susanna sagt, dass sie seit sieben Jahren verheiratet ist, aber noch kein Kind hat, weil ihr Mann keines haben will. Die Hebamme wiegt bedenklich den Kopf und beweist, dass sie abergläubisch ist: Die sieben ist eine verflixte Zahl, sie muss aufpassen! Was aber ihren Kinderwunsch angeht, empfiehlt sie ihr das „das Ei des Kolumbus“ als Lösung: Sie soll ihrem Mann vorflunkern, dass sie schwanger sei; das wäre nur eine „Vorwegnahme der Folgen“ mit der Aussicht auf Erfolg. Susanna geht nicht auf den Ratschlag ein, wirkt aber nachdenklich, während sie der Hebamme den Spiegel hinhält. Die besieht sich von allen Seiten, nickt zufrieden, und geht nach dem Bezahlen eilig hinaus.


    Figaro hat seinen Mittagsschlaf beendet und kommt noch etwas schläfrig in den Laden. Er meckert sofort mit Susanna über die Unordnung im Geschäft, und beklagt dann ihr Unverständnis, jedem Kunden das Gefühl zu geben, der wichtigste zu sein. Das aber sei die Grundlage des geschäftlichen Erfolgs. Susanna ist zunächst sprachlos, dann wehrt sie sich mit allen möglichen Argumenten gegen seine Beschwerden und lässt schließlich aus lauter Frust eine Bemerkung fallen, die Figaro erstaunt aufnimmt: „Es stimmt nicht mehr zwischen uns!“ Ehe er seine Sprache wiedergefunden hat, kommt die Hebamme zurück, weil sie ihre Tasche vergessen hat. Trotz ihrer Eile fragt sie Figaro, ob er von seiner Frau schon die „Überraschung“ erfahren habe; Susanna kommt Figaros Antwort zuvor und sagt, dass sie noch keine Zeit gefunden habe, mit ihm über das Thema zu reden. Die Hebamme tritt zu Figaro und flüstert ihm etwas ins Ohr, dann gratuliert sie ihm laut und verlässt das Geschäft.


    Figaro ist verblüfft, holt tief Luft, und will wissen, ob er sich verhört hat oder ob es Wahrheit sei. Empört fragt sie, ob er glaube, dass sie ihn betrogen habe. Nein, das natürlich nicht, aber für ihn ist es ein Unglück - er will sein Kind nicht im Kriege fallen sehen! Er sieht nur den Ausweg, mit der Hebamme zu reden, die ganz sicherlich einen Rat geben kann. Susanna regt sich immer mehr auf, und sagt ihm schließlich auf den Kopf zu, dass sie ihn belogen habe. Figaro schnappt nach Luft, ja, er wirkt irgendwie enttäuscht. Susanna aber redet sich immer mehr in Rage, lässt kein gutes Haar an seinen Ansichten und läuft schließlich weinend hinaus. Währenddessen ist der Großhadersdorfer Hauptlehrer eingetreten und hört dem Streit erstaunt zu. Auf seine Frage, was sie habe, bekommt er die lakonische Antwort: „Launen!“


    Fünftes Bild: Ein billig möbliertes Zimmer in einer fremden Stadt.


    Die Almavivas sind auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Existenz angekommen. Nichts ist mehr übrig vom Glanz ihrer einstigen Herrschaft. Die Gräfin sitzt in einem Lehnstuhl und liest in einem Buch. Sie ist jetzt schneeweiß, aber immer noch schön; der Graf, in abgewetzter Kleidung, ist um Haltung bemüht. Plötzlich sagt er, dass sich ihre Lage bestimmt ändern werde: Er wartet auf Post von der Redaktion, der er seine Memoiren angeboten hat, und von dem Honorar gedenkt er die Schulden zu begleichen. Als der Postbote tatsächlich zwei Briefe abgibt, einen für ihn, den anderen für die Gräfin, muss er eine herbe Enttäuschung hinnehmen: Es ist nämlich eine höflich formulierte Absage der Redaktion, die an der Veröffentlichung seiner Memoiren nicht interessiert ist. Natürlich ist er enttäuscht, lässt seiner Frau aber keine Zeit zum Nachfragen, sondern will stattdessen wissen, wer ihr geschrieben hat. Susanna, sagt sie, sie fragt an, ob sie wieder als Kammerzofe bei ihr dienen kann. Warum denn, fragt er. Sie ist von Figaro enttäuscht, weil er sich zum Nachteil verändert hat und will sich von ihm trennen. Für den Grafen steht fest, dass Susanna Sehnsucht nach der guten, alten Zeit hat. Die Gräfin bietet ihrem Gatten das wenige Geld, das sie noch besitzt, und empfiehlt ihm den Gang ins Café, Zerstreuung zu suchen. Nach seinem Weggang nimmt sie sich Papier und Schreibstift, überlegt kurz, und schreibt, Susanna solle bei Figaro bleiben, denn eine Frau gehöre zu ihrem Mann...



    ZWEITER AKT


    Sechstes Bild: Das Schloss des Grafen Almaviva.


    Antonio, der alte Schlossgärtner, und Pedrillo, sein Schwiegersohn und ehemaliger Reitknecht, jetzt Schlossverwalter, sitzen vor dem Portal in der Sonne. Pedrillo liest aus der Zeitung vor, dass es dem Land gut gehe, besser als in vielen anderen Ländern. Das findet Antonio lachhaft: Bei ihm und vielen anderen Menschen ist jedenfalls nichts angekommen. Pedrillo protestiert energisch: Wäre er nicht sein Schwiegervater, würde er ihn vor das Revolutionstribunal zerren. Doch Antonio lässt sich nicht beirren: Zu Zeiten der Almavivas ging es allen besser! Pedrillo ringt nach Luft: Dass er den Unhold, der jedem Rock hinterherhechelte, auch noch verteidigt, ist eine Schande. Hat er Susannas Nöte schon vergessen? Und diese beiden - Susanna und Figaro - haben dem abgehalfterten Paar auch noch bei der Flucht geholfen! Antonio antwortet auf Pedrillos Suada mit Altersmilde: Wären wir Grafen gewesen, hätten wir nicht anders gehandelt.


    Zitat aus dem Libretto: In diesem Moment muss durch ein sichtbares oder hörbares Ereignis der neue Charakter des Schlosses, nämlich der eines Kinderheimes, kenntlich gemacht werden. Das kann (…) geschehen, indem Kinder lachend oder schreiend vorbeilaufen; sie spielen mit einem Ball, der Antonio trifft (...)


    Antonio schimpft, doch Pedrillo sagt, hier wachse ein gestähltes Geschlecht heran, dass eine gute Zukunft hat. Antonio meint sarkastisch, sein „gestähltes Geschlecht“ klaue Äpfel aus dem Garten. Er sei ein boshafter Nihilist, antwortet Pedrillo, und Antonio gibt seinem Schwiegersohn Saures: Er ist der blödeste aller Schlossverwalter! Bevor sich Pedrillo revanchieren kann, kommt seine Frau Fanchette angerannt und berichtet außer Atem, dass sie gerade einen alten Bekannten gesehen habe, unglaublich, aber wahr: Figaro. Pedrillo schnappt nach Luft und schimpft sich dann seinen Ärger von der Seele: Das kann doch nicht wahr sein, dass dieser elende Emigrant zurückkommt!


    Als Figaro trällernd um die Ecke kommt und alle freundlich begrüßt, ist Pedrillo immer noch außer sich und kündigt an, sofort die Wache zu holen und ihn verhaften zu lassen. Fanchette rät Figaro nach Pedrillos Abgang, sofort das Weite zu suchen, denn ihr Mann sei von den Ideen der Revolution überzeugt und verteidige sie bis zum Letzten. Figaro aber denkt nicht daran - er bleibt.


    Pedrillo kommt mit der Wache zurück und erlebt ein unerwartetes Desaster: Als der Wachtmeister Figaro nämlich verhaften will, zieht der ein Dokument aus der Tasche und gibt es ihm zu lesen. Der Blick des Wachtmeisters geht vom Schreiben zurück auf Figaro, dann wieder auf das Papier - es wirkt, als müsse er überlegen, was zu tun sei. Dann lässt er seine Untergebenen stramm stehen und das Gewehr präsentieren. Figaro hat derweil Pedrillo das Dokument zu lesen gegeben und der reißt entsetzt die Augen auf: Er ist als Schlossverwalter ab- und Figaro als sein Nachfolger eingesetzt! Fanchette glaubt, als sie den Inhalt des Dokumentes erfährt, in einem falschen Film zu sein, ahnt finanzielle Probleme auf sie zukommen und schimpft über „Ungerechtigkeiten des Lebens“. Nur Antonio wirkt zufrieden und meint lapidar: „Höchste Zeit!“


    Pedrillo ist mit dem Thema noch nicht fertig: Was, so fragt er, hat er getan, dass ihm diese Schande angetan wird? Figaro gibt ihm die Antwort leise, damit es die Wache nicht hört: Er hat betrogen, hat aus achtundvierzig Kindern konstant vierundachtzig gemacht, und dass er jetzt nicht verhaftet wird, solle er ihm anrechnen. Der Wachtmeister hat wirklich nichts gehört, fühlt sich vor Ort überflüssig und befiehlt den sofortigen Abmarsch.


    Fanchette hat sich wieder gefangen und fragt nach Susanna. Figaro antwortet freimütig, dass sie geschieden seien, weil sie ihn mit einem Forstadjunkten betrogen habe. (Der Zuschauer darf diesen Scheidungsgrund gerne anzweifeln!) Jetzt meldet sich Pedrillo zu Wort: Er muss der Realität ins Auge sehen, und das geht nur im Wirtshaus. Trotz Fanchettes Protest verschwindet er um die Ecke.


    Siebtes Bild: Cherubins Nachtcafé in einer Stadt des Nachbarlandes.


    Cherubin, der frühere Page und Mädchenschwarm im Grafenschloss, hat ein Emigranten-Café eröffnet, in dem sich Susanna als Kellnerin ihre Brötchen verdient. Während sie gerade die Tische mit Blumenschmuck eindeckt, erfährt sie von ihrem Chef, dass er eine Canzone gedichtet und vertont habe. Weil es von einer unerfüllten Liebe handelt, möchte er es gerne „Susanna“ betiteln. Doch Susanna lehnt ab: Ihr Name ist kein Titel und sie ist nur ein Nichts!


    Cherubin wechselt das Thema und fragt sie, ob sie weiß, dass ER heute aus dem Gefängnis frei komme. Ja, das weiß sie, und sie weiß sogar, dass der Herr Graf heute hierher kommen werde. Das lässt Cherubins Gedanken rotieren: Sollte etwa an den Gerüchten etwas dran sein? Er fragt Susanna, ob sie etwas mit dem Grafen hatte. Entrüstet weist sie das als eine Verleumdung zurück. Cherubin insistiert weiter: Es wird behauptet, dass die Gräfin aus Kummer über das Verhältnis zwischen ihr und dem Grafen gestorben sei. Susanna ringt nach Atem und wird laut: Die Gräfin starb an einem grippalen Infekt, sie hatte kein amouröses Abenteuer mit dem Grafen! Außerdem hat sie immer nur Figaro geliebt, und liebe ihn auch heute noch, kann ihm aber nicht verzeihen, dass er sie nicht zur Mutter gemacht hat. Nach dieser „Basta“-Rede lässt sie Cherubin stehen und verschwindet in die Küche. Dort sitzt Graf Almaviva und lässt es sich schmecken.


    Das Nachtcafé hat sich inzwischen gefüllt; eine Combo spielt einen Tango, zu dem Gäste tanzen. Als die Combo eine Pause macht, trägt Cherubin seinen Gästen die neue Canzone vor. Plötzlich kommt ein Polizeikommissar und erkundigt sich leise bei Susanna nach dem Chef; sie weist mit der Hand auf den Sänger, worauf der Kommissar sich geduldig wartend an die Seite stellt. Sofort nach dem Vortrag geht er zu Cherubin, und erklärt ihm, auf Susanna zeigend, dass er „die staatenlose Kellnerin“ zu entlassen habe, weil ihre Arbeitserlaubnis längst abgelaufen sei. Bei Nichtbeachtung wird sein Lokal geschlossen und die Konzession entzogen. Cherubins Einwand, er könne doch die Arme nicht einfach auf die Straße setzen, prallt an dem Kommissar ab: Gesetz ist Gesetz, die einzelne Person spielt keine Rolle.


    Während dieses Gesprächs ist der Graf mit einem leeren Cognac-Glas in der Hand aus der Küche gekommen, hat zunächst, von den anderen unbeobachtet, zugehört, und mischt sich jetzt erregt ein: Immer diese abstrusen Gesetze, die nichts anderes wollen, als die Menschen zu gängeln. Nur mit Mühe können Cherubin und Susanna den Kommissar beschwichtigen: Er möge doch, bitte, dem leicht angetrunkenen Mann, dem Grafen Almaviva, den Ausfall nachsehen. Plötzlich aber beginnt der Graf zu taumeln, lässt sein Glas fallen und bricht auf dem bereitgestellten Stuhl zusammen. Der Kommissar nimmt des Grafen Brieftasche an sich, blättert in den Papieren und sieht, dass er einen entlassenen Sträfling vor sich hat. Als der Graf wieder zu sich kommt, gibt ihm der Kommissar die Brieftasche zurück und rät ihm, nach Hause zu gehen. Susanna aber bestellt er für den nächsten Tag in sein Büro und macht ihr mit der Bemerkung, dass es vielleicht doch noch einen Aufschub gebe, wieder Hoffnung. Der Graf aber überlegt laut, wo sein Zuhause ist. Er geht dann mit Cherubin und dem Kommissar hinaus.


    Nachdem sich das Lokal geleert hat, äußert Susanna, dass sie auf keinen Fall ins Kommissariat gehen werde, weil ihr an einem Aufschub nichts liegt. Da ist nämlich ein Brief, den sie schon seit zwei Wochen mit sich herumträgt; er ist von Figaro, der ihr schreibt, dass sie zu ihm kommen soll: Er ist Schlossverwalter geworden, fühlt sich aber ohne sie einsam, und macht sich Vorwürfe. Bevor der Vorhang fällt, fragt sich Susanna, woher Figaro wohl ihre Adresse hat...


    Achtes Bild: Im nächtlichen Grenzwald, wie in der ersten Szene.


    Susanna und der Graf haben sich auf den Weg in die Heimat gemacht. Sie erinnern sich an damals, als sie zu viert durch die Dunkelheit tappten, als plötzlich, wie heute, ein Gewitter aufkam. Der Graf überlegt laut, wie man ihn in der Heimat empfangen wird und fragt sie, ob Figaro über ihr Kommen informiert sei. Susanna verneint und beide gehen schweigend durch die Finsternis. Plötzlich bleibt er stehen und äußert sich, in Selbstmitleid zerfließend: Figaro ist Schlossverwalter - und was ist er? Ein Nichts, das man in der Heimat nicht mehr sehen will. Was soll er also dort? Das Beste ist, er sucht hier im Wald den Tod! Susanna ist weiter gegangen, ihre Antwort kommt von weiter weg: Er ist verrückt, solle endlich weiter gehen! Plötzlich fordert eine Stimme den Grafen auf, stehen zu bleiben: Ein Grenzwächter mit Gewehr im Anschlag fragt nach seinem Namen und verhaftet ihn, als er den Namen „Graf Almaviva“ hört.


    Neuntes Bild: Auf dem Schloss des Grafen Almaviva.


    Fanchette ist gerade mit Näharbeiten beschäftigt, als Figaro hinzukommt und sich nach der Post erkundigt. Fanchette gibt ihm einige Briefe, die er durchsieht, aber irgendwie enttäuscht wirkend beiseite legt. Der Wachtmeister tritt auf und meldet, dass man einen Mann verhaftet habe, der heimlich über die Grenze kam und behauptet, Graf Almaviva zu sein. Figaro reagiert verblüfft und will, als er hört, der Mann sei arretiert worden, sofort zu ihm gebracht werden. Der Wachtmeister salutiert und beide gehen eilig ab.


    Von der anderen Seite her kommt Pedrillo in höchster Eile auf Fanchette zu und erzählt ihr, dass der „hochwohlgeborene Unhold“ wieder im Land sei. Mit dem Zyniker, der sein Weib vergewaltigt hat, werde er ein Wörtchen reden. Fanchette ahnt Unheil; sie bittet Pedrillo, die alten Geschichten ruhen zu lassen. Das ist jedoch für ihn keine Option. Fanchette holt tief Luft und gibt zu, dass sie ihn mit der Vergewaltigung belogen habe. Pedrillo glaubt, sich verhört zu haben: Keine Vergewaltigung? Da gerät ja seine festgefügte Meinung über den Grafen ins Wanken. Die neue Situation muss er im Wirtshaus überdenken. Schüchtern fragt Fanchette ihn, ob er sich nun scheiden lassen will, doch von solchen „Scherereien“ will Pedrillo nichts wissen. Während sie ihn um Verzeihung bittet, geht er davon und sie ruft ihm nach, dass er sie nicht mehr liebe.


    Figaro kommt mit dem Wachtmeister aus dem Arrest zurück; bei sich hat er noch die Findelkinder Carlos und Maurizio. Aus dem Gespräch der beiden geht hervor, dass Figaro die Freilassung des Grafen wünscht, der Wachtmeister jedoch davor zurückschreckt. Offensichtlich betrachtet er das als Überschreitung seiner Kompetenzen; Figaro wiederholt aber immer wieder, er nähme das auf seine Kappe. Letztlich gibt der Wachtmeister nach und geht mit einer erneuten Ehrenbezeugung davon. Es ist, als hätten die Kinder nur darauf gewartet, mit Figaro allein zu sein, denn Carlos zupft seinem Idol Figaro am Rock und will bestätigt haben, dass der Graf als politischer Verbrecher erschossen gehöre. Maurizio mischt sich lispelnd ein: Der Herr Lehrer hat gesagt, der Tod sei keine richtige Strafe, weil er den Verbrecher zu schnell erlöse; die einzig richtige, weil schlimmere Strafe sei das lebenslange Zuchthaus. Figaro ist entsetzt und sagt, er werde dem Lehrer mal eine Privatlektion in Humor geben. Und sie beide sollten sofort das Politisieren lassen, lieber Fensterscheiben einwerfen. Das hätte er besser nicht gesagt!


    Carlos und Maurizio gehen nach Figaros Standpauke geknickt ab - dafür kommt plötzlich Susanna um die Ecke und Figaro reibt sich erstaunt die Augen. Als er sich gefangen hat, fragt er, warum sie ihm nie geantwortet habe. Susanna geht nicht ernsthaft auf seine Frage ein, sondern kommt sofort zur Sache: Sie hat gehört, dass der Graf verhaftet sei, und sie möchte, dass Figaro ihn beschützt. Sie fühlt sich schuldig, weil er nur durch ihre Überredungskunst in die Heimat zurückgekehrt sei. Dass Figaro nicht helfen kann, kommt Susanna nicht in den Sinn; auch sein Versuch, ihr seine Ohnmacht im Rechtssystem zu erklären, misslingt. Sie schilt ihn kaltschnäuzig, wirft ihm eine unveränderte arrogante Haltung vor, er hat sich nicht verändert. Das sieht der Gescholtene ganz anders: Er hat sich positiv verändert und kann sich sogar eine gemeinsame Zukunft vorstellen. Überraschend schnell stimmt Susanna, mit Figaro duettierend, zu: „Mit dir glaub' ich an die Zukunft zusammen.“


    Das kurze Finale beginnt mit dem Klirren von Fensterscheiben - immer und immer wieder. Antonio kommt, schwer in Rage, angerannt und schreit Figaro entnervt an. Seine Erwartung, die Kinder jetzt bestraft zu sehen, erfüllt sich aber nicht: Figaro sagt nämlich, dass er den Rackern die Erlaubnis erteilt habe - wenn sie dafür das Politisieren lassen. Antonio ist außer sich, wird aber durch das plötzliche Auftreten des Grafen an einer weiteren Schimpfkanonade gehindert. Almaviva sieht zwar gepflegt aus, wirkt aber müde. Antonio begrüßt den Hochwohlgeborenen mit der früher üblichen tiefen Verbeugung - er ist von dem unerwarteten Wiedersehen offensichtlich überwältigt. Auch der Graf freut sich, seinen alten Gärtner („bei guter Gesundheit“ hoffentlich) wiederzusehen (täuscht der Eindruck oder rinnt Almaviva tatsächlich eine Träne aus dem Auge?).


    Der Graf wendet er sich an Figaro und fragt ihn, ob er wirklich frei sei und in seinem alten Zimmer wohnen könne. Und beide Male sagt Figaro nicht nur ja, sondern fügt hinzu, dass jetzt der Sieg der Revolution vollständig sei, denn sie hat es nicht mehr nötig, die Menschen in die Keller zu sperren! Susanna ist etwas skeptischer, sie sieht in der Revolution „ein schwaches Licht in der Finsternis“. Das kurze, achttaktige Schlusssextett zieht eine auf Hoffnung gründende Bilanz des Geschehens:

    So wollen wir hoffen, dass kein noch so starker Sturm es auslöschen kann!



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    „Figaro lässt sich scheiden“, Giselher Klebes fünfte Oper, entstand als Auftragskomposition der Hamburgischen Staatsoper (Intendant damals Rolf Liebermann), und wurde am 28. Juni 1963, dem 38. Geburtstag des Komponisten, unter Leitung von Leopold Ludwig uraufgeführt. 1984 unterzog der Komponist die Oper einer Revision; es entstanden ein neues Vorspiel, eine zusätzliche Figaro-Arie im 1.Akt sowie ein neuer Schluss des Werkes.


    Der Komponist hat sich selber zur Entstehungsgeschichte geäußert:


    Im Dezember 1961 gab mir Rolf Liebermann den Auftrag, für die Hamburgische Staatsoper und ihr Ensemble eine Oper zu schreiben. Mit meinen schon bestehenden Plänen, mich mit dem „Figaro-Stoff“ zu beschäftigen, begegnete sich die Anregung Oscar Fritz Schuhs, dem ich hierfür großen Dank schulde, als Libretto Ödön von Horváths 1937 uraufgeführte Komödie „Figaro lässt sich scheiden“ zu verwenden. Meine Arbeit begann am 12. Juli 1962 und war am 11. April 1963 abgeschlossen.


    Immer haben mich zur Wahl meiner Libretti besonders die Aktualität eines Stoffes oder auch einzelne dramatische Situationen bestimmt, die mir auch losgelöst von der Handlung als zeitlos gültig erschienen. Verdeutlichen kann ich dies vielleicht mit dem Hinweis auf zwei Sätze, die sich im Vorwort Horváths zur ersten Ausgabe seines Stückes finden und die ich fast wörtlich als Schlusssätze in die Oper übernahm: „Die Menschlichkeit ist von keinen Gewittern begleitet, sie ist nur ein schwaches Licht in der Finsternis. So wollen wir hoffen, dass kein noch so starker Sturm es auslöschen kann.“


    Meinem Gefühl am nächsten standen die Hauptpersonen der Handlung und die Verknüpfung ihrer Schicksale: Figaro und Susanna, der Graf und die Gräfin, Pedrillo und Fanchette - wobei Pedrillo und Fanchette wohl bei Beaumarchais, nicht aber unter diesem Namen bei Mozart vorkommen. Den Mut, einen neuen „Figaro“ zu schreiben, fand ich letztlich aus der Erkenntnis heraus, dass die Konflikte der traditionellen Personen sehr weitgehend nicht mit denjenigen der Libretti von Mozart und Rossini identisch sind, sondern heute noch mehr als unsere eigenen verstanden werden können.


    In der Musik habe ich mich bemüht, meinem Ideal: der italienischen Nummernoper mit ihrem Wechsel von Ensembles und Arien, also dem absoluten Primat des Gesanges, noch näher zu kommen. Die Begleitung durch das Orchester ist an der Zwölftontechnik orientiert, strebt jedoch innerhalb dieser Technik nach einer neu differenzierten Harmonik.


    Die Kritik reagierte uneinheitlich auf dieses Werk des Schönberg-Adepten. Beispielsweise verriss DER SPIEGEL die Aufführung: Der (ungenannte) Autor fand die Musik Klebes „im Parlando-Stil“ dahinplätschernd, und durch die Zwölftontechnik einer Komödie nicht gerecht werdend. In der vorherrschenden „Rezitativ-Öde“ gebe es aber, wenn auch viel zu wenige, „karikierend-satirische Episoden, so ein Mozart-Zitat, eine Rossini-Parodie, einen zaghaft-sinnlichen Bar-Tango und eine Zwölfton-Schnulze mit Altsaxophon, gestopfter Trompete, Cembalo und Harmonium“.


    Josef Müller-Marein urteilte in der „ZEIT“ wesentlich freundlicher: Wenngleich das Publikum nicht zu „Beifallsstürmen“ hingerissen wurde, konnte es immerhin durch Klebes klare Partitur jedes Wort verstehen. In dem Beitrag werden die Gesangssolisten erwähnt: Mathieu Ahlersmeyer sang den Grafen, und Klara Ebers die Gräfin. Toni Blankenheim, ein beklemmend guter Schauspieler-Sänger, gab den spießigen Kleinstadt-Friseur, und Melitta Muszely eine zwar frustrierte, aber immer noch energische Susanna. Eine Karikatur einstiger Quirligkeit ist der fettleibig gewordene Cherubin, der von Arturo Sergi dargestellt wurde.


    Der zum „biederen Revoluzzer“ mutierte Reitknecht Pedrillo (der bei Beaumarchais vorkommt, bei Mozart nicht) ist Peter Roth-Ehrang auf den Leib geschrieben, und seine Frau Fanchette, von Ria Urban als sympathisches Wesen gegeben, waren weitere Stützen in dem harmonischen Gesamtensemble.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2015
    unter Hinzuziehung des Klavierauszuges von Bote & Bock
    sowie DER SPIEGEL und DIE ZEIT

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    MUSIKWANDERER

  • "Figaro lässt sich scheiden" ist als Gesamtaufnahme bisher nicht dokumentiert worden. Der Tamino-Werbepartner Amazon hat in seinem Angebot allerdings zwei Einzel-CDs aus der Reihe „Musik in Deutschland 1950-2000“. Darin werden Auszüge u.a. auch aus Klebes Oper vorgestellt:


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    MUSIKWANDERER

  • Lieber musikwanderer,


    schön, dass Du Dich dieser Oper angenommen hast. Auf der CD "Musikalische Komödien" findet sich ein größerer Ausschnitt aus der Hamburger Produktion, die offenbar ein gutes halbes Jahr nach der Uraufführung entstanden ist. Sie hat sich auch als Gesamtaufnahme erhalten, ist allerdings nie auf Tonträger gelangt, wie Du schon vermerkt hast. Zufällig habe die diese Aufnahme. Interessant ist, dass die Besetzung Sänger verzeichnet, die auch Erfahrungen mit dem Mozartschen "Figaro" haben.


    Giselher Klebe
    FIGARO LÄSST SICH SCHEIDEN


    Graf Almaviva MATHIEU AHLERSMEYER
    Gräfin CLARA EBERS
    Susanne MELITTA MUSZELY
    Figaro TONI BLANKENHEIM
    Forstadjunkt KURT MARSCHNER
    Pedrillo, ehemaliger Reitknecht PETER ROTH-EHRANG
    Franchette, seine Frau RIA URBAN
    Cherubin ARTUR SERGI
    Antonio KARL OTTO
    Kommissar SIEGMUND ROTH
    Hebamme MARIA VON ILOSVAY
    Offizier JÜRGEN FÖRSTER
    Vier Grenzbeamte GEORG MUND, ERICH ZIMMERMANN,
    WERNER MALAMBRÉ, PHILIPP ESSINGER
    Arzt ALFRED FISCHER
    Hauptlehrer HANS-ERICH DÜWEL
    Findelkinder RALPH PUERSCHEL


    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
    Dirigent ALBERT BITTNER


    Staatsoper Hamburg, 10. Januar 1964

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe "Figaro lässt dich scheiden" in der Spielzeit 2000/2001 in Neustrelitz gesehen und war sehr angetan.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"