Trommeln vor der Tür

  • Der Artikel im Spiegel heute: Was ist eure Meinung?

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Der Artiikel im Spiegel heute: Was ist eure Meinung?


    Lieber Klaus,


    das ist eine ziemlich kryptische Threaderöffnung. Vielleicht hättest du kurz zusammenfassend wiedergeben können, worum es überhaupt geht. Und welchen "Spiegel" meinst du an einem Dienstag (da hast den Thead eröffnet) mit "heute"???? Dienstags erscheint der "Spiegel" nicht. Heißt das, du hast in der aktuellen Print-Ausgabe des "Spiegel", die bereits zwei Tage früher erschienen ist, etwas über "Trommeln vor der Tür" gelesen und meinst mit "heute", dass du es an diesem Tag gerade erstmals gelesen hast?


    Oder hast du den Artikel aus "Spiegel online"? Dort sind ja tatsächlich täglich neue Artikel zu finden, also auch am Dienstag, als du den Thread eröffnetest.


    Fragen über Fragen und worum es geht, weiß ich immer noch nicht. Lange zu recherchieren habe ich aber keine Lust, obwohl ich dir möglicherweise - vielleicht ist dein "Trommeln"-Thema ja interessant - gerne geantwortet hätte. ^^


    Da wäre ein Link hilfreich gewesen. :untertauch:


    Grüße
    Garaguly

  • Ok, dann noch mal neu: Am Dienstag las ich in der aktuellen Print-Spiegel-Ausgabe (Daher kein Link möglich) den Artikel mit diesem Titel. Ich war irgendwie davon ausgegangen, dass hier im Forum etliche Spiegel Abonnenten dabei wären (Komisch, dass nicht).
    Dieser Artikel beschäftigt sich über mehrere Seiten mit der Zukunft der klassischen Musik und ihrer Zukunftsaussichten. Ich war davon ausgegangen, dass jeder Forianer, der diesen Text gelesen hat, sich hier darüber austauschen wolle, geht es doch um unser ureigenes Thema. Es geht um Aufführungspraxis, um die Zukunft der CD, um den Sinn neuer Einspielungen und vieles andere mehr.


    Tja, ein Schuss ins Blaue trifft halt manchmal nicht.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Jetzt, wo du mir diese Hinweise gibst, werde ich den - mir bisher entgangenen - Artikel in der aktuellen Ausgabe suchen (bin nämlich ein SPIEGEL-Abonnent 8-) - allerdings ein zunehmend genervter - ich ertrage schon länger die typische SPIEGEL-Schreibe nur noch schwer und inhaltlich - naja, da schwankt das Bild des Blattes in meiner Gunst recht heftig hin und her).


    Wenn ich's gelesen habe, werde ich dir antworten.


    Grüße
    Garaguly

  • So, gelesen!


    Da ich heute milde-vatertäglich gestimmt bin, blicke ich zunächst mal optimistisch in die Zukunft. Wenn sich die Darreichungsformen von klassischer Musik auch verändern werden, solange die Musik selbst überlebt, ist alles gut. Dass mein heute dreineinhalbjähriger Sohn auch noch CD's kaufen wird wie sein Vater, halte ich für ausgeschlossen, obwohl ihm natürlich diese Tonträger-Art nie fremd sein wird, da er umstellt von tausenden von (Klassik-)CD's aufwächst (zur Zeit steht er übrigens total auf die EMI-Low-Price-Serie "Nipper" - aber nicht wegen der Musik, sondern wegen des Hundes, der vor dem Grammophon-Trichter sitzt. Also gucken wir uns oft die "Nipper"-Cover an :yes:). Jede Zeit sucht sich ihre eigene Form der Präsentation von Musik, sei es im Konzert, sei es zum Hören zu Hause oder unterwegs. Was für meine Jugend die Musikassette im Walkman war, ist für die heutige Jugend der iPod - und da liegen gerade mal 25 bis 30 Jahre dazwischen, nicht hundert!! Der Walkman mit Kassette von 1986 ist für 15jährige heute wahrscheinlich genauso "oldschool" wie ein Trichter-Grammophon von 1912.


    Was mir viel größere Sorgen bereitet (jetzt muss ich doch den Pessimisten, der ich eigentlich bin, rauslassen), ist, dass der Klassik-Nachwuchs trotz neuer Präsentationsformen von Musik nicht nachwachsen kann, wenn der klassischen Musik in der Gesellschaft immer weniger Wertschätzung entgegengebracht wird. Der Musikunterricht in der Schule wird stundenmäßig heruntergefahren oder ganz abgeschafft, zumal er auch inhaltlich die Klassik zwar behandelt, aber sich eben auch noch anderen Musikarten widmen muss - und das bei maximal 2 (!!!!) Stunden Musikunterricht pro Woche mit endgültiger Abwahlmöglichkeit des Faches in der gymnasialen Oberstufe.
    Vorbilder in der Gesellschaft, die die Zuneigung zur Klassik vorleben würden, gibt es auch nicht mehr, Eltern, die zu Hause Klassik laufen lassen, werden auch seltener. Der Rundfunk macht in Sachen Klassik auch einen immer schlankeren Fuß, im Fernsehen ist Klassik nahezu tot. Und im Internet muss man die Klassikangebote halt anwählen, d.h. man muss sie wollen. Aber wie soll jemand, der noch nie mit Klassik in Berührung gekommen ist, wissen, dass er Klassik überhaupt wollen könnte????
    Das ist das Problem. Unsere Gesellschaft vernachlässigt in gnadenlosem Kulturrelativismus und ebenso gnadenloser Rendite-Orientierung die Hochkultur immer mehr.
    Wie willst du einen Menschen, der die ersten 20 Jahre seines Lebens nur Musikstücke von 3 - 5 Minuten Dauer konsumiert hat, überhaupt dazu bringen, plötzlich einer 80-minütigen Mahlersinfonie zu lauschen: nicht nur, dass die Musik für ihn total fremdartig ist, sie ist auch noch so verdammt lang ... wie soll man denn so lange zuhören können???????
    Die ganze Sache mit der Klassik krankt von den Wurzeln her, die sind schwach, werden nicht begossen, was dann irendwann zur Vertrocknung führt - Streaming hin, CD her.


    Grüße
    Garaguly

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  • Ich fand das schon recht schön zu lesen, dass man mit anderen Darreichungsformen wohl doch auch Leute anders erreichen kann. Sollen sie doch auf dem Boden sitzen, das schadet nicht. Ich habe ja schon ein paar mal hier erwähnt, dass in Holland das Publikum ein ganz anderes ist, auch schon mal im Blaumann ankommt. Man klatscht zwischen den Sätzen, in den Pausen gibt es hauptsächlich Bier. Immer wieder gibt es irgendwelchen Spökes, auch mal Freibier. Mir gefällt das gut, und ich sehe dort eine ganze Menge jüngerer Leute. Die gesetzten schicken Leute scheint es nicht zu stören.
    Früher hat doch auch Bernstein diese Sachen für Kinder gemacht. So was gibt es bestimmt auch in heutig.
    Gut, CDs werden die alle nicht kaufen, diese Industrie liegt wohl im Sterben, da ich aber sowie glaube, dass Live-Musik wertvoller ist, kann ich da auch gut mit leben. Vielleicht kommt diese Musik dann doch auch wieder ein wenig mehr in die Gesellschaft, raus aus der elitären Ecke.


    Aber eine ganz andere Frage ist natürlich, wie ein Forum wie dieses hier, mit diesen Änderungen umgeht. Das finde ich spannend.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • raus aus der elitären Ecke.


    Warum die klassische Musik aus der elitären Ecke herauskommen soll, wenn sie überwiegend LIVE dargeboten wird, nach dem Tod der Industrie, ist mir schleierhaft. So schön das LIVE-Erlebnis auch ist, es wird immer ein de facto exklusives Ereignis bleiben - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Der Zugang zum direkt miterlebten LIVE-Konzert ist alleine schon aus Platzgründen beschränkt; ich dachte immer, die massenhafte Verfügbarkeit der Klassik auf Tonträgern, abspielbar an nahezu jedem gewünschten Ort, unabhängig von hochkultureller Infrastruktur, ständig wiederholbar, beschränkbar auf die "Lieblingsstellen" sei der wahre Garant für die Entelitarisierung der Klassik gewesen. Erst die technische Entwicklung (Stereophonie, Digitalisierung, erschwingliche Abspieltechniken, hervorragender Klang auch von der Tonkonserve) hat doch die Hörerzahlen in die Höhe schießen lassen. Ich glaube nicht, dass es 1910 soviele Klassikhörer gab wie - sagen wir zum Beispiel - 1990. Diese Steigerung hing natürlich nicht nur von der technischen Entwicklung ab, diese spielte aber eine bedeutende Rolle.


    Grüße
    Garaguly

  • Weil sie gemacht wird. Gemacht von Menschen, die man kennt. Jugendorchester. So etwas lebt nämlich auch wieder auf. Die Hälfte der Konzerte, die ich in den letzten Jahren gehört habe, waren Laien- oder Jugendorchester. Das war nicht auf höchstem Niveau verfeinert, aber es war sehr echt, sehr engagiert. Und im Publikum saßen die Freunde der Musiker.
    Die Musik muss wieder bei den Menschen ankommen, und das tut sie, wenn sie erlebbar ist, bzw. wird.
    Außerdem muss heute eben alles Event sein. Also wird die Klassik eben auch Event.
    Ein schönes Beispiel ist m.E. die Night of the Proms. Da hören sich Leute Klassik an, von denen man das nie gedacht hat, die das von sich selbst nie gedacht haben.
    Konserven funktionieren nach meiner Erfahrung nur dann, wenn man es auch schon in Echt erlebt hat.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Zitat

    sondern wegen des Hundes, der vor dem Grammophon-Trichter sitzt


    Jetzt weiß ich auch woher ich den Avatar von lutgra kenne

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Konserven funktionieren nach meiner Erfahrung nur dann, wenn man es auch schon in Echt erlebt hat.


    Das möchte ich bestreiten. Mein bester Zeuge in dieser Causa bin dann ich selbst :D . Mein erstes klassisches Konzert erlebte ich im Herbst 1986 in der 'Alten Oper' in Frankfurt (Brahms 1. Klavierkonzert mit Gerhard Oppitz und Cesar Francks d-Moll-Sinfonie, alles gespielt vom Belgischen Nationalorchester unter Mendi Rodan). Aber zu diesem Zeitpunkt hörte ich bereits seit zwei Jahren Klassik von der Schallplatte und auch das Brahms-Konzert war mir bereits recht gut bekannt. Wahrscheinlich bin ich damals in dieses Konzert gegangen, weil ich Brahms' 1. Kk kannte und es nun auch mal LIVE hören wollte. Ich ging nämlich früher nicht gerne in Konzerte, deren Werke ich mir nicht bereits zuvor zu Hause angehört hatte. Du siehst also: Bei mir funktioniert(e) es genau anders herum als von dir behauptet.


    Und ich wage nun die Behauptung, dass es bestimmt auch viele Menschen gibt, die das so ähnlich sehen wie ich. Und deine Position wird wiederum auch von einer Vielzahl von Leuten geteilt werden - so kommt am Ende wieder kein eindeutiges Bild heraus.


    Mit den Jugendorchesterkonzerten, die du so lobst, kann ich gar nichts anfangen. Ich hätte keine Lust zu so einer Veranstaltung zu gehen - außer vielleicht eines meiner Kinder würde mal in so einem Orchester mitspielen. Dann tät ich's aber aus elterlicher Liebe und Zuneigung und nicht primär um Mozart, Bartok oder Ligeti zu genießen.


    Außerdem: So viele Events, wie du sie forderst, kann es gar nicht geben, um die Klassik breitenwirksam "unter's Volk zu bringen". Die Konserve, ob nun gestreamt oder von der Vinyl-Schallplatte, muss, glaube ich, da sein. Was machen in Zeiten zunehmenden Kulturkahlschlags die Leute, die abseits der großen 'eventträchtigen' Metropolen wohnen? Nur die, die in den Metropolen leben, haben Chancen auf Eventerlebnisse. All die übrigen sind quasi gezwungen auf irgendein anderes Medium zur Musikvermittlung zurückzugreifen. Oder sie fahren halt alle Jubeljahre mal in die nächste Stadt, um etwas Derartiges zu erleben. Aber befriedigt einen das? Zwei Konzerte im Jahr mit jeweils 80 Kilometern Anfahrtsweg? Was macht man in der Zwischenzeit? Vom nächsten Konzert in fünf Monaten träumen?


    Na, ich weiß nicht .... :S


    Grüße
    Garaguly

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  • Das möchte ich bestreiten. Mein bester Zeuge in dieser Causa bin dann ich selbst . Mein erstes klassisches Konzert erlebte ich im Herbst 1986 in der 'Alten Oper' in Frankfurt (Brahms 1. Klavierkonzert mit Gerhard Oppitz und Cesar Francks d-Moll-Sinfonie, alles gespielt vom Belgischen Nationalorchester unter Mendi Rodan). Aber zu diesem Zeitpunkt hörte ich bereits seit zwei Jahren Klassik von der Schallplatte und auch das Brahms-Konzert war mir bereits recht gut bekannt. Wahrscheinlich bin ich damals in dieses Konzert gegangen, weil ich Brahms' 1. Kk kannte und es nun auch mal LIVE hören wollte. Ich ging nämlich früher nicht gerne in Konzerte, deren Werke ich mir nicht bereits zuvor zu Hause angehört hatte. Du siehst also: Bei mir funktioniert(e) es genau anders herum als von dir behauptet.


    Und ich wage nun die Behauptung, dass es bestimmt auch viele Menschen gibt, die das so ähnlich sehen wie ich. Und deine Position wird wiederum auch von einer Vielzahl von Leuten geteilt werden - so kommt am Ende wieder kein eindeutiges Bild heraus.


    Ich kann diese Erfahrung bestätigen. Mein erster Zugang zur Klassik lief über Schallplatten und Radio sowie Fernsehübertragungen von den Bayreuther Festspielen. Die ersten Konzert- und Opernbesuche erfolgten erst Jahre später und waren lange Zeit auch sehr begrenzt.


    In Zeiten des Internet ist der Zugang zu klassischer Musik noch viel einfacher geworden als damals, vieles ist sogar kostenlos zu bekommen, wenn man es denn sucht. Genau da sehe auch ich das Problem: irgendwie muss das Interesse an klassischer Musik einmal geweckt worden sein. Das kann per Zufall geschehen, zum Beispiel durch Filmmusik, durch die auch ich des öfteren auf mir bis dahin unbekannte Werke aufmerksam wurde. Aber dies ersetzt sicher nicht die Heranführung an klassische Musik durch Schule und Elternhaus. Mit dem Musikunterricht war es nach meiner Erfahrung übrigens auch früher nicht viel besser bestellt als heute: ich hatte während meiner Zeit auf dem Gymnasium viele Jahre überhaupt keinen Musikunterricht, weil es immer nur einen Lehrer für diese Fach gab, der offenbar nicht alle Jahrgänge unterrichten konnte und zudem auch noch öfter aus Krankheitsgründen ausfiel. Immerhin habe ich dann in der Oberstufe wichtige Anregungen erfahren durch Analysen einiger symphonischer Werke, denen ich mangels theoretischer Vorkenntnisse kaum folgen konnte, die jedoch mein Interesse an diesen Werken geweckt haben. Dies führte dann zu den ersten Plattenkäufen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Wie willst du einen Menschen, der die ersten 20 Jahre seines Lebens nur Musikstücke von 3 - 5 Minuten Dauer konsumiert hat, überhaupt dazu bringen, plötzlich einer 80-minütigen Mahlersinfonie zu lauschen: nicht nur, dass die Musik für ihn total fremdartig ist, sie ist auch noch so verdammt lang ... wie soll man denn so lange zuhören können???????


    Also ich bin mit diesen drei- bis fünfminütigen Popmusik-Stückchen aufgewachsen und habe trotzdem zur Klassik gefunden. Und das war sicher nicht der Musiklehrer, der mich dazu gebracht hat. Den hatte ich zwar, den mochte ich auch, bei dem war ich sogar einige Zeit im Schulchor, aber die Musik, die wir da gesungen haben (Schütz, Bach usw.), hat mir zu der Zeit eher nicht gefallen. Tatsächlich hat mich die damalige Rockmusik erzogen zuzuhören, denn auch dort gab es anspruchsvollere Stücke, die länger waren als 3-5 Minuten. "Sgt. Peppers" von den Beatles dauert fast eine Stunde und das haben wir nur komplett gehört. Alben von Pink Floyd, Yes, Genesis etc dito.
    Die klassische Musik muß man einfach selbst für sich entdecken und es gab nie mehr niederschwelligere Angebote als heute. Von der Filmmusik zu "Star Wars" zu Gustavs Holst "Planeten" ist es ein Katzensprung. Man muß nur springen wollen. Mein Eindruck ist, dass obwohl fast alle Menschen irgendeine Musik hören, der Mehrzahl es relativ egal ist, was genau sie hören und deshalb hören sie das, was die anderen um sie herum hören. Also z.B. das, was in den Hitparaden gedudelt wird oder was die Peer-Group hört.
    Sich musikalisch zu "distinguieren", sei es im Popmusikbereich, im Jazz oder eben in der Klassik, scheint nur einer Minderheit wirklich ein Bedürfnis zu sein.
    Was wirklich traurig ist, ist, dass es vermutlich noch nie in der Musikgeschichte eine derart große Zahl an hochbegabten und -befähigten jungen Musikern gab wie heute und das ihre Altersgenossen das überhaupt nicht mitbekommen. Man stelle sich vor, Deutschland hätte die besten Fußballspieler der Welt und keiner wüsste davon. ;(

  • Zitat von Garaguly

    Der Musikunterricht in der Schule wird stundenmäßig heruntergefahren oder ganz abgeschafft, zumal er auch inhaltlich die Klassik zwar behandelt, aber sich eben auch noch anderen Musikarten widmen muss - und das bei maximal 2 (!!!!) Stunden Musikunterricht pro Woche mit endgültiger Abwahlmöglichkeit des Faches in der gymnasialen Oberstufe.

    Wäre zu meiner Schulzeit der Musikunterricht nicht Pflicht gewesen, wäre ich wohl nie an die klassischen Musik geraten. Mein an sich sehr liebes Ersatzelternhaus hatte dafür kein Verständnis. Aber, wie ich bereits mehrmals berichtet habe, wusste uns ein sehr engagierter Musiklehrer mit primitivsten Mitteln (einem Klavier, über das die Schule verfügte, und seiner und der Stimme eines mit ihm befreundeten Amateursängers aus dem Ort) die Begeisterung für die Klassik beizubringen. Im Musikunterricht wurde damals nur das deutsche Liedgut und die Klassik unterrichtet. Pop-Bands, auf die heute sehr viel Zeit verwendet wird, gab es zu der Zeit in den Schulen nicht.
    Heute rangiert in den Schulen der Musikunterricht an letzter Stelle, meist mit anderen Richtungen als der Klassik und kann dazu - wie oben gesagt - in der gymnasialen Oberstufe abgewählt werden. Das tun auch die meisten jungen Leute, weil sie schon vorher nicht gescheit und wenig engagiert an die Musik herangeführt werden.
    Meine Enkelin, die Grundschullehrerin ist, versucht die Schüler für die Musik zu begeistern. Sie spielt ihnen z.B. Vivaldis "Frühling vor und lässt sie dazu zeichnen oder mündlich beschreiben, was sie bei der Musik empfinden. Die Schüler machen begeistert mit. Sie hat auch - gegen den Widerstand mancher Kollegen - weitgehend den Gruppenunterricht eingeführt, in dem sie jedem einzelnen (abwechselnd) bestimmte Funktionen in der Gruppe zuteilt, was die Kinder zusätzlich motiviert. Als sie auch einmal die Kinder in Opern einführen wollte, wurde sie von ihren Kollegen ausgelacht. Dafür seien die Kinder nicht reif genug. Ich habe ihr nun einige kindgerechte Opern auf DVD geschenkt (Hänsel und Gretel, die Zauberflöte - aber in unentstellter Fassung u.ä). Allerdings weiß ich nicht, ob sie nicht mit der GEMA in Konflikt kommt, die ja sogar schon für das Kinderliedersingen im Kindergarten Gebühren erheben wollte.



    Zitat von Klaus2

    Konserven funktionieren nach meiner Erfahrung nur dann, wenn man es auch schon in Echt erlebt hat.

    Das glaube ich auch nicht. Ich konnte mir damals keine musikalischen Aufführungen - außer vielleicht Blasmusik bei Volksfesten - leisten. Ich habe viel "Dampfradio" gehört (Mittelwelle, denn UKW gab's noch nicht, mit den entsprechenden laufenden Störungen), z.B. jedes Jahr die Bayreuther Festspiele auf verschiedenen Sendern. Das hat die Liebe zur Klassik nicht geschmälert.
    Ein Radio und zwei Schallplatten bekam die Schule erst von der Stadt gestiftet, als ich schon im letzten Gymnasialschuljahr war. Heute stehen den Schulen doch alle Möglichkeiten - einschließlich DVD und Beamer - zur Verfügung.



    Zitat von Klaus2

    Sollen sie doch auf dem Boden sitzen, das schadet nicht.

    Warum nicht? Ich bin jedes Jahr begeistert, wenn ich die Konzerte auf der Berliner Waldbühne, aus Schönbrunn oder Grafenegg sehe. Hier ist Jung und Alt versammelt. Man legt eine Decke auf den Boden. Der Picknick-Korb ist dabei und ich freue mich, wenn ich sehe, mit welcher Begeisterung auch viele junge Leute dabei sind. Wer gestern Abend das Konzert aus Schönbrunn und den Menschenandrang aller Alterstufen gesehen hat, wird wohl mit mir einer Meinung sein: So schlecht steht es um die klassische Musik gar nicht, wenn sie den Menschen auf diese Weise dargeboten wird. Vielleicht wird so auch das Vorurteil vieler Leute, Klassik sei nur etwas für Snobs, eher abgebaut, als wenn diese nur in teuren Konzertsälen mit beschränktem Platzangebot angeboten wird.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Als dieser Diskurs hier begann, dachte ich mir: Da muss ich meinen Senf nicht auch noch dazu geben. Tatsächlich beschäftigt mich das Thema allerdings auch (auch wenn ich den Artikel - noch nicht - gelesen habe. Muss ihn mir noch besorgen.)


    Ich bin auch der Überzeugung, dass die Musik zu den Menschen kommen muss. Dazu gibt es natürlich die üblichen Wege: Musikunterrricht in der Schule, Einfluss der Eltern, was zumindest dafür sorgt, dass der Jugend diese Musik nicht fremd ist. Ich denke, bei meinen mittlerweile erwachsenen Kids hat das halbwegs funktioniert. Sie hören zwar nicht aktiv klassische Musik, nehmen sie aber durchaus positiv wahr.


    Es hat meines Erachtens tatsächlich mit der mp3-Verfügbarkeit der Medien zu tun. Damit ist auch das haptische Bedürfnis, den Musikträger als CD in der Hand halten zu wollen, zunehmend hinfällig. Wer nie eine Schallplatte oder CD in die Hand nehmen musste, um Musik zu hören (außer Radio), vermisst auch nichts. Ich merke das ja schon bei mir, dass ich Aufnahmen aus dem Popbereich nicht mehr als Datenträger anschaffe. Ich habe mir auch Playlisten für´s Auto zusammen gestellt, die genreübergreifend sind. Wenn ich ruhige, melancholische Musik hören möchte und mir kein bestimmtes Werk vornehme (z.B. im Auto) kommt unter Umständen Bach nach Filmmusik, gefolgt von Peter Horton etc. Ich weiß, dass das bei einigen Tamianern Brechreiz hervorruft; das soll aber jeder so halten können, wie es ihm beliebt. Und wenn ein Klassikenthusiast denkt, Beethovens Trauerkantate müsse er nachts auf dem Friedhof hören, ist das auch okay - solange er die Totenruhe nicht stört. :rolleyes:


    Ich bin der Überzeugung, dass klassische Musik dann weiterhin ihr Publikum findet, wenn nicht versucht wird, den Menschen vorzuschreiben, wie sie sich zu der Musik verhalten sollen. Das bedeutet allerdings auch tatsächlich, dass das Elitäre in der klassischen Musik teilweise in Frage gestellt wird. Ich fühle mich auch wohler, seit ich weiß, dass ich ins Konzert Anzug und Krawatte tragen kann, es aber nicht muss.


    Ich hatte vor einigen Wochen die Gelegenheit, ein Loungekonzert in der Philharmonie zu besuchen. Es ist schon faszinierend: Menschen, die man wahrscheinlich überwiegend nie in einem regulären Konzert sehen würde, kommen dorthin, um unbeschwert klassische Musik zu genießen. Zwar wird zwischen den Sätzen geklatscht und einige verlassen auch das Konzert, weil sie wohl doch Wichtigeres zu tun zu haben glauben. Aber für den Großteil war es offenbar ein Genuss. Ähnlich verhält es sich mit Eventveranstaltungen wie Klassik-Open-Airs.


    Ein Beispiel, das mich auch nachdenklich gemacht hat, war ein Kammerkonzert, das David Garrett in Heilbronn gegeben hat. Leider konnte ich nicht hin, Ich weiß aber von einigen Leuten, die sonst nie in ein klassisches und schon gar nicht in ein Kammerkonzert gehen würden, dass sie dort waren und es genossen haben. Wie ich gehört habe, hat er einige Satzfolgen umgestellt. Frevel? Da bin ich selbst noch nicht entschieden. Die Musik hat dadurch wohl keinen Schaden genommen und ich werde die Werke dennoch weiterhin so hören, wie vom Komponisten geschaffen.


    Ich denke übrigens, dass diese Diskussion sich nicht auf die Musik beschränkt. Wir waren heute - da wir zur Zeit in Spanien sind - in Gaudis Parc Grüell. Dort stehen Menschen, die klick-klick-klick mit ihren Handys oder ipads o.ä. unzählige Fotos machen. Zunächst habe ich mich innerlich darüber mockiert, habe mich dann allerdings gefragt, was mir denn das Recht dazu gibt? Viele dieser Menschen waren früher wahrscheinlich nicht mit der Spiegelreflex unterwegs, halten jetzt aber sehr niederschwellig ihre Erinnerungen in Bildern fest. Wir nehmen die Kamera auch nur noch dann mit, wenn wir "gute Bilder" machen wollen. Im Prinzip geht die Thematik in dieselbe Richtung.

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Ich bin der Überzeugung, dass klassische Musik dann weiterhin ihr Publikum findet, wenn nicht versucht wird, den Menschen vorzuschreiben, wie sie sich zu der Musik verhalten sollen. Das bedeutet allerdings auch tatsächlich, dass das Elitäre in der klassischen Musik teilweise in Frage gestellt wird. Ich fühle mich auch wohler, seit ich weiß, dass ich ins Konzert Anzug und Krawatte tragen kann, es aber nicht muss.


    Das geht jetzt nicht gegen dich, lieber Woka, aber dein Posting ist Anlass für mich, meinem Unmut über das im obigen Zitat steckende Vorurteil Ausdruck zu verleihen. Es ist ein kapitales Missverständnis, wenn unsere so über-individualisierte Epoche sich ständig an dem "Zwang" reibt, der in klassischen Konzerten ausgeübt würde. Der Kleidungszwang: Abgesehen von wenigen Spielstätten und vielleicht von bestimmten Opernpremieren existiert dieser Zwang eigentlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ich besuche in Frankfurt am Main nun seit fast drei Jahrzehnten klassische Konzerte und selbst im heiligsten Tempel der Klassik-Verehrung in Frankfurt - in der 'Alten Oper' - habe ich selbst in den sicher mehreren hundert Konzerten, denen beiwohnen zu dürfen ich das Glück hatte, noch nie eine Krawatte getragen, ja noch nicht einmal einen "regulären" Anzug. Gelegentlich werfe ich mir eins meiner angeknitterten Leinen-Sakkos über, meist sitze ich aber einfach nur im Hemd im Saal, nachdem ich meinen Mantel an der Garderobe abgegeben habe. Das hielt ich mit 16 Jahren so und im Alter von nunmehr bald 43 Jahren ist das immer noch so (ich muss halt beruflich keine Anzüge mit Krawatte tragen, daher haben sich diese Kleidungsstücke bei mir nicht durchgesetzt; nur für sehr förmliche Anlässe hab' ich zwei Exemplare im Schrank: Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen etc :D ). Niemals hat mich irgendjemand auch nur schief angesehen. Der größere Teil der Herren erscheint ja sowieso eh' schon nicht in Anzug und Krawatte - ich kenn' das gar nicht anders.


    Und dann natürlich das Stillsitzen, das Sprechverbot, das Ess- und Trinkverbot, das Telefonierverbot während des Konzertes: diesen Zwang halte ich allerdings für absolut naturnotwendig. Man muss sich doch auf die Musik konzentrieren, sie allein steht im Vordergrund, man hat den Nachbarn nicht zu stören. Kann denn der Mensch heutzutage sich selbst nicht mal für 2 Stunden zurückstellen, um Höheres sprechen zu lassen? Warum muss er ständig plappern, zappeln, fressen und saufen??? Und fühlt sich in seinem schrankenlosen Narzissmus gekränkt, wenn er's mal für 2 Stunden nicht soll!! Eine Unart unserer Zeit.


    Grüße
    Garaguly

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  • Hallo garaguly!


    Hinsichtlich der "Benimmregeln" während des Konzertes - d´accord!
    Ich wünschte, diese Regeln würden auch im Kino gelten.


    Die Tatsache, dass Kleiderregeln seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gelten, weißt Du und die weiß ich. Ich hatte in den letzten Monaten die Möglichkeit, mehrere Freunde mit ins Konzert zu nehmen. Mehr als einer hat sich gewundert, dass die Kleidung doch wider Erwarten sehr légère sei. Dieser Ruf haftet dem herkömmlichen Klassikbetrieb offensichtlich noch an und ist vielleicht auch symptomatisch für die Gesamtsituation.


    Gruß aus Spanien
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Ein Thema, welches wohl sehr viele hier im Forum und auch Klassikliebhaber überall immer wieder beschäftigt: Wie sichern wir den Nachwuchs? - Natürlich sollte in den Schulen mehr Musikunterricht gegeben werden, natürlich sollte es niedrigschwellige Angebote geben, natürlich muss auch Werbung gemacht werden und vielleicht braucht es auch etwas "Popkultur" um die Jugend anzusprechen. Aber irgendwann sind auch Grenzen erreicht! Man kann und muss die Musik ein Stück weit zu den Leuten tragen, die Leute "abholen"; jedoch, wenn die Leute meinen, sie wollten hinter der Ecke stehen bleiben, dann ist und bleibt das auch so. Klassische Musik, Oper, aber auch z.B. das Sprechtheater werden nie zu einem Massenphänomen und ich bin nicht bereit, alles mögliche, was diese Kunstformen ausmacht, dafür aufzugeben, dass es doch so wird. In einem klassischen Konzert sitzt man halt zwei Stunden still und hört Musik, in der Oper ebenfalls (und zumeist mehr, als zwei Stunden). Ich möchte nicht, dass die Musik zum "schmückenden Beiwerk" wird, ich möchte nicht, dass sich die Oper etwas vom Musical "abschneidet", wie es in einem anderen Thread gerade diskutiert wird. Ich möchte eben auch ein bisschen elitär sein, auch wenn ich ebenfalls auf den Anzug verzichte ;)

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Die Tatsache, dass Kleiderregeln seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gelten, weißt Du und die weiß ich. Ich hatte in den letzten Monaten die Möglichkeit, mehrere Freunde mit ins Konzert zu nehmen. Mehr als einer hat sich gewundert, dass die Kleidung doch wider Erwarten sehr légère sei. Diese Ruf haftet dem herkömmlichen Klassikbetrieb offensichtlich noch an und ist vielleicht auch symptomatisch für die Gesamtsituation.


    Ja, das ist das Problem - die Nichtklassiker denken, dass es in den klassischen Veranstaltungen schon äußerlich furchtbar zwanghaft zugeht, aber alle, die mal in einem Konzert gewesen sind, wissen, dass es gar nicht so zwanghaft ist. Vielleicht denken die Nichtklassiker in ihren angstbesetzten Fantasien auch an so seltsame Opernball-Veranstaltungen mit Abendkleid- und Frack-/Smokingzwang, die dann - mangels Kenntnis und Erfahrung - gleichgesetzt werden mit dem klassischen Konzert- und Musiktheaterbetrieb.


    Gelegentlich sehe ich in Frankfurt im Konzert mal völlig 'overdresste' Frauen, die wahrscheinlich zum ersten Mal ein Symphoniekonzert besuchen und sich gestylt haben, als würden sie auf eine Gala-Veranstaltung mit Ball-Charakter gehen. Die fühlen sich dann wahrscheinlich eher unbehaglich zwischen all' den 'normal' gekleideten Konzertbesuchern.


    Fazit: Der Klassikbetrieb stellt diese Kleidungshürde gar nicht auf. Der "Volksmund" (und auch mediale Dummschwätzer) wiederholen diese Phrase vom schon äußerlich elitären Klassikbetrieb unermüdlich. Für manchen Medien-Schmieranten ist es wohl einfach zu verlockend immer wieder denselben Mist anzurühren.


    Die einzigen, die im Konzertbetrieb wirklich "gehoben" gekleidet sind, sind die Orchestermusiker im Frack. Die Orchestermusikerinnen fallen da oft schon deutlich ab. Nicht jede der Damen wählt Kleidung aus, die dem Frack der Herren an förmlicher (und zugleich unscheinbarer) Eleganz nahekommt. Denn der Frack der Musiker sorgt dafür, dass diese nicht durch zu große Extravaganzen auf sich aufmerksam machen und dadurch von der Musik ablenken. Der Frack ist eigentlich ideal. Er strahlt Würde aus, lässt aber keine individuellen Spinnereien zu, wie sie leider bei manchen Dirigenten an der Tagesordnung sind. Es nervt mich, dass vor allem von den jüngeren Herren der Zunft kaum noch einer psychisch in der Lage zu sein scheint, sich für einen Frack zu entscheiden. Dafür wählen sie dann gelegentlich so komische Kittel aus, die mich manchmal an den Einheitskleidungsstil im maoistischen China erinnern (Paavo Järvi hat solche Dinger in Frankfurt mal getragen) :hahahaha::hahahaha::hahahaha:


    Also: keine Scheu vor einer lockeren Freizeithose, einer Jeans oder ähnlichen Kleidungsstücken im Konzert.


    Grüße
    Garaguly

  • Kann denn der Mensch heutzutage sich selbst nicht mal für 2 Stunden zurückstellen, um Höheres sprechen zu lassen? Warum muss er ständig plappern, zappeln, fressen und saufen???

    :jubel: :jubel: :jubel:



    Wann war das denn?

    Das muss Anfang der 80er gewesen sein. Damals - ich lebte als Schüler noch bei meinen Eltern - wurden regelmäßig Aufführungen von den Festspielen übertragen, ob live oder als Aufzeichnung weiß ich nicht mehr. Ich kann mich erinnern, Teile des Cheréau/Boulez-Rings im Fernsehen gesehen zu haben, den "Lohengrin" von Götz Friedrich mit dem damals auch außerhalb der Klassik-Gemeinde sehr populären Peter Hofmann (er war sogar am nächsten Tag in der Schule Gesprächsgegenstand) und den "Tristan" von Ponnelle mit René Kollo. Meine Eltern, die mit Wagner nicht viel anfangen konnten, haben mir damals aufopferungsvoll das Wohnzimmer überlassen, in dem der einzige Fernseher im Haushalt stand. Das waren noch Zeiten...

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Das muss Anfang der 80er gewesen sein. Damals - ich lebte als Schüler noch bei meinen Eltern - wurden regelmäßig Aufführungen von den Festspielen übertragen, ob live oder als Aufzeichnung weiß ich nicht mehr.


    Das waren später gesendete Aufzeichnungen, damals wurde noch nicht live gesendet, höchstens im Radio, aber nicht im Fernsehen. Wolfgang Wagner hat diese Inszenierungen (Chereau-"Ring", Friedrich-"Lohengrin", los gings vielleicht mit dessen "Tannhäuser") alle produzieren lassen, außerhalb des regulären Vorstellungsbetriebes.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Ich möchte eben auch ein bisschen elitär sein, auch wenn ich ebenfalls auf den Anzug verzichte


    Ich denke, das geht uns allen so. Die Gefahr, dass dieses Elitäre der hohen Kunst wie klassischer Musik, Literatur oder Malerei gänzlich verloren geht, besteht nicht. Denn was alle diese Kunstformen im Gegensatz zu Computerspielen, Gameshows und Germanys next top-Model bieten, ist die Möglichkeit der Muse. Bei aller kurzfristigen Verfügbarkeit von Musikdateien und der zunehmenden Fragmentierung von Arbeitsabläufen und Freizeitvergnügen jeder Art durch ständige Email- und Handyerreichbarkeit bietet die klassische Musik dem Hörer die Möglichkeit des Müßigganges (das ist für mich nichts Negatives, sondern grundlegende Voraussetzung für ein ausgeglichenes Lebensgefühl). Da sich dieses Bewusstsein bei mir auch erst Mitte der Vierzieger zunehmend eingestellt hat, gebe ich den Nachwuchs nicht ganz verloren.


    Und hier mein schönstes Beispiel für Müßiggang:


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • ... die Möglichkeit des Müßigganges (das ist für mich nichts Negatives, ...


    Es ist schon bezeichnend, wenn man sich - kaum nimmt man dieses wunderschöne Wort 'Müßiggang' in den Mund - sozusagen in vorauseilender Unterwerfungsgeste unter den durchökonomisierten Zeitgeist entweder sogleich dafür entschuldigt es überhaupt zu gebrauchen oder aber betonen muss, dass man damit nichts Negatives meine. Gab es da nicht mal ein Sprichwort: "Müßiggang ist aller Laster Anfang" - Also ist es gar nicht der aktuell herrschende Zeitgeist (obwohl der's besonders bunt treibt, müsste man ihm mal austreiben, dem Zeitgeist, dem sau-dreist-frechen :cursing::cursing: ), sondern schon die Altvorderen haben sich von dieser Denkungsart gängeln lassen.


    Grüße
    Garaguly

  • Das waren später gesendete Aufzeichnungen, damals wurde noch nicht live gesendet, höchstens im Radio, aber nicht im Fernsehen. Wolfgang Wagner hat diese Inszenierungen (Chereau-"Ring", Friedrich-"Lohengrin", los gings vielleicht mit dessen "Tannhäuser") alle produzieren lassen, außerhalb des regulären Vorstellungsbetriebes.


    Genau. "Tannhäuser" war die erste bei den Bayreuther Festspielen produzierte Oper, die im Fernsehen gezeigt wurde. Das kam einem Dammbruch gleich. Zumindest aber war es ein Paradigmenwechsel, eingeleitet von Wolfgang Wagner, der sich auch ökonomische und mediale Vorteile versprach. Der Alte hatte eben doch ein sehr gutes Gespür. Und er wurde nicht nur gelobt dafür. Ich erinnere mich noch gut an fürchterlich hämische Kommentare. Premiere hatte diese erste Inszenierung von Götz Friedrich bereits 1972. Im gleichen Jahr ging Friedrich auch vom Osten in den Westen. Die TV-Produktion, die dann auch auf Video und später auf DVD gelangte, entstand erst 1978. Die Titelpartie sang nun der gerade bekannt gewordene Bulgare Spas Wenkoff, am Pult stand Colin Davis. Als Wolfram war immer noch Bernd Weikl zu sehen und zu hören. Es ist kein Wunder, dass sich Bertarido so gut daran erinnert. Die spektakuläre Sendung war auch für mich prägend.


    Aus Erfahrung halte ich übrigens nicht viel davon, dass man mit Musikunterricht und dergleichen zur Musik findet. Ich bin faktisch auf dem Dorf groß geworden, wo niemand Wagner oder Haydn hörte. Eines Tages wurde im Radio die Ouvertüre zum "Holländer" gespielt. Da war ich vielleicht acht oder neun. Diese Musik schlug bei mir ein wie eine Bombe. Als sei ich völlig unvorbereitet von einer Übermacht infiziert worden. Von da an hörte ich alles, was mir untergekommen ist. Auch heimlich in der Nacht, mit einer Decke über Kopf und Radio. Erst mit der Zeit stellte sich Ordnung ein. Gleichgesinnte fand ich viel später. Vor den Auslagen eines Schallplattengeschäfts stand ich gebannt, obwohl ich zuvor noch nie eine Platte gehört hatte.


    Mir ist völlig gleichgültig, was der "Spiegel" über die Zukunft der so genannten klassischen Musik schreibt. Morgen wird er herausfinden, dass die Menschen immer weniger Konfitüre essen und die Obstbauern darob in Bedrängnis geraten. Wir haben es selbst in der Hand, ob diese Musik eine Zukunft hat oder nicht, unter welchen Bedingen wir sie hören, ob mit oder ohne Krawatte. Und wenn im Konzerten künftig Pommes verzehrt werden, dann bleibt die Nische zu Hause oder sonst wo. Auf die Nische kommt es an. Ich bin fürs Elitäre, nicht für die Masse. Klassik war nie massentauglich.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich bin fürs Elitäre, nicht für die Masse. Klassik war nie massentauglich.


    Aber das ist ja eigentlich genau die knifflige Frage, um die es geht. Hat unsere elitäre Musik, die sich irgendwie recht bockig jedem Versuch entzieht, sie durchgängig zu egalitarisieren, überhaupt noch eine echte Chance? Das Elitäre (oder auch nur das als solches Empfundene) hat es heutzutage besonders schwer. In Frankreich kann derzeit eine Kulturministerin mit dem Slogan ins Feld ziehen, Deutsch-, Latein- und Griechischunterricht sei zu elitär und würde nur die soziale Segregation an Frankreichs Schulen fördern, daher sei dieser Unterricht zu reduzieren oder gar ganz einzustellen (die Nachrichten diesbezüglich, die ich unserer Presse entnehme, widersprechen sich da gelegentlich).
    In einem solchen Klima hat es auch die Klassik schwer. Beispiel: Paris hat vor Kurzem seine neue Philharmonie (heißt das Gebäude so??? Bin mir nicht sicher) eröffnet. Vor Jahren von der alten konservativen UMP-Regierung als reiner' Klassikort' mit 450 klassischen Konzerten pro Jahr geplant, musste nach dem Machtwechsel in Frankreich auf Anweisung von ganz oben diese 'elitäre' Ausrichtung aufgegeben werden. Übrig bleiben etwa 200 klassische Konzerte an diesem Ort, die restlichen Veranstaltungen müssen an Musiker anderer Stilrichtungen vergeben werden. Teile der linksliberalen Presse lobten die Regierung ausdrücklich für diesen mutigen Schritt im Kampf gegen "das Elitäre". Früher (noch zu Mitterands Zeiten) hatten die französischen Sozialisten nicht solche Probleme damit, tagsüber proletarisches Wasser zu predigen und abends gemeinsam mit Konservativen, dem Bildungsbürgertum, dem Geldadel (oder auch dem echten Adel) hochkulturellen Wein zu saufen. Und niemand scherte sich darum. Ja, es war sogar gute linke, politische Tradition, die hohe Kultur (Theater, Oper, Literatur, Malerei, Konzerte) nach Kräften zu fördern.

    Nebenbemerkung:
    [Selbst die radikalen Linken haben dort, wo sie jahrzehntelang die Macht hatten (Ostblock) zwar (nach eigenem Bekunden :D ) Arbeiter- und Bauernparadise geschaffen, aber die Hochkultur der alten Klassenfeinde wurde intensivst gepflegt.]


    Heute sieht das alles anders aus, wie das Beispiel Frankreichs zeigt. Es wird die kulturelle Gleichheit im Primitiven angestrebt.


    Grüße
    Garaguly

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  • Zitat

    Zitat von Garaguly: Es wird die kulturelle Gleichheit im Primitiven angestrebt.


    Das ist in kurzen Worten genau das, was ich empfinde. Das Fernsehen strotzt nur so von seichten Sendungen, der Kulturteil der Zeitungen berichtet überwiegend von solchen Ereignissen, Klassik wird klein geschrieben. Und wenn wir die heutigen Inszenierungen von Opern sehen, werden auch die immer primitiver. Auch im Musikunterricht der Schulen tritt nach meinem Eindruck mehr die Pop-Musik in den Vordergrund. Und in die Konzertsäle dringt immer mehr die Pop-Musik ein. Statt Klassik unters Volk zu tragen, wird diese leider immer mehr in den Hintergrund gedrängt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Statt Klassik unters Volk zu tragen, wird diese leider immer mehr in den Hintergrund gedrängt.


    Dieser Satz beschreibt exakt mein Ziel (im ersten Teilsatz) und meine Wahrnehmung (im zweiten Teilsatz) - nur: Durch den elitären Rückzug in den Elfenbeimturm kann man ersteres nicht erreichen, sondern nur letzteres befördern.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo!


    Irgendwie fühle ich mich bei der Diskussion komisch. Einerseits beklagen wir uns darüber, dass die Öffentlichkeit sich wenig für klassische Musik interessiert und sich das auch im Fernsehen, Rundfunk und den öffentlichen Haushalten zunehmend abbildet. Anderseits wollen wir das Elitäre an diesem Metier nicht verlieren. Beides gleichzeitig geht allerdings nicht.


    Ich kann mich vage erinnern (ich war noch zu jung und interessierte mich für andere Dinge), dass in den 60ern und 70ern die Verbindung zwischen Unterhaltungsmusik (leichter Muse) und sogenannter ernster Musik noch fließender war. Das Bindeglied war häufig die Operette (und könnte heute vielleicht das Musical sein).


    Heute gibt es Kritik, wenn Künstler zwischen beiden Metiers hin und her surfen, wie David Garrett, in Ansätzen Jonas Kaufmann. Das frönt dann gleich viel zu sehr dem Zeitgeist und hat dadurch den Hauch des Verwerflichen.


    Man stelle sich vor, Christian Gerhaher oder Jonas Kaufmann hätten eine eigene Show im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (oder sogar auf einem privaten Kanal!). Die beiden singen leichte Operettenarien bis hin zum Volkslied und laden sich für´s gemeine Volk André Rieu ein oder singen Musicalhits im Duett mit Helene Fischer. Ich möchte nicht wissen, was hier im Forum los wäre.
    Einige Beispiele aus der Vergangenheit, wie sowas aussehen könnte, habe ich aus youtube besorgt. Das hat schon Spaß gemacht.


    Gruß WoKa





    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Womit wir evtl. wieder bei "the night of the proms" wären.
    Denn natürlich hat Woka da m.E. völlig recht.
    Und wenn ich darüber nachdenke, glaube ich auch, dass da ein Schubladendenken entstanden ist, wie es früher nicht war. Denn es gibt noch andere Bindeglieder, die es früher gab: Classik-Rock. Da fallen mir Ekseption ein, sicherlich auch Emerson, Lake and Palmer, Pall Mall (mit einer herrlichen Bearbeitung von Dvoraks 9., die es leider nicht auf CD gibt). Evtl. auch solche Sachen wie Deep Purple, die mit Orchestern spielten. (Hier allerdings werde ich wieder skeptisch, denn in Aachen läuft es dann so, dass bei Festivals das Symphonieorchester gar keine Klassik mehr spielt, im besten Falle Filmmusik).


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Also mit Sicherheit kann man die Generation DSDS, GNTP und Dschungelcamp mit solchen Sendungen nicht zur Klassik führen. Diese Sendungen fand schon ich als Jugendlicher grauenhaft. Da müssen völlig andere Formate her.

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