Leonie Rysanek - die Kaiserin vom Dienst


  • Sollte es wirklich keinen eigenen Thread über Leonie Rysanek geben, der diesen Namen verdient? Ich habe keinen gefunden, obwohl sie im Forum oft und meist mit großer Bewunderung genannt wird. Ein Thread beschäftigt sich – schon im Titel - mit einer Ausstellung über die Sängerin in Wien, die 18. Mai 2008 geschlossen wurde. Darin finden sich allerdings einige sehr schöne persönliche und treffende Elogen. Freund Willi benutze heute diesen Ausstellungs-Thread, um ihres Todestages zu gedenken. Die Rysanek also. Ich halte sie für eine der bedeutendsten Opernsängerinnen der Nachkriegszeit. Am 14. November 1926 in Wien geboren, dort am 7. März 1998 auch gestorben. Ihr Grab befindet sich auf dem berühmten Wiener Zentralfriedhof. Im 22. Bezirk gibt es einen Leonie-Rysanek-Weg. Ihre Schwester Lotte stand als Sängerin im Schatten der berühmteren jüngeren Schwester. Wer sie selbst erlebt hat auf den Bühnen dieser Welt, schwört, dass sie nur dort zu ihrer eigentlichen Größe wuchs. Dabei sollen nicht alle Abende zu ihrem Ruhme beigetragen haben, je näher sich die Karriere ihrem Ende neigte. Aber dann gab es immer wieder diese Vorstellungen, bei denen sie mit ihrem flammenden Sopran alles in ihren Bann schlug, was Parkett und Ränge füllte. Selbst zufällige Opernbesucher, die noch nie zuvor von ihr gehört hatten, sollen durch sie für den Rest ihres Lebens mit Oper infiziert gewesen sein. Die Rysanek war durch Präsenz und Individualität die beste Werberin für diese Kunstform. In die Kulissen des so genannten Regietheaters hätte sie nicht gepasst. Sie war ihr eigenes Regietheater. Unorthodox, wie die Rakete, die an beiden Enden in Flammen steht.


    Ihre Aufnahmen - in der Mehrzahl Mitschnitte - vermitteln davon zwar eine starke Vorstellung, das Bühnenerlebnis ersetzen sie nicht. Eines meiner liebsten Rysanek-Dokumente ist ihre Gutrune in der Götterdämmerung aus dem Münchener Prinzregententheater, die Hans Knapperstbusch 1955 dort aufführte.

    Sie ist eine der wenigen dokumentierten Produktionen, die diese Partie vom Rande ins Zentrum rückt und ihr neben der Brünnhilde – gesungen von der aufstrebenden Birgit Nilsson – die Wichtigkeit gibt, die ihr bei genauer dramaturgischer Lesart tatsächlich zukommt. Noch immer werde ich den Eindruck nicht los, dass sich damals eine kommende Brünnhilde abgezeichnet hat. Tat es aber nicht. Brünnhilde hatte sich für die Rysanek offenbar bereits 1950 erledigt. Damals debütierte sie in der österreichischen Provinz als Walküren-Brünnhilde, ohne dass es eine Fortsetzung gab. Nur im amerikanischen Spielfilm „Frauen um Richard Wagner“ (im Original „Magic Fire“) versuchte sie sich 1954 nochmals mehr anekdotisch in dieser Rolle mit einem kleinen, von Erich Wolfgang Korngold musikalisch bearbeiteten Ausschnitt aus dem Götterdämmerungs-Schlussgesang. Es gehört zu den Stärken der Rysanek, dass sie ihre Fachgrenzen Richtung Hochdramatische nie überschritt, was ihr eine lange Karriere beschied. Mit der Elektra im Film von Götz Friedrich wollte sie lediglich ihrem Mentor Karl Böhm einen Gefallen tun. Das Ausdrucksspektrum dieser Partie vermochte sie nicht nachhaltig zu erweitern. Zu groß war die Konkurrenz. Eine der Rollen ihres Lebens dürfte die Kaiserin in der „Frau ohne Schatten“ von Strauss gewesen sein. Die Stereo-Schallplattenproduktion der Decca aus Wien mit Böhm am Pult, der diesem schwierigen Stück mit Hilfe der Rysanek zu weltweitem Durchbruch verhalf, ist bis heute kaum zu toppen. Als Kaiserin hat die Rysanek nach meiner Auffassung keine echte Nachfolgerin gefunden, die es mit ihr hätte aufnehmen können in der überzeugenden Gestaltung dieser zerrissenen Frau. Sie hat die Kaiserin fast zwanzig Jahre lang gesungen, nur überboten von der Sieglinde, die sie erstmals 1951 bei den Bayreuther Festspielen und letztmalig 1989 an der Wiener Staatsoper sang. Das dürfte Rekord sein. Ein Rekord, der zu Leonie Rysanek passt. Ihr Repertoire wurde mit den Jahren schmaler, was so auch bei anderen Sängerinnen ihres Kalibers zu beobachten ist. Es müssten also noch andere Rollen genannt werden - Leonore, Lady Macbeth, Marschallin, Ariadne, Chrysothemis, Klytämnestra, Senta, Kundry, Elisabeth, Ortrud, Elsa ... Ich finde nicht mehr alles gut. Der Schrei der Salome zum Beispiel, den sie ausstößt, wenn der Kopf des Jochanaan aus der Zisterne gereicht wird, ging mit als junges Ding durch und durch. Heute scheint er mir fast lächerlich. Das spricht nicht gegen die geliebte Sängerin. Sie war halt so.



    Dieses Buch ist ein sehr schönes Abbild der langen Karriere von Leonie Rysanek. Es ist prachtvoll ausgestattet und geht weit hinaus über eine persönliche Biographie mit unzähligen Bildern. Es reflektiert fast ein halbes Jahrhundert internationale Operngeschichte. Einst war es sündhaft teuer, jetzt ist es sehr preiswert zum Beispiel bei Amazon zu haben. Aufnahmen waren bereits im Ausstellungs-Thread vorgestellt worden. Ein Glücksfall sind diese beiden Produktionen der schon erwähnten "Frau ohne Schatten" von 1955 - einmal Studio, einmal live. Lediglich der Färber ist unterschiedlich besetzt (Studio Paul Schoeffler, live Ludwig Weber). Insgesamt sind vierzehn Aufnahmen der Kaiserin nachweisbar. Ein Mitschnitt aus München ist noch um ein Jahr jünger als die Wiener Produktion.



    Schließlich sollen auch DVD-Ausgabe und Filmmusik-CD nicht vergessen werden, in denen Leonie Rysanek mit einer kurzen Sequenz aus dem Schlussgesang der Brünnhilde zu hören ist.


    Zwei Zeugnis ihrer seltenen Ausflüge aufs Konzertpodium sind das "Requiem" von Giuseppe Verdi und das "Te Deum" von Walter Braunfels:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger!


    Leonie Rysanek ohne eigenen Thread? Das wäre ja ein großes Versäumnis! Hier gibt es den Thread: Ausstellung für Leonie Rysanek





    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Lieber Rüdiger,


    ich hatte bei meiner Erinnerung auch so meine Bedenken, sie in den von Wolfgang genannten Thread einzustellen, der vom damaligen Tamino Brunello gegründet worden war. Sie blieb aber bei mir keinesfalls vergessen.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Ich sehe gerade, dass du den Thread doch gefunden hattest. Ich hätte lieber deinen Text durchlesen sollen und nicht nur den kurzen Text von Wolfgang. :untertauch:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Wolfgang, hättest Du von meinem Eröffnungsbeitrag wenigstens die ersten beiden Zeilen zu Ende gelesen, dann wäre Dir nicht entgangen, dass ich genau auf diesem Thread, der eine Ausstellung zum Ausgangspunkt hatte, die bereits vor sieben Jahren geschlossen wurde, hoffentlich freundlich und fair genug eingegangen bin. Mir schien es angezeigt, einen neuen Anfang zu wagen - den Versuch zu unternehmen, eine Diskussion mit dem Ziel anzustoßen, dem Phänomen Leonie Rysanek etwas näher zu kommen. Immerhin wird ja derzeit an anderer Stelle darüber diskutiert, ob alte Threads nicht geschlossen werden sollten, zumal dann, wenn viele der Beteiligten abhanden gekommen sind. Das ist mir augenscheinlich missglückt. :( Du warst doch schließlich selbst erstaunt, dass es bisher im Forum nicht mehr Wortmeldungen zur Rysanek gegeben hat.


    Ich bin ich immer noch so naiv, anzunehmen, Beiträge, auf die bemängelnd geantwortet wird, würden vorher von den Kritikern durchgelesen. ;) Das scheint doch nicht so zu sein. Ich nehme es einfach schlicht zur Kenntnis. Nichts für ungut also!

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Anläßlich ihres Todestages hat uns Freund hart heute zum Grab von Lenonie Rysanek in Wien geführt und sehr bewegend und detailreich aus ihrer langen Karriere berichtet. Dafür möchte auch ich ihm danken. Ich fühle mich angeregt, mit meinen eigenen Erinnerungen ihr nachzudenken und auch dieses und jenes wieder anzuhören. Dabei kam ich auf ein sehr schönes TV-Porträt, das bei Youbub allerdings nur in beschränkter Ton- und Bildqulität zu finden ist - aber immerhin ist es zu finden:



    Die Dokumentation ist gespickt mit vielen selten Aufnahmen und Sequenzen. Ihre Karriere wird in die Zeit gestellt, in der sie wirkte und lebte. Damit geht der Film sogar weit über die reine Darstellung ihrer Persönlichkeit weit hinaus. Er wird selbst zum Zeitdokumente.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Hallo zusammen,


    ich freue mich wirklich sehr, hier einen Thread zu der von mir hochverehrten Leonie Rysanek zu finden.
    Zu erwähnen wäre meiner Meinung nach auf jeden Fall ihre Leonore in Beethovens Fidelio unter Fricsay



    und ihre für mich bis heute prägende Senta unter Dorati.

    Weiß jemand hier etwas über ihre Tosca zu berichten? Bisher habe ich sehr zwiespältige Ansichten gehört und mir selber leider noch keinen Eindruck verschaffen können.


    HG David

  • Egal in welcher Partie. Leonie Rysanek war immer ein glühendes Feuer auf der Bühne, das mitriss Unvergesslich ist mir Ihre Sieglinde. In der "Götterdämerung " unter Keilberth 1955, die Rheingold zitierte war ich drin. Eine musikalische und sängerische Sternstunde, die großartigste Aufführung der Götterdämmerung die ich je erlebte und das life.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Verstehe ich nicht. "Rheingold1876" hat in seinem Startbeitrag eine "Götterdämmerung" unter Kna eingestellt, nicht unter Keilberth.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Auch diese Aufnahme gehört unbedingt genannt:

    Da ist Leonie Rysanek zwar "nur" Königin, aber was für eine!
    Eine (für mich) bis heute konkurrenzlose Aufnahme dieser Verdi-Oper (AD: 2/1959, Stereo).


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Verstehe ich nicht. "Rheingold1876" hat in seinem Startbeitrag eine "Götterdämmerung" unter Kna eingestellt, nicht unter Keilberth.


    Es ist sicher die Knappertsbusch-Aufführung gemeint. Ich frage mich bis heute, wieso Orfeo nicht auch den restlichen Münchner "Ring" von 1955 herausgebracht hat. Sind die Bänder verloren oder unbrauchbar geworden? Es gab ja doch wohl den gesamten Zyklus? ?( Zumindest laut Knappertsbusch-Konzertverzeichnis.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Da ist Leonie Rysanek zwar "nur" Königin, aber was für eine!
    Eine (für mich) bis heute konkurrenzlose Aufnahme dieser Verdi-Oper (AD: 2/1959, Stereo).

    Ist das die Studio- oder die Liveaufnahme? Zweitere gefällt mir persönlich noch besser als die trotzdem herrliche Studioaufnahme.


    HG David

  • Verstehe ich nicht. "Rheingold1876" hat in seinem Startbeitrag eine "Götterdämmerung" unter Kna eingestellt, nicht unter Keilberth.

    Natürlich unter Hans Knappertsbusch sonst wäre es auch nicht so großartig gelungen. Die Spannungen, die Kna aufbaute und dabei die Sänger singen ließ sind für mich unerreicht. In jedem Fall danke, lieber Merker. :hello:


    hezrlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Natürlich unter Hans Knappertsbusch sonst wäre es auch nicht so großartig gelungen. Die Spannungen, die Kna aufbaute und dabei die Sänger singen ließ sind für mich unerreicht. In jedem Fall danke, lieber Merker. :hello:


    hezrlichst
    Operus

    Also ich ziehe doch Keilberth in Bayreuth 1955 dirigentisch der Münchner "Götterdämmerung" unter Kna aus dem gleichen Jahr vor, auch wenn München die besseren Sänger versammelt hatte. Udn gerade weil Keilberth 1955 ja auch eine "Götterdämmerung" dirigiert hat, nämlich in Bayreuth, habe ich nachgefragt, welche von beiden du denn nun meinst.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ist das die Studio- oder die Liveaufnahme?


    Guten Abend, David,


    es handelt sich hier um die Studioaufnahme. Live-Mitschnitte sind, trotz ihrer z.T. überragenden Qualitäten, nicht mein Ding, wegen der unvermeidlichen Nebengeräusche, die ich ziemlich unerträglich finde. Aber natürlich ist die Live-Atmosphäre für viele einfach spannender.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • auch wenn München die besseren Sänger versammelt hatte


    Wie, Gerda Sommerschuh als Woglinde besser als Jutta Vulpius? :D

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Nicht zu vergessen diese inzwischen fast legendäre Aufnahme:

    Leonie Rysanek als Desdemona, mit Jon Vickers (Othello) und Tito Gobbi (Jago)
    Chor und Orchester des Opernhauses Rom, Dirigent: Tullio Serafin (Aufnahme: Rom 1960, Stereo).

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Weiter oben hatte ich auf den Film "Magic Fire" hingwesen, in dem Leonie Rysanek ein Stück Schlussgesang der Brünnhilde aus der "Götterdämmerung" vorträgt - hier ist dieser Ausschnitt:



    https://www.youtube.com/watch?v=lH3pLACsBMM

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  • Noch so ein interessantes Dokument einer Rolle, die die Rysanek - aus gutem Grund, wie ich finde - nie auf der Bühne gesungen hat: Isolde!



    https://www.youtube.com/watch?v=wld3diOwvUg

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • in dem Leonie Rysanek ein Stück Schlussgesang der Brünnhilde aus der "Götterdämmerung" vorträgt

    Erstaunlich, dass sie für solche Experimente so "anfällig" war, denn die Brünnhilde hat sie live doch ebensowenig gesungen wie die Elektra, oder?


    Rysanek war ja eigentlich DIE Chrysothemis, sang dann in der Friedrich-Verfilmung unter Karl Böhm die Elektra, um dabei festzustellen, dass sie diese Rolle live nicht singen wird. Sie sang dann noch ein paar Jahre Chrysothemis und wechselte schließlich im Alter auf die Klytämnestra - als solche erlebte ich sie im März 1993 an der Deutschen Oper Berlin noch ein Mal live.


    Hier ist der Film mit ihrer Elektra zu sehen:



    https://www.youtube.com/watch?v=jq1qfG0r4LE

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • denn die Brünnhilde hat sie live doch ebensowenig gesungen wie die Elektra, oder?


    Brünnhilde hatte sich für die Rysanek bereits 1950 erledigt. Damals debütierte sie in der österreichischen Provinz als "Walküren"-Brünnhilde, ohne dass es eine Fortsetzung gab. So geht es aus dem großen Buch hervor, das ich im Eröffnungsbeitrag abbildete. Und die Elektra machte sie nur für Böhm, der sie unbedingt haben wollte. Beide mochten und schätzten sich sehr.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Liebe Forianer!


    Ist es tatsächlich schon 20 Jahre her, dass Leonie Rysanek gestorben ist? Ich entsinne mich noch genau an die ZIB-Nachrichten des ORF, als am Sonntagmittag des 8. März 1998 auf 3sat (nach der "Belcanto"-Sendung über Jussi Björling) als erste Meldung die Nachricht von ihrem Tod verlesen wurde.


    Auch ich zähle mich zu den vielen Verehrern dieser großen, außergewöhnlichen Künstlerin! Als ich sie das erste Mal bewusst hörte (Bayreuther Festspiele 1959 als Senta - übrigens sollte ursprgl. Jon Vickers den Erik singen!), war ich von ihrer stimmlichen Gestaltungskraft dieser schwierigen Partie ziemlich beeindruckt. Nebenbei gesagt, hatte ich mir die Radioübertragung des "Lohengrin" (Bayreuth 1958) gespart, weil ich damals - ich war erst 12 Jahre alt - diese Oper für 'kitschig' hielt! Als dann noch Ende 1959 die"Macbeth"-Aufnahme mit Leonie Rysanek und Leonard Warren gesendet wurde, war ich nicht nur für die Oper an sich begeistert (bisher hatte ich alle Art von Musik, auch Schlager, gehört), sondern auch ein glühender Fan dieser warmen, ausdrucksvollen und auch sehr schönen Stimme geworden. Natürlich wünschte ich mir zu Weihnachten und zum Geburtstag Schallplatten mit Leonie Rysanek, kaufen konnte ich keine, weil es kein Taschengeld gab. Und mein erstes Lehrlings-Gehalt 1963 war so niedrig (DM 40,-- pro Monat!), dass ich mir die teuren Platten (DM 21,--) buchstäblich vom Munde abgespart habe. So etwas vergisst man nicht...


    Ich kenne keine andere Sängerin, die derart viele Interviews gegeben hat, wie 'die Leonie'. Und sie hatte auch durchaus etwas zu sagen. Der 320 Seiten starke Prachtband (1990) von Peter Dusek und Peter Schmidt oder das "Opernwelt" Jahrbuch (1989) von Imre Fabian basieren auf langen Gesprächen mit der Sängerin. Hier zeigte sie sich als analytisch denkender Mensch, während sie sich auf der Bühne emotional auslebte. Es war auch ihre große Ehrlichkeit, die sie ihren vielen Fans so sehr nahe brachte. Einmal allerdings schoß sie über das Ziel hinaus, als sie in einem Interview mit Paul Flieder 1982 zu dem damals viel diskutierten Thema "Sängergagen" mit der Aussage "Es ist keiner das viele Geld wert, das wir bekommen. Aber ich wäre dumm, wenn ich es nicht nähme." ein absolutes Tabu brach und auf Rückfrage ihre reguläre Abendgage (17000 Mark) nannte! Der "Stern" forschte nach und veröffentlichte eine Gehalts-Liste der in dieser Zeit populärsten Opernsänger, was eine Konferenz internationaler Intendanten unter Vorsitz von Rolf Liebermann und eine Begrenzung der Höchstgagen zur Folge hatte. (Allerdings hielten die hier getroffenen Absprachen nicht allzu lange, da amerikanische und asiatische Konzertveranstalter die festgelegten Summen weit überboten.)


    Leonie Rysanek empfand die Theaterwelt außerhalb der Bühne stets als unaufrichtig und 'falsch'. Von den Intendanten forderte sie gegebene Versprechen ein und trennte sich ohne zu zögern z. B. von Rudolf Hartmann, Carl Ebert, Herbert von Karajan und Wieland Wagner - später hat sie dann aber wieder an deren Bühnen gesungen, ganz einfach, weil man auf sie nicht verzichten konnte und wollte. Bei den Regisseuren galt sie als 'schwierig', weil sie nachfragte und sich simplen Anweisungen widersetzte.(Dies tat sie allerdings mit ihrem ausgeprägten Wiener Charme!) Das konnte auch dazu führen, dass sie sich mit 'Regiestars' wie Jean-Pierre Ponnelle oder Otto Schenk überwarf. Und dem Regietheater moderner Prägung stand sie ablehnend gegenüber, nicht zuletzt, weil sie als impulsiv reagierendes 'Bühnentier' der Einengung auf einen konkreten Darstellungsstil nicht folgen wollte.


    Zu ihren Sänger-Kollegen hatte 'Leonie', wie sie allgemein genannt wurde, ein sehr gutes Verhältnis. Lediglich junge, aufstrebende Sopranistinnen, die ihr gefährlich werden konnten, wurden zunächst mit Argwohn beobachtet. Später hat sie oft mit ihnen (z. B. Anja Silja, Gwyneth Jones, Ursula Schröder-Feinen und Hildegard Behrens, die auch auf Leonie Rysaneks Beerdigung gesungen hat) Freundschaft geschlossen. Jess Thomas schreibt in seiner Autobiographie, dass es eine Angewohnheit der Rysanek war, Intendanten und Dirigenten zu berichten, wenn sie neue, vielversprechende Sänger erlebt hatte. Nicht von ungefähr wurde sie 1979 auf einstimmigen Beschluss des Solistenverbands der Wiener Staatsoper zur ersten Trägerin des Lotte-Lehmann-Rings gewählt, der heute im Besitz von Waltraud Meier ist.Und vor älteren Kollegen hatte sie großen Respekt, wohl wissend, dass auch sie einmal eine Sängerin 'von einst' sein würde.


    Nicht untergeordnet, aber angepasst, hat sie sich den Dirigenten ihrer Zeit: es gibt praktisch keinen namhaften
    Orchesterleiter, mit dem sie nicht zusammen gearbeitet hat. Dabei war sie bei den Proben stets korrekt, es ist
    aber in der abendlichen Vorstellung oft vorgekommen, dass sie in ihrem emotionalen Überschwang vom richtigen Notenwert abwich und sich die Partitur 'zurechtlegte'. Das Kritikerwort "Die Rysanek lebt in wilder Ehe mit den Noten." ist legendär. Und auch der Plattenindustrie stand sie negativ gegenüber - sie nannte sie sogar 'mafios' - weil die zu ihrer Zeit gängigen Exclusiv-Verträge die Sänger erpressbar machten. Und die Art, wie damals aufgenommen wurde (zerschnippelte Partituren, einzelne vielmals wiederholte bzw. nachträglich eingespielte 'Takes'), empfand sie als Betrug am Hörer, da die angeblich erreichte Präzision niemals der Wahrhaftigkeit einer Live-Aufführung entsprechen konnte. Daher hält sich die Anzahl ihrer Studio-Einspielungen auch in engen Grenzen. Aber die zahlreichen Mitschnitte ihrer Bühnenauftritte geben ja nur einen Teil - nämlich den akustischen Eindruck - ihrer intensiven Gestaltungen wieder.


    Leider ist sie aber auch der optischen Verewigung von Opern negativ gegenüber gestanden, allerdings aus rein
    persönlichen Gründen (sie hielt sich nicht für 'telegen' genug). So gibt es auch kaum TV-Auftritte von ihr: z. B. 1959 "Meine schönste Rolle: Senta" mit Walter Panofsky beim BR, 1965 "Was bin ich?" mit Robert Lemke (sie sang, recht früh erraten von Anette von Aretin, zum Schluß "Hat dich die Liebe berührt" von Joseph Marx; ich habe die Sendung damals auf Tonband aufgenommen, Video gab es ja leider noch nicht), 1967 (BR) ein Portrait von Wieland Wagner, 1973 "Schöne Stimmen" (ZDF) mit Guido Baumann (Arien aus "Fidelio" und "Macbeth") - bezeichnend für sie, dass sie auch da über ihre Krise zu Beginn der 60er Jahre sprach - dazu mehrere Interviews und Konzert-Mitschnitte. Übrigens sollte Leonie Rysanek Anfang der 60er Jahre in zwei italienischen Opernfilmen mitwirken: "Macbeth" mit Giuseppe Taddei und "Otello" mit Mario Del Monaco und Tito Gobbi. (Zumindest die Dreharbeiten zu "Macbeth" wurden begonnen - was aus den beiden Filmprojekten geworden ist, entzieht sich meiner Kenntnis.) Und Rainer Werner Fassbinder versuchte lange, die Sängerin zu einen Film unter seiner Regie zu überreden.


    Nicht verschwiegen werden soll aber auch, dass Leonie Rysanek von vielen Melomanen, Opernbesuchern und
    Kritikern abgelehnt wurde, ähnlich polarisierend wie Maria Callas, mit der die Sopranistin die überragende Kraft
    der Darstellung gemein hatte, aber auch einige stimmliche Defizite. Der relativ schwach ausgebildeten Mittellage
    und der manchmal dubiosen Intonation mit - bedingt durch die Weichheit der Stimme - undeutlicher Artikulation
    stand ein strahlendes Höhenregister mit gleissenden Spitzentönen (ihre berühmten 'Leuchtraketen') und auch
    ein irisierendes, tragfähiges Piano gegenüber; die Stimme war sofort identifizierbar. Da fällt mir ein: Als Jürgen
    Kesting in der ZDF-Sendung "aspekte" sein Sängerlexikon vorstellte - er beurteilt die Sänger größtenteils nach
    ihren Schallplattenaufnahmen - sollte er drei Stimmen erkennen. Den historischen Sänger (ich weiß nicht mehr,
    wer es war) wie auch die "Fidelio"-Arie mit der Rysanek erriet er nicht, wohl aber den Bariton Siegfried Lorenz
    mit einem Schubert-Lied!


    Aufgewachsen in Wien-Erdberg in sehr bescheidenen Verhältnissen, sah die Künstlerin im Theater ein Korrektiv
    zur damaligen tristen politischen und sozialen Gegenwart. Leonie Rysanek hat imer wieder betont, dass es vor
    allem der Applaus und die Zuneigung des Publikums war, was sie so lange (47 Jahre!) in ihrem Beruf gehalten
    hat. In den Dankesreden zu ihren Abschiedsvorstellungen 1996 - und wohl um ihre Knochenkrebs-Erkrankung
    wissend - in New York, München, Berlin und Salzburg hat sie das Publikum gebeten, sie nicht zu vergessen.
    Die zahlreichen Ehrungen und Auszeichnungen - zuletzt Ende 1997 die Ehrenbürgerschaft Wiens - haben sie
    stets mit Stolz erfüllt und es dürfte sie auch gefreut haben, dass in Erdberg in der Nähe ihres Vaterhauses auf
    der Dietrichgasse eine Straße und ein kleiner Park ihren Namen tragen.


    Freundliche Grüße!


    Carlo
    .

    Einmal editiert, zuletzt von Carlo () aus folgendem Grund: Zeilenkorrektur

  • Guten Morgen!


    Also ich habe Leonie Rysanek erstmals kennengelernt mit einer Electrola-Aufnahme des Nil-Aktes aus Verdis "Aida" (ohne das Vorspiel).


    Da singt sie in deutsche Sprache die Nil-Arie "Bald kommt Radamès" ganz großartig und ausdrucksvoll - wäre nicht die deutsche Übersetzung, so wäre das eine ganz große Interpretation, die auch international mithalten könnte.
    Es folgt das Duett Aida-Amonasro "Wehe, mein Vater", ebenfalls fantastisch, mit dem unvergessenen Josef Metternich, der ihr hier ein würdiger Partner ist. Dann geht die Handlung weiter, mit dem Duett Radamès-Aida, und Rudolf Schock beginnt emphatisch mit "Ich seh' dich wieder, mein Aida", und schon ist der Schock da, im doppelten Sinne!
    Trotzdem ist die Aufnahme von 1955 (leider nur mono) hörens- und habenswert. Hier ist sie als CD-Ausgabe:

    Wilhelm Schüchter, damals der "Hausdirigent" der Electrola, dirigiert den Chor der Städtischen Oper Berlin und die Berliner Symphoniker.


    Es gibt aber noch eine schöne CD mit Aufnahmen aus der Frühzeit der Sängerin:

    Sie enthält Auszüge aus Wagners "Der fliegende Holländer", "Der Rosenkavalier" von R. Strauss, "Tiefland" von d'Albert, sowie Szenen aus "Die Macht des Schicksals" und schließlich "Aida", die auch in der erstgezeigten CD zu hören sind. Die Aufnahmen entstanden 1952 in London und 1955 in Berlin (Aida), mit dem Philharmonia Orchestra London und den Berliner Symphonikern. Insgesamt wunderbare Visitenkarten der jungen Leonie Rysanek.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ihren von Carlo oben erwähnter Auftritt bei Robert Lembke kann man zufälligerweise gerade heute beim "Neuen Merker" unter "Aktuelles" nachsehen.
    Mir wird sie als Sieglinde (ich erlebte sie 1971 in Stuttgart in der Traumkonstellation mit Windgassen, Ligendza, Stewart unter Leitner) unvergessen bleiben.

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  • Lieber M. Joho,


    das ist ja toll! Vielen, vielen Dank für den Hinweis!


    Ich habe soeben den Thread über Lotte Rysanek ergänzt und Einiges ist auch hier über ihre 'kleine' Schwester
    zu erfahren. Die Rysanek-Schwestern wurden übrigens von ihren Mitstudenten am Wiener Konservatorium -
    darunter Melitta Muszely und Liane Synek - "Lo" und "Li" gerufen. Um sich etwas dazu zu verdienen, haben
    die Gesangsschüler damals Post ausgetragen und im Winter Schnee geschaufelt - vor allem nachts, weil es
    da mehr Geld gab!


    Viele Grüße!


    Carlo



    P. S.
    Zum Beitrag Nr. 10: Der Bayerische Rundfunk hat alle Aufführungen von Hans Knappertsbusch während der
    Opernfestspiele 1955 im Prinzregententheater mitgeschnitten. Aus 'rechtlichen Gründen' durften aber nur
    "Die Meistersinger von Nürnberg" und "Die Götterdämmerung" gesendet werden!

  • P. S.
    Zum Beitrag Nr. 10: Der Bayerische Rundfunk hat alle Aufführungen von Hans Knappertsbusch während der
    Opernfestspiele 1955 im Prinzregententheater mitgeschnitten. Aus 'rechtlichen Gründen' durften aber nur
    "Die Meistersinger von Nürnberg" und "Die Götterdämmerung" gesendet werden!


    Danke für diesen wertvollen Hinweis!


    Das verstehe mal einer. Hat etwa einer der Sänger, die in den anderen "Ring"-Teilen beteiligt waren, eine Veröffentlichung untersagt? Selbst in diesem Falle sollte man meinen, dass das irgendwann dennoch der Allgemeinheit zugänglich würde.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hat etwa einer der Sänger, die in den anderen "Ring"-Teilen beteiligt waren, eine Veröffentlichung untersagt?


    Das kann gut sein. Denken wir doch mal an der Ring" unter Furtwängler bei der RAI. Fast zwanzig Jahre sollten sich die Verhandlungen bis zur Veröffentlichung hinziehen, die die Witwe des Dirigenten sehr energisch betrieb. Zum Glück gab es diese gut vernetzte treibende Kraft. Um die Gründe ranken sich vielerlei Gerüchte. So soll Elsa Cavelti, Fricka und Grimgerde in der "Walküre", nur unter der Bedingung in eine Veröffentlichung eingewilligt haben, dass sie ihre eigene Liederplatte bekommt. Was dem Vernehmen nach zähneknirschend geschah. Rita Streich, die den Waldvogel sang, und Josef Greindl, der als Fasolt, Fafner und Hagen mit dabei war, wird nachgesagt, angeblich zu hohe Honorare gefordert zu haben. Nicht immer geht es also nur um die Kunst.


    Doch zurück zur Rysanek. Mir hat Carlos Beitrag auch sehr gefallen.


    Leonie Rysanek empfand die Theaterwelt außerhalb der Bühne stets als unaufrichtig und 'falsch'.


    Hat sie dazu nicht selbst beigetragen? Geister geweckt, die sie nicht wieder loswurde? Sie war ja von einem ganzen Tross umgeben. Und genoss das auch. In einem Interview soll sie unter drei gesagt haben, dass sie sich sehr wohl bewusst sei, "das leere Leben vieler Fans zu füllen". Weil Carlo auch auf die Freundschaft mit Ursula Schröder-Feinen verwies. Als ich noch in dem Alter war, in dem man sich Autogramme geben lässt, sah ich die beiden mal unter den Zuschauern in einer Vorstellung von "Die Frau ohne Schatten" in der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Sie sangen um diese Zeit auch in der Deutschen Oper im Westteil Kaiserin und Färbersfrau. Sie waren ungemein nett. Ein bisschen wie junge Mädchen, die gemeinsam auf einem Ball sind. Sie amüsierte sich, dass ich sie entdeckt hatte, was sie gleichzeitig wohl auch erwartet hatten. Wir plauderten eine ganze Weile wie gute Bekannten, die sich zufällig trafen. Auf diese Weise nahmen sie mir auch die Scheu und die Verlegenheit. So etwas beherrschen nur wirkliche Damen von Welt und bedeutende Künstlerinnen, die sich ihrer sicher sind. Sie lobten die Inszenierung von Harry Kupfer und konnten gut nachvollziehen, dass ich keine Vorstellung verpasste.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent