Mieszyslaw Weinberg - Die Solokonzerte

  • Unter den 153 Opusnummern von Weinberg konnte ich insgesamt 10 Konzerte für Soloinstrument und Orchester identifizieren, drei für Violine, zwei für Cello, zwei für Flöte, ein Trompeten- und ein Klarinettenkonzert sowie ein Konzert ohne opus Nummer für 2 Xylophone. Die meisten sind wohl eingespielt worden, so dass es sich lohnen könnte, hierüber einen separaten thread zu starten. Erstaunlicherweise findet sich kein einziges Klavierkonzert, erstaunlich deshalb, weil Weinberg eigentlich als Pianist startete und es deshalb nahe gelegen hätte, dass er für sein Instrument schreibt. Es gibt sogar Aufnahmen mit ihm als Pianisten, derzeit greifabr die Einspielungen seines Klavierquintetts mit dem Borodin Quartett.


    Opus 42: Concertino for violin and string orchestra (1948)
    Opus 43: Concerto for cello and orchestra in C minor (1948)
    Opus 47 No. 3: Moldavian Rhapsody for violin and orchestra (1949)
    ohne Opus No.: Kujawiak and Oberek for two xylophones and orchestra (1952)
    Opus 52: Fantasy for cello and orchestra (1951–1953)
    Opus 67: Concerto for violin and orchestra in G minor (1959)
    Opus 75: Concerto for flute and string orchestra (1961)
    Opus 94: Concerto for trumpet and orchestra in B flat major (1966–1967)
    Opus 104: Concerto for clarinet and string orchestra (1970)
    Opus 148: Flute Concerto No. 2 (1987)

  • Weinberg schrieb sein einziges echtes Violinkonzert 1959, also zeitlich ziemlich genau in der Mitte zwischen den beiden von Dimitri Schostakowitsch (1947/1967). Mit beiden teilt es auch den Tonfall, ohne dass es deshalb gleich als Plagiat erschiene. Das Werk besteht wie Schostakowitsch 1. Konzert aus vier Sätzen, allerdings entsprechen diese bei Weinberg der klassischen symphonischen Struktur: Allegro molto - Allegretto - Adagio - Allegro risoluto. Die 4 Sätze sind alle fast gleich lang und addieren sich zu 25 min Spieldauer.
    Der Kopfsatz ist ein stark motorisch geprägtes Stück, das unmittelbar beginnt und auch gleich die Violinstimme dominant vorstellt. Dieser Satz ist den motorischen des Lehrers sehr ähnlich. Das Allegretto beginnt mit einer Streichermelodie, die fast aus dem 19. Jahrhundert stammen könnte und enthält ruhigere Passagen. Das gefühlvolle Adagio ist - wie oft bei Violinkonzerten - der Satz, der mich am meisten anspricht. Hier ist wieder unmittelbar der Einfluss von Schostakowitsch hörbar. Das gilt nicht für das abschliessende Allegro, das ein prägnantes Rufmotiv vorstellt, das zwischen Geige und Orchester hin- und her geworfen wird. Dieser Satz strahlt ziemlich viel Optimismus aus und gerät damit in die Nähe der Forderungen des sozialistischen Realismus. Insgesamt ein hörenswertes Werk, wenn IMO auch kein großer Wurf. Das Konzert scheint sich in letzter Zeit einer gewissen steigenden Beliebtheit unter Geigern zu erfreuen. Linus Roth und Ilya Gringolts haben kürzlich Aufnahmen vorgelegt. Es gibt auch eine ältere Naxos mit Ilya Grubert. Die einzige Aufnahme, die ich außer der Grubert habe und kenne, ist die des Widmungsträgers und Uraufführungssolisten Leonid Kogan mit der Moskauer Philharmonie unter Kyrill Kondrashin. Eine schöne alte franzöische La Chant du Monde LP als Übernahme von Melodiya, klanglich absolut in Ordnung und interpretatorisch natürlich der Maßstab für alle folgenden. Die Rückseite bringt die 4. Symphonie darüber an anderer Stelle später.

  • Sein Cellokonzert schrieb Weinberg 1948. Er lebte seit einigen Jahren in Moskau im Dunstkreis von Schostakowitsch und den ihm nahestehenden Künstlern. Darunter natürlich auch der Cellist Mstislaw Rostropowitsch. Ihm ist sein Cellokonzert gewidmet, er hat es allerdings erst 9 Jahre später uraufgeführt. Diese verspätete Uraufführung hängt wohl mit den Problemen zusammen, die viele Komponisten 1948 im Rahmen von politisch motivierten Formalismusdebatten zu gegenwärtigen hatte. Auch Schostakowitschs 1. Violinkonzert verschwand für Jahre in der Schublade.
    Das gut halbstündige Werk besteht aus vier Sätzen, die aber m.o.w. ineinander übergehen: Adagio - Moderato-Lento - Allegro-Cadenza - Allegro-Adagio-Meno mosso. Ich schrieb oben zum Violinkonzert: hörenswert, aber kein großer Wurf. Nun, wenn ihr auf den großen Wurf wartet - hier ist er. Das ist - nach dreimal hören - das schönste Cellokonzert des 20. Jahrhunderts, das zumindest ich kenne. Ein wunderbares Adagio eröffnet das Werk, dessen Thema auch zum Schluß wieder aufgegriffen wird. Dazwischen alles was ein geniales Werk braucht, keine Minute Langweile oder note-spinning. Schlicht, ein Meisterwerk.
    Wer es nachhören will, ohne investieren zu müssen. Sowohl die Aufnahme mit Rostropowitsch aus den 60ern wie auch die mindestens ebenso gute, ehrlich gesagt phantastische Aufnahme mit Claes Gunnarsson sind im Netz verfügbar.



    Allerdings gibt es immer wieder Kompoisionen Weinbergs, die mich wirklich vorbehaltlos begeistern - wie zum Beispiel sein Konzert für Violoncello: Hier zeigt sich, anders als in der sehr düsteren, stellenweise dissonanten Symphonie Nummer 20, auch ein grimmiger Humor, ein tänzerischer Schwung und eine mitreißende Leidenschaft, die mich sehr ansprechen. Auch die Klangtechnik ist stupend.

  • Die aktuelle Warner CD enthält neben der andernorts besprochenen 4. Symphonie das zeitnah entstandene Violinkonzert, das mir bei der Wiederbegegnung noch besser gefällt, vielleicht doch ein mittelgroßer Wurf. Wer das von Stravinsky mag, müsste dies hier auch mögen. Es ist jedenfalls für den Geiger dankbar geschrieben und Ilya Gringolts holt alles heraus, was herauszuholen ist. Die Begleitung stimmt auch.

  • Soeben habe ich Weinbergs Trompentkonzert op 94 aus dem Jahre 1966/67 gehört, welches von dessen Freund Schostakowitsch als "Sinfonie für Trompete und Orchester" bezeichnet hat. Ich bin schwer beeindruckt, das Stück ist vollgespickt mit skurrillen Klangfolgen, die aber nie verstörend wirken - sie sind von planender Hand durchkonzipiert und verfehlen ihre Wirkung auf den Hörer bestimmt nicht. Das Soloinstrument kontrastiert auf interessante Weise zu einem rhythmisch beeindruckenden und optimal orchestrierten Orchesterpart. Die Sinfonie ist dreisätzig , wobei die Sätze 2 und 3 - wie so oft bei Weinberg- ineinanderlaufen. Sie sind mit Namen versehen: Etudes - Episodes - Fanfares.
    Besonders interessant für mich der Beginn des 3. Satzes, der eine Paraphrase über Mendelssohns Hochszeitsmarsch aus der Musik zum Sommernachtstraum darstellt. Naxos braucht sich für diese Aufnahme nicht zu schämen, sie ist interpretatorisch und tontechnisch überragend.

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das früheste Konzert von Weinberg ist das op. 42 für Violine und Streichorchester, es entstand 1948 zwischen der 1. Sinfonietta und dem Cellokonzert op.43 (s. Beitrag 3). Ein Stück, das auch den moderner Musik eher abgeneigten Hörer unmittelbar ansprechen müsste. Das Thema des ersten Satzes dieses dreisätzigen Werkes ist sofort eingängig und wird von der Violine immer wieder aufgegriffen. Ein gefühlvolles Adagio und eine agiles Finale runden das schöne Werk ab. Die Ansprüche an den Solisten sind nicht zu unterschätzen, die ans Orchester so gestaltet, dass es durchaus im Bereich von Jugend- oder Studentenorchester liegt.
    Die Neuaufnahme auf cpo mit der jungen polnischen - wohl derzeit in Hamburg lebenden - Geigerin Ewelina Nowicka ist sehr ansprechend. Dummerweise kommt diese CD zeitlich einige Monate nach der mit der Kremerata Baltica mit Gidon Kremer, obwohl die Aufnahmen ein halbes Jahr früher entstanden. Da auf beiden Einspielungen auch die substantielle 10. Symphonie für Streichorchester zu finden ist, kann die cpo Aufnahme nur mit der 10-minütigen Rhapsodie über moldawische Themen als Neuheit punkten. Das nennt man bad timing. Wer (außer mir :D) kauft schon beide Aufnahmen.



    Dabei können die Aufnahmen des Concertino kaum unterschiedlicher sein, Kremer braucht knapp 16 min, Nowicka fast 21. Allein beim ersten Satz beträgt der Unterschied fast 2 1/2 Minuten bei nur 8 Minuten Gesamtspielzeit der längeren Version. Mir gefällt die langsamere Gangart derzeit aber besser, die Melancholie des Stückes kommt IMO bei diesem Tempo besser zur Geltung.


  • Hallo zusammen,


    Mieczyslaw Weinberg (1919-1996)
    Violinkonzert op.67

    + Britten: Violinkonzert op. 15
    Linus Roth, Deutsches Sinfonie-Orchester Berlin, Mikhel Kütson
    Challenge, DDD, 2013
    SACD; Tonformat: stereo/multichannel (Hybrid)


    Anknüpfend zu Beitrag #2, in welchem Lutz das Violinkonzert op. 67 beschrieb, möchte ich auf eine weitere Aufnahme hinweisen, die seit einiger Zeit mit dem der jüngeren Generation entstammenden Geiger Linus Roth vorliegt. Für Roth scheint Weinberg eine Herzensangelegenheit zu sein, hat er doch bereits seine sämtlichen Werke für Violine und Klavier mit dem Pianisten José Gallardo (ebenso für Challenge Classics) eingespielt, neben dem gleichfalls vorliegenden Concertino op. 42.
    Roth meistert die Komposition ganz hervorragend und transportiert ihre Stimmungen auf ideale Art und Weise. Hinzu kommt die exzellente Klangtechnik dieser Produktion. Die Kopplung mit dem häufiger eingespielt Britten-Konzert erscheint mir sehr passend, denn die Werken weisen gerade im Bereich des Atmosphärischen durchaus parallelen auf.
    Lutz obigen Einschätzung, das Werk sei kein großer Wurf, mag ich nicht teilen, denn mich hat op. 67 auf Anhieb begeistert!


    Viele Grüße
    Frank

  • VIOLINKONZERT OP. 67



    Mieczysław Weinberg
    Violinkonzert

    Gidon Kremer

    Gewandhausorchester Leipzig

    Daniele Gatti

    Liveaufnahme, Februar 2020








    Erschienen ist diese Aufnahme im Januar 2021. Gidon Kremer fühlt sich nicht nur zeitgenössischem Repertoire verpflichtet, er setzt einen besonderen Akzent auf das Œuvre von Mieczysław Weinberg. Dabei tritt er nicht nur als Interpret in Erscheinung: 2019 sind seine Transkriptionen der 24 Präludien Op. 100 für Solovioline bei Accentus Music erschienen. Das Violinkonzert wurde im Rahmen einer Konzertreihe anlässlich des 100. Geburtstages des Komponisten [Jahrgang 1919] im Februar 2020 im Gewandhaus zu Leipzig aufgezeichnet.


    Die viersätzige Anlage ist ungewöhnlich für ein Violinkonzert. Das Orchester bereitet im Kopfsatz den Einstieg der Solovioline nicht vor, wie man es von vielen Konzerten kennt. Hier muss der Solist gleich ins kalte Wasser springen. Gidon Kremer ist bei seinem knarzigen Einsatz bereits auf 'Betriebstemperatur'. Den Wechsel zwischen ruppig-sprödem Spiel, Dramatik und dem Auskosten von lyrischen Momenten bewerkstelligt er mit maßvoller Dringlichkeit und souveräner Leichtigkeit. Diese heterogene Klangwelt fächert er wunderbar auf. Daniele Gatti sorgt für ein grandioses Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester, das durch einen gut durchhörbaren Klang besticht.


    Zum Vergleich die Aufnahmen des Widmungsträgers Leonid Kogan und Linus Roth. Für die Stoppuhr-Fraktion nachfolgend die Zeitangaben der vier Sätze:


    Kogan/Moscow State Philharmonic/Kondrashin [1961]: I – 7:00 / II – 6:02 / III – 6:12 / IV – 6:14

    Roth/DSO Berlin/Kütson [2014]: I -8:09 / II – 6:24 / III – 7:05 / IV – 7:05

    Kremer/Gewandhausorchester/Gatti [2021]: I – 9:18 / II – 8:27 / III – 6:16 / IV – 8:23


    Gidon Kremer wählt gemäßigtere Tempi als seine Vorgänger – bis auf das Adagio, das er fast so rasch spielt wie Leonid Kogan, der insgesamt die feurigste Interpretation vorgelegt hat. Kremer setzt ganz auf die existenzielle Kraft, mit der er durch seine getragenere Lesart insbesondere das Allegro molto auflädt. Linus Roths Beitrag ist positiv in meiner Erinnerung verankert, ohne dies jetzt im Detail begründen zu können, da ich die Aufnahme länger nicht gehört habe.


    Das Violinkonzert wurde gekoppelt mit Weinbergs Sonate für zwei Violinen Op. 69.

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