Enrique Granados (1867 - 1916)

  • Hier möchte ich einen Komponisten vorstellen, der ein begabter Pianist war, einer der großen Neuerer der spanischen Musik als Komponist wurde und der indirekt deswegen starb, weil er dem damaligen amerikanischen Präsidenten ein spontanes Privatkonzert gab.
    Aber der Reihe nach. Der kleine Enrique wurde 1867 als Sohn eines kubanisch-stämmigen Offiziers geboren (Kuba war damals noch spanische Kolonie), seine Mutter stammte ursprünglich aus Kantabrien; der kleine Junge wurde jedoch durch seinen Geburtsort (Lérida bzw. Lleida) Katalane. (Im selben Ort wurde übrigens 1875 Ricardo Viñes, ein bedeutender spanischer Pianist geboren).
    Als der Vater des jungen Enrique zum Militärgouverneur von Santa Cruz de Tenerife ernannt wurde, verschlug es die Familie für dreieinhalb Jahre auf die kanarischen Inseln, eine Region, die den Jungen sehr prägte und von der er zeitlebens schwärmte. 1874 kehrte die Familie Granados nach einem schweren Reitunfall des Vaters wieder auf das Festland zurück und ließ sich in Barcelona nieder. Hier zeigte Enrique bereits großes Interesse und eine starke Begabung für Musik, so dass er durch einen Freund seines Vaters, José Jonqueda, die ersten Klavier- und Gesangsstunden erhielt. Der Knabe machte derart rapide Fortschritte, dass schon bald ein neuer Lehrer gefunden werden musste, und ab 1879 unterrichtete ihn Maestro Javier Jurnet, der später zu Protokoll gab, dass Enrique Granados der brillanteste Schüler sei, den er jemals unterrichtet habe.
    Enrique übte mit großem Ehrgeiz bis zu zehn Stunden am Tag. Manche Biographen vermuten, dass eventuell der frühe Tod seines Vaters den Jungen dazu trieb, besonders fleißig und diszipliniert zu sein, mussten doch auch zahlreiche jüngere Geschwister versorgt werden.
    Enrique spielte oft Besuchern vor, und als ihn der Pianist Joan Picó hörte, bezeichnete er ihn als Wunderkind und drängte darauf, den besten Klavierlehrer Barcelonas zu jener Zeit, Juan Bautista Pujol, zu kontaktieren. Pujol hatte in Paris studiert, war besonders durch seine Opernarrangements auch als Komponist bekannt und hatte darüberhinaus eine neue Methodik des Klavierspiels verfasst. Unter seinen Schülern befand sich u. a. auch ein gewisser Isaac Albéniz; ab 1880 unterrichtete er auch Enrique Granados, der nach drei Jahren bereits einen Preis für Nachwuchspianisten erringen konnte.
    Ein weiterer wichtiger Einfluss war Felipe Pedrell, der auch Albéniz und de Falla unterrichtete, und dem er auch zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb.
    Manche Kommentaristen sehen die Rolle Pedrells als zwiespältig an: einerseits spielte er eine ungeheuer wichtige Rolle bei der Erneuerung der spanischen Musik im 19. Jahrhundert, v.a. die Erforschung des traditionellen spanischen Liedgutes, der volksmusikalischen Wurzeln war ihm ein wichtiges Anliegen. Er wollte auch nach Wagners Vorbild eine Erneuerung der spanischen Oper einläuten, seine Operntrilogie "Els Pirineus" legt davon Zeugnis ab.
    Jedoch war Pedrell andererseits auch Autodidakt, und bisweilen wird ihm vorgeworfen, dass er daher außerstande war, seinen Schülern den allerletzten Feinschliff zu geben.
    Wie dem auch sei, Pedrell war ein wichtiger Einfluss für Enrique Granados, wenn er auch weniger interessiert an den altspanischen Wurzeln und typischem spanischen, folkloristischem Lokalkolorit war; diese Einflüsse findet man sich in seinem Werk eher sporadisch, seine musikalische Inspiration lag eher im Rest Europas als in Spanien. Enrique musste schließlich seine Studien bei Felipe Pedrell aus finanziellen Gründen abbrechen und sich als Bar-Pianist verdingen, um Geld zu verdienen. Diese Arbeit gab er jedoch bald auf, da er sich außerstande sah, die damals populären Opern-Potpourris immer wieder rauf- und runterzuspielen. Eduardo Conde, ein reicher Unternehmer, schuf jedoch Abhilfe, indem er Enrique als Musiklehrer für seine Kinder einstellte. Schließlich gelangte Enrique jedoch zu der Überzeugung, dass er in Spanien seine musikalische Ausbildung nicht vervollkommnen konnte, wie er es wünschte, und fasste den Entschluss, nach Paris zu gehen. 1887, nachdem er zusätzlich wieder in einem Kaffeehaus Klavier gespielt hatte, war es dann soweit, er hatte das notwendige Geld zusammen und ging nach Paris.
    Seine Pläne, am Konservatorium zu studieren, wurden dadurch durchkreuzt, dass er krank wurde, und nach seiner Genesung war er bereits zu alt, um ins Konservatorium einzutreten. Immerhin nahm er Privatstunden bei Charles Wilfrid de Bériot, bei dem auch u. a. Ricardo Viñes und Maurice Ravel studierten.
    Paris bescherte ihm viele neue Bekanntschaften und die Vertiefung bestehender Freundschaften, wie z. B. Albéniz, Fauré, Debussy, Ravel, Dukas, D’Indy, Saint-Saëns. Er tauchte ganz in die Kultur und das Nachtleben ein; nach zwei Jahren kehrte er jedoch nach Spanien zurück, da es ihm nicht gelang, seine Werke bei französischen Verlegern unterzubringen.
    Nach seiner Rückkehr lief es dann auch gut für Granados: er konnte als Komponist Fuß fassen, v.a. in Madrid und Barcelona war er sehr erfolgreich, er heiratete 1893, im folgenden Jahr wurde das erste von sechs Kindern geboren.
    Granados, der bisher v.a. durch seine Klaviermusik, seine Instrumentalwerke und einige Zarzuelas aufgefallen war, erhielt schließlich von der Pariser Oper den Auftrag, für besagtes Haus eine Oper zu komponieren; Granados begann daraufhin, seinen Klavier-Zyklus "Goyescas" aus dem Jahre 1911 umzuarbeiten. Die Pariser Oper zog den Auftrag durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges zurück, jedoch übernahm die New Yorker Metropolitan Opera das Projekt. So kam es, dass Granados mit seiner Ehefrau nach Amerika reiste. Die Aufführung der Oper "Goyescas" war sehr erfolgreich, und der amerikanische Präsident Woodrow Wilson lud Granados ein, für ihn ein Konzert im Weißen Haus zu geben. Dadurch verzögerte sich Granados ursprünglich geplante Rückfahrt. Die Schiffsreise, die er dann nahm, wurde ihm schließlich zum Verhängnis: beim Übersetzen über den Ärmelkanal wurde die Fähre von einem deutschen U-Boot torpediert, die das Fährschiff mit einem Militärschiff verwechselt hatte. Granados wurde ins Meer gespült, er wurde an Bord eines Rettungsbootes gezogen; er warf sich jedoch wieder ins Wasser, um seine Frau zu retten, die er in den Fluten sah; er hatte keinen Erfolg; das Ehepaar starb, und mit ihm weitere 80 Passagiere der Sussex.
    Eine Ironie des Schicksals: Granados Kinder und Enkel wurden spanische Meister im 100m-Schwimmen...


    Jedenfalls bleibt die Erinnerung an diesen facettenreichen Menschen und Komponisten und seine wundervolle Musik. Übrigens, erst 2010 wurde sein einziges Konzert für Klavier und Orchester entdeckt und uraufgeführt:


    www.youtube.com/watch?v=xDvc4ArdSG0


    Leider scheint es noch keine Einspielung davon zu geben.


    Als Einstieg in Granados' Klangwelt ist ansonsten sehr zu empfehlen:


  • Danke, lieber Don, dass Du Granados einen solchen Thread widmest. Und besonderen Dank für Deine Mühe mit der sehr schönen, biographisch ausführlichen Einleitung! Das hat er wahrlich verdient! Die Goyescas sind ganz großartig. Im Klavierunterricht als Jugendlicher brachte mein Lehrer am letzten Tag vor den Ferien immer sein Tonband mit und spielte so auch die Goyescas mit Alicia de Larrocha. Das hat mir den Weg zur wunderbaren spanischen Klaviermusik geöffnet, das sind wahre Juwelen. Die eindrucksvollen historischen Aufnahmen mit Granados selbst habe ich auch - sie zeigen einen sehr eleganten Stil im Geiste des 18. Jhd. - also wenig "romantisch". Das sollte man haben. Einiges hat A. de L. später nochmals aufgenommen für RCA. Die unten abgebildete Platte ist besonders toll (wurde damals mit dem Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet). Dieses Allegro de concierto mit seiner Lisztschen Dämonie ist ein mitreißendes Stück - eigentlich war es als Übungsstück für Studenten gedacht. Auch Danza lenta ist wunderbar, düster melancholisch - davon habe ich auch die Noten. :)



    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    da kann ich Dir nur Recht geben, besagte CD habe ich auch, und sie ist wirklich ganz hervorragend. Im Übrigen habe ich fast schon erwartet, dass Du sie nennen würdest, weiß ich doch, dass Du ebenso wie ich Alicia de Larrocha sehr schätzt -- und da macht man bei de Falla, Albéniz, Granados ganz sicher nichts falsch, wenn man zu den Einspielungen dieser Pianistin greift. Immerhin hatte sie bei Frank Marshall, einem direkten Schüler Granados', Klavierunterricht.
    Sie hat auch die Granados-Reihe mitbetreut, die der amerikanische Pianist und Musikwissenschaftler Douglas Riva für das Label Naxos vorgelegt hat (ich zeige hier pars pro toto nur Folge 1), und die mit einer ganzen Reihe von Weltersteinspielungen aufwarten kann. Zum Naxos-Preis ein Muss für aller Freunde von Enrique Granados.



  • Diese Aufnahme von Alicia de Larrocha würde ich als "Geheimtip" bezeichnen, weil sie abseits des bekannten Repertoires kleine Juwelen der Klavierliteratur präsentiert. Einmal zeigt sie Enrique Granados, wie er die deutschen Vorbilder Schumann (Kinderszenen, Album für die Jungend) und Brahms oder auch Chopin - eine Mazurka - improvisatorisch frei und doch sehr präzise zu poetischen Klavierstücken verarbeitet, und sie so in die Kultur seiner Heimat Spanien versetzt. Dazu zeigt Alicia de Larrocha in dieser auch klangtechnisch ausgezeichneten Aufnahme, über was für eine erlesene Kunst des Klavierspiels sie verfügt. Schlicht wunderbar! Die CD ist längst vergriffen - es gibt zwei Gebraucht-Angebote für 3 Euro. Da sollte der Liebhaber zugreifen! :)


    Schöne Grüße
    Holger