Ist die Persönlichkeit eines Komponisten anhand seiner Werke erfahrbar?

  • Zitat

    Zitat von »Klaus 2« Und ich denke schon, dass die Persönlichkeit eines Komponisten sehr viel mit seinen WErken zu tun hat. Ja dass diese schon auch ein wenig erkennbar werden kann.


    Dieses Thema verdient einen eigenen Thread. Das wäre aber an Klaus, den zu eröffnen.


    Dann tu ich das mal.
    Ich kam darauf, weil ich meine zu hören, dass Dvorak ein sehr gutmütiger Mensch war. Ich wurde schwer gescholten. Aber wenn sich jemand nochmals mit dem Gedanken auseinandersetzen möchte, würde ich mich freuen, es an dieser Stelle zu tun.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Die Schelte ist aber nicht ganz zu verstehen, wenn man bedenkt, wie im Fall Wagner geurteilt wird. Selbst für viele Laien ist es ganz selbstverständlich,
    dass ein Mensch, der so sehr von sich eingenommen ist, auch entsprechende Musik schreibt.
    Die Musik des Lebemanns Mozart wird oft als seicht bezeichnet.
    Und der nüchterne Strawinskij, der Antipode Wagners, komponiert völlig emotionslos.


    Was also ist dran, an diesen Urteilen?

  • Na ja. Und ich sage eben einfach, dass man so etwas hören kann, oder eben beim Hören fühlen. Da ist zwar keine wissenschaftliche Evidenz dahinter, aber muss ja auch nicht. Wir bewegen uns da auf einem Gebiet, wo Beweise nicht wirklich weiter führen.
    Es ist also einfach die Frage, kann ich beim HÖren eine Seelenverwandschaft spüren, erleben? Und ist diese Kommunikation auf irgendeine Weise real? Und die Frage:"Woher wissen wir das?" wird eben damit beantwortet:" Ich spüre das".

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Die Fragestellung Deines Threads, lieber Klaus, ist eine sehr interessante. Aber sie weist ein Grundproblem auf. Man muss, um sich in einem konkreten Fall sich auf sie einzulassen zu können, die "Persönlichkeit" des jeweiligen Komponisten ja kennen, das heißt also ausführliche biographische Studien betrieben haben.


    Ich handhabe das bei allen Liedkomponisten, deren Lieder ich hier im Forum vorstelle und bespreche, seit Jahren so. Es sind immer mehrere Biographien und zugehöriges schriftliches Quellenmaterial, das ich dabei heranziehe.
    Und da ist mir etwas - Deine Fragestellung unmittelbar Berührendes - aufgefallen: In die Biographien fließt in nahezu jedem Fall indirekt auch die spezifische Faktur des jeweiligen musikalischen Werks ein. Sie sind also - und das kann auch gar nicht anders sein - nicht völlig abgehoben vom Werk verfasst worden.


    Die Folge: Du meinst dann als Leser derselben sehr wohl so etwas wie die jeweilige "Persönlichkeit" aus dem Werk herauszuhören.
    Um das zu konkretisieren: Im Falle von Hugo Wolf habe ich mich in meinem heutigen Beitrag (im Eichendorff-Thread: "Rückblick 2") auf genau Deine Frage eingelassen. Im Falle von Schuberts Liedern bin ich ihr ebenfalls gründlich nachgegangen.


    Ich denke: Aus den oben genannten Gründen ist Deine Frage für den musikwissenschaftlichen Laien - also den, der nicht wirkliches Quellenstudium bestreibt, um sich ein möglichst objektives Bild von dem jeweiligen Komponisten zu verschaffen - nur sehr schwer zu beantworten. Man müsste die Einflussnahme biographischer Faktoren nicht nur auf die Genese eines Werks, sondern auch auf seine musikalische Struktur im Einzelfall ganz konkreten Fall nachweisen. Und da gibt es jede Menge interessanter Fälle. Gustav Mahler zum Beispiel schwebt mit da gerade vor.

  • Das, lieber Helmut ist – so glaube ich – nicht das, was Klaus eigentlich meint.
    Während Du, aus Kenntnis der Biographie des Komponisten zu Aussagen gelangst, wie denn die Musik zu diesen charakterlichen und biografischen Eigenschaften in Verbindung steht, möchte Klaus wahrscheinlich etwas anderes wissen. Ihn interessiert offenbar, ob es allein aus der Kenntnis der Musik möglich ist, Aussagen über die Persönlichkeit des Komponisten abzuleiten.
    Eigentlich sollte dies gelingen. So, wie ich aus mündlichen und schriftlichen Äußerungen einer Person etwas über diese erfahren kann, sollte das doch eigentlich auch über musikalische Äußerungen möglich sein?

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Vielen Dank, lieber Reinhard, dafür, dass Du mich auf dieses Missverständnis hingewiesen hast. Ich habe ganz offensichtlich die Intention dieses Threads - und damit das, was Klaus will - falsch verstanden. Ich sollte genauer hinschauen, bevor ich einen Beitrag zu einem Thread leiste. Vor kurzem ist mir schon einmal ein solcher Fehler passiert.



    Du hast recht, wenn Du meinst, dass das, was Klaus sich mit seiner Frage erhofft, leistbar und zu bewältigen ist. Auf jeden Fall ist es ein vielverheißendes Unterfangen. Ich bin gespannt, was da alles im Einzelfall hinsichtlich der Persönlichkeit aus der Musik herausgehört und -destilliert werden wird.

  • Ich fühle mich von Reinhard gut verstanden, das war so ungefähr meine Idee. Das wertet allerdings Helmuts Beitrag ja nicht ab.
    Aber ich meine tatsächlich etwas sehr einfaches und intuitives. So wie wir ja zu hören glauben, dass ein Komponist traurig oder fröhlich war, als er etwas schrieb, so könnte ich doch auch weitergehendes, tieferliegendes erfahren beim HÖren.
    Natürlich weiß ich, dass das recht esoterisch ist, aber der esoterische Charakter jedweder Musik ist ja wohl auch nicht wirklich zu leugnen.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Lieber Helmut, wenn solche "Fehler" - die in meinen Augen keine sind- zu solch interessanten Beiträgen führen, darfst Du gern mehr davon machen.

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  • Aus meiner Sicht ist der Charakter des Komponisten nicht aus seinen Werken ersichtlich - vielleicht mit Ausnahme des 20. Jahrhunderts, wo es ja (oft nach eigener Aussage) das ZIEL eines Komponisten war "sich selbst zu verwirklichen". Solche Musik sagt dann natürlich mehr über einen Komponisten aus als ein Auftragswerk, oder ein Virtuosenstück zum eigenen Gebrauch - klingt aber dann oft auch entsprechend. Komponisten der Vergangenheit konnten und durften es sich nicht leisten allzu persönliches in ihre Werke zu legen, sie waren entweder ihrem Dienstgeber verpflichtet, oder aber auf das Wohlwollen und Interesse eines Publikums angewiesen. Wir hören - bleiben wir beim Beispiel Mozart - niemals aus seiner Musik heraus ob er in finanziellen oder sonstigen Schwierigkeiten steckte. Wir vergessen allzu oft, daß es sich ja nicht in erster Linie um "Künstler" im heutigen Sinne handelt (die meinen, einen Freibrief zu besitzen, sich alles erlauben zu dürfen) sondern um "Handwerker", bzw "Lakaien" der Herrschenden. Im Falle von Joseph Haydn am Hofe des (für seine Zeit sehr liberalen) Fürsten Esterhazy handelte es sich um die Position eines "Hausoffiziers", dessen Pflichten und Rechte, wie auch die Uniform genau geregelt waren. Hofkomponisten etc, waren das, was man heute als "Profis" bezeichnen würde.
    Mozart als "Lebemann"? - auch das erfordert einen eigenen Thread... !!
    Im übrigen ist das, was wir heute von den Komponisten und auch Dichtern über ihre Wesensart und Charakter wissen, weitgehend geschönt oder ins Negative verfälscht, man hat das aus ihnen gemacht was die bewundernden Zeitgenossen und die böse Nachwelt hören wollte.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ja, ok. Aber gilt das denn auch für die emanzipierten Künstler, die eben nicht mehr (oder nicht nur) Handwerker ihres Brotherren waren? Mahler? Bruckner? Dvorak? Tschaikowsky?

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  • Und man sollte ja nicht vergessen, dass die Dienstherren ja "fertige" Künstler in Dienst genommen haben, die vorher schon gezeigt hatten, in welche Richtung ihre Talente und Fähigkeiten gingen. Das aber heißt, dass sie ja ihre Persönlichkeit schon vorher gezeigt hatten. Eben in ihren Werken. Insofern eignete sich dann eine Persönlichkeit eher für diesen Fürsten, eine andere für jenen. Zudem lebten die ja oft dann am Hofe und mussten insofern auch zueinander passen. Also war die Persönlichkeit schon wichtig. Und dass es sich um reine "Handwerkerei" ging, nun ja, könnte es uns dann heutzutage wirklich so ergreifen?

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Und dass es sich um reine "Handwerkerei" ging, nun ja, könnte es uns dann heutzutage wirklich so ergreifen?


    Ich denke mal, das ist ein anders Thema. Aber sicher kein uninteressantes. War das nur "Kunsthandwerk" ohne ein Stück Seele des Komponisten? Und wann und wie wird aus Kunsthandwerk Kunst? Qualität? Historischer Abstand?

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Zit. Alfred Schmidt: "Wir vergessen allzu oft, daß es sich ja nicht in erster Linie um "Künstler" im heutigen Sinne handelt (die meinen, einen Freibrief zu besitzen, sich alles erlauben zu dürfen) sondern um "Handwerker", bzw "Lakaien" der Herrschenden."

    Diese Feststellung ist nur in ihrem zweiten Teil sachlich zutreffend, - die soziale Stellung der "Künstler" und ihre funktionale Einbindung in die Gesellschaft und deren kulturelle Produktion betreffend. Im ersten Teil ist sie das nicht.


    In ihrem Bewusstsein und künstlerischen Selbstverständnis hatte sich der Künstler seit der Renaissance davon emanzipiert. Er verstand sein Werk - auch wenn es ein Auftragswerk war, das infolge dessen Zugeständnisse und Kompromisse erforderlich machte - sehr wohl als personale künstlerische Äußerung, in deren Kern er sich selbst in all seinen personalen Wesenszügen ausdrückt. Das gilt sogar schon für Bach. Erst recht aber für Mozart, - und alle Komponisten danach.
    Insofern scheint mir die Fragestellung von Klaus in seinem Thread eine durchaus sachlich vertretbare und zulässige.

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  • Ich glaube nicht, dass die Persönlichkeit eines Komponisten anhand seiner Musik erfahrbar ist. Ein ganz wesentliches Problem ist, dass wir über die Persönlichkeit der überwiegend Mehrzahl der Komponisten fast nicht wissen. Ich behaupte mal, von jedem Komponisten der vor 1850 geboren wurde, so gut wie nichts. Diese Behauptung wird sicher einigen Widerspruch hervorrufen. Aber ich bin mir dessen ziemlich sicher. Ich habe im Laufe der letzten ca. 35 Jahren so gut wie über jeden bedeutenden Komponisten eine bis mehrere Biografien gelesen und ich muss sagen, das ich aus diesen in den allermeisten Fällen ein nur sehr unscharfes Bild ihrer Wesensart gewinnen konnte. Die ersten Komponisten, von denen ich ein halbwegs konkretes Bild habe, sind Gustav Mahler und Richard Strauss. Alle davor sind diffuser und je weiter zurück, umso diffuser. Kein Mensch kann sich wirklich die Person Mozarts vorstellen, ohne in Klischees zu verfallen oder durch starke Filmbilder (Amadeus) für immer "verdorben" zu sein.


    Und die Musik hilft da nicht wirklich weiter. Hört jemand, dass Beethoven stocktaub und vermutlich darüber verzweifelt war, als er seine späten Werke schuf. Klar, für die Legendenbildung halten der "Heilige Dankgesang" und anderes gut her. Aber wie es in ihm wirklich aussah, weiss kein Mensch und ich höre es auch nicht. Ich denke, es ist generell schwierig, sich in Menschen hineinzuversetzen, die in einer früheren Epoche lebten.

  • Die Dilthey-Schule im 19. Jhd. vertrat ja die Ansicht, dass ein Werk nur aus der Biographie seines Autors verständlich sei. Und aus diesem Geiste heraus wurden auch sehr feinsinnige und immer noch lesenswerte Biographien verfaßt (von Dilthey selbst, von Simmel usw.). Dann kam die Gegenbewegung, die ich noch aus dem Germanistikstudium kenne: die "werkimmanente" Interpretation. Sie betrachtet ein Werk als ein eigenständiges Sinngebilde, was sich eben nicht aus biographischen Zufälligkeiten spekulativ erklären läßt. Aber: Auch die werkimmanente Interpretation verbannt das Biographische nicht völlig: nämlich dann nicht, wenn es Sinnschicht des Werkes selber ist. Beispiel: der "Tod in Venedig" von Thomas Mann.


    In der Musik gibt es dafür viele Beispiele - meist in programmatischer Musik. Evident ist das bei Richard Strauß ("Ein Heldenleben"), oder auch bei Liszt. Man sollte aber auch hier nicht zu puristisch sein. So Unrecht hatte der "Biographismus" der Dilthey-Schule nämlich nicht: Der biographische Entstehungshintergrund kann natürlich als sinnerschließender Kontext herangezogen werden - man kann und darf ihn hinzuziehen, um den Sinn eines Werkes besser zu verstehen. (Beispiel: Mahlers 9. Symphonie oder natürlich auch Hugo Wolfs Lieder, die Helmut Hofmann so schön bespricht). Man darf nur nicht den Fehler machen zu glauben, durch das Biographische den Werksinn vollständig erklären zu wollen (das wäre ein verkehrter Psychologismus): also erläutern ja, aber nicht erklären.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich neige lutgras Auffassung zu.
    Beispiel Gustav Mahler:
    Ich kann wohl behaupten, so ziemlich alles gelesen zu haben, was im deutschsprachigen Raum an Biografien über Mahler erschienen ist, einschließlich einer englischen Ausgabe von de La Granges Mammutbiografie.
    Dennoch würde ich nie wagen zu behaupten, Mahlers wesentliche Persönlichkeitsmerkmale so intensiv beurteilen zu können, um hieraus Rückschlüsse auf sein Werk -und umgekehrt!- ziehen zu können.
    Erstaunlich ist z.B. die Legendenbildung in Bezug auf einen Menschen, der erst vor 103 Jahren gestorben ist, also schon in der Moderne gelebt hat. Zu den Legenden zählt z.B., er wäre von der Hofbürokratie aus der Oper hinausgeekelt worden (völlig abwegig) oder der Wiener Antisemitismus habe ihn ins Ausland vertrieben (auch das stimmt nicht), oder er sei seit 1907 von ständiger Todesahnung umgetrieben worden. Letzteres ist wichtig, da insbesondere die 9. und 10. Sinfonie gerne als "Weltabschiedswerke" betrachtet und gedeutet werden.
    Mahler konnte nicht wissen, daß er im Mai 1911 sterben würde. Seine Ärzte hatten ihm wegen eines bei ihm bestehenden kompensierten Vitiums lediglich zu einer gewissen Schonung und Einschränkung seiner Gebirgstouren und Gewaltmärsche geraten.
    Die Endokarditis, die zu seinem Tode führte, war nicht voraussagbar und insofern entbehrt die Vorstellung von den "Abschiedswerken" einer konkreten biografischen Grundlage.
    Es soll damit nicht gesagt sein, daß das jeweilige persönliche Erleben nicht in die Kompositionen einfliessen kann, aber ein musikalisches Werk ist viel zu komplex und vieldeutig, um einen platten Rückschluß von Biografie auf Musik zu erlauben, selbst wenn einmal die näheren persönlichen Umstände, unter denen ein Komponist ein bestimmtes Werk geschaffen hat, zweifelsfrei bekannt sein sollten.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Ich glaube nicht, dass die Persönlichkeit eines Komponisten anhand seiner Musik erfahrbar ist. Ein ganz wesentliches Problem ist, dass wir über die Persönlichkeit der überwiegend Mehrzahl der Komponisten fast nicht wissen. Ich behaupte mal, von jedem Komponisten der vor 1850 geboren wurde, so gut wie nichts. Diese Behauptung wird sicher einigen Widerspruch hervorrufen. Aber ich bin mir dessen ziemlich sicher. Ich habe im Laufe der letzten ca. 35 Jahren so gut wie über jeden bedeutenden Komponisten eine bis mehrere Biografien gelesen und ich muss sagen, das ich aus diesen in den allermeisten Fällen ein nur sehr unscharfes Bild ihrer Wesensart gewinnen konnte. Die ersten Komponisten, von denen ich ein halbwegs konkretes Bild habe, sind Gustav Mahler und Richard Strauss. Alle davor sind diffuser und je weiter zurück, umso diffuser. Kein Mensch kann sich wirklich die Person Mozarts vorstellen, ohne in Klischees zu verfallen oder durch starke Filmbilder (Amadeus) für immer "verdorben" zu sein.


    Man kann sich aber an belegte Fakten aus ernsthaften Biographien, an die Briefe usw. halten und versuchen, "Amadeus" nicht historisch ernst zu nehmen. An solchen Quellen haben wir zB bei Mozart oder gar Beethoven sehr viel mehr als bei Bach oder Händel.
    Ich bin aber ebenfalls der Ansicht, dass man normalerweise Gefahr läuft, in Klischees (oder private Vorstellungen) zu verfallen, wenn man meint, die "Persönlichkeit" eines Komponisten aus der Musik zu erkennen. Man sieht das ja auch daran, dass typischerweise eine Vorauswahl getroffen wird, wenn Musikstücke und Persönlichkeitsmerkmale korreliert werden sollen. Käme jemand anhand der 7. Sinfonie oder des f-moll-Trios auf den gutmütigen Dvorak? Anhand Pastorale und Violinkonzert zum zornigen Titaten Beethoven?
    Abgesehen davon muss man natürlich auch aufpassen, stabile Aspekte eines Personalstils in der Musik mit Merkmalen des Charakters/der Persönlichkeit zu verwechseln.


    Zitat


    Und die Musik hilft da nicht wirklich weiter. Hört jemand, dass Beethoven stocktaub und vermutlich darüber verzweifelt war, als er seine späten Werke schuf. Klar, für die Legendenbildung halten der "Heilige Dankgesang" und anderes gut her. Aber wie es in ihm wirklich aussah, weiss kein Mensch und ich höre es auch nicht.


    Der Dankgesang bezieht sich konkret auf eine andere akute Krankheit, nicht auf die Taubheit. Ich habe nicht den Eindruck, dass Beethoven in den 1820ern besonders verzweifelt wegen seiner Taubheit war. Gerade beim Spätwerk gibt es ja eher das Klischee des völlig entrückten Künstlers, dessen Kunst überhaupt nichts mehr mit solchen Banalitäten zu tun hat.


    Mir ist insgesamt auch nicht ganz klar, was der Zweck der Übung sein soll. Will man etwas über die Musik erfahren, indem man fragwürdige Verknüpfungen zur Biographie herstellt? Oder will man etwas über den Komponisten erfahren, indem man die Musik auf sich wirken lässt? Beides ist nicht, warum ich gerne Musik höre...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zit (Johannes Roehl): "Will man etwas über die Musik erfahren, indem man fragwürdige Verknüpfungen zur Biographie herstellt?"


    Nein, das will "man" - Klaus2 mit seinem Thread - nicht. Ich hatte ihn fälschlicherweise anfänglich auch so verstanden.
    Hinter der Frage, die der Thread aufwirft, steht die These (zit. Klaus): "Und ich denke schon, dass die Persönlichkeit eines Komponisten sehr viel mit seinen Werken zu tun hat."
    Wenn das so ist - und daran kann ja kein vernünftiger Zweifel bestehen -, dann muss die Musik etwas über den Menschen aussagen, der sie geschaffen hat.
    Und das gilt es irgendwie in Worte zu fassen.
    Ich habe da auch so meine Zweifel, ob das in einer halbwegs soliden Weise gelingen kann. Und meine Vermutung, dass man unwillkürlich allerlei in das hineinprojiziert, was man schon über den Komponisten weiß, halte ich nach wie vor aufrecht.
    Aber versuchen kann man´s ja doch einmal.
    Im übrigen: Ich halte die "Verknüpfungen zur Biographie" auf keinen Fall für "fragwürdig". Ein Franz Schubert zum Beispiel konnte die "Winterreise" nur in einer bestimmten Lebenssituation und der damaligen seelischen Verfassung komponieren.

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  • Prinzipiell können wir aus den Briefen verstorbener Komponisten mehr über den Menschen erfahren als aus den Biographien. Allerdings sagt das oft wenig bis nichts über das Werk aus. Wer würde im Falle von Mozart - bei Anlesen mancher seiner Briefe - einen der grössten Komponisten aller Zeiten vermuten ? (Fäkalsprache, derber Witz, böse - oft ungerechte - Urteile über Komponistenkollegen, Lügen gegenüber dem Vater, demütige Bettelbriefe an seinen Hauptgläubiger, unbotmässiger, ja geradezu proletenhafter Ton, wenn er über den Erzbischof von Salzburg, Graf Colloredo schreibt.) Aber wie immer man das sieht - an der Qualität von Mozarts Musik besteht kein Zweifel.
    Schaun wir bei Bruckner. Hier ist doch das Wesen des Komoponisten (ich beziehe mich hier auf den unentschlossenen Zauderer) zu erkennen. In Meiner Jugend hat mich schon gestört, daß immer, wenn es in einer seiner Sinfonien scheinbar zum Höhepunkt kommt, er dann quasi "zurückzieht" und weiterspielen lässt - bis zur nächsten "Schein -Climax"
    In die gleicher Richtung geht die Versionenvielfalt seiner Sinfonien. Immer wenn ihm irgend ein Einflüsterer eine Umarbeitung vorschlug folgte er diesem Ruf. Hier sehen wir eindeutig einen Schatten der Person Bruckners, der seine Werke prägt....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Beispiel Bruckners führt uns zu einer Abzweigung der Fragestellung dieses Threads:
    Warum haben manche Komponisten überhaupt ihre Werke geschaffen?
    Bruckner als berühmter Organist und Hochschullehrer (in seinen späteren Jahren) hätte - im Gegensatz z.B. zu Haydn oder Mozart- nicht zu seinem Lebensunterhalt komponieren müssen. Obwohl er fast nie einen Publikumserfolg zu verzeichnen hatte und von der zeitgenössischen Kritik in der Regel verhöhnt und verrissen wurde, hat er dennoch Werk auf Werk komponiert. Er stand natürlich unter dem Einfluss seiner Anhänger und Schüler, die seine Sinfonien zu "verbessern" und "aufführungstauglicher" zu machen bestrebt waren, aber im Grunde war er davon überzeugt, schon das Richtige zu tun, auch wenn er z.B. die Dirigenten als "Vormünder" der Komponisten zu bezeichnen pflegte.
    Hier gibt es eine kleine Anekdote: Mahler besuchte Bruckner stets, wenn er sich in Wien aufhielt, und Bruckner zeigt ihm bei einer solchen Gelegenheit die Neufassung einer Sinfonie, die gerade von den Brüdern Schalk unter großem Aufwand umgearbeitet worden war. Mahler riet ihm, bei der Originalversion zu bleiben, worauf Bruckner sichtlich erfreut und erleichtert ausrief: "Gott sei Dank, dann brauch´ich die Schalks ja nimmer!"


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Würde man es mir übelnehmen, wenn ich den Wunsch äußerte, hier mal - statt allgemeiner Einlassungen zum Thema - wirklich von dem Versuch lesen zu können, aus einem bestimmten musikalischen Werk Rückschlüsse auf den Menschen zu ziehen, der es komponiert hat?


    Eine solche Beziehung zwischen Werk und Schöpfer gibt es ja doch wohl ganz sicher. Warum sollten sonst die Werke eines Komponisten einen je ganz eigenen und unverwechselbaren Charakter haben? Die einzelnen Komponisten haben diesen ihren Werken ja doch nicht die spezifische Klanglichkeit, ihre je eigene kompositorische Struktur verliehen, weil sie einer bestimmten musikalischen "Schule" angehörten oder den jeweiligen Zeitgeist in Musik umsetzen wollten. Sie wollten sich, jedenfalls in ausgeprägter Weise vom Übergang ins neunzehnte Jahrhundert an, darin primär selbst ausdrücken. Die Folge konnte natürlich sein, dass sie damit eine "Schule", eine Stilrichtung gründeten, - siehe etwa die "Neudeutsche". Aber selbst diejenigen, die sich zur ihr bekannten, schufen Werke von einem ganz unverwechselbar eigenen Ton.


    Das ist der Ansatz, von dem dieser Thread mit seiner spezifischen Fragestellung ausgeht. Und jetzt wäre es schön, wenn einmal der Versuch gemacht würde, anhand eines ganz konkreten musikalischen Werkes der Intention dieses Threads nachzugehen. Einfach mal um zu sehen, ob das geht oder vielleicht in schiere Spekulation mündet.


    Ich habe mir eben mal unter dieser Fragestellung die B-Dur-Sonate von Schubert angehört. Klingt da nicht ein Mensch durch, der von sich selbst sagt: "Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt, scheinen die Welt am wenigsten zu erfreuen" , - und sind doch meine größten, würde ich hinzufügen. Ein Mensch, der sich die Frage stellt: "Gibt es eigentlich lustige Musik?" Und lakonisch antwortet: "Ich weiß von keiner".

  • Vielen Dank Helmut! Du führst das Thema sehr schön wieder zurück.
    Wichtig scheint mir zu sein, dass meine Idee des Threads eigentlich ziemlich an biographischen Daten uninteressiert ist, sondern an einer tieferliegenden, systemischeren Sichtweise gelegen ist.

    Zitat

    Anhand Pastorale und Violinkonzert zum zornigen Titaten Beethoven?


    Und so einfach ist es natürlich nie. Beethoven war nciht immer und jederzeit zornig. Da bewegt man sich ja wirklich nur in den gängigen Klischees. Und wenn ich anfangs schrieb, dass man die Güte Dvoraks hören kann (oder ich das kann), dann macht das Dvorak nicht zu einem Menschen, der immer und jederzeit gut war. Aber ich glaube, dass er gerade seine Güte in seine Werke legen KONNTE, und dann besonders ergreifend war. So wie auch Beethoven genau seinen Zorn besonders gut in NOten fassen konnte.
    Natürlich können wir all dies nicht wirklich in Worte fassen, daher gibt es ja nur die Musik, weil es eben etwas gibt, das sich in Worten nciht ausdrücken lässt. Und da gehören Facetten der Persönlichkeit ganz bestimmt dazu.
    Beethoven z.B. konnte sehr gut "Handwerk" abliefern, aber es trieb in daneben eben auch etwas um. Und es ist eine sehr schöne und romantische Vorstellung, dass auf diesem Werk eine Beziehung zu einem Künstler entstehen kann.
    Beweisbar ist da wohl nichts.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Einfach mal um zu sehen, ob das geht oder vielleicht in schiere Spekulation mündet.

    Um die Spekulation werden wir in jedem Fall nicht herumkommen. Wir werden sicher auch kein allgemeingültiges Muster erstellen können,
    denn ich denke, nicht alle Komponisten tragen ihr Herz auf der Zunge.
    Beethoven tat es allerdings sehr oft, wobei ich aber nicht verstehe, warum man bei ihm meist an den großen Polterer denkt.
    Seine innigen Adagi lassen mich eher an das Gegenteil denken.
    Dass er als Mensch im täglichen Leben nicht immer auf der Wolke des Idealismus schwebte, sollte niemanden wundern.
    Wer es dennoch tut, hat das Heiligenstädter Testament nicht gelesen, oder wenigstens nicht verstanden.
    Für mich ist der dritte Satz der neunten Sinfonie das höchste Vermächtnis der Menschenliebe das je in Noten gesetzt wurde.


    Ähnlich, denke ich, verhält es sich mit Brahms. Seine Altrhapsodie kann unmöglich nur das Produkt musikalischer Kunstfertigkeit sein.

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  • Hallo,


    über die Musik – und nur über die Musik – eines Komponisten seine Persönlichkeit ergründen zu können – auch nur in engen/m (welchen/m?) Grenzen/Ausmaß - halte ich für? Dazu etwas differenzierter:


    Dass ganz bestimmte „Musiken“ aus der Verarbeitung persönlicher Erlebnisse des Komponisten entstanden sind – in der für diesen Komponisten für diese/n Musik/Anlass passenden Musiksprache - und diese „Musiken“ bei Kenntnis des speziellen Erlebnishintergrundes rein emotional erfasst und erkannt werden können, steht für mich außer Frage (ein gutes Beispiel betreffend das eigene Erleben, Berlioz, Symphonie fantastique – ein weniger gutes Beispiel betreffend das eigene Erleben, Mahler, Kindertotenlieder, fraglich Elgar, Enigma-Variationen - Distler, Chorsatz “Ich wollt‘ dass ich daheime wär“ – etc.)


    Daneben gibt es Fälle, in denen der Komponist mit seinem Leben fortwährend begleitende Lebensumstände seinen Frieden geschlossen hat (z. B. Schubert, „Die Taubenpost“).


    Anders z. B. kindliche Erlebnisse, oder solche aus der Jugendzeit, die über viele Jahre Ausdruck im Schaffen gefunden haben; da ist Mahler ein gutes Beispiel: Wenn er in manchen seiner Werke in eine (für mich) „selbstverliebte, selbst bemitleidende Klage“ verfällt, ist das in sehr ähnlichen Akkordverbindungen zu hören. Leider fehlt mir jetzt die Zeit, dies an Beispielen zu belegen (Laufzeitangaben auf CDs oder exakt textbasierte Angaben); ich werde dies aber mit Sicherheit nachholen (und bitte deshalb um Nachsicht und Geduld).


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Dieser Beitrag wurde vor Helmut Hofmanns Beitrag Nr. 23 von mir in "word" erstellt und erst jetzt gesendet.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Die Threadfrage könnte man auch analogisierend abwandeln:


    Kann man die Persönlichkeit eines Schauspielers erfahren anhand der Rollen, die er spielt?


    Der Vergleich des Komponisten mit einem Schauspieler ist durchaus angebracht. Gustav Mahler z.B. wollte ja etwas Allgemeinmenschliches ausdrücken - d.h. er läßt zwar seine eigenen Erfahrungen in eine Symphonie einfließen, transzendiert sie jedoch, er schlüpft sozusagen in die Rolle eines tragischen Helden auf einer imaginären Weltbühne, wie es seine Programme auch ausdrücken. Man kann mit guten Gründen sagen, dass eine Mahler Symphonie so etwas wie eine Lebensgeschichte erzählt - aber das ist letztlich diejenige eines fiktiven Subjekts und nicht die des realen Menschen Gustav Mahler.


    Um nochmals den Schauspielervergleich zu bemühen: Wenn jemand einen Fiesling spielt, kann er auch privat ein Fiesling sein (dafür gibt es ja auch prominente Beispiele :D ), es muß aber nicht so sein. Im Gegenteil kann es sich bei dem betreffenden Darsteller um den nettesten Mensch der Welt handeln. Faktisch ist es deshalb wohl so, dass die Musik und die in ihr zum Ausdruck kommenden Charaktere allein keine eindeutigen Hinweise auf den Charakter des Komponisten geben. In der Regel läuft es ja auch so ab, dass Biographieleser das, was sie durch die Lektüre über die Person des Komponisten erfahren haben, in Bezug zur Musik bringen, gewisse Züge dann wiedererkennen. Dann beleuchten sich Dinge wechselseitig - und das öffnet selbstverständlich den Raum für jede Menge Interpretationsmöglichkeiten.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Dann beleuchten sich Dinge wechselseitig - und das öffnet selbstverständlich den Raum für jede Menge Interpretationsmöglichkeiten.


    Das dürfte wohl in den meisten Fällen so sein, doch im Falle Beethoven war das Heiligenstädter Testament nur eine Bekräftigung der Ansichten, die ich mir durch seine Werke schon lange vorher gebildet hatte.

  • Der Vergleich des Komponisten mit einem Schauspieler ist durchaus angebracht. Gustav Mahler z.B. wollte ja etwas Allgemeinmenschliches ausdrücken - d.h. er läßt zwar seine eigenen Erfahrungen in eine Symphonie einfließen, transzendiert sie jedoch, er schlüpft sozusagen in die Rolle eines tragischen Helden...


    Verallgemeinernd (ohne Bezug zu Mahler) ausgedrückt: Das hängt von der Empathiefähigkeit jedes einzelnen Menschen ab, wie weit er die Gefühlswelt eines anderen Menschen für sich übernehmen, in diese eintauchen kann.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Verallgemeinernd (ohne Bezug zu Mahler) ausgedrückt: Das hängt von der Empathiefähigkeit jedes einzelnen Menschen ab, wie weit er die Gefühlswelt eines anderen Menschen für sich übernehmen, in diese eintauchen kann.


    Lieber Horst,


    manchmal - grüble ich gerade - kommt es mir aber auch so vor, dass es genau umgekehrt ist. Am Sonntag waren meine Frau und ich hier im Picasso-Museum und haben uns eine wunderbare Grafik-Ausstellung angesehen mit Bildern u.a. von Gustav Klimt (Wien also in Münster! :) ) Was für eine feinsinnige Linie er doch hat! Wenn man ihn dagegen auf dem Foto sieht, dann glaubt man gar nicht, dass dies der Künstler ist, der diese ungemein sensiblen, filigranen Bilder produziert hat. Besonders meine Frau fand das erschreckend. Klimt sieht in natura eher aus wie ein Grobian, ein gewöhnlicher Rauf- und Trunkenbold. Ähnliches frage ich mich bei Richard Wagner: Ist Wagners Musik nicht viel humaner als die Person Wagner - gegenüber dessen "problematischen" menschlichen Seiten geradezu erhaben? In diesem Fall scheint es mir fast: Ist es von daher nicht vielleicht sogar besser für die allgemeinmenschliche Botschaft der Musik, dass sie gerade keine Erfahrung der Persönlichkeit des Komponisten gibt?


    Schöne Grüße
    Holger

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