Manuel de Falla - Siete canciones populares españolas

  • Manuel de Falla komponierte diesen Liedzyklus im Jahre 1912 in Paris, wo er bereits seit 5 Jahren lebte. Der 36jährige Komponist hatte sich bereits erste Meriten erworben als Komponist, unter anderem durch die Komposition der Oper La Vida Breve.
    Falla hatte immer die volkstümliche Musik seines Landes -ähnlich wie sein Freund, der Dichter García Lorca- als wichtiges Element angesehen, das für ihn ein reicher Quell der Inspiration darstellte. Unterstützt wurde er bei diesem Anliegen auch durch seinen Lehrer Felipe Pedrell, der sich zeitlebens um die Schaffung eines spanischen Nationalstils bemühte und daher ebenfalls großes Interesse am musikalischen Erbe seiner spanischen Heimat hatte.


    Schauen wir uns die sieben Lieder de Reihe nach an, um uns einen ersten Überblick zu verschaffen. Dieses Posting soll dem ersten Lied gewidmet sein:


    1. El Paño Moruno


    Al paño fino, en la tienda,
    una mancha le cayó;
    por menos precio se vende,
    porque perdió su valor...
    ¡Ay!


    Das Lied handelt also von einem "maurischen" oder "dunklen" Tuch (moruno oder moro kann beides bedeuten) Der Text lautet: "Auf das feine Tuch im Laden fiel ein Fleck; man verkauft es zu einem geringeren Preis, weil es seinen Wert verlor...Oh weh!"


    Da wird ein verschmutztes Tuch besungen - und das ist alles? Von wegen! Hier geht es um etwas ganz anderes - um verbotene Liebe und Verlust der Unschuld...


    Das Lied beginnt relativ heiter, lebhaft, wird dann auf einmal langsamer, bedeutungsschwerer, sobald der Fleck darauf fällt ("una mancha le cayó"), genauso auch im Vers "porque perdió su valor". Den ganzen (leisen) Schmerz drückt de Falla in einer einzigen Silbe aus, die im Nachsatz kommt: dieses "Ay", das immer auch im Flamenco in unendlicher Abfolge im cante hondo sehr dramatisch und expressiv verziert wird, um den tiefen Seelenschmerz auszudrücken, es blitzt auch hier auf; die Modulation mutet fast arabisch an, möchte man meinen; jedoch ist es hier ein sehr verhaltener, gedämpfter, kurzer Schmerzenslaut, ein sehr unterdrückter Nachhall, der im piano bzw. diminuendo endet, der eher ein Seufzer, und kein fast bis zur Raserei gesteigerter Schmerzensschrei ist, wie ihn der cante hondo des Flamenco kennt.


    Die tiefere Bedeutung, die sicherlich mitschwingt, ist die "Beflecktheit" im sexuellen Sinne (Man denke nur an die "unbefleckte Empfängnis" im Christentum); die Jungfräulichkeit war im mittelalterlichen Spanien ein hohes Gut, das es zu bewahren galt; der Verlust der Jungfernschaft hatte weitreichende Folgen, u. a. wurde die finanzielle Absicherung durch die Hochzeit und Eheschließung dadurch deutlich erschwert; daher kann man dieses "zu einem geringeren Preis verkauft" durchaus wörtlich nehmen, wurden doch viele Ehen geschlossen, um finanziell eine solide Basis nicht zuletzt für die Eltern zu schaffen, die für ihre Tochter eintsprechende materielle Leistungen erhielten. Man lese nur "Bodas de Sangre", "Bluthochzeit" des eingangs zitierten genialen Schriftstellers Federico García Lorca.


    Auch die "novela pícara" jener Zeit, also der Schelmenroman, wie zum Beispiel Fernando Rojas "La Celestina" und ähnliche Werke gehen immer wieder auf diese Thematiken ein; es gab einen regelrechten Berufsstand meist weiblicher Kupplerinnen, die sich auf die operative Wiederherstellung der Jungfernschaft ihrer Schützlinge spezialisiert hatten, damit jene (manchmal sogar mehrfach) jungfräulich in die Ehe gehen konnten.


    Das hier ein "maurisches Tuch" befleckt wurde, ist ganz besonders pikant. Dazu muss man wissen, dass Spanien seit 711 von den Mauren angegriffen und, zumindest im Süden, erobert wurde; die Rückeroberung ("Reconquista") durch die Christen erfolgte 1492 durch die "Reyes Católicos", Fernando und Isabel. Damit endete eine jahrhundertelange Koexistenz von Mauren, Christen und Juden, die nicht immer nur durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägt war; zumindest in der Anfangszeit respektierten und tolerierten sich die drei Religionen durchaus.


    Jedenfalls ist die Insinuation, dass es hier möglicherweise um den Verlust der Unschuld eines maurischen Mädchens geht - vielleicht gar mit einem nicht-maurischen Mann? von großer Sprengkraft; sie verbirgt sich subtil in dieser heiter erscheinenden Miniatur, die erst beim mehrfachen Hinhören in Text und Musik ihr Geheimnis preisgibt, quasi zwischen den Zeilen durch die Metaphorik, bzw. "zwischen den Notenlinien" durch die Temposchwankungen, das plötzliche "Abbremsen" der fröhlichen Melodie, die plötzlichen Modulationen nach Moll, sowie das Dämpfen der Dynamik ins piano, als würde jemand dem Zuhörer etwas hinter vorgehaltener Hand heimlich zuflüstern.


    Einen ersten Eindruck kann man sich hier verschaffen:


    https://www.youtube.com/watch?v=HYjtCeJaFjE


    Für weitere Meinungen, Hinweise, Korrekturen etc. wäre ich sehr dankbar.


    Viele Grüße

  • Hoffentlich wird Don Gaiferos nicht allzusehr vorgegriffen, indem zusätzlich die klassische Interpretation schlechthin eingestellt sei. Conchitas Supervias Darstellung besitzt derartige singdarstellerisch-klangmalerische Vorzüge, dass ich mich auch mit jenem der Katalanin eigenen Vibrato anzufreunden vermag. Die Auffassung steht gewissermassen komplementär zu Berganzas Interpretation - im direkten Vergleich mag man Supervia allerdings manche "schwarzkopfische" Manierismen vorwerfen können (?), obleich sie paradoxerweise nie "unnatürlich" wirkt.


    /jUia66S2HKo

  • Hoffentlich wird Don Gaiferos nicht allzusehr vorgegriffen


    Lieber Gombert,


    ganz und gar nicht, im Gegenteil, ich freue mich sehr über Deinen Hinweis! Ich denke auch, dass hier eine ganz andere, nicht minder reizvolle Auffassung vorliegt. Besonders authentisch ist die Einspielung auch deshalb, weil die Sängerin ja eine Zeitgenossin von Manuel de Falla war (u.a. sang sie auch die italienische Uraufführung von "El amor brujo" in der Scala 1926.)


    Die große Mezzosporanistin verstarb bereits sehr früh, mit nur 40 Jahren, im Jahr 1936. Sie war eine berühmte Carmen, und wenn man ihre Stimme hört, versteht man auch warum. Ihre sinnliches, farbenreiches Timbre hat einen ganz besonderen Wohlklang; das von Dir angesprochene, starke Vibrato, ist anfangs gewöhnungsbedürftig (zumindest für das moderne Ohr), und rief schon zu ihren Lebzeiten starke Kritiken hervor, führt jedoch zu einer flirrenden Intensität ihrer Darstellung. Ihre Interpretation ist in der Tat noch dramatischer, fast schon "opernhafter" als die von Teresa Berganza; ungeachtet dessen bietet sie eine sehr differenzierte, feinsinnige Interpretation. In jedem Fall eine Einspielung, die äußerst spannend und hörenswert ist. Jürgen Kesting urteilt:


    Conchita Supervia, geboren 1895 in Barcelona, gehört zu den wenigen Sängerinnen, bei der die Spontaneität, die Unmittelbarkeit ihres Singens auch auf der Klangbühne körperhaft sichtbar wird. Einzigartig ihre Palette an Farben, ihr rhythmisches Timing, ihr Gespür für Akzente und jene vokale Phantasie, durch die eine Einheit von Klang und Gedanke entsteht. Sie war eine Meisterin der herausfordernden Lockungen, der verdeckten Inflektionen – und vor allem der bitter-schmerzlichen Empfindungen(...)
    Die Aufnahme gehört zu den Inkunabeln des Liedgesangs.


    Quelle: http://www.swr.de/-/id=8144792…-musikstunde-20110714.pdf


    Diese Einspielung und viele andere Facetten ihres Schaffens gibt es auch als Tonträger:


  • 2. Seguidilla Murciana


    Cualquiera que el tejado
    tenga de vidrio,
    no debe tirar piedras
    al del vecino.
    Arrieros semos;
    ¡Puede que en el camino
    nos encontremos!


    Por tu mucha inconstancia
    yo te comparo
    con peseta que corre
    de mano en mano;
    que al fin se borra,
    y creyéndose falsa
    ¡Nadie la toma!


    Ich übersetze:


    "Jeder, dessen Dach aus Glas ist, sollte nicht nach dem des Nachbarn mit Steinen werfen. Wir sind Eselstreiber; vielleicht treffen wir uns unterwegs!"


    Diese erste Strophe könnte man quasi mit den deutschen Sprichwörtern bzw. Redensarten (grob) wiedergeben: "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen", und: "man sieht sich immer zweimal im Leben".


    Weiter mit der zweiten Strophe:


    "Wegen Deiner großen Flatterhaftigkeit vergleiche ich Dich mit einer Pesete [also einer Münze], die von Hand zu Hand geht; am Ende ist sie so abgerieben, dass man sie für Falschgeld hält und niemand sie mehr annimmt."


    Also auch hier geht es, indirekt, um Liebe und Leidenschaft: nach der Einleitung, die verschlüsselt davor warnt, sich selbst sozusagen in die Nesseln zu setzen, bzw. aus dem Fenster zu lehnen, weil man selbst nicht frei von Schuld ist, wird in der zweiten Strophe deutlich, worum es hier geht: um die Untreue. Nachdem wir beim ersten Lied bereits gesehen haben, wie wichtig die "Reinheit" der Frau in der Ehe war, kann man sich vorstellen, dass auch das Thema der ehelichen Treue ähnlich brisant war. Im mittelalterlichen Spanien war der Begriff der Ehre, also "honra" bzw. "honor", von zentraler Bedeutung. Ging ein Ehepartner fremd, war der Verlust der Ehre natürlich unausweichlich und musste entsprechend gesühnt werden. Zudem war man der Lächerlichkeit preisgegeben - Beispiele für solche Konstellationen gibt es zuhauf, die novela pícara als Gattung ist voll davon. Es war natürlich undenkbar, dass eine Frau sich scheiden ließ, und viele Ehen waren ja aus pragmatischen, v.a. finanziellen Gründen geschlossen worden, so dass man sich leicht vorstellen kann, dass Heimlichkeiten, um dem eigentlich geliebten Menschen nahe zu sein, an der Tagesordnung waren, obwohl sie offiziell verpönt waren.


    Man denke nicht nur an Lorcas Bodas de Sangre bzw. La Casa de Bernarda Alba, um sich einen Begriff zu machen, auch Mascagnis "Cavalleria Rusticana" tritt hier vor das geistige Auge - zumal im vorliegenden Lied auch das bäuerliche Milieu durch die Ochsen- bzw. Eselstreiber in das Blickfeld gerückt wird. Dies lässt sich auch an der dialektalen Form "semos" statt "somos" festmachen. Nicht zu vergessen in dem Zusammenhang natürlich auch Manuel de Fallas Kurzoper "La Vida breve", die ebenfalls Untreue und Eifersucht mit tödlichem Ausgang zum Thema hat.


    Im Falle des zweiten Liedes haben wir eine Seguidilla aus Murcia. Ursprünglich stammt diese Lied- bzw. Tanzform aus Madrid bzw. Castilla La Mancha und Castilla León. Die Stadt Murcia, die hier genannt wird, ist Hauptstadt der Provinz Murcia. Heute die siebtgrößte Stadt Spaniens und v.a. mit dem Dienstleistungssektor verbunden, war Murcia zu früheren Zeiten v.a. wegen seiner landwirtschaftlichen Nutzung bekannt. Daher erscheint das bäuerliche Ambiente des Liedes nicht überraschend.


    Aber zurück zur Seguidilla: hier haben wir eine sehr lebhafte Musik im 3/4 bzw. 3/8 Takt, die eine lange Tradition in Spanien aufweist. Schon Cervantes schrieb im Don Quijote, das die Seguidillas oft gespielt und getanzt wurden. Auch in späteren Jahrhunderten war diese musikalische Form immer präsent, u.a. auch in der Zarzuela.


    Für Manuel de Falla war diese musikalische Form die älteste des Flamenco (in Form der entsprechenden Variante, den siguiriyas), die ihre Wurzeln im byzantinischen liturgischen Gesang hatte (de Falla war ein profunder Kenner der spanischen Musik, nicht nur der Folklore, auch der Kunstmusik).


    Auch im vorliegenden Lied haben wir einen lebhaften, vorwärtsdrängenden Rhythmus, die linke Hand wiederholt immer wieder dieselbe Figur, man denkt beinahe an ein galoppierendes Pferd; erst die Wiederholung im letzten Vers, "nadie la toma", führt zu einem resoluten Schlussakkord, der das fröhliche Dahinpreschen und das muntere parlando der Melodie abrupt unterbricht. Auch hier merkt man erst beim näheren Hinhören und beim Lesen des Textes, das sich hinter der vermeintlichen Heiterkeit durchaus Sprengstoff verbirgt; die düstere Warnung, die hier angedeutet wird, verbirgt sich hinter einer Maske der Fröhlichkeit, die jedoch nur allzu trügerisch ist, und die mit einem Knalleffekt am Schluss abgerissen wird.


    Eine faszinierende Miniatur, wie ich finde. Zum Nachhören in der Interpretation von Victoria de los Angeles und Gonzalo Soriano hier:


  • Por ver si me consolaba,
    arriméme a un pino verde
    por ver si me consolaba.
    Por verme llorar, lloraba.
    Y el pino, como era verde,
    por verme llorar, ¡lloraba!


    Nach dem Ausflug nach Murcia im Südosten Spaniens, den uns das zweite Lied beschert hatte, geht es nun in den Norden, nämlich nach Asturien. Aber widmen wir uns erst der Übersetzung des Textes:


    "Um zu sehen, ob er mich trösten würde, schmiegte ich mich an einen grünen Pinienbaum, um zu sehen, ob er mich trösten würde. Als er mich weinen sah, weinte er. Und der Pinienbaum, da er grün war, weinte er, als er mich weinen sah."


    Hier geht es um einen anderen Grundgedanken als in den Liedern zuvor. Nach dem Rausch der Liebe, der Eifersucht, der Leidenschaft, herrscht hier eine Stimmung der Trauer, der Melancholie, die Linderung durch das Naturerlebnis erfahren soll.


    Der grüne Baum, der hier besonders hervorgehoben wird, ist ein emblematischer Baum für den gesamten Mittelmeerraum. Aber insbesondere der Norden, in dem dieses Lied ja angesiedelt ist, wird auch als "España Verde" bezeichnet, als das grüne Spanien.


    Der Baum spendet Trost, indem er sich dem Leiden anschließt, indem er sogar mitweint. Nicht nur der grüne Weihnachtsbaum symbolisiert mit seinem Grün Hoffnung und Leben inmitten der Kälte; auch dieses Pendant, das hier im Lied besungen wird, spendet wohl Trost und Beruhigung. Zumindest bietet er Zuflucht, leidet mit; fern von den Menschen ist hier die Natur Rückzugsort.


    Auch hier darf man den genialen Dichter Federico García Lorca, der mit de Falla eng befreundet waren, bemühen: in seinen "Sonetos del amor oscuro", geschrieben 1936, die erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurden, heißt es:



    El poeta habla por teléfono con el amor


    Tu voz regó la duna de mi pecho
    en la dulce cabina de madera.
    Por el sur de mis pies fue primavera
    y al norte de mi frente flor de helecho.


    Pino de luz por el espacio estrecho
    cantó sin alborada y sementera
    y mi llanto prendió por vez primera
    coronas de esperanza por el techo.


    Dulce y lejana voz por mí vertida.
    Dulce y lejana voz por mí gustada.
    Lejana y dulce voz amortecida.


    Lejana como oscura corza herida.
    Dulce como un sollozo en la nevada.
    ¡Lejana y dulce en tuétano metida!


    Ich übersetze:


    Der Dichter telefoniert mit der Liebe


    Deine Stimme netzte die Düne meiner Brust
    in der süßen Kabine aus Holz.
    Südlich meiner Füße war Frühling
    nördlich meiner Stirn blühte der Farn [Anm.: nach einem alten Volksglauben in Spanien blüht auch der Farn, nämlich in der Johannisnacht]


    Pinie aus Licht in dem engen Raum
    sang ohne Morgendämmerung und ohne Saat
    und meine Tränen entfachten zum ersten Mal
    Kronen der Hoffnung auf dem Dach.


    Süße und ferne Stimme, die über mich gegossen wird.
    Süße und ferne Stimme, die von mir genossen wird.
    Ferne und süße, gedämpfte Stimme.


    Fern wie ein dunkles, verletztes Reh.
    Süß wie ein Schluchzen im Schnee
    Fern und süß, dringt bis ins Mark!

    Auch in diesem surreal angehauchten Gedicht taucht mit einem Mal die Pinie als Metapher für Trost, Licht und Hoffnung auf, inmitten der Tränen, die aus dem Gefühl der Trauer und Sehnsucht angesichts der Fremdheit und Distanz vergossen werden.


    Zurück zu de Fallas Lied. Dieses Gefühl der Trauer, das also der Liedtext beschreibt, spiegelt sich auch in der Musik wieder; das Lied beginnt im "Andante tranquillo", die Begleitung ist mit "dolce espressivo" überschrieben. Hier geht es also nicht um wilde Raserei, Verzweiflung oder lautes Wehklagen; diesen expressiven, herzzerreißenden, lauten Klagegesang werden wir erst im letzten Lied, im "Polo" hören. Hier ist eine sehr verinnerlichte, leise, wehmütige Trauer zu hören, das ganze Lied steht im pp und verklingt auch im pp morendo (also sterbend, wörtlich übersetzt), zudem noch ritardando.
    Manuel de Falla gestaltet hier eine ergreifende Melodie, die nur von zarten Tupfern des Klaviers begleitet wird.


    Sehnsucht, Schwermut, aber schon auch eine gewisser Trost finden sich in dieser behutsamen, gleichsam schwebenden, berückenden Musik.


    Der nachfolgende Videoclip bietet nicht nur eine wunderbare Interpretation dieses Liedes durch Victoria de los Angeles und Gerald Moore, sondern bietet auch einige sehr stimmungsvolle Fotos der Landschaft Asturiens.


  • Verehrter Don,


    vielen Dank für diesen schönen - und eigentlich auch überfälligen - Thread. "Asturiana" ist einer meiner Favoriten aus diesem Zyklus - wohl nicht zuletzt wegen einer gewissen Affinität zu diesem Landstrich. Ich war also schon gespannt auf den entsprechenden Beitrag und wurde nicht enttäuscht (nebenbei: eine treffliche Übersetzung!).


    Es lohnt, sich dieses Lied in drei grundverschiedenen Interpretationen vergleichend anzuhören: neben Victoria de los Angeles mit Supervia (siehe Beitrag 2, ab min. 3:10) und mit Berganza in der Orchesterfassung - auch wenn das Original zu bevorzugen ist.


    /9J9oDSXNfeM

  • Bester Gombert,


    ich danke Dir sehr herzlich für Deine freundlichen, lobenden Worte, ich habe mich sehr darüber gefreut. Wie schön, dass Du offensichtlich auch ein Herz für Spanien und seine Kultur hast, das freut mich sehr.
    Deine diskographischen Hinweise sind vollauf berechtigt, vielleicht könnte man ergänzen, dass neben der Gitarren- und Orchesterbegleitung auch noch bisweilen die Interpretation durch männliche Sänger gibt - zum Beispiel hat auch José Carreras die Lieder in der Orchesterfassung von Luciano Berio gesungen:



    Ihm gelingen atemberaubend schöne Momente, wie zum Beispiel "Nana", das ist ein Glanzlicht, wie ich finde. Wie ich sehe, gibt es bei Amazon diese Einspielung gebraucht bereits ab 1 Euro - da kann ich den Kauf nur empfehlen, wenn ich auch im Allgemeinen die Klavierbegleitung bevorzuge. Wenn man sich jedoch auf die Orchesterfassung einlässt, wird man hier ebenfalls m. E. reich belohnt.


    Leider nicht mehr bei den Vertragspartnern erhältlich ist diese Einspielung, die ich für absolut traumhaft halte:



    Sollte jemand diese Aufnahme finden, unbedingt zugreifen und unbesehen kaufen. Leider kann ich mit keinem Klangbeispiel aufwarten, aber hier ist wirklich eine Sternstunde gelungen.


    Nun aber zum nächsten Lied:


    4. Jota


    Dicen que no nos queremos
    porque no nos ven hablar;
    a tu corazón y al mío
    se lo pueden preguntar.
    dicen que no nos queremos
    porque no nos ven hablar.


    Ya me despido de ti,
    de tu casa y tu ventana
    y aunque no quiera tu madre,
    adiós, niña, hasta mañana.
    Adiós, niña, hasta mañana.
    Ya me despido de ti
    aunque no quiera tu madre...



    Hier wieder zuerst meine deutsche Fassung des Textes:


    "Sie sagen, dass wir uns nicht lieben, weil sie uns nicht miteinander reden sehen; Dein Herz und meines können sie dazu befragen. Sie sagen, dass wir uns nicht lieben, weil sie uns nicht miteinander reden sehen."


    In der zweiten Strophe lesen wir:


    "Ich verabschiede mich schon wieder von Dir, von Deinem Haus und Deinem Fenster, selbst wenn es Deiner Mutter nicht Recht ist, leb wohl, mein Mädchen, bis morgen. Leb wohl, mein Mädchen, bis morgen. Ich verabschiede mich schon wieder von Dir, selbst wenn Deiner Mutter das nicht Recht ist..."

    Diese typisch spanische Situation steht uns plastisch vor Augen: der (von den Eltern unerwünschte) Liebhaber steht unter dem Fenster seiner Geliebten, seine Angebetete vielleicht auf einem kleinen Balkon oder Erker, der womöglich mit einem schmiedeeisernen Gitter von der Straße getrennt ist. Natürlich fällt einem da auch direkt Romeo und Julia mit der weltberühmten Balkonszene ein.


    Man vergleiche nur Goyas Gemälde "Maja en el balcón", um einen Eindruck von der Stimmung vergleichbarer Szenen zu bekommen:



    Die Jota ist ein in ganz Spanien beheimateter Volkstanz im Dreivierteltakt. Das Lied beginnt mit einem schwungvollen Allegro vivo, die vielen Staccati erzeugen einen markanten Rhythmus, der sich noch steigert. Erst kurz bevor die Singstimme einsetzt, wir das Thema abrupt verlangsamt und die Einleitung, die im pp gehalten war (was die lebhafte, jedoch in der Lautstärke gedämpfte, heimliche Nachtstimmung aufzeigt), wird durch einen forte - Einsatz unterbrochen. Diese Temposchwankungen dauern das ganze Lied über an, accelerando und ritardando, immer wieder neue Steigerungen, gefolgt von plötzlichem Innehalten verleihen dem Lied seinen äußerst spnnenden, lebhaften Charakter. Wir erleben das Aufflackern eines leidenschaftlichen, fast trotzigen Liebesbekenntnis, das im nächsten Moment wieder gedämpft wird, um die Heimlichkeit nicht zu verraten. Konsequenterweise endet das Lied (perdendosi - also sich verlierend) - nahezu unhörbar im ppp.


    Eine weitere, sehr reizvolle Facette der Liebe wird hier in diesem Lied deutlich - Liebe gegen alle Widerstände, die unbemerkt stattfinden muss. Im Extremfall führt dies - wie wir ja gesehen haben, zur Konfrontation mit den gesellschaftlichen Konventionen, mit den Plänen der Eltern für ihre Kinder, vielleicht gar zum Ausbruch der arrangierten Ehe - so wie dies etwa auch bei Federico García Lorcas Drama "Bodas de sangre" der Fall ist - die beiden Liebenden, die von ihrer Umwelt nicht füreinander bestimmt sind, fliehen Hals über Kopf am Tag der Hochzeit und müssen mit Verfolgung und dem drohenden Tod rechnen.


    Die Wurzel eines solch möglichen Dramas spiegelt sich auch in diesem Lied..


    Wir hören wieder Victoria de los Angeles und Gerald Moore:


  • Duérmete, niño duerme,
    duerme, mi alma,
    duérmete, lucerito
    de la mañana.
    Nanita, nana,
    nanita, nana,
    duérmete, lucerito
    de la mañana.


    Auch hier zuerst ein Blick auf den Text:


    "Schlaf ein, Kind, schlaf, schlaf meine Seele, schlaf, schlaf ein Morgensternchen. Nanita, nana, nanita, nana, schleif ein, Morgensternchen."


    Vorweg sei angemerkt zur Gattung des Schlafliedes, denn um ein solches handelt es sich bei einer "nana", dass diese Wiegenlieder oft beunruhigende, sogar verstörende Gedanken beinhalten, die normalerweise eigentlich wenig geeignet sind, jemand zum Einschlafen zu bewegen, sondern einen eher schlaflose Nächte bereiten sollten. Man denke nur an "Maikäfer flieg, Dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt"...


    Dasselbe gibt es auch im spanischsprachigen Kulturraum:


    "Duérme, duérme, negrito, que el mamá está en el campo, negrito..."


    also: "Schlaf, schlaf, Negerlein, Deine Mutter ist auf dem Feld, Negerlein..."


    Man sieht also, sogar Krieg, Zwangsarbeit u. ä. wird thematisiert. Umso erstaunlicher, dass hier in diesem Lied, das de Falla vertont hat, nichts dergleichen zu vermerken ist. Auffällig allenfalls der Widerspruch, dass das "Morgensternchen" in den nächtlichen Schlaf gesungen wird.


    Auch García Lorca hatte ein enges Verhältnis zu den spanischen Wiegenliedern. Er merkte an, dass seine Liebe zur spanischen volkstümlichen Dichtung und den Volksliedern durch seine Kindermädchen entstanden seien, die ihm Kinderlieder vorgesungen hatten. Er hat auch später einen berühmten Vortrag über Nanas gehalten, hat selbst welche verfasst, und als begabter Hobby - Musiker, sogar vertont. Auch in Bodas de sangre spielt das Wiegenlied eine wichtige Rolle ("Nana del caballo Grande"). Er liefert auch ein Beispiel, wie das Wiegenlied in letzter Konsequenz sogar mit dem Tod verknüpft ist:


    Canción de cuna a Mercedes, muerta


    (Federico García Lorca - Marta Gómez)
    Ay, ya te vemos dormida.
    Blanca princesa de nunca
    ¡Duerme por la noche oscura!


    Tu barca es de madera por la orilla.
    Blanca princesa de nunca.
    ¡Duerme por la noche oscura!


    Cuerpo de tierra y nieve.
    Duerme por el alba, ¡duerme!
    ¡Duerme por la noche oscura!


    ¡Tu barca es bruma, sueño, por la orilla!
    Blanca princesa de nunca
    ¡Duerme por la noche oscura!


    Ay, ya te alejas dormida.
    Blanca princesa de nunca
    ¡Duerme por la noche oscura!

    Ich übersetze:



    Wiegenlied auf die tote Mercedes

    Ach, schon sehen wir Dich schlafen
    weiße Prinzessin des Niemals,
    schlaf in der dunklen Nacht!


    Deine Barke aus Holz liegt am Ufer
    weiße Prinzessin des Niemals,
    schlaf in der dunklen Nacht!


    Körper aus Erde und aus Schnee
    Schlaf in der Morgendämmerung, schlaf!
    Schlaf in der dunklen Nacht!


    Deine Barke ist Nebel, ist Traum, am Ufer!
    weiße Prinzessin des Niemals,
    schlaf in der dunklen Nacht!


    Ach, schon entfernst Du Dich schlafend!
    Weiße Prinzessin des Niemals,
    schlaf in der dunklen Nacht!


    Die Melodie ist sehr leise, ruhig, mit einigen arabisch anmutenden Ornamenten in den 32tel Noten. Die Klavierbegleitung wiederholt immer wieder dieselbe beruhigende, absteigende Melodie.


    Sieht man den roten Faden des gesamten Liedzyklus, der die unterschiedlichsten Spielarten der Liebe thematisiert, so haben wir hier ein Beispiel für die Liebe der Eltern zu ihrem Kind. Welche weiteren Konnotationen hier mitschwingen, lassen sich anhand des oben Gesagten erahnen. Indes haben wir hier im vorliegenden Lied ein Beispiel für ein friedvolles, behutsames, liebevolles Wiegenlied, das frei zu sein scheint von politischen Anspielungen, Verlustängsten oder weiteren melancholischen oder bedrohlichen Elementen.


    Nachzuhören hier:


  • Por traidores, tus ojos,
    voy a enterrarlos;
    no sabes lo que cuesta, "Del aire"
    niña, el mirarlos.
    "Madre, a la orilla"
    Niña, el mirarlos.
    "Madre"


    Dicen que no me quieres,
    ya me has querido...
    Váyase lo ganado "Del aire"
    Por lo perdido.
    "Madre a la orilla"
    Por lo perdido.
    "Madre"


    Das nächste Lied, das auch als Titel einfach die Bezeichnung "Lied" trägt, ist komplizierter, als man meint. Ich schlage folgende Übersetzung vor:


    "Verräterisch, wie sie sind, werde ich Deine Augen begraben; Du weißt nicht, wieviel "Mut und Kraft" es erfordert, Mädchen, sie anzuschauen; "Mutter zum Ufer" Mädchen, sie anzuschauen "Mutter".


    Sie sagen, dass Du mich nicht liebst, dass Du mich früher geliebt hast...Gewinn und Verlust wiegen sich auf, "lösen sich in Luft auf", "Mutter zum Flussufer", der Verlust, "Mutter".


    Die vorliegenden Zeilen bieten größte Schwierigkeiten bei der Übersetzung. Hier haben wir das Phänomen, das in den eigentlichen Liedtext durch Anführungszeichen abgetrennte Passagen eingeschoben sind. In der Partitur gibt es zwar auch den französischen Liedtext, dieser belässt die Einschübe allerdings im spanischen Original, übernimmt sie also nur in Anführungszeichen, ohne sie zu übersetzen. Man findet im Internet viele unterschiedliche Übersetzungen ins Deutsche, Englische und Französische, die mir jedoch teilweise irrig zu sein scheinen. Zu dieser Einschätzung gelangen auch spanische Mutterprachler (s. z.B.
    http://elblogdeelizamora.blogs…n-de-manuel-de-falla.html )


    Zuerst einmal scheint es so zu sein, dass der Text ohne die Einschübe bedeutet, dass der Protagonist, wohl ein Mann, jemand anders, wohl einer Frau, ihre Untreue vorwirft; da werden die Augen gar "begraben" (wörtlich oder im übertragenen Sinn), und sie anzusehen schmerzt, oder erfordert zumindest Mut, Kraft, Schneid.


    Hier kommt ein sehr schwieriges Wort ins Spiel: "aire". Es kann u.a. bedeuten:


    1. die Luft
    2. das Aussehen
    3. die Miene, der Gesichtsausdruck
    4. Mut, Schneid, Energie.


    Dazu ein schönes Beispiel für eine Jota, die auch mit derselben Art von Einschüben arbeitet und mit den Wortbedeutungen spielt:


    Yo me enamoré del aire
    yo me enamoré del aire
    "aire, aire"
    del aire de una mujer
    como la mujer es aire
    como la mujer es aire
    con el aire me quedé.


    Ich übersetze:


    Ich verliebte mich in die Luft,
    Ich verliebt mich in das Aussehen,
    "Luft, Aussehen"
    in das Aussehen einer Frau
    da die Frau nur ihr Aussehen ist
    da die Frau nur wie Luft ist
    blieb nichts übrig als heiße Luft.


    Aus Miguel Manzanos Buch "La jota como género musical"



    Man sieht also, das hier das spanische Wort "aire" durch zwei Begriffe übersetzt werden muss, um den Sinn zu ergründen. Ähnlich ist es auch bei de Fallas Lied. Übersetzt man "aire" nur mit "Luft", greift dies zu kurz; es schwingen in jedem Fall mehrere Bedeutungen mit. Eine mögliche Übersetzung habe ich vorgeschlagen, gerade bei diesem Lied sind jedoch sicherlich viele andere Übersetzungen und Interpretationen möglich.

    Eine Auffassung besteht zum Beispiel darin, dass die in Anführungszeichen gesetzten Einschübe die Gedanken des Mädchens wiedergeben, die an ihre Mutter denkt, sowie an das Fluss- oder Meeresufer; bei Lorca wird "orilla" in la Casa de Bernarda Alba immer als rettendes Element gesehen, als Fluchtort, der die Freiheit und Weite des Meeres verheißt; auch der (verbotene) sexuelle Akt wird dadurch symbolisiert (bei der Figur der Adela, die sich heimlich mit dem Verlobten ihrer Schwester Angustias einlässt). Auch hier haben wir also ein Wort, das alles andere als trivial ist, sondern bei dem einen Fülle von Interpretationen mitschwingt.


    Musikalisch ist dieses Lied auch wieder am Anfang sehr heiter und lebhaft (Allegretto), was im Gegensatz zu der ernsten Thematik der Eifersucht trägt; einen nachgerade verstörenden Effekt erzielt das munter und nonchalant vorgetragene Wort "begraben". Auch hier wird wieder erst beim mehrfachen Hören deutlich, was zwischen den Zeilen steht. Erst gegen Ende wird das Lied langsamer und endet im pp. Wie so oft, wird hier durch ritardando und Änderung der Dynamik große Spannung erzielt. Auch die Wiederholung gewisser Worte, die dadurch eine große Gewichtung erhalten, verstärkt diese Eindringlichkeit noch.


    Einmal mehr ist die Liebe mit ihren Heimlichkeiten, ihrer Eifersucht, ihrer Sehnsucht das Thema, wobei auch hier wieder gilt: sich (nach außen hin) nichts anmerken zu lassen. Die Maskierung, die Tarnung, das Verschleiern der Gefühle machen häufig den Reiz dieses Liedzyklus aus: so auch hier.


    Nachzuhören ist das Lied hier:


  • Gombert ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Vielen Dank für diesen schönen - und eigentlich auch überfälligen - Thread.“
    Ich möchte Don Gaiferos ebenfalls für den Start dieses Threads danken, und dies nicht nur, weil er eine Bereicherung des Tamino-Liedforums darstellt, in dem tatsächlich die fremdsprachige Liedliteratur unterrepräsentiert ist, sondern auch aus einem ganz persönlichen Grund:
    Diese Lieder waren mir bislang unbekannt; und dass ich sie hier erstmals über die von Don Gaiferos dankenswerterweise hier eingestellten Links hören konnte und die Kommentare dazu lesen, das war die Erschließung einer Terra incognita des Liedgesangs, die ich als faszinierend und bereichernd erlebte.


    Was mich da in faszinierender Weise ansprach – und noch -spricht - , das ist vielerlei. Ich möchte und kann mich nicht auf einzelne Lieder näher einlassen, - ganz einfach deshalb, weil mir dazu infolge mangelhafter spanischer Sprachkenntnisse jegliche Kompetenz fehlt. Deshalb nur ein paar Impressionen.


    Beeindruckend ist für mich die Wandlungsfähigkeit der Liedsprache de Fallas: Sie reicht von der stark rhythmisierten, drängenden und lebhaften Musik des Liedes „Seguidilla Murciana“ über die romantisierend deskriptive von „Asturiana“ bis hin zu der leicht chromatisch getönten Stille von „Nana“ (diese beiden Lieder sind mir besonders liebgeworden). Und überall dieser mehr oder weniger starke Einschlag von leicht maurisch angehauchter spanischer Folklore, wobei mir dabei besonders imponiert, wie behutsam de Falla damit umgeht. Er übertreibt niemals, nur um des billigen Effekts willen, sondern wahrt immer die melodische Kantabilität der Vokallinie, - im Sinne der Tatsache, dass es sich hier – bei aller national-spanischen Orientierung der Komposition – um Kunstlieder handelt.


    Was fiel mir noch auf? Die erstaunliche Schlichtheit des Klaviersatzes zum Beispiel. Diese Feststellung stützt sich freilich nur auf den Höreindruck (ich habe die Noten nicht!). Wenn ich, von Hugo Wolf herkommend, mir sozusagen parallel dazu diese Lieder anhöre, dann wirkt ihr Klavierpart geradezu klanglich mager, - aber gerade deshalb so imponierend, weil der Struktur der melodischen Linie völlig angemessen. Man vernimmt eine Abfolge von zumeist rhythmisierten Einzeltönen, die wie ein klanglicher Kommentar zu dem wirkt, was die Singstimme gerade zum Ausdruck bringen will. Jeder Ton sitzt dabei, trifft genau den Geist der melodischen Linie, - und das ist beeindruckend.


    Und noch etwas (zum Schluss): Man hört diesen Liedern, was dies Struktur des Klaviersatzes und die Harmonisierung der Vokallinie anbelangt, deutlich die Begegnung Manuel de Fallas mit der Musik des Impressionismus an, die sich bei seinem Aufenthalt in Paris in Gestalt einer Rezeption der Kompositionen von Debussy und Ravel ereignete.
    Auch das ist eine beeindruckende Hörerfahrung, die man in diesem Thread machen kann.
    Deshalb nochmals: Danke!

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  • Lieber Helmut,


    ich danke Dir für Deine freundlichen Worte, und es erfüllt mich mit großem Stolz und großer Freude, dass ich hier für diese Lieder eine Lanze brechen konnte, da ich ein glühender Manuel de Falla - Verehrer bin.
    Auch die Tatsache, dass Du als Kunstlied - Experte Zugang zu diesen Liedern gefunden hast, freut mich besonders, und die wenigen Gedanken, die Du skizziert hast, zeigen bereits, dass Du die Lieder v.a. musikalisch noch viel besser analysieren kannst, als ich es jemals könnte, von daher hoffe ich noch auf weitere Gedanken von Dir - sie wären hochwillkommen. Einblick in die Noten erhältst Du hier:


    http://javanese.imslp.info/fil…_populares_Espa__olas.pdf



    Einige Deiner Eindrücke möchte ich auch daher noch einmal aufgreifen:


    Und überall dieser mehr oder weniger starke Einschlag von leicht maurisch angehauchter spanischer Folklore, wobei mir dabei besonders imponiert, wie behutsam de Falla damit umgeht. Er übertreibt niemals, nur um des billigen Effekts willen, sondern wahrt immer die melodische Kantabilität der Vokallinie, - im Sinne der Tatsache, dass es sich hier – bei aller national-spanischen Orientierung der Komposition – um Kunstlieder handelt.


    Dem kann ich nur beipflichten. Die Musik de Fallas ist immer mehr als nur "Postkarten - Folklore", er war selbst ein Mensch von höchster Spiritualität, fast schon asketischer Lebensweise, philosophisch, literarisch und musikalisch äußerst beschlagen. Zudem war er ein einfacher, demütiger Mensch von tiefer Religiosität. Von daher kann man sich leicht vorstellen, dass ihm jegliche Effekthascherei und oberflächliches Lokalkolorit fremd war. Er hat, in der Tat, die Folklore aufgegriffen, arabische Elemente einfließen lassen, den Impressionismus, den er in Paris kennenlernte (worauf Helmut ja hingewiesen hat), barocke und klassische Elemente, und verschmolz all dies zu einem hoch originellen, ganz unverwechselbaren, eigenständigen Stil.


    Die erstaunliche Schlichtheit des Klaviersatzes zum Beispiel. Diese Feststellung stützt sich freilich nur auf den Höreindruck (ich habe die Noten nicht!). Wenn ich, von Hugo Wolf herkommend, mir sozusagen parallel dazu diese Lieder anhöre, dann wirkt ihr Klavierpart geradezu klanglich mager, - aber gerade deshalb so imponierend, weil der Struktur der melodischen Linie völlig angemessen. Man vernimmt eine Abfolge von zumeist rhythmisierten Einzeltönen, die wie ein klanglicher Kommentar zu dem wirkt, was die Singstimme gerade zum Ausdruck bringen will. Jeder Ton sitzt dabei, trifft genau den Geist der melodischen Linie, - und das ist beeindruckend.


    Auch diese Einschätzung kann ich uneingeschränkt unterstützen und untermauern. Gemessen an seinen Lebensjahren hat de Falla ein recht schmales Oeuvre hinterlassen, was daran lag, dass er sich permanent weiterentwickeln und niemals wiederholen wollte. Zudem lag es an seiner Arbeitsweise, dass er extrem selbstkritisch war, immer wieder an seinen Werken feilte, polierte, Überflüssiges wegnahm, immer mehr reduzierte, kondensierte und konzentrierte. Dies passte auch zu seinem Charakter: er war ein extrem ernsthafter, intensiver Mensch, teilweise fast schon verschroben, was seine selbstauferlegte Zurückhaltung, Schüchternheit und Askese anging, der jedoch auch eine Seele von Mensch war, der sich für seine Freunde einsetzte (er war de einzige, der kurz vor der Hinrichtung García Lorcas noch auf der Polizeiwache vorstellig wurde und versuchte, ihn zu retten - ihn, diesen schillernden, brillanten, homosexuellen Paradiesvogel und genialen Dichter, der so ganz anders war als sein ältlicher, tiefreligiöser, oft spröde und gehemmt wirkender Freund, der jedoch sehr an ihm hing).
    Langer Rede kurzer Sinn: es war in der Tat de Fallas Anliegen, sehr profunde, existenzielle, essentielle Musik zu schreiben, die frei war von jedem überflüssigen Effekt. Und wenn man sich diesen unscheinbaren, gehemmten, zeitlebens unverheirateten Kauz ansieht - und welch herrliche, machtvolle, von Leidenschaft, Seele und Energie getränkte und überbordende Musik dieser Mann komponierte, kann man nur staunen.


    Kommen wir nun zum letzten Lied des Zyklus:


    7. Polo


    ¡Ay!
    Guardo una
    "¡Ay!"
    guardo una pena en mi pecho
    guardo una pena en mi pecho
    "¡Ay!"
    ¡Que a nadie se la diré!
    ¡Malhaya el amor, malhaya!
    "¡Ay!"
    ¡Y quién me lo dio a entender!
    "¡Ay!"


    Hier ist die Übersetzung, die ich vorschlagen würde, wie folgt:


    Weh!
    Mir ist so weh!
    Ich habe einen Schmerz in meiner Brust
    Ich habe einen Schmerz in meiner Brust
    "Weh!"
    Ich werde niemandem davon erzählen
    Verflucht sei die Liebe, verflucht
    "Weh"
    Und derjenige, der mich das alles hat spüren lassen
    "Weh!"


    Auch hier ist es äußerst schwierig, eine gelungene Übertragung zu leisten, wirkt doch im Deutschen eher pathetisch und hölzern, was im Spanischen in dem Wort "ay" ganz authentisch und natürlich klingt. Diese Silbe ist ein Schmerzenslaut, der vor allem im Flamenco auch immer wieder musikalisch ausgestaltet wird. Man höre, quasi als Grundlage zu de Fallas klassischer Vertonung, dieses Beispiel des "cante jondo":



    In diesem Geiste ist auch de Fallas Vertonung zu verstehen; er, der mit Garciá Lorca 1922 in Granada ein Festival des cante jondo gegründet hatte, um diese traditionelle, zigeunerische Sangeskunst zu erhalten und zu beleben, war ein großer Kenner des Flamenco. Anders als in den vorhergehenden Liedern spiegelt sich hier die ganze Verzweiflung und Trauer der enttäuschten Liebe, ungeschminkt und unverhüllt. Die Wildheit des Flamenco - Gesanges zeigt sich hier in dieser klassischen Ausprägung; der Kunstgesang wird hier quasi an seine Grenzen getrieben, oder anders formuliert, der "tiefinnere Sang" (Wie Garcia Lorcas Gedichtsammlung Poema del cante jondo von Karl Krolow übersetzt worden ist: Dichtung vom tiefinnern Sang) zeigt sich hier in einer anderen, ungewöhnlichen, verfeinerten, jedoch nicht weniger authentischen und existenziellen Form.


    Selbst die hämmernde Klavierbegleitung lässt eher an eine Gitarre denken, und auch der Gesang ist eher der einer "cantaora" (also Flamenco - Sängerin) als der einer "cantante de ópera" (Opernsängerin). Diese Elemente kennen wir im Übrigen auch schon von La Vida breve, wo anlässlich der Hochzeit von Paco nicht nur Operngesang und Belcanto ertönt, sondern auch ein Zigeuner als cantaor aufspielt.




    Ein beeindruckender Schlusspunkt einer Sammlung von Liedern, die in immer wieder neuen Facetten die Liebe beleuchten und nicht nur im spanischen Sprachraum, sondern auch darüber hinaus mit Recht als eine besonders hervorstechende Komposition im Bereich des spanischen Kunstliedes angesehen werden.


    Ich hoffe, mit meinen zwangsläufig kurzen, verkürzenden Anmerkungen, die sicher noch der Bereicherung, Erweiterung und Berichtigung durch andere Musikfreunde bedürfen, eine Bresche geschlagen zu haben, auf dass diese Lieder neue Zuhörer gewinnen und immer wieder gehört werden. Ich denke, es lohnt sich.