Alfred Hill wurde 1869 in Australien geboren, d.h. er war neun Jahre jünger als Mahler und vier Jahre älter als Rachmaninoff. Das muß man sich vielleicht klar machen, wenn man seine 12 zwischen 1941 und 1960 entstandenen Symphonien bewerten will. Hill studiert von 1887-1891 in Leipzig, spielte unter Reinecke im Gewandhausorchester und lernte dabei die großen Komponisten dieser Zeit (Brahms, Dvorak, Tschaikovsky) kennen. 1892 kehrte er nach "Down under" zurück und lebte dort erst in Neuseeland und dann ab 1920 in Sidney. Die Symphonien, die er 50-70 Jahre nach seiner Leipziger Zeit komponierte, zumindest die beiden, die ich bisher gehört haben, sind auf dem musikalischen Entwicklungsstand dieser Zeit - seiner Lehrzeit - komponiert. Sie wissen nichts (oder wollen nichts wissen) von den Entwicklungen, die nach der Jahrhundertwende die Musik so umwälzend revolutionierte. Das dürfte sie für einige Hörer obsolet erscheinen lassen, andere werden sie vielleicht gerade deshalb gut finden.
Z.b. die vierte Symphonie, "The Pursuit of Happiness" genannt, ist ein dreisätziges Werk, dass ich irgendwo zwischen Rimsky-Korsakoff und frühem Rachmaninoff eingeordnet hätte. Wäre Hill mit derartiger Musik 1920 nicht nach Sidney sondern nach Hollywood gegangen, er hätte einer der berühmtesten frühen Filmmusikkomponisten werden können. Die Musik ist eingängig, mit eigenen Themen und eigenen Ideen, so dass hier ein Epigonenvorwurf gar nicht greifen kann.
Die vorliegende Aufnahme ist als Übernahme von der ABC eine der ganz frühen CDs von Marco Polo. Das gefaltete Booklet-Innenteil zeigt an, dass das gleiche Blatt offensichtlich auch als Inlay für die LP diente. Das Melbourne SO spielt die Musik des Landsmanns engagiert und der australische Dirigent* mit urdeutschem Namen macht seine Sache gut. Eine interessante Bereicherung des romantischen Repertoires. Weitere Reszensionen zur Musik von Hill findet man
hier .
*Wilfred Lehmann ist nicht nur Dirigent, sondern auch Komponist und Geiger und hat 1958 den Carl-Flesch-Wettbewerb in London gewonnen.