Tja, einen weitgehenden Mono-Verweigerer kann man als Sammler eh nicht ganz ernst nehmen

  • Welch ein Genuss, diesen Threadtitel geradezu serviert bekommen.
    Dazu muß man allerdings den Hintergrund kennen. Es wurde darüber diskutiert ob ein gewisser Dirigent vergessen sei oder nicht. Im Prinzip kann man den Standpunkt vertreten, daß es so viele große Dirigenten in der Vergangenheit gab, welche einfach in die Musikgeschichte gehören - und die man in seiner Sammlung haben muss.
    Und viele Jahre stimmte somit der Threatitel (der einZitat darstellt ) auch voll und ganz. Inzwischen sind seit Einführuing der Stereophonie derart viele Aufnahmen gemacht worden, daß ein einzelner Sammler sie gar nicht alle hören kann - ja nicht einmal alle Stereoaufnahmen, die hörenswert wären, ganz zu schweigen von den Sternstunden der Schallplatte (CD).
    Somit glaube ich sagen zu können, daß es durchaus zulässig ist, ganz alte Aufnahmen nicht in den persönlichen Kanon mit einzubeziehen. Bei Stimmen ist es ohnedies kaum möglich - den Stimmen sind einzigartig - es mag aber durchaus Aufnahmen geben, wo die Stimme -Berühmtheit hin - Berühmtheit her - einfach unverzichtbar ist.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn´s rauscht, wird´s verkauft oder verschenkt, es sei denn, es dient noch zum Angeben (meine komplette original Piazzolla-Sammlung, die von der du Pré und die von Walcha), steht aber nur noch im Regal herum.


    Mono kann OK sein, wenn es nicht so stark rauscht, meist gibt es aber eine Aufnahme in überlegener Klangtechnik, dann kann Mono sammlertechnisch noch so wichtig sein, gehört wird´s nimmer.


    Da ich aber eh kein "Sammler" bin, kann es mir auch egal sein, daß ich als solcher nicht ernstgenommen werde.

  • Jeder kann kaufen, hören, sammeln, verschenken, was er möchte.
    Wenn aber jemand 1970 oder 1956 einen Strich zieht, weil ihm vorher der Klang angeblich zu schlecht ist, dann unterstelle ich mal, dass er kein besonderes Interesse an "Interpretationsgeschichte" oder am Sammeln bestimmter Werke oder Interpreten hat. Denn sonst würde nicht das Klangkriterium derartig dominieren.
    Wenn jemand zB sagt, es sei kein Wunder, dass er von Interpret X kaum etwas im Regal habe, denn das sei ja alles Mono, ist das zwar eine gute Erklärung. Aber es ist keine gute Begründung, wenn derselbe andererseits behauptet, besonders an der historischen Entwicklung von Interpretationen, an Interpreten der Vergangenheit usw. interessiert zu sein. Wenn er sich wirklich für so etwas interessiert, dann muss er Aufnahmen der 1930er-50er anhören, sonst ist es kein echtes Interesse.
    Ich mache normalerweise auch einen Schnitt, nämlich bei akustischen Aufnahmen. Da ich kein Opernfan bin, entgeht mir da m.E. nicht allzuviel, aber ich würde mich auch nicht aus Prinzip weigern, akustische Aufnahmen anzuhören.


    Wir hatten doch erst vor einen paar Monaten einen längeren Thread zu einem ganz ähnlichen Thema. In vielen Threads wurde zB die französische Operngesangstradition genannt, die man kaum noch bei Aufnahmen nach den 1950ern findet. Ein anderes offensichtliches Beispiel ist Wagnergesang, bei dem die 1950er/60er noch o.k. sind, aber sehr oft schon hörbar gegenüber den Glanzleistungen der 30er/40er abfallen. Es gibt schlicht nichts neueres in gutem Klang, das sängerisch-musikalisch ebenbürtig wäre. Eins meiner persönlichen Lieblingsbeispiele ist die Dreigroschenoper. Hier wurde in den 1950ern, u.a. von der gealterten Lenya ein Stil geprägt, der zumindest teilweise durch den überrrtrrriebenen verruchten Diseusengestus beinahe eine Karikatur des trocken-sachlichen Stils darstellt, der durch die Einspielungen kurz nach den Uraufführungen dokumentiert ist.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wenn er sich wirklich für so etwas interessiert, dann muss er Aufnahmen der 1930er-50er anhören, sonst ist es kein echtes Interesse.


    Ach was.


    Seltsame Definition von "echtes Interesse".


    Man wird der Musik des 16. Jahrhunderts weniger gerecht, wenn man sie nur in der Interpretation ab 1982, nicht aber der von 1932 hört??

  • ich möchte an dieser Stelle was klarstellen, da ich - wenn auch sehr subtil und indirekt "angesprochen werde.
    Das hier Geschiriebne bezieht sich indes lediglich auf meine Person und stellt keinen Anspruch auf "allgemeine Gültigkeit"
    Bei STIMMEN - jede ist einzigartig und kann nicht durch eine andere ersetzt werden - halte ich es folgendermaßen:
    Ich besitze ca 150 CDs der Preiser Serie und weiter 50 andere Historische Sängerportraits. Ich halte sie in der Tat fü unverzichtbar. Bis etw 1930 zurück kann ich diese Aufnahmen durchwegs geniessen, davor (vor ca 1925) gab es die akustischen Aufnahmen, die ich lediglich aus den von Johannes Roehl genannten Gründen (historische Information - aber kein Hörvergnügen) gelegentlich zm Vergleich abhöre. - In seltenen Fällen könne auch diese Aufnahmen begeistern, abver hier spielt sicher auch meine Vorliebe für Museumsstücke eine Rolle.


    Ähnlich, aber weniger ausgeprägt, verhält es sich bei Klavieraufnahmen, Aufnahmen von Schnabel und Gieseking hat man selbatverständlich in der Sammlung - gehört wird aber vorzugsweise Brendel und Badura Skoda oder Korstik, Schirmer, etc....


    Völlig anders sehe ich die Sache im Falle von Orchesteraufnahmen. Auch hier werde ich in etwa 50-60 "Historische " Aufnahmen besitzen - aber rein zur Information, denn der Klang ist zumeitt mehr als unbefiredigend. Selbstverständlich hat manch auch jeweils ein oder zwei historische Einspielungen der grössten Berühmtheiten parat, beispielsweise Beethoven mit Pfitzner oder Weingartner am Pult. Ideal für Beiträg im Forum - zum Vergnügen höre ich indes Böhm, Bernstein, Karajan, Klemperer, Jochum, Thielemann etc....
    Generell kaufe ich ORCHESTRALE mono-Aufnahmen nur dann, wenn es von dem betreffenden Interpreten keine Stereo--Aufnahme-. gibt. Daß Wunderlichs "Schöne Müllerin" - er hat sie in mono UND in stereo aufgenommen - versteht sich von selbst.
    Was ich aber NICHT tue, ist, halbvergessene Interpreten in mono nachzukaufen. Nicht daß ich dazu nicht PRINZIPIELL bereit wäre - aber auch der sogenannte Sammler kann nestbei noch ein HÖRER sein - und vorrangig kommen meine Lieblingsinterpreten (auch sie sind schon meist "historisch") zuerst an die Reihe - sowie Erstaufnahmen bisher unveröffentlichter Werke von Komponisten, die heute vergessen sind. In meinem Archiv liegen etwa 500 noch ungehörte CDs, die darauf warten in die Sammlung eingereiht zu werden - da müssen Prioritäten gesetzt werden.
    Denn Stereoaufnahmen gibt es seit ca 1955 am Markt - das sind knappe 60 Jahre Schallplattengeschichte.....


    mfg aus Wien
    Alfred
    Alfred

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  • Die im Threadtitel genannte Aussage ist natürlich bekloppt. Das kommt mir immer vor wie der letzte Distinktionsversuch von letztlich schwachen Charakteren, die solcherlei nötig haben, um ihr Ego aufzupolieren. Mir hat mal jemand gesagt, die wahren Aufnahmen seien alle im MONO-Zeitalter entstanden, alles danach sei interpretatorischer Nachklapp; wer also wirklich große Interpretationen hören wolle (und das bezog sich nicht auf Wagner-Gesang!!), der müsse MONO hören. Mit späteren Aufnahmen könne man die Werke nicht wirklich erfassen. STEREO sei für die 'Warmduscher' unter den Klassikhörern - das ist so blöde, dass es schon wieder komische Züge hat. Klingt wie 'ne Karikatur, war aber ernst gemeint.


    Für mich ist MONO nichts - abgesehen von der MONO-Spätphase, in der die Einspielungen ein gerade noch akzeptables Klangniveau erreicht hatten. Aber auch davon habe ich nicht viel - ein bisschen Fricsay, Walter, Furtwängler, Szell, aber ehrlich gesagt, höre ich das sehr selten. Ich mag einfach guten Klang! Außerdem könnte ich viele Werke, die sich in meiner Sammlung befinden ohne STEREO-/DIGITAL-Einspielungen gar nicht hören, da diese Werke im MONO-Zeitalter noch gar nicht eingespielt wurden (wie zum Beispiel Messen von Michael Haydn, von denen gerade eine bei mir läuft). Ich hatte mal ein Mozart-Requiem aus dem Salzburger Dom von 1931 - das war zum Fürchten (ORFEO)!!!


    Grüße
    Garaguly

  • Grundsätzlich: Es gibt gute und schlechte Mono-Aufnahmen! Ich unterscheide z. Bsp. zwischen historischen Aufnahmen, Live-Mitschnitten und Mono-Studioaufnahmen. Dadurch ist die Klangqualität bei den Erstgenannten oft sehr unterschiedlich. Aber bei Mono-Aufnahmen, die um die 50er Jahre im Studio entstanden sind, gibt es z. Bsp. Opern, die von der Klangqualität vielen Stereo-Aufnahmen kaum nachstehen. Diese hörte ich erst vor Kurzem und war mit der Klangqualität sehr zufrieden:


    W.S.

  • Wie explizit im ersten Satz meines Postings oben gesagt, kann jeder tun und lassen, was er will. Aber ich finde es offensichtlich, dass, wenn zB Holger sich mit Chopins b-moll-Sonate befasst und dutzende von Interpretationen anhört und vergleicht, solch ein Projekt ziemlich sinnlos wäre, wenn man es mit der Einschränkung "nur gutklingende Stereo-Studioaufnahmen" versieht. Natürlich gibt es bei einem derart häufig eingespielten Stück immer noch 100 Interpretationen in Stereo; an der bloßen Menge würde es nicht scheitern. Aber es würden maßgebliche, nicht nur historisch wichtige Interpretationen fehlen, nicht nur aufgrund des Alters. Michelangeli live ist nicht so alt, klingt aber auch nicht toll, da live/Funkmitschnitt.
    Und das gilt m.E. für anderes Standardrepertoire so ähnlich; natürlich soll und muss niemand auf diese Art sammeln. Aber wer sich für unterschiedliche Interpretationen und Interpretationsgeschichte interessiert, der erhält eine ganz schlechte Stichprobe, wenn er sich auf Stereo-Aufnahmen beschränkt. (So ähnlich wie Psychologen nicht die Psychologie des weltweiten Durchschnittsmenschen testen, sondern die amerikanischer Studenten, mit denen 90% oder mehr aller Studien durchgeführt werden.)


    Ich verstehe auch die Unterscheidung "aus dokumentarischen Gründen" nicht ganz. Wenn jemand findet (und das finde ich zumindest nachvollziehbar), dass zB Melchior in einer Wagnerpartie stimmlich und gestalterisch unerreicht ist oder Furtwänglers Interpretation einer Bruckner-Sinfonie einzigartig, dann hört er doch nicht aus "wissenschaftlichen Gründen" diese Aufnahmen, sondern weil sie ihm, ungeachtet des nicht-idealen Klangs besser gefallen, weit mehr Freude und Genuss bringen als andere, besser klingende Aufnahmen.


    Natürlich kann man so ein Faible auch aus Distinktionsgewinn pflegen. Das gilt aber auch für vieles andere, insbesondere für Klassische Musik überhaupt. Vielleicht gibt es Leute, die Klassik hören, um sich abzusetzen oder innerhalb der Klassik solche, die lieber Marenzio-Madrigale hören, um sich von den Mainstream-Beethovenhörern abzusetzen oder eben die, die meinen, seit 1950 gäbe es eh keine anhörenswerten Klassikaufnahmen mehr. Aber das heißt ja nicht, dass das immer der Fall ist. Ich unterstelle Alfred auch nicht, dass er Ries hört, weil sonst alle Debussy und Prokofieff hören, sondern vermute, dass ihm Ries tatsächlich gefällt.


    Ergänzung: Der ältere thread, in dem das alles schon einmal angesprochen wurde, ist hier

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  • Ich denke auch, es hängt letztlich davon ab, WARUM man sammelt. Will man einfach 2, 3 oder auch 10 tolle Einspielungen eines Werkes haben, dann wird man sich vermutlich mit dem begnügen, was an gut klingenden Stereoaufnahmen vorliegt. Möchte man aber einen Überblick über die Interpretationsgeschichte eines Werkes/einer Werkgruppe oder die Entwicklung z.B. des Violin- oder Klavierspiels haben, dann ist man auch bereit, sich mit den historischen Aufnahmen zu beschäftigen. Den außerordentlich Rang eines Pianisten Rachmaninoff oder Schnabel kann ich nur so erfahren, auch bei Heifetz geben die zahlreichen Stereoaufnahmen kein komplettes Bild und die Geschichte der Mahlerexegese beginnt nicht mit Leonard Bernstein.


    Die Behauptung, dass alle wichtigen Aufnahmen schon in der Monozeit entstanden wären, kenne ich auch und auch ich halte sie für ziemlichen Unfug. Bestes Gegenbeispiel sind die Streichquartettaufnahmen. Hier sind praktisch alle historischen Aufnahmen von mindestens gleichwertigen und in den allermeisten Fällen besseren abgelöst worden (nur bei Bloch nicht ;(). Trotzdem finde ich es interessant, gelegentlich zu hören, wie ein Busch oder Budapest Quartett diese Werke gespielt hat.

  • In dem verlinkten thread wurde m.E. eigentlich schon alles Wesentliche gesagt. In dem Thread zu "Verblassten Interpreten" habe ich die flapsige Bemerkung, die für diesen thread hier verantwortlich ist, gemacht, weil das in diesem Zusammenhang schon relevant ist.
    Es gibt aber beide Effekte: Interpreten/Aufnahmen werden von neuerer/besserer Klangtechnik "überholt" oder erst gar nicht mehr aufgelegt. Oder Sammler stürzen sich erst recht auf klanglich eingeschränkte Mitschnitte usw. So wurde zB gegen das "Verblassen" Keilberths mit angeblich 30 erhältlichen Opernaufnahmen argumentiert. Von denen sind aber mehr als 20, vermutlich 25 gar nicht zu Lebzeiten des Dirigenten veröffentlicht worden! Nicht nur der legendäre zurückgehaltene Ring, sondern auch der Rest sind durchweg Mitschnitte/Funkaufnahmen.


    In jedem Falle fand ich es einigermaßen bemerkenswert in einem Thread, in dem es wohl um eine Evaluation jenseits "oberflächlicher Trends" gehen sollte (denn beim "Verblassen" schwingt wohl auch mit, dass das ungerechtfertigt gewesen sei), "ist doch mono" als anscheinend ernsthafte Begründung, warum man einen Interpreten mehr oder minder ignoriert (hat), zu lesen. Zumal es bei den drei genannten Interpreten, Schuricht, Steinberg, Silvestri genügend Stereo- oder offizielle "Hifi-Mono"-Aufnahmen gibt und zumindest ein Teil davon von Major Labels im Katalog gehalten bzw. kürzlich in Boxen wiederveröffentlicht wurde.

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  • Hallo Lutgra, hallo Johannes!


    Ich möchte Euren Ausführungen auch garnicht widersprechen. Aus Eurer Sicht habt Ihr vollkommen Recht. Ich wollte hier nur klarmachen, daß es auch klangmäßig gute, hörenswerte Aufnahmen in Mono gibt. Auch ohne knistern oder rauschen.



    Gruß Wolfgang

    W.S.


  • Ich möchte Euren Ausführungen auch garnicht widersprechen. Aus Eurer Sicht habt Ihr vollkommen Recht. Ich wollte hier nur klarmachen, daß es auch klangmäßig gute, hörenswerte Aufnahmen in Mono gibt. Auch ohne knistern oder rauschen.


    Da bin ich vollkommen Deiner Ansicht. Auch das wurde in dem längeren "Klangqualität"-Thread schon angesprochen. Auch dort habe ich versucht, deutlich zu machen, dass die meisten Hörer nicht aus Masochismus oder rein historischem Interesse, Mono- und ältere Aufnahmen anhören.

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  • Wenn ich so zurückdenke, war ich wohl noch nie ein "Mono-Verweigerer". Zu Beginn meiner Beschäftigung mit der klassischen Musik habe ich mir erstaunlich viele uralte Aufnahmen zugelegt. Mono oder Stereo war mir damals (vor ca. zehn Jahren) völlig gleichgültig, und nicht nur bei Opernaufnahmen wegen der Stimmen. Irgendwann hatte ich dann auch eine Phase, in der ich Stereo plus Studio als das Nonplusultra ansah (Mono aber nicht gleichzeitig verdammte). Davon bin ich längst abgerückt. Heute ist mir live meistens sogar lieber (natürlich gibt es auch da bedeutende Ausnahmen). Wenn man auf einige der großen alten Dirigenten steht, führt an Mono kaum ein Weg vorbei. Wieviel wäre mir entgangen, hätte ich nie die Mono-Aufnahmen von Furtwängler oder Knappertsbusch gehört! Von letzterem gibt es zwar einen Bruchteil auch in Stereo, aber bis auf eine Ausnahme ("Parsifal" 1962) ist das alles Studio und insofern bei diesem Dirigenten oft eher zweite Wahl. Mono kann auch gut klingen, das wurde ja bereits gesagt. Räumlich und bassstark sind nicht automatisch ein Problem. Vielleicht würden wir sogar was vermissen, wenn wir Furtwänglers Kriegsaufnahmen auf einmal in bestem Stereo-Ton hätten. Der Mono-Klang von ca. 1930 bis ca. 1960 hat etwas sehr eigenes. Besonders die 50er-Jahre-Aufnahmen sind oftmals bereits so gut aufgenommen, dass man sogar als Kenner manchmal Schwierigkeiten hat, klar zu sagen, ob das jetzt Mono oder Stereo ist (hier hilft es, wenn man die Tracks mit einem Programm wie Audacity einlesen lässt, wo man das dann sehr leicht erkennen kann).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ein anderes offensichtliches Beispiel ist Wagnergesang, bei dem die 1950er/60er noch o.k. sind, aber sehr oft schon hörbar gegenüber den Glanzleistungen der 30er/40er abfallen. Es gibt schlicht nichts neueres in gutem Klang, das sängerisch-musikalisch ebenbürtig wäre.


    Hier wage ich doch, gewisse Zweifel anzumelden. Für mich sind ein Matti Salminen oder eine Waltraud Meier wahrscheinlich anhörbarer, als die alte Garde. Wenn ich mich damit bestimmten Leuten gegenüber als indiskutabler Banause geoutet habe, kann ich bestens damit leben. Meine Sammlung ist einzig und allein durch den Wunsch entstanden, meine CDs mit Freude und Genuss zu hören. Wie die Sammlung auf einer Liste vom editorischen Standpunkt her aussieht, ist mir dabei völlig egal.


    Haben die damals nicht auch noch wesentlich mehr Portamento gesungen - nicht nur bei der italienischen Oper? Wenn ja, dann mag ich die Schleiferei definitiv nicht. Da hat sich der Geschmack wohl geändert, und ich finde auch, dass das gut so ist.
    Die Strahlkraft und die Dynamik einer grossen Wagnerstimme wird m.E. durch die Limitierungen der historischen Aufnahmen recht deutlich wieder zunichte gemacht. Soll man sich daran erfreuen können, wenn die Klangfarbe, das Timbre überhaupt nur zu erahnen ist oder wenn es bei lauten Tönen zerrt?
    Die Dynamik und die Fülle eines Wagnerklangs wird eine Aufnahme aus den 30er-Jahren gewiss nicht vermittlen können, eine Blue-ray in DTS-Master-Audio jedoch bei entsprechendem Equipment sehr.


    Wenn es für mich einen Grund gibt, mir dennoch alte Aufnahmen zu besorgen, so heisst der schlicht und ergreifend Furtwängler.
    Bei ihm kann man Grundsätzliches für die Interpretation an sich lernen - er ist und bleibt eine Ausnahmeerscheinung. Viele der guten Eigenschaften seines Musizierens sind zeitlos und haben immer Gültigkeit, manches Andere klingt jedoch auch der Zeit geschuldet. Dennoch muss ich ähnlich wie m-mueller oder Garaguly zugeben, dass ich zu diesen Aufnahmen recht selten greife, weil es nun einmal angenehmer ist, Einspielungen mit einem gutem Klangbild zu hören. Und so eine "Früher was alles besser"-Legendenbildung halte ich eh für Unsinn. Bevor Celi z.B. die Berliner Philharmoniker verliess, wollte er spieltechnisch nicht ganz so versierte ältere Musiker hinausdrängen, was auf den Widerstand des Orchesters stiess und letztlich auch zum Bruch führte.
    Man sieht daran, dass das spieltechnische Niveau selbst eines solchen Orchesters früher auf jeden Fall nicht höher war, als es heute ist. Auf so manchen Furtwängler-Aufnahmen habe ich auch schon in Bezug auf die Intonationsreinheit der Geigen Sachen gehört, die man heute beim BPO nie und niemals hören würde, auch nicht live.


    Ob ich nun als Sammler oder als wahrer Wagner-Freund ernstgenommen werde oder nicht, ist mir herzlich egal. Wichtiger ist mir, z.B. von den Harmonisierungen und Modulationen Wagners beim Parsifal oder beim Tristan zu lernen und überhaupt das Werk an sich in der Tiefe und substanziell zu verstehen und zu empfinden. Die Behauptung, dass man das nur mit den alten Mono-Schinken erreichen könne, halte ich für nostalgischen Unsinn. Im Gegenteil, bei einer neuen, modernen Aufnahme hört man alle Einzelheiten des Orchesterspiels, und das zusätzlich zu den unerzerrten Stimmen. Wenn man nicht nur auf die Stimmen, sondern auf die ganze Musik hört, liegt es aus meiner Sicht also nahe, aus musikalischen Gründen die modernste Aufnahmetechnik vorzuziehen. Gerade Wagners sehr stark besetzte und dynamische Musik leidet unter den Limitierungen einer unzureichenden Aufnahmetechnik, die anderen Komponisten natürlich auch, ebenso Barock und Renaissance.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Natürlich gibt es auch heute noch einzelne gute Sänger; Tenor hast Du allerdings bezeichnenderweise keinen genannt. Aber selten genug, um eine gesamte Wagner-Oper befriedigend besetzen zu können. (Dagegen sind für Barockmusik die Sänger heute normalerweise erheblich besser und ich höre mir auch nur in Ausnahmefällen zB Bach oder Händel aus den 1950ern an.)
    Ich will ungern alles wiederholen, was in dem anderen Thread schon gesagt wurde und bitte auch den Kontext zu beachten, aus dem der Satz, den Alfred zitiert hat, stammt. Mit wenigen Ausnahmen bin ich auch nicht der Ansicht, dass ältere Aufnahmen durchgehend "besser" wären. Aber sie sind anders und für viele Hörer nicht so einfach durch neuere zu ersetzen. Und die Hinsichten, in denen die älteren so besonders sind, lassen sich nicht einfach gegenüber gutem/schlechtem Klang aufrechnen.


    Dein Argument bzgl. Furtwängler gilt "im Prinzip" ebenso für Toscanini, Weingartner, Schnabel, Sofronitzky, Rachmaninoff usw. usw.

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  • Soll man sich daran erfreuen können, wenn die Klangfarbe, das Timbre überhaupt nur zu erahnen ist oder wenn es bei lauten Tönen zerrt?

    Ich weiss nicht, was Du bisher für historische Aufnahmen gehört hast, vielleicht nur die, die aus der letzten Reihe illegal mit einem tragbaren Tonbandgerät mitgeschnitten oder aus einem verrauschten Radio aufgezeichnet wurden. Wenn Du Dir frühe EMI-Aufnahmen anhörst (Walküre 1. Akt, Lehmann, Melchior, Walter 1938) oder den Furtwängler "Tristan" und die Walküre kann doch gar keine Rede davon sein, dass man die Timbres der Sänger nur "erahnen" kann. Das ist doch das Problem, dass die Timbres so ausdrucksstark aufgezeichnet wurden, dass man sich bei vielen heutigen Sängern fragt, wo denn deren seien.

  • Die Krise das Wagner-Gesangs ist zwar hier nur indirekt Thema, aber abstreiten kann man das doch kaum. Es wurden zurecht Matti Salminen und Waltraud Meier als heutige große Sänger/innen bei Wagner angeführt, aber bei genauerer Betrachtung muss man hier doch einschränkend dazu sagen, dass Salminen, bald 70, über seinen Zenit längst hinaus ist; dasselbe gilt auch, wenn auch nicht in dem Maße, für Meier. Heldentenöre gibt es fast keine mehr, und die Nennung von Peter Seiffert oder Ben Heppner musst heute auch schon stark relativiert werden, da beide mit ca. 60 auch nicht mehr ewig singen werden. Dann gibt es noch Jonas Kaufmann. Wenn wir uns die Situation am Ende der Mono-Ära, um 1950, ansehen, dann müsste man ja allein im deutschen Raum schon etwa ein Dutzend Heldentenöre ausmachen, von Max Lorenz über Ludwig Suthaus, Günther Treptow, August Seider, Hans Hopf, Lorenz Fehenberger, Franz Völker, Wolfgang Windgassen, Bernd Aldenhoff bis hin zu Ernst Gruber. International kämen noch Lauritz Melchior, Set Svanholm, Ramón Vinay usw. hinzu. Man könnte wohl anbringen, dass zumindest in der frühen Stereo-Ära (ca. 1955—1965) dieses Defizit noch nicht besonders stark ins Gewicht fiel. Etliche der genannten Sänger waren auch da noch aktiv. Aber bereits Ende der 60er Jahre gab es mitunter Probleme, die großen Wagner-Opern noch adäquat zu besetzen, man denke nur an den höchst umstrittenen "Ring" von Karajan. Und bereits um 1980 wurde wehleidig zurückgeblickt auf die große Zeit, obwohl man damals mit Spas Wenkoff, René Kollo, Peter Hofmann, Reiner Goldberg und Siegfried Jerusalem durchaus noch mehr als akzeptable Rolleninterpreten zur Verfügung hatte.

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    – Luís de Camões

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    In diese Aufnahme habe ich hineingehört und mit Barenboim/Bayreuth verglichen. Die neue Aufnahme leidet an der nicht so klaren Ausprache des wahrscheinlich nicht deutschsprachig aufgewachsenen Sängers. Das kann natürlich so vorkommen, aber es gibt ja nicht nur ausländische Wagner-Sänger, gegen die ich ausdrücklich nichts habe, um Missverständnissen vorzubeugen.


    Dennoch kann ich die neue Aufnahme mit grösserem Genuss hören, denn die Stimmen der historischen Aufnahme klingen arg gepresst und unnatürlich, fast wie aus einem Blechtrichter. Man versteht den Text gut, aber man hört auch an der Aussprache, dass es eine alte Aufnahme ist. Früher war die Aussprache irgendwie anders, was einem ja auch immer wieder auffällt, wenn man die Reporterstimme aus alten Wochenschauen hört. Ehrlich gesagt mag ich lieber die heutige, für mich natürlicher klingende Ausprache. Nicht nur im Genre, das heute von Max Raabe bedient wird, sprach man Deutsch früher irgendwie anders aus, als heute. Sicherlich ist das eine Geschmacksfrage. Es kommt darauf an, was man hören will und worauf man hört.


    Um mich noch unbeliebter zu machen, poste ich einmal einen Vergleich der legendären Flagstad, bei der alle Kenner den Blick andächtig nach unten richten, hier mit dem herrlichen Liebestod.


    Als Gegenstück Waltraud Meier.



    vs



    Da kann man sich selbst ein Bild machen. Für mich ist Meiers Interpretation in allen wesentlichen Belangen der Legende weit überlegen, und bei der neuen Aufnahme hört man nicht nur ein kratzendes Hintergrundgedudel, sondern es klingt schon wesentlich ähnlicher nach Orchester, obwohl die Qualität auf youtube in diesem Fall auch nicht gerade High-End ist. Man hört ein Werk von Wagner, nicht nur eine nach vorne geholte Stimme mit einem Irgendetwas im Hintergrund. Auf die Flagstad-Aufnahme gehe ich mit Rücksicht auf die vielen Fans dieser Sängerin am besten nicht weiter ein. Ich mag so etwas jedenfalls nicht hören.


    Vom Orchesterspiel noch besser finde ich die Aufnahme mit der vom Volumen her unfassbaren Norman und Karajan:



    Hiervon habe ich die DG-CD im Bestand, die natürlich viel besser klingt, als dieser Film auf Youtube. Dennoch merkt man doch den Unterschied zu den historischen Aufnahmen m.E. mehr als deutlich, gerade auch hinsichtlich der gesamt-musikalischen Wirkung auf den Hörer.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Dennoch kann ich die neue Aufnahme mit grösserem Genuss hören, denn die Stimmen der historischen Aufnahme klingen arg gepresst und unnatürlich, fast wie aus einem Blechtrichter.


    Allerdings ist die Wiedergabe über YouTube auch nicht die Beste.

    W.S.

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  • @Joseph II:


    Es gibt ja auch noch den Klaus Florian Vogt, den ich als Lohengrin sehr mochte. Ich habe gelesen, dass ihn nicht alle gerne hören, ich jedoch schon.


    Die von Dir genannten Einschränkungen hinsichtlich des Alters stimmen schon, aber hier geht es ja auch um die Frage, historische Mono-Aufnahme versus neuere Stereo-Aufnahme. Und da gibt es doch von Leuten wie Hofmann oder Kollo durchaus Anhörbares, sowohl technisch als auch musikalisch, möchte ich annehmen.


    Gruss
    Glockenton

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