Erstaunlich genug, dass ich in all den Jahren, in denen ich klassische Konzerte besuche bisher tatsächlich noch nie in einem Konzert der Hamburger Symphoniker gewesen bin. Noch viel erstaunlicher aber, was mir dadurch bis jetzt wohl entgangen ist! - Aber der Reihe nach:
Es wäre wohl übertrieben, zu behaupten, die Hamburger Symphoniker führten in der Hansestadt ein Schattendasein; jedoch ist es schon so, dass sie neben dem renomierten NDR-Sinfonieorchester und dem Opern-Orchester, den Hamburger Philharmonikern in der Publikumswahrnehmung eher als das sprichwörtlich "dritte Rad am Wagen" wahrgenommen werden. Bei näherer Betrachtung ist dies eigentlich unverständlich, handelt es sich doch ebenfalls um ein sog. A-Orchester, dessen Leitung seit 2009/10 kein geringerer inne hat, als der britische Dirigent Jeffrey Tate. Im Sinne des besser spät, als nie habe ich also endlich auch zwei Konzerte mit diesem Orchester in meine Saisonplanung aufgenommen, und da es ja heißt, man solle nicht kleckern, sondern klotzen, mußten es gleich zwei groß-symphonische Werke ersten Ranges sein: Anton Bruckners Symphonie Nr.7 E-Dur (in 4/2015) und eben am gestrigen Abend die letzte vollendete Symphonie Nr.9 Gustav Mahlers.
Was mir bei den Programmen der Hamburger Symphoniker schon immer aufgefallen ist, dass diese häufig sher klug und interessant ausgewählt sind ein oft ein bestimmtes Motto verfolgen. So lautete an diesem Sonntagabend, dem Volkstrauertag, die Überschrift Tod; im Vordergrund hierbei allerdings nicht unbedingt der Tod in seiner dramatisch-erschreckenden Form, sondern vielmehr die tröstlich-erlösende Sichtweise. So begann der Abend in der abgedunkelten Musikhalle nicht mit Musik, sondern mit einem Gedicht des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas mit dem Titel Do not go gentle into that good night welches - vom Autor selbst vorgetragen - vom Band eingespielt wurde. Ohne Pause ging es dann mit dem ersten Satz Allegro aus dem Streichquartett Nr.14 d-moll D810 "Der Tod und das Mädchen" Franz Schubert gespielt von den Streicher-Stimmführern weiter, wobei im Wesentlich nur das Licht der vier Notenpulte in dem großen Saal eine intime Atmosphäre schuf. Musikalisch allerdings empfand ich den Zugang als doch etwas zu brav und ich hätte mir eine durchaus packendere Spielweise gewünscht.
Nach dieser "Einleitung" trat (bzw. setzte sich) dann Jeffrey Tate an das Pult und ließ für die kommenden 80 Minuten keine Frage offen: Sein Dirigat durchaus zügig, aber keineswegs zu schnell überzeugte mich vom Anfang bis zum verhauchenden Ende. Er und das Orchester beherrschten sowohl die fulminaten Steigerungen im Kopf-, sowie im Schlußsatz, als auch die Tänze des zweiten und die Burleske (Sehr trotzig!) des dritten Satzes. Das Orchester - insbesondere die Bläser - spielten vielleicht nicht immer vollkommen genau, aber dafür mit vollem Einsatz und Risiko. Hier wurde sehr ehrlich und vor allem sehr direkt musiziert!
Natürlich kann ein Vergleich mit dem von mir sehr geliebten NDR-Sinfonieorchester nicht ausbleiben und tatsächlich habe eine derartige Direktheit dort eher seltener erlebt. Eventuell liegt dies daran, dass das NDR-Sinfonieorchester seine Programme im Normalfall zwei bis dreimal hintereinander gibt, z.B. Donnerstagabend in der Musikhalle, Samstag in Lübeck und in der Sonntagsmatinee nochmals in Hamburg. So müssen sich auch Kräfte eingeteilt werden und es gibt stets "die zweite Chance". Bei den Hamburger Symphonikern ist dies anders, da die Konzerte normalerweise nur am Sonntagabend stattfinden und so die Einmaligkeit des Ereignisses vielleicht noch eine andere Bedeutung hat.
Am Schluß gab es sehr verdienten und lang anhaltenden Applaus aus dem Parkett und den leider nur zu zweidritteln besetzten Rängen. - Sehr gespannt bin ich jedenfalls auf den kommenden April mit Bergs Violinenkonzert "Dem Andenken eines Engels" und Bruckners 7ter. Wenngleich, sollte dieses Konzert ebensogut gelingen, ich für die Saison 2015/16 in echte planerische Schwierigkeiten kommen werde.