16.11.2014 (Musikhalle Hamburg) Gustav Mahler, Symphonie Nr.9 - Jeffrey Tate, Hamburger Symphoniker

  • Erstaunlich genug, dass ich in all den Jahren, in denen ich klassische Konzerte besuche bisher tatsächlich noch nie in einem Konzert der Hamburger Symphoniker gewesen bin. Noch viel erstaunlicher aber, was mir dadurch bis jetzt wohl entgangen ist! - Aber der Reihe nach:


    Es wäre wohl übertrieben, zu behaupten, die Hamburger Symphoniker führten in der Hansestadt ein Schattendasein; jedoch ist es schon so, dass sie neben dem renomierten NDR-Sinfonieorchester und dem Opern-Orchester, den Hamburger Philharmonikern in der Publikumswahrnehmung eher als das sprichwörtlich "dritte Rad am Wagen" wahrgenommen werden. Bei näherer Betrachtung ist dies eigentlich unverständlich, handelt es sich doch ebenfalls um ein sog. A-Orchester, dessen Leitung seit 2009/10 kein geringerer inne hat, als der britische Dirigent Jeffrey Tate. Im Sinne des besser spät, als nie habe ich also endlich auch zwei Konzerte mit diesem Orchester in meine Saisonplanung aufgenommen, und da es ja heißt, man solle nicht kleckern, sondern klotzen, mußten es gleich zwei groß-symphonische Werke ersten Ranges sein: Anton Bruckners Symphonie Nr.7 E-Dur (in 4/2015) und eben am gestrigen Abend die letzte vollendete Symphonie Nr.9 Gustav Mahlers.


    Was mir bei den Programmen der Hamburger Symphoniker schon immer aufgefallen ist, dass diese häufig sher klug und interessant ausgewählt sind ein oft ein bestimmtes Motto verfolgen. So lautete an diesem Sonntagabend, dem Volkstrauertag, die Überschrift Tod; im Vordergrund hierbei allerdings nicht unbedingt der Tod in seiner dramatisch-erschreckenden Form, sondern vielmehr die tröstlich-erlösende Sichtweise. So begann der Abend in der abgedunkelten Musikhalle nicht mit Musik, sondern mit einem Gedicht des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas mit dem Titel Do not go gentle into that good night welches - vom Autor selbst vorgetragen - vom Band eingespielt wurde. Ohne Pause ging es dann mit dem ersten Satz Allegro aus dem Streichquartett Nr.14 d-moll D810 "Der Tod und das Mädchen" Franz Schubert gespielt von den Streicher-Stimmführern weiter, wobei im Wesentlich nur das Licht der vier Notenpulte in dem großen Saal eine intime Atmosphäre schuf. Musikalisch allerdings empfand ich den Zugang als doch etwas zu brav und ich hätte mir eine durchaus packendere Spielweise gewünscht.


    Nach dieser "Einleitung" trat (bzw. setzte sich) dann Jeffrey Tate an das Pult und ließ für die kommenden 80 Minuten keine Frage offen: Sein Dirigat durchaus zügig, aber keineswegs zu schnell überzeugte mich vom Anfang bis zum verhauchenden Ende. Er und das Orchester beherrschten sowohl die fulminaten Steigerungen im Kopf-, sowie im Schlußsatz, als auch die Tänze des zweiten und die Burleske (Sehr trotzig!) des dritten Satzes. Das Orchester - insbesondere die Bläser - spielten vielleicht nicht immer vollkommen genau, aber dafür mit vollem Einsatz und Risiko. Hier wurde sehr ehrlich und vor allem sehr direkt musiziert!


    Natürlich kann ein Vergleich mit dem von mir sehr geliebten NDR-Sinfonieorchester nicht ausbleiben und tatsächlich habe eine derartige Direktheit dort eher seltener erlebt. Eventuell liegt dies daran, dass das NDR-Sinfonieorchester seine Programme im Normalfall zwei bis dreimal hintereinander gibt, z.B. Donnerstagabend in der Musikhalle, Samstag in Lübeck und in der Sonntagsmatinee nochmals in Hamburg. So müssen sich auch Kräfte eingeteilt werden und es gibt stets "die zweite Chance". Bei den Hamburger Symphonikern ist dies anders, da die Konzerte normalerweise nur am Sonntagabend stattfinden und so die Einmaligkeit des Ereignisses vielleicht noch eine andere Bedeutung hat.


    Am Schluß gab es sehr verdienten und lang anhaltenden Applaus aus dem Parkett und den leider nur zu zweidritteln besetzten Rängen. - Sehr gespannt bin ich jedenfalls auf den kommenden April mit Bergs Violinenkonzert "Dem Andenken eines Engels" und Bruckners 7ter. Wenngleich, sollte dieses Konzert ebensogut gelingen, ich für die Saison 2015/16 in echte planerische Schwierigkeiten kommen werde.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Danke sehr für den plastischen Bericht, lieber Michael.


    In der Tat sind mir die Hamburger Symphoniker eher nur durchs Hörensagen bekannt. Ich wusste allerdings, dass sie mit Jeffrey Tate einen hochgradigen Chefdirigenten besitzen, was eigentlich schon für sich spricht.


    Apropos Hamburg: Gerade die Tage lauschte ich einigen alten Aufnahmen des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter Joseph Keilberth. Der Name dürfte in der Hansestadt eigentlich noch einigen Nachklang haben, legte er doch in den 50er und 60er Jahren zahlreiche Aufnahmen mit den heutigen Hamburger Philharmonikern vor.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Apropos Hamburg: Gerade die Tage lauschte ich einigen alten Aufnahmen des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter Joseph Keilberth. Der Name dürfte in der Hansestadt eigentlich noch einigen Nachklang haben, legte er doch in den 50er und 60er Jahren zahlreiche Aufnahmen mit den heutigen Hamburger Philharmonikern vor.


    Oh ja, war er doch nach Jochum und vor Sawallisch zwischen 1951 und 1961 Chefdirigent dieses Orchester (siehe hier). - Und ab 2015/16 dann Kent Nagano, was die zukünftige Saisonplanung nicht einen Deut leichter machen wird ... ;(

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Und ab 2015/16 dann Kent Nagano, was die zukünftige Saisonplanung nicht einen Deut leichter machen wird ...

    Wow, das hatte ich noch gar nicht mitbekommen. Dann wird es ja Zeit, in die Heimatstadt zurückzukehren. :D Hoffentlich bleibt er ein paar Jahre, denn bis Ende 2018 muß ich mindestens noch in der Schwabenmetropole ausharren.


    P.S. Übrigens ziert Nagano das Cover der Dezemberausgabe von FF. Passend zu seinem neuen Buch.


  • Wow, das hatte ich noch gar nicht mitbekommen. Dann wird es ja Zeit, in die Heimatstadt zurückzukehren. :D Hoffentlich bleibt er ein paar Jahre, denn bis Ende 2018 muß ich mindestens noch in der Schwabenmetropole ausharren.


    Ja, dass wird vielleicht nicht nur musikalisch spannend: Wenn sich Nagano und der aktuelle "Leitwolf" des hamburger Musiklebens Thomas Hengelbrock gegenseitig Konkurrenz machen, könnte Tate sogar der lachende Dritte werden. Immerhin werden die Karten auch dadurch neu gemischt, dass sich die Philharmoniker wahrscheinlich demnächst die Elbphilharmonie mit dem dortigen Residenzorchester, d.h. mit dem NDR-Sinfonieorchester wird teilen müssen, während die Symphoniker dann die altehrwürdige Musikhalle als die ihre alleinige Heimstatt werden betrachten dürfen. - In solchen Konstellationen spielt dann "rein kulturpolitisch" auch oft das menschlich all zu menschliche eine Rolle :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Liebe Taminos,

    Zitat

    Wow, das hatte ich noch gar nicht mitbekommen. Dann wird es ja Zeit, in die Heimatstadt zurückzukehren. :D Hoffentlich bleibt er ein paar Jahre, denn bis Ende 2018 muß ich mindestens noch in der Schwabenmetropole ausharren.

    auch wenn es hier nicht umbedingt hingehört: Kent Nagano ist seit der letzten Spielzeit erster Gastdirigent der Göteborger Sinfoniker, so dass ich voller Erwartungen wegen seines großen Namens in die Konzerte ( 6 oder 7 an der Zahl) reinging. Nach meinem Jahr in Schweden war mir eines klar - Nagano ist einer der überbewertetsten Dirigenten unserer Zeit. Jedes Konzert war eine Enttäuschung und höchstens Mittelklasse. Lediglich Bernstein und Mahler konnte er besser als vielleicht manch anderer...


    LG
    Christian

  • Jedes Konzert war eine Enttäuschung und höchstens Mittelklasse.


    Das trifft sich auch mit meiner Erfahrung. Nagano wirkte ja auch etwas glücklos mehrere Jahre in Berlin - ohne jeden Nachhall. Seine Konzerte habe ich als sehr präzise aber ohne jede Wärme, ohne Gefühl, ohne Leidenschaft in Erinnerung. Es ging immer eine gewisse Kälte von ihm aus.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Michael,


    ein sehr schöner Bericht! Schönen Dank! Ich lobe auch hier in Bielefeld immer die tolle, mutige Programmgestaltung. In der Provinz scheint so etwas eher möglich zu sein als etwa in Wien... :hello:


    Beste Grüße
    Holger