Ja, der Schatten Fritz Wunderlichs wird noch manchen Tenor überdecken.

  • Geplant war der Thread schon seit einigen Tagen. Den passenden Titel hat mir Siegfried heute geliefert.
    Ich weiß, dass mich dieser Thread Sympathien kosten kann - und vermute, dass er polarisieren wird.
    Fritz Wunderlich gilt ja heutzutage quasi als eine Art "Caruso". Damit meine ich nicht etwa den Vergleich der Stimmen - sondern das Legendäre der Person. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Fritz Wunderlich über eine der schönsten Stimmen seines Fachs verfügte. Dennoch - und es hat Jahre gedauert, bis ich zu dieser Ansicht gekommen bin, ist seine Stimme kein Monolith in einer Ebene. Ich hab vor einigen Tagen die alte Aufnahme des Barbier von Sevilla in deutscher Sprache gesehen - und sie wirkte auf mich - recht hausbacken. Das bezieht sich auf den Gesamteindruck - und natürlich ist für heutige Ohren ein "Barbier" in deutscher Sprache nur schwer zu ertragen - auch für mich, der ich mit den deutschen Versionen italienischer Opern aufgewachsen bin. Wunderlich fehlt hier (wie auch Hermann Prey - und mehr noch - Erika Köth) die Italianita.
    Kommen wir zurück zur "Paraderolle von Wunderlich" - Ohne Zweifel ein Glanzzstück.
    Kann man aber wirklich sagen, dass ihm hier niemand ebenbürtig sei ?
    Das war wohl kurz nach seinem Tod so - der Schock war groß - und die Auswahl an Sängern, die ihn ersetzen konnen (nein - MUSSTEN) war klein - und in der Tat fällt mir in unmittelbarer zeitlicher Nähe niemand ein, der ihm auch nur annähernd das Wasser reichen konnte.
    Ist das aber auch heute noch so ?
    Rund 48 Jahre nach seinem Tod ? - Es fällt mir schwer das zu glauben.
    Um uns die Spanne vorstellen zu können von seinem Todesjahr bis heute sind 48 Jahre vergangen.
    Von diesem Zeitpunkt zurück-gerechnet landen wir im Jahr 1918. Da hat noch Caruso gesungen !!!


    Wer wirft den ersten Stein ? (auf mich) :untertauch:


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wer wirft den ersten Stein ? (auf mich)


    Warum, lieber Alfred, Du hast doch sehr interessante Gedanken geäußert. Nichts von dem, was Du schreibst, nimmt Wunderlich etwas weg. Ich fühle mich diesem Sänger sehr verbunden. Gerade deshalb beginne ich, ihm auch zu hinterfragen. Zunächst konnte er erstmal hinreißend singen, leicht, unbeschwert, mit einer unverwechselbaren Naturstimme gesegnet, die man aus tausend anderen heraushört. Er konnte anpacken was er wollte, es gelang ihm. Sein Repertoire ist grenzenlos gewesen, reichte vom Schlager bis zur Bach'schen Passion. Selbst Strawinsky hat er gesungen, Egk, Berg, Pfitzner, Janacek. Die zeitnahmen Stücke klingen bei ihm nicht ganz so gnadenlos und radikal, wie sie es vielleicht sollten. Dadurch nahm er ihnen aber wohl auch etwas weg. Er glättete, was in seiner Natur lag. Bei alledem muss man sich immer wieder klar machen, dass der Mann keine vierzig Jahre alt war, als er durch Unfall starb. So abgegriffen der oft variierte antike Spruch auch ist, so sehr trifft er auf ihn zu: Wen die Götter lieben, den holen sie früh. Sein Tod hat - darin habe ich keinen Zweifel - den Mythos Wunderlich stark befördert. Seine Aufnahmen, an die wir uns halten müssen, die ihn nicht selbst erlebt haben können, altern nicht. Sie konservieren diesen jungen stimmlichen Draufgänger auf ewig - ähnlich Peter Anders. Es gibt keine Altersaufnahmen, die einen irgendwie gearteten Verfall dokumentieren. Wenn man so will, ist Wunderlich dadurch anderen Kollegen gegenüber immer im Vorteil. Es geht ja gar nicht, ihm einen Nachfolger anzudichten.


    Und doch stellt er für mich auch ein Zeitphänomen dar. Er ist so etwas wie die Stimme und damit auch ein Ausdruck der 1950er und sechziger Jahre, die auch eine sehr muffige Epoche deutscher Geschichte gewesen sind, in der vieles verdrängt wurde. Wir sind wieder wer, es geht aufwärts, Wohlstand für alle ... Die gute Laune im Land höre ich auch aus dieser oft sehr unbekümmerten Stimme heraus. Deshalb wirkt sie auf mich zunehmen historisch, womöglich noch historischer als Schipa oder Martinelli.


    Ich schreibe das alles aus Liebe und Verehrung für Wunderlich. Fast fünfzig Jahre nach seinem frühen Tod wird man ihm aber nicht allein durch Verehrung gerecht. Und er wird durch seine Wirkung niemanden in den Schatten stellen. Es sei denn, wir halten einem begabten jungen Sänger der Gegenwart den Wunderlich vor. Das machte doch keinen Sinn. Qualität setzt sich immer durch, mit und ohne Wunderlich.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Bei aller Verehrung für Fritz Wunderlich und Gösta Winbergh, so ist es diese Stimme, die mich am meisten berührt:
    der unvergleichliche Schmelz Anton Dermotas in der schönsten aller Mozartarien.



  • Ist das aber auch heute noch so ?
    Rund 48 Jahre nach seinem Tod ? - Es fällt mir schwer das zu glauben


    Fritz Wunderlich wird durch Schönheit und Strahlkraft der Stimme, der positiven Energie, die in diesem Singen liegt und der spontanen emotionalen Ausstrahlung und Wirkung eine Ausnahmestellung unter den Tenören behalten. Für mich ist da nichts historisch oder gar altbacken. Der Eindruck ist überwältigend und diese Wirkung dürfte bleibend sein. Zudem hat das frühe Hinscheiden dieses Götterlieblings eine gewisse Glorifizierung und Verklärung gebracht. Nur und das ist keinerlei Einschränkung des Könnens oder der Bedeutung von Wunderlich. Es gab in seiner Zeit einen Nicolai Gedda, der in glänzender Technik, außergewöhnlicher Musikalität und sensibler Ausdrucksintensität ebenfalls ein Ausnahmekünstler war. Auch der große Stilist Peter Schreier ist für viele Gesangsexperten besonders im Oratorien- und Liedgesang ein maßstabsetzender Sänger. Es gab also zu allen Zeiten Sänger, die aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten und Eigenarten herausragend waren und es in ihrer Wirkung, Popularität oder musikgeschichtlich auch bleiben werden und es werden Gott sei Dank auch immer wieder solche Ausnahmekönner nachkommen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Ich möchte hier nicht auf die vielen Aufnahmen, die uns dieser Künstler hinterlassen hat eingehen und von denen ich die Meisten besitze. Aber nur soviel: Die Baumeisterarie aus der Entführung aus dem Serail , "Ich baue ganz auf deine Stärke" hat ihm bis heute kaum ein Tenor nachgesungen. Diese für mich schönste und schwierigste Mozart-Arie wurde von vielen Tenören gemieden und oft genug in den Gesamtaufnahmen weggelassen.

    W.S.

  • Für mich ist und bleibt Fritz Wunderlich der Größte!


    Wenn man in seine Aufnahmen (die ja in Hülle und Fülle erreichbar sind) hineinhört, dann lässt sich von den frühesten bis zu den späten (bei einem so früh verstorbenen Menschen etwas ver"wunderlich") ein steter Aufstieg (im Sinne von künstlerischer Reife) feststellen. Das beißt die Maus keinen Faden ab. Und es ist ebenso richtig, dass es nie einen vollkomenen Sänger gegeben hat (Henderson) und, das von mir als überzeugte Ergänzung angefügt, auch nie geben wird.


    Der Fachmann (der ich nicht bin!) wird bei den Sängern und Sängerinnen immer ein Manko feststellen, weil die Unvollkommenheit menschliches Wesen ist. Insofern möchte ich Kesting zustimmen, der auf Hendersons Feststellung mit einer Frage reagierte: Könnte es sein, dass es die unvollkommene Schönheit ist, welche sich als die vollkommenste erweist?


    Fritz Wunderlich war also auch nicht perfekt, sein Rang ist aber unbestreitbar groß.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Zitat

    Fritz Wunderlich war also auch nicht perfekt, sein Rang ist aber unbestreitbar groß.


    Das ist völlig unbestritten - die Frage ist lediglich, ob ein halbes Jahrhundert Schallplattengeschichte wirklich niemanden hervorgebracht hat, den man neben ihn stellen könnte. Es ist vermutlich auch so, daß viele von uns durch ihn geprägt sind - ich habe mir die Bildnisarie heute aben etwa 20 mal (bruchstückartig) von verschiedenen Interpreten angehört - und binn immer wieder bei Wunderlich gelandet.


    Daß Wunderlich in seinem relativ kurzen Leben eine stimmliche, bzw interpretatorische Wandlung durchgemacht hat, wir durch zwei Dinge belegt:

    Zum einen durch die zwei doch sehr unterschiedlichen Aufnahmen des Liederzyklus "Die schöne Müllerin" von Schubert.
    Die ältere (Mono-) Aufnahme mit Kurt Heinz Stoltze am Flügel (1957 ? 1959 ?) klingt unbekümmerter,direkter weniger raffiniert. (dennoch eine herrliche Aufnahme)
    Die neuere (Stereo-)Aufnahme mit Hubert Giesen als Begleiter ist doch etwas raffinierte interpretiert.


    Beide Aufnahmen gab es im Laufe der Jahre mit zahlreichen verschieden Covern - die Mono-Aufnahme wurde in verschiedenen Auflagen sogar künstlich "stereophonisiert" (Duplo Sound) -> Hände weg !!!


    Die zweite Sache kenne ich nur vom Hörensagen, kann sie also nicht belegen. Die Geschichte wurde in damals in der Tonträgerbranche kolportiert (ich bin eigentlich Buch- und Musikalienhändler ) - ob sie wahr ist weiß ich nicht.
    Wunderlich soll mit jenen Aufnahmen, die er zu Beginn seiner Karriere (alles in mono) gemacht hat nicht zufrieden gewesen sein - und hat angeboten alles nochmal OHNE BEZAHLUNG neu einzuspielen - Das wurde aber abgelehnt, denn die Platten verkauften sich auch so gut - und Neuaufnahmen waren teuer......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dass Fritz Wunderlichs Stimme sich weiter entwickelte und er auch zu neuen Ufern außerhalb des lyrischen Belcanto aufbrach, zeigen nicht nur diese beiden Aunahmen:

    die ältere, noch in Mono mit Dietrich Fischer Dieskau, den Wiener Philharmonikern unter Josef Krips, die jüngere in Stereo mit Christa Ludwig, dem Philharmonia Orchestra unter Otto Klemperer, sondern auch die im Booklet seiner letzten Aufnahme:

    geääußerte Nachricht, dass er schon vor diesem letzten Konzert in Edinburgh mit seinem Begleiter Hubert Giesen begonnen habe, die Winterreise einzustudieren.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich sehe das ähnlich: Egal wie breit das live gesungene Repertoire gewesen sein mag, beruht die heutige Präsenz m.E. im Wesentlichen auf einer guten Handvoll Studio-Aufnahmen, die Wunderlich von seiner besten Seite zeigen: Die beiden Liederalben mit Müllerin und Dichterliebe, die Zauberflöte unter Böhm, das Lied von der Erde. Und vielleicht noch ein paar Operetten-Recitals. Es gibt keine Aufnahmen als "Fehlbesetzung", mit Verfallserscheinungen usw.


    Schon die "Entführung" unter Jochum, obwohl insgesamt prominent besetzt, ist seltsamerweise keine solche Standardempfehlung wie die Zauberflöte (keine Ahnung, warum, da ich sie nicht kenne). Die Liederplatten leiden im Grunde unter einer eher durchschnittlichen Begleitung (Giesen besteht keinen Vergleich mit Demus, Britten u.a.), was man wegen Wunderlich halt ignoriert.


    Klar, die Fans suchen auch Mitschnitte, Querschnitte usw. auf. Aber nichts davon würde man als Standardempfehlung des jeweiligen Werks nennen.

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Sagitt meint: Wunderlich ncht zu schätzen wäre albern- Mit Siegfred habe ich da leichte KLingen gekreuzt,aber immer fand ich seine Stimme beeindruckend.


    Der frühe Tod war künstlerisch tragisch.


    a) Wunderlich hat, dem Zeitgeist geschuldet, viele Aufnahmen gemacht, die man nur wegen ihm hört,alle mögichen Opern in deutscher Sprache,meist Querschnitte
    b) Wunderlich hat an einigen Produktionen mitgewirkt, die man heute nicht mehr hören mag ( Münchinger MP,Forster JohannesP)
    c) Wunderlich hat einige Mozartproduktionen,auch Schubertlieder gesungen, als er längst in eine andere Richtung unterwegs war, Verdi und Puccini. Mit einer solchen Stimme ist ein Alredo wunderbar, ein Belmonte oder Tamino nur noch begrenzt hervorragend zu singen
    d) das neue Repertoire,dem seine Stimme sehr angemessen war,hatte er erst begonnen, 1965 die Traviata in München Was wäre da alles noch draus geworden?


    Deswegen tragisch,wirklich tragisch.


    Peter Anders, der ja eine ähliche Entwicklung hatte, konnte wenigstens noch einige Jahre in diesem Repertoire singen ( was für ein Florestan!)

  • Was soll ich sagen? Ich bin geplättet! Dieser Thread ist Wasser auf meine Mühlen und das im Übermaß. Auch tragen Leute dazu bei, von denen ich es nicht erwartet hätte.


    Lieber Sagitt, ich erinnere mich noch gerne an unsere Scharmützel betr. Wunderlich und Blochwitz, andere sehen ausschließlich in Schreier das Gelbe vom Ei, was die lyrische Tenorkunst betrifft.


    Nun, ich darf freudig sagen, alle 3 live auf der Bühne erlebt zu haben. Und wie bei der Olympiade kann es nur einen Sieger geben.


    Meine Erstbegegnung mit Wunderlich war als 12-Jähriger in einer Stuttgarter Zauberflöte. Damals blieb mir die Luft weg. Schock, Traxel und Fügel kannte ich von der Schallplatte her, hier stand ein junger Sänger auf der Bühne, zum Greifen nah, und sang mit dem tiefsten Empfinden seiner Seele seinen Tamino. Da verschmolzen Sänger und Rolle miteinander, wie ich es später nur äußerst selten wieder erleben konnte.
    Zwei Jahre später in derselben Rolle nochmal, mit derselben Pamina Friederike Sailer, doch sonst in anderer Besetzung. Diese Vorstellung empfand ich noch intensiver, denn ich saß in der 3. Reihe und glaubte den Blickkontakt zu spüren. Beim Schlussapplaus war er dann tatsächlich da, mein Bravorufen wurde mit einem freundlichen Lächeln und Kopfnicken quittiert.


    Jahre später habe ich Schreier als Tamino in München und Blochwitz als Ottavio in Stuttgart erlebt. Gute Aufführungen zweifellos, doch von Beiden sehr professionell, fast routinemäßig gesungen. Mir fehlte hier jedesmal die Anteilnahme, das Herzblut. Das habe bei Fritz Wunderlich erfahren dürfen und dafür bin ich ihm fürs Leben dankbar. :angel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Das ist völlig unbestritten - die Frage ist lediglich, ob ein halbes Jahrhundert Schallplattengeschichte wirklich niemanden hervorgebracht hat, den man neben ihn stellen könnte. Es ist vermutlich auch so, daß viele von uns durch ihn geprägt sind - ich habe mir die Bildnisarie heute aben etwa 20 mal (bruchstückartig) von verschiedenen Interpreten angehört - und binn immer wieder bei Wunderlich gelandet.

    Also: Andere Sänger neben Wunderlich zu stellen, ist sicherlich möglich, für mich bleibt er immer einen Schritt vor dem jeweils anderen stehen. Peter Schreier ist so ein Beispiel, auch Nicolai Gedda möchte ich beispielhaft erwähnen - es sind hervorragende Tenöre, aber kein anderer Tenor erreicht meine Sinne so einnehmend, wie Wunderlich. Ich kann nicht beurteilen, ob, wie es in einem der vorangegangenen Beiträge stand, seine "Italianita" schwach war, höchstens die Ansicht nachvollziehen, dass er kein Pavarotti war (den ich ungemein gerne höre!) - es vielleicht aber noch geworden wäre...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Natürlich hat das halbe Jahrhundert hervorragende Tenöre hervorgebracht. Etliche davon übertreffen Wunderlich in der Breite des Repertoires und auch in anderen Aspekten. Bloß gibt es halt von Wunderlich komplett in einer Gesamtaufnahme soweit ich sehe keine einzige große italienische Partie, keine einzige Wagnerpartie usw.
    Das ist bizarrerweise ein Vorteil, denn deswegen werden eben zum Vergleich hauptsächlich zwei Mozart-Partien, zwei Liederzyklen und ein paar Highlights in deutschsprachigen Querschnitten herangezogen (mehr oder weniger). Dass jemand wie Schreier nicht nur ein Riesenrepertoire, sondern auch eine überlegene Wortdeutung und Dramatik in Evangelistenpartien u.ä. hat, interessiert kaum mehr, weil er als Tamino gegen Wunderlich blass wirkt.
    Ebenso Gedda in franzöischen oder russischen Rollen, die mit Wunderlich nie aufgezeichnet wurden, Bach-Sänger wie Equiluz oder Altmeyer usw. Wie soll man das sinnvollerweise vergleichen?

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  • Nun, immerhin hat er im Tannhäuser den Walther von der Vogelweide gesungen und im Fliegenden Holländer den Steuermann, beide Male unter Konwitschny, beide Male mit seinem väterlichen Freund Gottlob Frick und mit Dietrich Fischer-Dieskau, und im Holländer war sogar Rudolf Schock mit dabei, der zweite große Tenor jener Zeit in Deutschland. Aber es waren eben die lyrischen Partien, die er wählte, den Tannhäuser sang Hopf. Wunderlich wollte sich ja nicht (wie später Kollo) seine Stimmer kaputt machen lassen. Das ist auch genau der Grund, warum der hier auch schon erwähnte Nicolai Gedda einen großen Bogen um Bayreuth machte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Vielleicht sollte man doch bei aller Begeisterung, die auch ich uneingeschränkt teile, andere Sänger nicht unterbewerten.


    Wie zum Beispiel neben Anton Dermota auch Ernst Haefliger. Von Nicolai Gedda will ich hier nicht reden, denn wie sehr ich auch seine Virtuosität bewundere, so fühle ich mich nie persönlich angesprochen.


  • Bei aller Verehrung für Fritz Wunderlich und Gösta Winbergh, so ist es diese Stimme, die mich am meisten berührt:
    der unvergleichliche Schmelz Anton Dermotas in der schönsten aller Mozartarien.





    Lieber Hami,


    eine sehr schöne Arie fürwahr, wenngleich ich persönlich "Dalla sua pace" als die beseeltere Arie empfinde. Bei der obigen Aufführung wurde die leider nicht gesungen.


    Hier können "Schmelzvergleiche" deiner vorgestellten Arie "Il mio tesoro" gezogen werden:
    https://www.youtube.com/watch?v=UN3aX2mbtFY
    Die Aufnahme erfolgte während der Wiener Festwochen 1963 unter der Leitung von HvK.


    Gösta Winbergh habe ich als Tamino übrigens auch erleben dürfen. Er sang seine Partie "männlicher" als die meisten seiner Alterskollegen und das schätzte ich sehr an ihm.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Wen ich keinesfalls als Mozartsänger Wunderlich an die Seite stellen würde, ist dieser Herr:


    Er bekommt hier Applaus, wofür geht leider nicht hervor. Grauenhaft gesungen und noch grauenhafter dirigiert.


  • Bezogen auf Johannes' Beitrag gebe ich hier mal ein Schreiben von Wunderlich an Wieland Wagner wieder, der ihn gebeten hatte, den Steuermann im "Tristan" unter Böhm (1966) zu übernehmen:


    Lieber Herr Wagner,


    [...] Ihr Angebot ehrt mich sehr, leider habe ich das Gefühl, als lyrischer Tenor mit einer so schwierigen Partie [...] restlos überfordert zu sein. Die Rolle würde mich völlig aus meinem künstlerischen Konzept bringen, und ich hätte Angst, meine kostbaren Stimmbänder zu sehr zu strapazieren.


    1966 hat Wieland Wagner sich noch einmal mit Wunderlich in Verbindung gesetzt; diesmal ging es um den Stolzing, den Karl Böhm 1968 dirigieren sollte und der Wunderlich für diese Rolle für geeignet hielt. Wieder hat Wunderlich abgelehnt, sich aber bereit erklärt, über den David nachzudenken. Das Problem sei, dass seine Planungen für 1968 schon weitgehend abgeschlossen seien. Es wäre ein Einstieg bei Wagner gewesen - aber es kam ja "durch des Schicksals Mächte" anders.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Da muss ich dir Recht geben, lieber hami, so sehr ich auch Pavarotti auf seinem eigenen Feld bewundere. Aber Mozart scheint einfach nicht sein Ding zu sein. Ich habe anschließend Wunderlich mit der Arie gehört. Welch ein Unterschied. Umgekehrt ist es ganz anders. Wenn Wunderlich Pavarotti auf dessem Feld begegnet: "Keiner schlafe" ("Nessun dorma" Turandot), wieviel näher ist er dann an Pavarotti, als ihm dieser bei Mozart je kommen kann.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • eine sehr schöne Arie fürwahr, wenngleich ich persönlich "Dalla sua pace" als die beseeltere Arie empfinde.


    Lieber Siegfried,


    das ist sie auch, vor allem, weil sie eine andere Botschaft mit sich trägt. Die Rache klingt eben anders als der Friede. Was mich jedoch an "il mio tesoro" so fasziniert,
    ist die Genialität des Einfalls. Während mancher hinreichend begabte Musiker zu einer Melodie wie in "dalla sua pace" fähig sein könnte, kann "il mio tesoro" nur ein Genie komponiert haben.


    Glaube ich wenigstens.

  • Wunderlich und Blochwitz, andere sehen ausschließlich in Schreier das Gelbe vom Ei, was die lyrische Tenorkunst betrifft.

    Also ich kenne niemanden, der Schreier liebt, deshalb aber Wunderlich geringschätzen würde. (Umgekehrt passiert dies ja leider öfter.) Als Mozart-Sänger stelle ich Schreier Wunderlich an die Seite, als Bach-Sänger hat Schreier vielleicht sogar die Nase vorn. In anderen Rollen bzw. bei anderen Komponisten hatte wieder Wunderlich klar die Nase vorn. Beide waren herausragende Sänger ihrer Generation.


    Wunderlich wollte sich ja nicht (wie später Kollo) seine Stimmer kaputt machen lassen.

    Wer weiß, ob es Wunderlich im schweren Fach, das gewiss gekommen wäre, anders gegangen wäre als Kollo - der allerdings noch mit 62 bzw. 63 sehr eindrückliche Abende als Siegfried und Tristan hatte. Da waren andere (Hofmann, Jerusalem) wesentlich früher "kaputter"...


    Bezogen auf Johannes' Beitrag gebe ich hier mal ein Schreiben von Wunderlich an Wieland Wagner wieder, der ihn gebeten hatte, den Steuermann im "Tristan" unter Böhm (1966) zu übernehmen:

    Der Steuermann war es ganz gewiss nicht, das ist nämlich im "Tristan" (im Gegensatz zum "Fliegenden Holländer") eine Bariton-Rolle. Es kann nur enweder der Junge Seemann oder der Hirt gewesen sein.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich muss Stimmenliebhaber natürlich Recht geben, es war ein Lesefehler meinerseits (zumal ich nicht der Wagner-Fan bin, mich also nicht so mit den Rollen auskenne). Es ging damals tatsächlich um den jungen Seemann. Danke für die Klarstellung.


    :hello:

    .


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  • Den Steuermann im "Tristan" könnte ich übrigens auch noch singen, sicher nicht so gut wie die, die das wirklich machen, aber zumindest würde daran die Aufführung nicht scheitern... 8-)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Einige von uns wären hervorragende Mitglieder einer Jury bei Gesangswettbewerben oder Preisrichter beim Sport. Ich bewundere Euch und wundere mich, mit welcher Selbstverständlichkeit Pauschalurteile, wie "da hätte Wunderlich die Nase vorne gehabt" gefällt werden. Glückwunsch zu so viel Selbstsicherheit. Ich kann das nicht. Ich versuche immer, die stimmlichen, darstellerischen Eigenheiten eines Sängers zu erfassen und zu beleuchten. Wenn schon Vergleiche, dann bitte in Partien oder einzelnen Arien. In der Diskussion ist z. B. richtigerweise die "Baumeisterarie" als von Wunderlich überragend gelungen genannt worden. D'accord. Nur bitte, was ist an der gesanglichen Leistung in der Baumeisterarie bei Wunderlich so überragend?
    Es wäre für die Substanz der Argumentation sehr von Nutzen und wir würden tiefergehende Einsichten und Erkenntnisse gewinnen, wenn weniger behauptend und mehr begründet argumentiert wiürde. Und gerade Wunderlich hätte diesen Tiefgang verdient.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Operus,


    Recht hast du! Wunderlichs Interpretation der Baumeisterarie ist einer näheren Betrachtung würdig. Ich kann nur laienhaft die auf vorzüglicher Atemtechnik basierende und mit Begeisterung gepaarte natürliche Singweise erwähnen, welche die Aufnahme so einmalig macht.
    Die Salzburger Live-Aufnahme (1965) unter Mehta unterstreicht dies noch wirkungsvoller als die ein Jahr später erschienene DG- Studioaufnahme unter Jochum.
    Du verfügst gewiss über mehr Sachverstand, um dich zu diesem Thema umfassender zu äußern.


    Auch ein großer Kenner von Wunderlichs Schaffen ist Joachim Kaiser. Der von mir hochgeschätzte Musikkritiker beantwortete in seiner Video-Kolumne unter anderem auch Fragen zu Fritz Wunderlich. Hier können wir seine Meinung erfahren:


    https://www.youtube.com/watch?v=EkOr5srbP-I

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Fritz Wunderlich ist für mich immer noch ein Monolith in einer Wüste. Die auch von mir so geliebte "Baumeisterarie" zeigt die Kunst der Phrasierung und Atemtechnik in höchstem Maße - bis heute unerreicht. Und dass die Live-Aufnahme aus Salzburg kein geglücktes Einzelstück ist, zeigt die Aufnahme dieser Ariein einer Aufnahme aus den "Münchner Sonntagskonzerten".


    Ich habe FW unzählige Male in der Wiener Staatsoper erleben dürfen - in allen seinen Partien - und sprach damals in jugendlicher Vermessenheit: "Wenn nicht der Wunderlich den "Don Ottavio" singt, gehe ich den "Giovanni" gar nicht rein". Seine Todesnachricht erreichte mich bei einem Urlaub in Neapel, wo der italienische Rundfunk seiner außerordentlich gedachte. Wieder in Wien, beim nächsten "Don Giovanni" wurde Anton Dermota aus der Pension zurückgeholt - wir waren alle platt, wie großartig dieser Mann einem Wunderlich ersetzen konnte.


    Tempi passati

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