Elektronische Verstärkung beim Opern- und Liedgesang?

  • Das Thema "Vier letzte Lieder " hier im Forum brachte mich auf eine Idee, eine Frage mit Euch zu diskutieren, mit der ich mich grundsätzlich und pragmatisch seit längerem beschäftige. Dazu zunächst ein Beispiel, um die Problemstellung aufzuzeigen: Wir hatten in der letzten Spielzeit als Würdigung an Richard Strauss einen diesem Komponisten gewidmeten Konzertabend. Unter anderem standen die "Vier letzten Lieder" auf dem Programm. Als Interpretin konnte die hervorragende Sopranistin Janice Dixon gewonnen werden, große, voluminöse, eher dunkel timbrierte Stimme. Ausgezeichnete Interpretation am Konzertabend. Nur und nun kommt das Problem: In der sehr großen Konzerthalle "Harmonie" Heilbronn, Fassungsvermögen 2.000 Plätze mit unterschiedlicher Akustik, war ein Teil des Publikums begeistert, ein anderer nicht und sogar verärgert, weil in den hinteren Reihen des Parketts, auf und unter dem Balkon kaum etwas vom Vortrag der Sängerin zu hören war. In der Generalprobe empfahl ich Verstärkung mit Headset, zumal eine professionelle Verstärkeranlage und Techniker im Konzerthaus vorhanden sind. Dies wurde nach kontroverser Diskussion abgelehnt. Besonders qualifizierte Opernsänger und Opernsängerinnen scheinen zu befürchten, dass ihre Stimme unnatürlich oder verzerrt klingen könnte. Jetzt also die Frage, die ich zur Diskussion stellen: Ist elektronische Verstärkung beim Opern- und Liedgesang besonders in großräumigen Konzertsälen notwendig, vielleicht sogar ein Muss oder bringt die Verstärkung eine Stimm- und Klangverfälschung, die abzulehnen ist" Vielleicht hat der eine oder andere von Euch auch Erfahrung mit dieser Problematik und kann Lösungsvorschläge oder andere Möglichkeiten als Headset aufzeigen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Die Eventisierung von Oper macht mir ein wenig Magendrücken. Wenn Frau Dixon schlecht zu hören war würde ich nicht zuletzt die Akustiker in Frage stellen, die für das Haus verantwortlich waren. Für das Veroneser Publikum mag die Technik vielleicht interssant sein, aber Oper ist eigentlich für den Typus Opernhaus geschrieben. Sänger der Vergangenheit und auch heute werden auch daran gemessen, wie ihre Stimme trägt. Aber da landen wir ganz schnell wieder bei meinem Credo, dass Oper nicht zur Bespaßung dient. Ganz ketzerisch könnte ich fragen: wenn es im 19. Jh. Mikros und Verstärker gegeben hätte, hätte Wagner dann den Deckel für den Orchestergraben gebaut?


    Um auf Deine Frage zurückzukommen, lieber Hans: Liedgesang ist eben sowenig für großräumige Konzertsäle gedacht wie Kammermusik. Es gibt dafür ja auch die entsprechenden Aufführungsräume (in Dortmund wird das Konzerthaus bei solchen Veranstaltungen mittig durch einen Vorhang entsprechend verkleinert). Mit der Vorstellung, die Musik elektronisch zu verstärken mag ich mich nicht anfreunden. Gerade auch beim klavierbegleiteten Liedgesang besteht die Leistung der Musiker ja nicht zuletzt darin, sich aufeinander abzustimmen. Und ,entre nous: so manchem Nörgler würde ich empfehlen, während der Aufführungen die Finger vom (lautlos gestellten) Handy zu lassen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Mega-Events mit klass. Musik, die el. Verstärkung benötigen, besuche ich nicht.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ein Artikel zu diesem Thema.

    Lieber Hami,
    danke für den Artikel, der viele Antworten gibt. Interessant, dass Eschenbach und Domingo die Verstärkung befürworten und Zefirelli sogar seine Zusammenarbeit mit der Arena in Verona davon abhängig macht, dass verstärkt wird.



    Liedgesang ist eben sowenig für großräumige Konzertsäle gedacht wie Kammermusik

    Nur, lieber Thomas, das Problem stellt sich ja nicht nur bei den zart-poetischen Liedern, sondern generell. Fast jedes Orchester bringt heute im Rahmen seiner Abokonzerte Opern-, Operettenkonzerte und Orchesterlieder. Bei 1.400 Abonnenten mit festen Plätzen kann der Raum nicht gewechselt und auch nicht abgeteilt werden.



    Mega-Events mit klass. Musik, die el. Verstärkung benötigen, besuche ich nicht.

    Lieber zweiterbass,
    wie oben bereits ausgeführt handelt es sich nicht um Mega-Events, sondern um normale Mietekonzerte. Wobei Konzerte mit Gesangssolisten gerne bei Weihnachts-, Silvester- und Neujahrskonzerten veranstaltet werden. Noch eine Bemerkung zu Events. Das Publikum verlangt heute besondere Erlebnisse im Konzertsaal, also einen gewissen Eventcharakter. Mit der üblichen Programmabfolge: Ouvertüre, Solistenkonzert, Sinfonie ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen, es sei denn ein außergewöhnlicher, spektakulärer Solist wird präsentiert - aber wer soll das bezahlen? Also müssen wir Programmverantwortliche uns etwas einfallen lassen; bei uns in Heilbronn gibt es z. B. in jeder Spielzeit abwechselnd ein Klavierfestival, ein Geigenfestival, ein Gitarrenfestival, ein Festival der jungen Stimmen usw. In der Spielzeit 14/15 kommt ein Heilbronner Komponisten-Festival, 15/16 ein Hornfestival und 16/17 ist ein Saxophonfestival geplant. Bemerkenswert wie lange im Voraus geplant werden muss. Wobei in meinem Alter langsam die Frage dazukommt, ob man alles, was man da anleiert, auch noch besuchen kann.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans,


    ich muss gestehen, dass ich auch ein vehementer Gegner bin, was Verstärkung bei klassischer Musik angeht. Bei einem Rockkonzert mit elektronischen Instrumenten mag dies ja angehen, aber wenn ich ein verstärktes Orchester bzw. klassischen Sänger höre, am besten noch mit Großleinwand, gruselt es mich, dann habe ich den Eindruck, dass ich auch eine DVD oder bluray einlegen könnte.
    Leider ist die Tendenz in der Tat deutlich, selbst hier im kleinen Saarland werden Konzerte, wenn sich wirklich mal gelegentlich ein Weltstar hierher verirrt, wie z.B. Jonas Kaufmann oder Elina Garanca, in ehemalige Industriehallen verlegt, die weder Akustik noch Flair oder Atmosphäre aufweisen, in die man jedoch eine große Menge Menschen hineinpferchen und somit maximalen Profit erzielen kann - klar, die Stars haben ihren Preis - , so dass elektronische Verstärkung und Leinwände ein Muss sind - aber bleibt da nicht zuviel auf der Strecke?.
    So habe ich einmal in Saarbrücken Jonas Kaufmann gelauscht und saß direkt unter dem Beamer, der das Bild auf die Leinwand warf; bei jeder piano oder pianissimo - Stelle hatte ich das Surren diese Gerätes direkt über meinem Kopf - ein Alptraum.
    Auch diese ganzen sommerlichen Freiluft - Events, bei denen man aus großer Entfernung ein verstärktes, elektronisches Bild- und Tonmaterial wahrnimmt, sind für mich völlig reizlos; dann habe ich es lieber gleich ganz elektronisch und höre ungestört zu Hause CD oder DVD. Die live -Atmosphäre ergibt sich für mich durch die Unmittelbarkeit des Klanges, ohne Filter, ohne Verstärker, Verzerrung oder Tonabmischung. Dann ist es mir lieber, das Konzert findet im kleinen Rahmen statt, und ich bekomme nicht immer eine Karte, als das ich einer Massenveranstaltung beiwohne, bei der ich alles nur indirekt und aus zweiter Hand wahrnehme dank der Elektronik.

  • Lieber Don,


    grundsätzlich kann ich sehr gut nachvollziehen, was Du schreibst; aber es gibt wohl nicht nur schwarz und weiß.


    Ich habe einmal in einem brachial verstärkten Konzert in der Grugahalle gesessen, unter mehreren tausend Leuten. Im Endeffekt war nur ein Lautsprecher zu hören, nämlich der, der gerade über der Gegend hing, in der man saß. Die dort dargebotene Musik hätte ich sicher gewinnbringender zu Hause gehört.


    Andererseits gibt es auf dem Iserlohner Gitarrensymposium immer mal wieder Interpreten, die auf einer eher leisen Gitarre leise spielen - wenn die sich dann direkt neben ihren Stuhl ein kleines Lautsprecherchen stellen, das so gut ist, daß der Gesamtklang tonal nicht verfärbt ist, habe ich bisher bei mir keinen Groll und Ärger verspürt, und auch andere Zuhörer haben es nicht negativ kommentiert - aber die Leute, die in der Kirche hinten saßen, haben sich dafür mit Sicherheit gefreut.

  • Wer einmal MET in the Park miterlebt hat, die Sommerattraktion der MET in verschiedenen New Yorker Parks, wird gegen eine dezente Verstärkung nichts einwenden. Die ist bei solchen Veranstaltungen unerlässlich. Sie sind umsonst und ermöglichen auch wenig betuchten Bürgern mal berühmte Opernstars live zu erleben (man muss halt möglichst früh sein Picknicklager aufschlagen). Ich habe dort u.a. Placido Domingo, Mariella Devia und Alfredo Kraus miterlebt. Bei einer Vorstellung (Lucia) stand ich 4 m von der Bühne weg, so nahe kommt man den Sängern im Opernhaus selten. Es gibt übrigens nur komplette Opern.