Sommerthema: Klassik als "Unterhaltungsmusik" - ein Sakrileg?

  • Heute habe ich eine Neuerwerbung, eine CD mit Musik eines eher unbekannten Komponisten (Franz Xaver Richter) gehört. Sonaten für Cembalo, Blockflöte und Violoncello. Nun bin ich ja nicht gerade ein Fan der Blockflöte. Zudem war die Musik aus meiner Sicht eher belanglos. Dennoch - sie verbreitete beim Frühstück - so nebenbei - eine angenehme Stimmung. Während ich noch darüber nachdachte, ob solch ein Umgang mit "Klassischer Musik" gerechtfertigt sei, fiel mir ein, daß die meiste Musik - sehen wir von Spezialfällen ab - ja eigentlich zu "Unterhaltung" geschrieben wurde - und nicht für Kritiker die ein Werk analysierten, oder ein Publikum, welches sich die Musik "erarbeiten" sollte. Solch kruse Ideen wurden meiner Meinung nach erst im 20. Jahrhundert entwickelt....(?)


    Freundliche Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    Blockflöte ginge für mich gar nicht.
    Aber wenn diese Musik eine angenehme Stimmung erzeugt, wen stört es?
    Solange es eigenständige Kompositionen sind, ist es auf gar keinen Fall ein Problem. Zum Grausen finde ich aber zusammengestückeltes Wohlfühlgedudel, so Versatzstücke aus Melodien....
    Im Dressursport ist es z.B. Mode geworden, nach eigens auf den Rhythmus des Pferdes angepasste Musik "vorzuführen". Auch Klassikstücke werden regelrecht vergewaltigt und seitdem schaue ich keine Dressur mehr im Fernsehen an.


    Grüße
    Thomas

  • Es kann kein Sakrileg sein, denn dann müsste die Musik heilig sein, was sie bestimmt nicht ist.
    Die unglaubliche überhöhung der Klassischen Musik ist wohl eher ein Übel, das viele Menschen davon abhält, Zugang zu finden. "Nein, das ist zu schwer für mich".


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich höre sehr gerne zum sonntäglichen Frühstück ein Klavierkonzert von Mozart. Da ist für mich der perfekte Einstieg in einen schönen Tag.

  • An sich - so hoffe ich wenigstens - ist der Großteil der sogenannten "klassischen Musik" zu Unterhaltung geschrieben worden. Jene Fürsten, Kaiser und Könige, die ihre Hofkomponisten beschäftigten, wollten durch deren Musik "erfreut" also "unterhalten" werden. Und sie wollten sie auch ihren Freunden und rivalisierenden Herrschern vorführen, als ein Symbol ihres Wohlstandes und guten Geschmacks. Niemand wollte durch Musik "belehrt" oder "erschüttert" werden - von Ausnahmefällen mal abgesehen. Teilweise wurde Musik auch zur "Ehre Gottes" geschrieben, wobei man spätestens ab dem Zeitalter des Barock davon ausgehen kann, dass mit "Gott" der kaiserliche, königliche oder adelige Auftraggeber selbst gemeint war.
    Als das Großbürgertum die Stelle des Adels einzunehmen begann hat sich in dieser Hinsicht nicht allzuviel geändert. Erst als etwa ab 1900 der "Künstler" die Verfrorenheit hatte sich selbst über den Auftraggeber zu stellen - und das eigenartigerweise sogar hingenommen wurde (vermutlich hat man es vorerst gar nicht wahrgenommen) wurde der Unterhaltungswert als Zweitrangig dargestellt: Man sollte sich in die (oft abstruse) Gedankenwelt des Komponisten hineinversetzen - und dessen "Selbstverwirklichung" fördern.......
    In manchen Kreisen gilt es heute als beinahe "unanständig" "Schöheit" der Musik zu fordern...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Da sagst du was, was eigentlich immer wieder gesagt wird, aber dann meist doch als Petitesse. Denn ein unverkrampfter Umgang mit dieser Musik ist in weiter Ferne. In den Niederlanden ist das übrigens ein wenig anders. Da war ich schon auf Konzerten und neben mir ein Mann im Blaumann, offensichtlich hat er es gerade noch von der Arbeit geschafft. So ähnliches ist mir dort oft begenet und ich finde es sehr sympathisch.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Zitat

    Da war ich schon auf Konzerten und neben mir ein Mann im Blaumann, offensichtlich hat er es gerade noch von der Arbeit geschafft. So ähnliches ist mir dort oft begenet und ich finde es sehr sympathisch.


    Das finde ich eigentlich NICHT sympathisch.


    Wenn ich meine, Musik kann durchaus als Unterhaltungsmusik gesehen werden, dann meine ich, daß man sie nicht analysieren muß oder sich damit abquälen, wenn sie sperrig geschrieben wurde. Und man muß sich auch nicht vor dem Komponisten insgeheim verbeugen.


    Ein klassisches Konzert hingegen - ist ein gesellschaftliches Ereignis - wie eine Taufe, eine Hochzeit, eine Krönung, ein Festbankett. Das hat mit der Musik nur am Rande zu tun. Solche Konzerte - einst waren sie nur dem Adel - später den Bürgertum vorbehalten - sollten auch jenen Rahmen bekommen, der dem Ereignis angemessen ist.
    Klassische Konzerte auf U-Bahn-Stationen oder in Fabrikshallen - pfui Deibel....


    Das ist wie Essen aus dem Pappkarton mit mitgeliefertem Drink aus der Alu-Dose.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das heißt, dass der Arbeiter mit Spätschicht geflälltigst draußen bleiben soll? Dass der junge Mensch, der gar keinen Anzug besitzt, schön zu Hause bleiben soll?
    Und Alsdorf, das nun mal kein KOnzertgebäude hat, und daher tolle Kammerkonzerte in der alten Maschinenhalle des Bergwerks anbietet, solle das bitte seinlassen? Und die Alsdorfer können ja nach Wien fahren, wenn sie ordentlich Musik hören wollen?
    Dieses Denken, wäre es denn allgemein, würde jedenfalls die Klassik noch mehr an den Rand drücken.
    Ts tss tss....

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Aus meiner Sicht sollte man sich innerhalb eines Konzerts oder auch Oper immer dem Anlass entsprechend anziehen.
    Das gebietet aus meiner Sicht auch ein gewisser Respekt vor den ausführenden Musiken / Sängern.


    D.h. für mich nicht grundsätzlich Anzugspflicht für alle.
    Casual Business oder auch gehobene Freizeitkleidung ist ok.
    Blaumann aus meiner Sicht nicht.


    Bei Premieren oder auch Festspielen ( Bsp. Bayreuth) gehört für mich der Smoking alternativ der schwarze Anzug dazu.


    Musik in Fabrikhallen etc. finde ich nicht schlimm wenn die Akustik stimmt.
    Gutes Beispiel hierfür sind die Kammermusik Tage im Kraftwerk Heimbach ...


    Um aber zum ursprünglichen Thema zu kommen.


    Bei mir läuft öfters klassische Musik im Hintergrund.
    Vorzüge ( Kammermusik, Sinfonie etc. ) habe ich hier aber nicht.
    Das mache ich ab nicht mit allen Werken.
    Mahler oder Bruckner im Hintergrund geht bei mir gar nicht.
    Gleiches gilt für mich für die klassischen Lieder.
    Ich habe auch kein Problem damit meinen Lieblingskomponisten Wagner mal im Hintergrund laufen zu lassen.



    Gruß
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Was die Kleiderfrage betrifft, denke ich einerseits, dass derjenige, der nicht bereit ist, wenigstens in gehobene Freizeitkleidung zu schlüpfen, dann an der Musik auch kein sonderliches Interesse haben kann. Ich möchte im Konzert nicht neben jemanden in Jogginghose und Unterhemd sitzen. Andererseits spricht für den erwähnten Blaumannträger natürlich seine Liebe zur Musik, die ihn wahrscheinlich trotz widriger Umstände und erwartbarer scheeler Blicke zum Konzertbesuch bewogen hat. Dass es eine Schar von Handwerkern gibt, die auf der Heimfahrt von der Arbeit ein Tränchen verdrücken, weil sie ja noch gern in die Oper gegangen wären, sich aber ohne Anzug nicht trauen, ziehe ich mal in Zweifel.
    Und hinsichtlich der Aufführungsorte teile ich Alfreds Auffassung insoweit, als dass viele außergewöhnliche Orte nur des Eventfaktors wegen gewählt werden.


    Zum eigentlichen Thema:
    Mir scheint zwischen zur Unterhaltung und im Hintergrund nur ein schmaler Grat zu verlaufen. Tatsächlich stehe ich sonntags manchmal vor der Anlage und suche nach einer stimmungsvollen Musik, akustische Schmeichelei zum Früchstücksei. Unbekannte Werke kommen da nicht infrage, also Bekanntes. Aber bei dieser Sinfonie ist der dritte Satz zu hektisch und bei jenem Konzert das con brio völlig unpassend. Mozart Klavierkonzerte, ja, die gehen meist.
    Ansonsten machen die Kulursender einen recht guten Job in dieser Hinsicht. Im zurückliegenden Urlaub hörte ich NDR Kultur. Und siehe da, selbst der Blumine-Satz von Mahlers erster Sinfonie entwickelt, zum Morgenkaffee genoßen, eigene Qualitäten.

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Fazit: Klassische Musik ist Unterhaltung, aber man soll sich dazu gefälligst anziehen wie zu einer Beerdigung (oder meinetwegen Hochzeit). Bestechende Logik...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Alfred,


    Richters Trios haben aber auf der Blockflöte auch wenig zu suchen.
    Aber natürlich sind sie "schöne" Musik, unkompliziert und darum anrührend.
    Manchmal zu sehr, wie Burney schon kritisierte.
    Einfach zuviele Sequenzierungen...


    Als "Melante" muss ich hier dennoch die Unterhaltung als Wert anführen!
    Unterhaltungsmusik ist beileibe nicht minderwertig!


    Wie oft kaust Du Deinen morgendlichen Toast, schlürfst Deinen Kaffee- und bemerkst es nicht, weil Du der "Unterhaltungsmusik" lauschst?
    Selbst solcher Musik kann es gelingen, uns dem Alltag zu entführen- ein wenig mehr also als uns unterhalten.


    Die Triosonaten Richters, von Mozart geschätzt, sind sicher "süß".
    Dennoch sind sie nahrhafter als ein Toast und ihr "Zucker" macht keinen Diabetes.
    Denn die Sequenzierungen können auch schmerzlich gehört werden.


    Allmorgendlicher Toast, was ist das anderes?


    Lieber Alfred, über Richter einen Thread zu eröfnnen wird sich nicht lohnen.
    Über diesen strengen Kapellmeister, der so perfektionistisch war. Von Mozart geschätzt, von Mannheim in den Elsass wechselnd- in die Unbekanntheit.


    Was sich wirklich lohnt, sind seine Streichquartette, noch vor den frühen Haydns entstanden.
    Was sich wirklich lohnt: einem Freund, der unter Migräne litt, waren diese Quartette die einzige Linderung, Medikamente halfen nicht.
    Zu finden beim Label Alpha.


    Es ist "kleine" Musik- damals als "weiblich" bezeichnet.
    Genau das ist ihre Größe!

  • Ich spiele und höre mir keine klassische Musik an, die ich nicht auch auf ihre Weise unterhaltend finde. Sehr oft ist es so, dass diese Musik mehr will, als nur zu unterhalten, aber sie will es auch. Bei Bach nannte man dieses Element "Ergötzung". Eine absolut nicht unterhaltende Musik, bei der einem die Zeit quälend lang vergeht....ja, wer will das denn hören?
    Ich sage nicht, dass ausgerechnet eine Bachpassion eine Unterhaltungsmusik sei, aber dennoch verfliegt die Zeit für mich, wenn ich sie gut gespielt höre.
    Und dieses Element des Zeitvertreibs, der Bereicherung, diese Faszination....das kann man doch auch als "unterhaltend" im besten Sinne bezeichnen, finde ich. Allerdings setzt das natürlich voraus, dass ich mich auf eine solche Musik einlasse und tatsächlich auch hinhöre.


    Eine andere Sache ist es ja, wenn ich bewusst weghöre und mich laut zur im Hintergrund spielenden Musik unterhalte oder die Zeitung lese.
    Das mag ich eigentlich eher nicht, weil es wirklich gute Musik entwertet, die es verdient hätte, dass man ihr eine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt.
    Allerdings kann es durchaus vergleichsweise harmlose und ereignisarme Musik von weniger bedeutenden Komponisten geben, die man ggf. leise im Hintergrund zum Frühstück als angenehm empfinden kann. Telemanns Tafelmusik zähle ich nicht unbedingt dazu, jedenfalls nicht, wenn Harnoncourt sie mit dem Concentus musicus spielt. Da muss dann einfach zuhören.
    Zur Winterreise oder zur Matthäuspassion kann man m.E. nur essen, wenn man eine Seele aus Beton hat. Dennoch empfinde ich auch solche Werke als "unterhaltend" im dem gewissen Sinne, dass man mit ihnen starke und in die Tiefe gehende Emotionen durchleben kann, wodurch dann ganz zwangsläufig das Problem der Langeweile gar nicht erst aufkommen kann...


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • All die wunderschönen Tafelmusiken sind schwerpunktmäßig zur Unterhaltung geschrieben worden. Obwohl ich Klassik-Fan bin trenne ich nicht strikt zwischen Klassik und Unterhaltung. Es gibt in beiden Genres gut und schlecht gemachte Musik. Die Qualität allein sollte der Beurteilungsmaßstab sein. Ich hörte von Laienensembles z. B. schon hervorragend musizierte Volksmusik. Cross Over ist ein immer mehr zunehmender Trend. Aus meiner Sicht ist erfreulicher Weise eine Demokratisierung der Musik eingetreten und die Klassik und der Opernbesuch ist Gott sei Dank nicht mehr nur den elitären Kreisen und dem Bildungsbürgertum vorbehalten. Eine große Aufgabe für Musikveranstalter ist heute das Thema Integration. Wie können Mitbürger und Bevölkerungsschichten mit Migrationshintergrund in das bestehende Kulturangebot einbezogen werden. Trotz meinem Appell, das Klassikangebot so zu gestalten, dass alle Bevölkerungsschichten davon angesprochen werden, meine ich, dass der Musik, dem Komponist, den Ausführenden, dem Anlass, dem Rahmen, den anderen Besuchern zumindest bei Klassik-Konzerten soviel Respekt entgegengebracht werden sollte, dass die Kleidung dem Anlass entsprechend würdig und angepasst ist. Ich freue mich bei unseren Konzerten des Heilbronner Sinfonie Orchesters immer, wenn ich junge Besucher sehe, die zwar oft locker, aber doch jugendlich-festlich zurecht gemacht sind. Chapeau - da geht einem richtig das Herz auf und es ist einem um die Zukunft der klassichen Musik nicht bang.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich höre am Wochenende öfters Musik beim Zeitungslesen. Dann aber bevorzugt instrumentale also Sinfonien und Konzerte. Manchmal auch Klassikradio, wobei mich dort die viele Werbung stört. Und Klassikradio hat für mich sowieso nur ein eingeschränktes Programm, was sich immer wiederholt.
    Opern und Konzerte von Sängern höre ich eigentlich nur, wenn ich auch zuhören und mich auf den Gesang konzentrieren kann. Wobei ich dies öfters auch abends im Bett tue. Da kann es dann auch passieren, dass ich mich so entspanne, das ich einschlafe.
    Ich finde schon, dass alle Musik auch unterhaltsam sein muss. Musik muss für mich eine erkennbare Melodie haben. Deshalb kann ich mit Hardrock oder Techno einfach nichts anfangen. Aber auch die "moderne" Klassik macht es mir oft schwer. Sobald Melodik fehlt, komme ich da nicht hin und schalte lieber ab.
    Ich musste in letzter Zeit feststellen, dass ich musikmäßig wirklich in der falschen Zeit lebe. Da ist es gut, dass die alte Musik uns erhalten geblieben ist.


    Bartolifan

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ein klassisches Konzert hingegen - ist ein gesellschaftliches Ereignis - wie eine Taufe, eine Hochzeit, eine Krönung, ein Festbankett.

    Die Übertreibung des Tages!



    Das hat mit der Musik nur am Rande zu tun.

    Wenn man ernsthaft der Meinung ist, dass ein "klassisches Konzert" mit Musik nur am Rande zu tun hat, sollte man seinen Standpunkt ernsthaft überdenken...


    :no:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat von »Alfred_Schmidt« Das hat mit der Musik nur am Rande zu tun. Wenn man ernsthaft der Meinung ist, dass ein "klassisches Konzert" mit Musik nur am Rande zu tun hat, sollte man seinen Standpunkt ernsthaft überdenken...


    Hier hilft genaues Lesen. Alfred schrieb "das hat mit der Musik nichts zu tun." Betonung liegt da auf dem Wort der. Damit ist meines Erachtens die Art der Musik gemeint und nicht Musik im Allgemeinen.


    Bartolifan

  • Ich stimme in der Meinung mit Operus vollkommen überein. Was meine Hörgewohnheiten angeht, so höre ich manche klassischen Instrumentalmusik auch zur Unterhaltung, z.B. bei Sonntagsfrühstück oder beim Lesen und ich verabscheue auch nicht gut gemachtes Crossover. Es gibt allerdings auch viele klassische Instrumentalmusik und vor allem Gesang, wo ich mich auf das Werk bzw. auf den Text konzentrieren muss.
    Zu dem Beitrag von Klaus 2 ist zu sagen: Gut so! Mich würde der saubere Blaumann auch nicht stören, obwohl ich zum Besuch eines Konzerts eher angemessenere Kleidung vorziehe, jedoch weniger Hochzeits- oder Beerdigungskleidung. Ich glaube schon, dass die Hochstilisierung der klassischen Musik viele Menschen davon abhält, sich dafür zu interessieren. Deshalb habe ich Hochachtung vor demjenigen, der nach der Arbeit dennoch, weil er gerade vor Ort ist und vielleicht nicht die Möglichkeit hatte, sich vor dem Konzert noch nach Hause zu begeben, es dennoch wagt, im Blaumann das Konzert zu besuchen.
    Wären wir toleranter, würde die klassische Musik eher noch einigen Zuspruch finden. Sie wird schon immer als zu elitär hingestellt und, wenn wir so starr in dieser Meinung beharren, kann sie wohl nie so recht populär werden. Ich habe es im Leben mehrfach erlebt, dass Leute, bei denen die Klassik verpönt war, plötzlich doch zu anderen Einsichten kamen, wenn man sie von dem allzu hohen Ross, auf das sie gesetzt wurde, ein wenig herabholte.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Lieber Siegfried,


    unsere Beiträge haben sich überkreuzt. Auch ich habe hier etwas zu dem beizutragen, was du als Animation hier hineingesetzt hast.
    Ich denke da an den Film "Fantasia" von Walt Disney, der einige sehr reizvolle Animationen klassischer Musik enthält, die man unter diesem Titel ebenfalls auf youtube sehen kann. Mit diesem Film auf DVD habe ich schon einigen Leuten eine Freude machen können.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • In ländlichen Gegenden konnte man vor Jahren beobachten (und in einigen Regionen Europas heute noch), dass die Bauern Sonntags mit ihrem besten Anzug zur Kirche gingen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass man demonstrieren will: Dies ist eine Festzeit und nicht die alltägliche Arbeitszeit. Eine Frage der Würde ist das auch: Der Mensch ist nicht nur ein Arbeitstier. Ähnliches spielt wohl auch beim Konzert eine Rolle: Die Wahl der feinen Kleidung ist auch Ausdruck dafür gewesen, dass man einen deutlichen Schnitt macht zum Alltag, den man auf diese Weise vergessen will. In unserer heutigen Welt hat sich aber doch einiges geändert: Freizeit und Alltag durchdringen sich - die Leute schauen Kino mit ihrem Iphone in der Bahn usw. Konzerte, Oper sieht man im Fernsehen, vom Video, hört Musik mal zwischendurch von der Anlage. Deswegen kleidet man sich im Konzert zwar ordentlich (man kann auch mit einer Jeans sehr schick angezogen sein!), aber nicht mehr festlich. Das Konzert ist zu einem Teil des Alltags geworden - dasselbe gilt für den Kirchgang. Wer geht da heute noch im Festanzug hin?


    Unterhaltung ist ein legitimes Bedürfnis. Es gibt deshalb auch Musik speziell zu diesem Zweck. Aber eben auch andere, die primär einen anderen Sinn hat, der darüber hinaus geht. Die Kritik an der Musik, die primär unterhalten will, kommt schon im 18. Jhd. auf im Kontext der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang. "Nur" unterhaltende Musik empfindet man damals nicht als ausdrucksvoll, sie rührt unser Herz nicht wirklich. In der Folge gibt es das, was die Soziologie "Ausdifferenzierung" nennt. Musik wird stärker nach ihrem Zweck, zu unterhalten oder einen anderen Anspruch zu haben, differenziert (und Gattungen, die beide Aspekte vermischen, werden in der Folge dieser Entwicklung suspekt). Das hat immer zwei Seiten. Die Trennung der Funktionen führt auch zu einem gewissen Niveauverfall von Unterhaltungsmusik. Sicher ist Telemanns Unterahltungsmusik hoch anspruchsvoll im Vergleich mit dem, was das 20. und 21. in dieser Hinsicht zu bieten hat. Im übrigen muß man sich ja nicht ausgerechnet durch klassische Musik unterhalten lassen wollen. Dafür ist vielleicht das Kino besser geeignet.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mittlerweile sind ja in diesem Thread zwei Dinge vermischt, die nie explizit getrennt gedacht waren. Ich verstand Alfreds Eingangsbeitrag eher bezogen auf die unterhaltende Funktion der Musik von der Konserve, quasi als Hintergrund zu anderen Tätigkeiten, im Gegensatz zum konzentrierten und analytischen Hören. Mit der Einbeziehung des Konzerts kam eine neue Ebene in die Diskussion.


    Nun gut, könnte man argumentieren, wenn Wagner von CD Unterhaltung sein kann, warum sollte Selbiges nicht auch von der Aufführung gelten. Und wenn ich nun Lohengrin zuhause im T-Shirt höre, warum nicht auch im Opernhaus? Vielleicht aus denselben Gründen, die mich daran hindern, dort lautstark in die Verabschiedung des Schwans einzustimmen, was ich zuhause vielleicht tue. Alfred hat schon recht, wenn er ein Konzert als gesellschaftliches Ereignis bezeichnet, und mit einem solchen gehen nunmal gewisse Konventionen einher, die man freilich nicht unkritisch hinnehmen muss.



    Ähnliches spielt wohl auch beim Konzert eine Rolle: Die Wahl der feinen Kleidung ist auch Ausdruck dafür gewesen, dass man einen deutlichen Schnitt macht zum Alltag, den man auf diese Weise vergessen will.

    Das klingt für mich einleuchtend. Mir kam zuerst ein anderer Gedanke im Zusammenhang mit der erwähnten Beerdigungskleidung. Diese trägt man ja auch als Zeichen des Respektes gegenüber dem Verstorbenen. Ich fühlte mich veranlasst zu sagen, das gelte auch beim Konzert: Aus Respekt vor den Aufführenden kleide ich mich festlich. Dann aber erkannte ich, welche Respektlosigkeit gegenüber den ausführenden Künstlern ich dann bereits begangen hätte, etwa im letzten Jahr in T-Shirt und kurzer Hose bei Springsteen. Das ist natürlich Unsinn. Aber dadurch wird klar, dass zwischen Ausführenden und Hörern in Kleiderfragen doch eine gewisse Ähnlichkeit besteht; sei es bei der Volksmusik, beim Rockkonzert oder in der Oper - und das kann nur zum Teil mit bestimmten Lebenseinstellungen erklärt werden, denn der leidenschaftliche Besuch des einen schließt das andere ja nicht aus.


    Wenn die Kleiderfrage ein derartiges Hindernis darstellt, warum gehen dann diejenigen, die am meisten von einem Besucherzuwachs profitieren würden, nicht mit gutem Beispiel voran? Also, Dirigenten und Musiker in selbstgewähltem Look, ganz unverkrampft?

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Zitat von Lynkeus

    Wenn die Kleiderfrage ein derartiges Hindernis darstellt, warum gehen dann diejenigen, die am meisten von einem Besucherzuwachs profitieren würden, nicht mit gutem Beispiel voran? Also, Dirigenten und Musiker in selbstgewähltem Look, ganz unverkrampft?


    Vor allem aber die Regisseure, die zu einen Opernwerk etwas völlig Verkrampftes und Unpassendes auf die Bühne bringen und jeglichen Respekt vor dem Werk vermissen lassen. Und dazu soll sich noch ein Zuschauer in festliche Kleidung werfen?
    Lieber ein unverkrampfter Zuschauer zu einem mit Respekt vor dem Autoren dargebrachten Werk als ein festlicher Zuschauer vor sinnwidrig verkorkster Darbietung!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • In der Soziologie spricht man von sogenannten Rollenerwartungen, das sind Erwartungen, die allgemein an eine Persönlichkeit in einer bestimmten sozialen Rolle gestellt werden, z. B. Vaterrolle, Vorgesetztenrolle, Mutterrolle, Tochterrolle usw. Werden die traditionellen Rollenerwartungen erfüllt, die mit wenig Nachdenken oder Nachfragen relativ leicht zu erkennen sind, dann kommt man in dieser Situation wahrscheinlich gut zurecht und erleichtert sich z. B. Kontaktaufnahmen und macht einen guten ersten Eindruck. Nun kann eine Strategie selbstverständlich auch heißen:"Anders als alle anderen". Also ein bewußtes aus der Rolle fallen. Dann werden Rollenerwartungen durchkreuzt, man entspricht nicht den Erwartungen der Anderen und bekommt selbstverständllich mehr, aber nicht immer positive Aufmerksamkeit. Wenn der Konzertbesucher nur etwas über die Veranstaltung, den Rahmen, den Ort, das gewählte Programm nachdenkt, kann er m. E. nicht viel falsch machen und seine gewollte Strategie verwirklichen. Meine Empfehlung ist:
    "Willst im Konzert Du glücklich sein, mach Dich dem Anlass entsprechend fein. Pass' Dich einfach an, dann gefällst Du jedermann. Kannst mit Muße Musik hören und keiner wird sich je beschweren"!


    Herzlichst
    Operus,


    der wieder einmal eine seiner so einfachen Lebensweisheiten formuliert. Aber die Einfachheit ist meist genial. Nachdem in unserem Forum auch das Gegenteil, die auf hohem Niveau gelehrt, abstrakt Formulierenden zahlreich vertreten sind, lasst mich bitte jetzt einmal auf meine unbekümmerte Naivität stolz sein. O selig, o selig ein Kind noch zu sein! :hahahaha: :baeh01:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber operus,


    Du hast ja so recht, wie man nur recht haben kann.


    Die lateinische Lebensweisheit "Simplex Sigillum Veri", zu Deutsch: Das Einfache ist das Siegel des Wahren - bestätigt sich immer wieder und in allen Lebensbereichen.



    Liebe Grüße


    Portator

  • Die lateinische Lebensweisheit "Simplex Sigillum Veri", zu Deutsch: Das Einfache ist das Siegel des Wahren - bestätigt sich immer wieder und in allen Lebensbereichen.


    Die Krone, lieber Portator, ist jedoch wenn man Nivevau hat und dennoch einfach, verständlich formulieren kann, wie Deine Beiträge beweisen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich habe sehr wohl auch schon Dirigenten, Dirigentinnen in legererer Kleidung gesehen. Und nehmen wir doch einmal Leonard Bernstein als Beispiel, der immer wieder versucht hat, klassische Musik für neue Zielgruppen darzubieten. Seine Kinderkonzerte. Da ging es doch nicht darum, Kinden das Anzugtragen nahezubringen?

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Besonders die Dirigenten bei den Bayreuther Festspielen haben es bezüglich Kleiderordnung einfach. Man sieht sie während der Aufführung nicht. Und den Schlussapplaus nimmt der Maestro auch gerne in Jeans, T-Shirt und um den Hals geschlungenes Handtuch entgegen.
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Auf der Bühne sollten die Kostüme getragen werden, die die Authentizität des Werkes unterstützen. Obwohl ich selbst im Leben immer das Tragen von Jeans abgelehnt habe, ist mir im Zuschauerraum ein Besucher in sauberen Jeans, der Ahnung hat und Interesse am authentischen Werk zeigt, lieber als ein Besucher in Staatsgala, der keine Ahnung hat, der nicht kommt, um zu sehen, sondern um gesehen zu werden, und allen Unsinn, der mit dem Werk geschieht, hinnimmt, weil er es nicht besser kennt.
    Aber ich denke, wir sind jetzt doch vom eigentlichen Thema abgekommen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose