Pocket-Opera ? - oder wie oder was ??

  • Ich gestehe, daß ich bis vor kurzem mit dem Begriff nichts anfangen konnte - und ich schäme mich auch nicht dafür !!
    Heute aber flatterte wieder mal eine Werbe-email für eine sommerliche Neuinszenierung einer Mozart Oper ins Haus. Und dort wurde verkündet, daß ein internationales Sängerensemble engagiert werden konnte, bunt gemischt aus bereits "erfahrenen Sängern" und "jungen Talenten. Die meisten dieser Talente würde ich Ländern zuordnen, welche in Bezug auf Hervorbringung hervorragender Sängerpersönlichkeiten eher zurückhaltend agiert haben.
    Ich konnte mir natürlich vom aktuellen Projekt kein endgültiges Urteil bilden, aber schon Jahre vorher wurde ähnliches vom gleichen Komponisten auf das gleiche Podium gebracht (von Bühne möchte ich eigentlich nicht sprechen) in modernen Kostümen und fast ohne Bühnenbild. Die Räumlichen Gegebenheiten verlangen nach einem möglichst kleinen Orchester. Dem wurde Rechnung getragen. Wir haben hier - nach meiner persönlichen Einschätzung - eine perfekte Symbiose aus spartanisch besetztem Orchester, Sängern der wasweissichichwievielten Garnitur (da mag die eine oder andere Ausnahme darunter sein), unpassenden Kostümen und nur angedeutetem Bühnenbild. Ich hatte den Eindruck einer Schüleraufführung. Solche sind zumeist gratis - und ich meide sie tunlichst trotzdem. Die von mir beschriebene Veranstaltung (ich werde sie NICHT namentlich nennen) ist jedoch mittels käuflicher Eintrittskarten besuchbar. Der Preis war nicht leicht zu eruieren - ich konnte dennoch eruieren, daß eine Karte etwa zwischen 60 und 70 Euro kosten soll.....
    Regietheater hält sich unter anderem dadurch am Leben, daß es Leute gibt, die ausschliesslich wegen ihrer Lieblingssänger auch solche Inszenierungen besuchen. Dieser Faktor dürfte in unserem Falle eher wegfallen. Irgendwo las ich in dem Zusammenhang dann das Stichwort - "Pocket-Opera".
    Und dann habe ich mir die Frage gestellt, wer solche Aufführungen besucht - und warum man sie überhaupt produziert - denn Profit kann man damit sicher nicht machen - und ob das Publikum hierbei Genuss empfindet - sein ernstlich hinterfragt....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Im Rahmen eines Abonnements hier in Leverkusen habe ich vor Jahren auch mal etwas gesehen, was sich "Pocket-Opera" nannte. Da wurde der gesamte Ring des Nibelungen, zusammengestrichen auf knapp über 3 Stunden, gezeigt. Es begann mit Rheingold, wo eine hölzerne Rinne mit Wasser über die Bühne gelegt war, in der die Rheintöchter nach Kneipp im Storchenschritt stolzierten, ich erinnere mich noch an das schon hier mehrfach zitierte Waldvögelein, das auf hohen Hacken mit Bierflasche in der Hand über die Bühne stakste und die Gibichungen im Motorraddress. Alle andere habe ich schnell wieder vergessen. Jedenfalls war das der erste Anlass, mir den Kauf eines Abonnements reiflicher zu überlegen. Nach einzelnen weiteren Verunstaltungen ganzer Opern (nicht im "Pocket"-Format), habe ich es dann endgültig aufgegeben und nehme nur noch ab und zu eine Einzelveranstaltung, und nur, wenn ich wirklich sicher sein kann, dass ich hier noch die eigentliche Oper zu sehen bekomme.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich weiß jetzt nicht ganz genau, was Alfred meint ... Pocket-Oper = Taschenoper = "kleine Oper", Inszenierungen also, die weg vom großen Bühnengeschehen die Musik dieser Werke für kleines Auditorium gestalten möchte.


    Vor ein paar Jahren schrieb ich hier bei Tamino einen kleinen Bericht über die damals gerade geschlossene New Yorker "Amato-Opera" - das wohl kleinste Opernhaus der Welt. Hier nochmal mein Text:



    " ... da kannst Du ja ein bisserl nachvollziehen, was dort war. Ich hatte im Vorfeld meines New York-Aufenthaltes 1991 davon gelesen und mir war sofort klar, daß ich da hin muß. Ich liebe solche "schrägen" Sachen und habs nicht bereut.


    Tony Amato hat vor 60 Jahren auf der früher ehrenwerten Bowery ein Brownstone gekauft, ein Haus mit gerade mal 6 Meter Breite und drei Stockwerken. Bezahlt hat er damals 20000 USD (heute hat er schon mal 2.000.000 USD abgelehnt).


    Er baute ein Opernhaus im Miniaturformat; was man halt so in ein Mietshaus mit 6 m Schaufensterfront reinkriegt ;-) Aber alles war da: ein Besucherraum mit einer Handvoll (Klapp-) Stuhlreihen (insgesamt immerhin ca 100 Plätze), einen Balkon, eine Bühne mit schätzungsweise 30qm, einen "Orchestergraben" für max 8 Musiker in Käfighaltung, einen Fallschacht für dramatische Effekte, einen schweren Vorhang, der rauschend auf und zu ging sowie natürlich den "Kronleuchter", eine Ausführung, die in jedes stilvolle Wohnzimmer passen würde. Und es war in der Tat ein erhebender Moment, als nach dem dritten Gong und niedergingendem Licht dieser Kronleuchter - wie im richtigen Opernhaus - nach oben gezogen wurde. Auch wenns nur ungefähr ein Meter war ;-) Die gesamte Bühnendeko wirkte wie mit der Laubsäge geschnitten, liebevollste Detailarbeit eines Leidenschaftlichen.


    Der Orchesterpart wurde, aus verständlichem Platzmangel, von solistischen Bläsern und einem (elektr.) Klavier, das den Steicherapparat abdeckte, besetzt. Ein weiterer erhebender Moment war, als Maestro Amato im schwarzen (mittlerweile etwas zu groß ausfallenden) Frack und strenger Dirigentenmine sein Pult bestieg und - wie ein Großer - mit ausladenden und leidenschaftlichen Gesten das Mini-Orchrester dirigierte. Zum Niederknien.... Beeindruckend war auch, daß auf der Minibühne - wenns nötig war - ein ganzer Chor nebst den Solisten Platz hatte (in Madame Butterfly sinds ja meines Wissens zwei Auftritte eines Chores; ein kleines Gedränge wars allemal).


    Reizvoll war auch die Tatsache, daß die Ressourcen effizient genutz wurden - sowohl die baulichen, als auch die personellen. Ganze Bühnenbilder wurden im Treppenhaus zwischengelagert, Bühnen"bauten" standen im überdachten Freien, Darsteller, die die Bühne nach hinten verliesen, mußten über den Hof, um das Haus herum und vorne zum Eingang und durchs den Zuschauerraum wieder herein. Mr Pinketon verkaufte Eis in der Pause, Butterfly Cho Cho San wieß die Plätze an und Suzuki entwertete die Tickets - alles in voller Bühnenmontur. Hinreisend.


    Mr Amato bot jungen Sängern eine Heimstatt, unterstütze sie in ihrem Vorhaben, war eine Vaterfigur für sie und bot Ihnen Aufführungs- und Übungsmöglichkeiten. Viele dankten es ihm später, als sie Stars an der Met oder der NYCO waren, indem sie für ein bescheidenes Honorar (früher wie heute 10 USD) bei Ihm sangen."


    Vielleicht passt das hier herein :)

  • Und dann habe ich mir die Frage gestellt, wer solche Aufführungen besucht - und warum man sie überhaupt produziert - denn Profit kann man damit sicher nicht machen - und ob das Publikum hierbei Genuss empfindet - sein ernstlich hinterfragt....


    Nun, solches Veranstaltungen mit immer neuen Etiketten gibt es hier in Berlin und seiner Umgebung auch sehr oft. Das sind sommerliche Unterhaltungen, einfach und leicht gestrickt für ein Publikum, das sonst selten in ein Opernhaus findet. Ich würde mir so etwas nicht freiwillig ansehen, aber es ist auch nicht gemacht und angelegt für Menschen, die sich ernsthaft mit Musik und Oper beschäftigten. Nun wollen wir den Leuten doch mal ihren Spaß lassen. Ich freue mich für sie und über jede Gelegenheit, in der Musik von Mozart dargeboten wird.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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    Nun wollen wir den Leuten doch mal ihren Spaß lassen. Ich freue mich für sie und über jede Gelegenheit, in der Musik von Mozart dargeboten wird.


    Gruß Rheingold


    So isses :-)


    Herrlich auch eine Darbietung des Dehnberger Hoftheaters im Innenhof von Schloss Banz (gegenüber der Basilika Vierzehnheiligen in Oberfranken, ist leider schon ein paar Jahre her) :


    Mozarts Zauberflöte in einer Marktplatzversion


    Gegeben wurde eine Freiluft-Darbietung, wie man sie sich aus früheren Zeiten auf einem Jahrmarkt vorstellen kann: Die Bühne war ein Planwagen, dessen Plane nach hinten geschlagen war, die Gesangsszenen wurden von je einem männlichen und einem weiblichen Sänger dargeboten, die „Story“ durch den Impressario des Ganzen (Wolfgang Riedelbauch) – der nebenbei auch das ca 10-köpfige-Harmoniemusik-Orchester (also nur Bläserstimmen) dirigierte - launig erzählt. Diese Musiker saßen im Halbkreis vor der Bühne. Die Arien wurden - oft nur in Fragmenten - leicht übertrieben dargeboten und teilweise mit jahrmarktüblichen Ausstattungs-Gimmicks unterstützt: die Drei Damen wurden per Holzgestell und Puppenköpfen auf den Schultern der Sängerin simuliert, „Monostatos“ hatte dann ne Handvoll Ruß im Gesicht und bei der Bildnis-Arie schleppte Tamino ein Portraitgemälde im Barockgoldrahmen – ca 1x2 Meter groß - an. Das Ganze dauerte - wenn ich mich noch recht erinnere - knapp 1 1/2 Std. und war, trotz allem Klamauk (der es gar nicht war), durchaus ne ernstgenommene Sache.


    Das ganze in einer lauen Sommernacht in herrlichster Barock-Kulisse und anschließend noch ein barockes Feuerwerk. Ein geglückter Abend. Das war wirklich toll.
    :)