Pjotr Tschaikowski: Romeo und Julia

  • Liebe Musikfreunde,


    schon die ruhigen einsam-verträumten ersten Einführungstakte, von jeweils zwei Klarinetten und Fagotten im piano tief intoniert, nehmen mich gefangen. Die tiefen Streicher breiten die Atmosphäre behutsam aus, gefolgt von einem lang anhaltenden Ton zweier unisonospielender Hörner, der den Gesamtklang des Akkords einerseits beruhigt, durch die Klangfarbenerweiterung gleichzeitig das Interesse nach weiterer Entwicklung stärkt. Bis zum Ende des Stückes bin ich fasziniert vom musikalischen Geschehen und Spannungsaufbau, sodass ich Takt für Takt mitgehen und miterleben kann. Dies gelingt wohl insbesondere deshalb, weil es der Komponist nicht allzu schwer macht, an der Entwicklung teilzuhaben; das Stück ist meines Erachtens gut nachzuvollziehen, dabei aber keinesfalls banal oder stumpf. So kann man sich anhand dieses Stückes gut im Partitur(mit)lesen üben, da diese äußerlich ziemlich übersichtlich und einfach gestaltet wirkt. Ich besitze dafür die abgebildete Eulenburg Partitur.



    Ich liebe die Tschaikowskys Fantasieouverture „Romeo und Julia“ schon seit vielen Jahren; es gehört zu den Musikstücken, die ich von meiner Jugend bis ins fortgeschrittene Alter von einigen Jahrzehnten mit gleichbleibendem Gefühl und Intensität genieße. Der Komponist schrieb die Ouverture 1869, also noch ziemlich am Anfang seiner Schaffenszeit. Er wurde dabei von seinem wenige Jahre älteren russischen Komponistenkollegen Milij Balakirev einerseits erheblich angespornt und beeinflusst, gleichzeitig von dessen Kritiken und Aufforderungen zu Änderungen etwas bedrängt, was allmählich dazu führte, sich dem zu widersetzen und sich selber zu behaupten. So ist u.A. auch das Entstehen zweier überarbeiteter Fassungen zu erklären. Die Ursprungsfassung wurde am 4. März 1870 unter Nikolaj Rubinstein in Moskau uraufgeführt, die zweite Fassung ebenfalls in Moskau am 5. Februar 1872 unter Eduard Napravnik und die dritte Fassung, 10 Jahre später umgeschrieben, am 19. April 1886 in Tiflis unter Mihail Ippolitov-Ivanov. (Über den Einfluss Balakirevs bzw. des „mächtigen Häufleins“ auf das Musikleben in Russland in dieser Zeit lohnt sich vielleicht irgendwann mal ein eigener Faden).


    Tschaikowskys „Romeo und Julia“ orientiert sich natürlich an Shakespeares Werk, kann aber auch gut als vom Inhalt des Dramas losgelöste Musik genossen werden und eigene Fantasien entfalten, zumindest bei mir. Die Aufführung des Stücks dauert etwa 20 Minuten; es wird durch ein nicht sonderlich erweitertes Orchester mit Harfe gespielt.


    Ich gebe zu, nicht der große Tschaikowskyfan zu sein, aber irgendetwas gefällt mir an seiner Sprache, an seinem Ausdruck sehr gut, zumindest bei einigen Orchestertücken. Gehört das hier Vorgestellte ebenfalls zu Eurem Repertoire oder eher nicht?


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Gehört das hier Vorgestellte ebenfalls zu Eurem Repertoire oder eher nicht?

    Es gehört, für mich jedenfalls eine der essentiellen Kompositionen von Tschaikovsky. Und ich kenne keine Aufnahme, in der mehr Glut geschürt wird, als in der mit dem Philharmonia Orchestra unter Riccardo Muti, auch wenn die Klangqualität nach heutigen Maßstäben suboptimal ist. Hier geht echt die Post ab. Eine von Mutis besten Aufnahmen.


  • Ich gebe zu, nicht der große Tschaikowskyfan zu sein, aber irgendetwas gefällt mir an seiner Sprache, an seinem Ausdruck sehr gut, zumindest bei einigen Orchestertücken. Gehört das hier Vorgestellte ebenfalls zu Eurem Repertoire oder eher nicht?

    Lieber Uwe,


    mit Tschaikowsky kam ich in Jugendzeiten zunächst mit dem 1. Klavierkonzert in Berührung und den Symphonien 4-6. "Romeo und Julia" hörte ich eher selten - aber die Komposition gefiel mir immer sehr gut. Als Aufnahmen habe ich Abbado, Haitink und den ganz jungen Lorin Maazel. Da werde ich demnächst mal wieder reinhören - ich muß mich sowieso durch die Abbado-Box noch durchhören. :) So etwas mit Partitur zu lesen ist natürlich besonders schön.



    Es gehört, für mich jedenfalls eine der essentiellen Kompositionen von Tschaikovsky. Und ich kenne keine Aufnahme, in der mehr Glut geschürt wird, als in der mit dem Philharmonia Orchestra unter Riccardo Muti, auch wenn die Klangqualität nach heutigen Maßstäben suboptimal ist. Hier geht echt die Post ab. Eine von Mutis besten Aufnahmen.

    Die Muti-Box hat einen sehr guten Ruf, lieber lutgra - ich weiß. :D Trotzdem habe ich sie mir nie gekauft. Was ich von Muti habe ist die Aufnahme des 1. Tschaikowsky-Konzertes zusammen mit Andrei Gawrilow. Das ist leider die mit Abstand schlechteste - geradezu miserable - Orchesterbegleitung von all den Aufnahmen, die ich in meiner Sammlung habe.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die Muti-Box hat einen sehr guten Ruf, lieber lutgra - ich weiß. Trotzdem habe ich sie mir nie gekauft. Was ich von Muti habe ist die Aufnahme des 1. Tschaikowsky-Konzertes zusammen mit Andrei Gawrilow. Das ist leider die mit Abstand schlechteste - geradezu miserable - Orchesterbegleitung von all den Aufnahmen, die ich in meiner Sammlung habe.

    Lieber Holger
    ich wollte auch niemand motivieren, die Tschaikovsky Box zu erstehen, es war nur die einzige Ausgabe, die ich fand, in der die Aufnahme von Romeo und Julia derzeit angeboten wird. Es gibt noch eine Einzel CD in der Nipper Collection, das Bild ließ sich aber nicht hochladen. Die Aufnahme des Tschaikovsky-Konzertes kenne ich nicht, da finde ich, reicht sowie eine von zwei Aufnahmen:


    oder :D

  • ich wollte auch niemand motivieren, die Tschaikovsky Box zu erstehen, es war nur die einzige Ausgabe, die ich fand, in der die Aufnahme von Romeo und Julia derzeit angeboten wird. Es gibt noch eine Einzel CD in der Nipper Collection, das Bild ließ sich aber nicht hochladen. Die Aufnahme des Tschaikovsky-Konzertes kenne ich nicht, da finde ich, reicht sowie eine von zwei Aufnahmen:

    Lieber Lutgra,



    diese hier gibt es derzeit für nur 8 Euro plus 3 Euro Porto! :)


    Die Argerich-Aufnahmen von Tschaikowsky 1 sind natürlich Spitze - aber ich brauche da noch einige andere Sternstunden mehr.... :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

  • :) So etwas mit Partitur zu lesen ist natürlich besonders schön.


    Das finde ich auch. Nur will man sich nicht immer eine Taschenpartitur oder eine Partitur in Grossformat anschaffen.
    IMSLP ist ein Internet-Portal, das Partituren im PDF-Format zum downloaden bereit hält und viele wertvolle Hinweise zu Werken und ihrer editorischen Geschichte bereithält.


    Zitat Wikipedia
    "Das International Music Score Library Project (IMSLP, deutsch Internationales Notenbibliothek-Projekt) seit Juli 2008 auch Petrucci-Bibliothek, Ottaviano Petrucci gewidmet, ist ein Projekt zur Schaffung einer virtuellen Online-Bibliothek für gemeinfreie (public domain) Musiknoten (Free Sheet Music). Das IMSLP wurde von Edward W. Guo, einem Musikstudenten des New England Conservatory of Music, gegründet. Es arbeitet nach demselben Wiki-Prinzip, auf dem auch die Wikipedia basiert. Seitdem es am 16. Februar 2006 online gegangen ist, wurden bis Juli 2010 über 25.000 Werke (65.000 Partituren) von über 3.500 Komponisten hochgeladen. Das Projekt ist die größte Online-Sammlung freier und kostenloser Musiknoten."


    Mit etwas googeln wird man dieses Internet-Portal finden.


    Ich bin mir bewusst, dass ein solcher Download, die Verlage, welche Partituren verlegen, arg schädigen. Die Fassungen der Werke, die in diesem Portal zu finden sind, sind gemeinfrei, das heisst, die Rechte der Komponisten und deren Erben sind abgelaufen.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928





  • Gerade habe ich "Romeo und Julia" gehört in der wunderbaren Aufnahme mit Claudio Abbado und dem Chicago SO. Ich kann Uwe Schoof verstehen. Diese frühe Komposition zeigt als "Keimzelle" gewissermaßen den ganzen Tschaikowsky - alle seine Stärken, die man an ihm schätzt. Da ist einmal der Sinn für exzessive Dramatik, aber auch sein überlegenes Formverständnis, das sich an der deutschen Klassik orientiert. Deswegen galt er unter den Russen ja auch als "Westler". Man findet dort viele Töne, die später in seinen bekannten Meisterwerken wiederkehren, z.B. in der Coda, die auf das tragische Finale der 6. Symphonie vorausweist. Abbados Interpretation ist wirklich überlegen gestaltet. Er hat in der Einleitung Sinn für den "langen Atem" der sich kontinuierlich aufbauenden symphonischen Entwicklung. Gerade weil er nie übertreibt, kommen die dramatischen Gegensätze um so klarer heraus: Man muß die Musik nur selber sprechen lassen. Das ist ein typischer Abbado mit unglaublich viel Feinsinn und Formsinn. Das Orchester spielt schlicht perfekt - ungemein farbig, feinfühlig, absolut homogen und hochvirtuos. Man freut sich, das Stück so wunderbar aufgeführt wieder gehört zu haben... :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zwei Aufnahmen, die mir bei diesem geliebten Werk besonders zusagen, sind folgende:


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    Bernstein (22:40 Minuten)



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    Celibidache (27:51 Minuten)


    Ob es der eine mit Emotionalität und der andere mit Langsamkeit übertreibt, sei dahingestellt. Für mich persönlich zeitlose Interpretationen, die ihresgleichen suchen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es wird die, die mich kennen wenig verwundern, dass ich jetzt zwei glutvolle Aufnahmen von Romeo und Julia mit Swetlanow und Solti vorstelle.


    Das ist einmal die Aufnahme mit Solti/Chicago SO , die sich (unnötigerweise) auf allen drei Einzel-CD´s der Tschaikowsky-Sinfonien Nr. 4 und 6 (quasi als Filler) befindet.
    Holger schreibt über das CSO mit Abbado:

    Zitat

    Das Orchester spielt schlicht perfekt - ungemein farbig, feinfühlig, absolut homogen und hochvirtuos.


    Im Prinzip besagt das wenig und gilt selbstverständlich gilt das auch hier mit Solti und seinem CSO. Aber mit welcher Gluthitze Solti hier agiert, das geht schon über so manche andere "Romantikkramschmalzaufnahme" hinaus.


    Spieldauer: saubere und angemessene, nicht verschleppende 20:16 !


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    Decca, 1987, DDD



    :angel: An Gluthitze noch eine Schippe drauf legend und mit dem Klang des seines russsischen Orchesters überzeugende Darstellung legt dan Swetlanow hin.
    Bei dem Überschwank kommt Swetlanow dann mit nie langweilenden 18:44 aus: TOP und der Wahnsinn pur !



    WARNER, 1992, DDD?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich kann spontan keine positive Empfehlung aussprechen, aber Celis ist ziemlich daneben, wie die Spieldauer vermuten lässt (meiner Erinnerung nach sind die gekoppelten "Bilder einer Austellung" teilweise ähnlich verschleppt). Ich fand Francesa da Rimini immer das interessantere Stück, aber für ein Beinahe-Debüt-Werk ist Romeo & Julia natürlich sehr bemerkenswert und originell.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Celis "Bilder einer Ausstellung" sind jedenfalls grandios! Das Tempo an sich ist für mich nie das Kriterium, sondern ob es Sinn macht. Und da hat Celibidaches Langsamkeit in vielen Fällen einfach Unerhörtes zutage gefördert. Diese spezielle Aufnahme habe ich leider nicht. Mrawinsky hätte ich zudem sehr gerne - gibt es wohl leider aber nicht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die Zeiten meiner Aufnahmen:


    Abbado 20.34 min.



    Haitink 20.16 min.



    Interessanter Weise ist der ganz junge Lorin Maazel der langsamste mit 22.14 min., aber immer noch schneller als Bernstein! :D



    Ich finde ja, man braucht diese Musik nicht zusätzlich noch aufzuputschen, sie ist an ihr selbst dramatisch genug.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich finde ja, man braucht diese Musik nicht zusätzlich noch aufzuputschen, sie ist an ihr selbst dramatisch genug.


    Nein, aber man kan alles aus der Partitur raus holen und dann wirkt die Musik auch entsprechend.


    Anlässlich dieses interssanten Threads habe ich noch drei weitere Aufnahmen aus meinem Bestand gehört, die es auch wirklich in sich haben - und die sind alle im zügigen Bereich:


    Josef nannte bereits Leonard Bernstein. Aber wieder das gleiche wie fast immer: :thumbup: Bernstein ist bei seiner frühen Aufnahme mit den New Yorker PH (SONY) eindeutig vorzuziehen. Bei gleicher Emphase wirkt das gewählte "normale" Tempo einfach stimmiger. Bernstein wie immer mit grösstem Gefühlskino in satten und packenden 19:21.
    Selbst das Aufnahmedatum von 1957 bringt hier eine satt klingende Steroaufnahme zustande (und kein Klangmüll). Als älteste Aufnahme befindet diese sich sich in meiner Sinfonien-GA:



    SONY, 1957 (nur R+J), ADD



    Eine geradezu audiphil klingende Aufnahme bei gleichzeitig hochgespannter Int bietet Antal Dorati mit dem Detroit PO.
    Die weitern Sinfonische Dichtungen bietet Doarti auf der tollen Doppel-CD als "Vulkan - Pur".
    Auch hier Romeo und Julia in einer guten Spielzeit von 18:28.


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    Decca, 1973, ADD



    Eine meiner grössten Tschaikowsky - Überraschungen war dieses Jahr Eugene Ormandy mit seinem Phiadelphia Orchestra (RCA). Das gilt für Die Sinfonien Nr.1 - 3 + Manfred, das KK 1 mit Joselson (den Rest wie die astreinen Aufnahmen der KK 2 und 3 mit Graffman, die 3 grossen Ballettsuiten hatte und kannte ich bereits);
    :thumbup: aber auch mit Romeo und Julia legt er eine höchst einfühlsame und zugleich packende Aufnahme hin, die sich vor keine russische Aufnahme zu verstecken brauchte - in einer angemessenen Spielzeit von 20:35


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    RCA, 1973 (R+J), ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Eine tolle Aufnahme gibt es auch von John Barbirolli mit dem Halle Orchestra, ich habe sie gerade noch einmal gehört. Die ist seinerzeit auf dem Pye-Label erschienen und auf CD auch immer nur auf irgendwelchen obskuren Label aufgetaucht. Die Aufnahme ist von 1959 und in Stereo. Barbirolli braucht 20:30, wobei er die dramatischen Stellen ähnlich runterfetzt wie Muti, sich aber bei den lyrischen Passagen und am Schluß etwas mehr Zeit lässt. Good old John. :jubel: Die Muti-Aufnahme gibt es am Marktplatz derzeit für 1 Cent.


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  • Zitat von »Dr. Holger Kaletha«
    Ich finde ja, man braucht diese Musik nicht zusätzlich noch aufzuputschen, sie ist an ihr selbst dramatisch genug.



    Nein, aber man kan alles aus der Partitur raus holen und dann wirkt die Musik auch entsprechend.

    Was man aus der Partitur herausholt, ist ein Interpretationsproblem - und das ist sehr komplex gerade bei diesem keineswegs eindimensionalen Werk. Zu einem bestimmten Tschaikowsky-Bild, das sich etabliert hat, gehört, dass man bei ihm gerne knallige, affektive Kontraste und Überschwang vernehmen will. Und der Hörer mag es. Gerade dieses Werk hat aber auch andere - konstruktive - Seiten. Letztlich ist es eine Frage der Gewichtung in der jeweiligen Interpretation, wie man die Aspekte zur Geltung bringt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bei Interesse: Den Celibidache gibt es bei YouTube, sogar in HD, wie ich soeben festgestellt habe.



    Ich bin nach wie vor gebannt von dieser Interpretation der Superlative, die trotz extremer Langsamkeit keine Sekunde langweilig ist. Ein Musterbeispiel für das Genie Celibidaches.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich bin nach wie vor gebannt von dieser Interpretation der Superlative, die trotz extremer Langsamkeit keine Sekunde langweilig ist. Ein Musterbeispiel für das Genie Celibidaches.


    Das ist wirklich ein Geniestreich von Celibidache, lieber Joseph! Geradezu explosiv spannend und expressiv - jeder musikalische Moment wird zum Ereignis! Besten Dank für den Link! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mrawinsky hätte ich zudem sehr gerne - gibt es wohl leider aber nicht.


    Lieber Holger und Josef,
    ich habe mir Celi (in Ausschnitten - ganz hätte ich es nicht durchgehalten) angehört und fand es fürchterlich, weil er das Stück und damit auch die Spannung einfach auseinanderfallen lässt.
    Damit kann ich mich dem Beitrag 11 von Johannes vollumfänglich anschliessen. Wenn man für ein 20Minuten - Werk 10Min länger braucht als Swetlanow, dann kann was nicht stimmen - und ich empfinde diese Celi-Sose auch alles andere als stimmig.


    Mrawinsky, da kannst Du sicher sein, hätte im Bereich von Swetlanow gelegen.
    Ich habe beide hochdramatischen zum Bersten hochspannenden Aufnahmen von Francesca da Rimini mit Mrawinsky. Hier ist er auch in angemessen vorwärsschreitendem Tempo mit 22:48 (Brillant-Box, 01-1972) und 24:08 (Warner-Box, 11-1981) sogar noch zügiger als Swetlanow unterwegs. Alle Drei sind der Wahnsinn !
    Sehr Grenzwertig, bei aller Emphase, empfinde ich auch Bernstein (DG, 1991) mit 27:42, der auch hier in seiner alten Aufnahme (SONY, 1960) mit 24:36 ungleich mehr überzeugt.


    Aber Du hast Recht -> Es ist schade, dass es Mrawinsky mit Romeo und Julia nicht gibt ... dafür aber die Romeo und Julia - Suite von Prokofieff.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Celibidaches Interpretation habe ich mir in den letzten beiden Tagen mehrmals angehört, um, bevor ich mir eine Meinung bilde, mich nicht allzusehr von der Gewohnheit beherrschen zu lassen. Mir geht es hierbei beim Hören dieser Einspielung ähnlich wie Wolfgang. Ich kann dieser Langsamkeit in diesem Stück - bisher - nicht viel abgewinnen. Wie ich finde, lebt "Romeo und Julia" von der Dramatik durch die Geschwindigkeiten. Auch wenn ich das Stück als unprogrammatische Musik betrachte, erschließt sich mir seine Schönheit durch jugendlich-leidenschaftliche Gestaltung, die dem Wesen der dramatischen Geschichte in der Tat gut nachempfunden ist und den Titel insofern auch völlig zurecht trägt.


    Romeo und Julia - das hat für mich erst einmal mit Feuer, Leidenschaft und Begehren zu tun. Und bei dem dramatischen Schluss der Geschichte möchte ich als mitfühlender Leser mit klopfendem Puls am liebsten die Zeit anhalten - um die beiden Liebenden zusammenzubringen. Celibidache hält die Zeit von Beginn an fest und lässt erst gar kein Aufkommen von Begehrlichkeiten zu. In dieser Langsamkeit hätten sich Romeo und Julia wahrscheinlich erst gar nicht kennengelernt. Vielleicht hätten sich ihre Großeltern in dieser Entspanntheit wieder vertragen...


    Da ich seit mehreren Jahren gar keine Aufnahme zu Hause habe, ist nun die Abbado-Box zu mir unterwegs. Ich freue mich über das Interesse hier und bedauere, dass auf dem Markt so wenige Einspielungen erhältlich sind.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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  • ich habe mir Celi (in Ausschnitten - ganz hätte ich es nicht durchgehalten) angehört und fand es fürchterlich, weil er das Stück und damit auch die Spannung einfach auseinanderfallen lässt.
    Damit kann ich mich dem Beitrag 11 von Johannes vollumfänglich anschliessen. Wenn man für ein 20Minuten - Werk 10Min länger braucht als Swetlanow, dann kann was nicht stimmen - und ich empfinde diese Celi-Sose auch alles andere als stimmig.

    Lieber Wolfgang,


    wie unterschiedlich die Wahrnehmungen doch sind! :) Ich finde gerade diese Aufnahmen eine der gelungensten von Celi. Er gibt dem Stück die Dimension einer großen menschlichen Tragödie. Und ich finde das auch völlig stimmig. Durch die Langsamkeit steigert sich die dramatische Spannung zum Zerreißen und gerade am Schluß bekommen die Motive wirklich Bedeutung (der Tod!).

    Mrawinsky, da kannst Du sicher sein, hätte im Bereich von Swetlanow gelegen.
    Ich habe beide hochdramatischen zum Bersten hochspannenden Aufnahmen von Francesca da Rimini mit Mrawinsky. Hier ist er auch in angemessen vorwärsschreitendem Tempo mit 22:48 (Brillant-Box, 01-1972) und 24:08 (Warner-Box, 11-1981) sogar noch zügiger als Swetlanow unterwegs. Alle Drei sind der Wahnsinn

    Für mich ist Mrawinsky sonst "der" Tschaikowsky-Dirigent. :)


    Die Aufnahme mit Francesca da Rimini habe ich - die Original-CD von Erato (ist identisch mit dieser hier):



    Aber Du hast Recht -> Es ist schade, dass es Mrawinsky mit Romeo und Julia nicht gibt ... dafür aber die Romeo und Julia - Suite von Prokofieff.

    Die habe ich auch! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • ich habe mir Celi (in Ausschnitten - ganz hätte ich es nicht durchgehalten) angehört und fand es fürchterlich, weil er das Stück und damit auch die Spannung einfach auseinanderfallen lässt


    Das würde ich so nicht gesagt haben. Ich empfinde das Gegenteil davon. So unterschiedlich kann also die Wahrnehmung von ein und der selben Musik sein, was ich im Grunde als Glück empfinde. :) Warum schätze ich den Celibidache so sehr? Weil er das Stück, zumindest in seiner sehr breit angelegten Einleitung fast französisch aufklingen lässt und damit eine Verbindung herstellt zu Berlioz, von dessen "Roméo et Juliette" das Werk Tchaikovskys Werk ja indirekt inspiriert gewesen ist. Das geht nur mit dieser Langsamkeit, die ich nichts als Gegenteil oder Verneinung von Spannung höre. Da stimme ich Joseph II. zu. So ist das ja auch bei Berlioz, dessen Opus auch der literarischen Vorlage wesentlich stärker verbunden ist. Bei Tchaikovsky könnte es auch Musik zu etwas anderem sein, zumindest nach meinem Eindruck. Mir gefällt es immer, wenn durch Interpretation eine zeitliche Verortung und gewisse Verbindungen zu Zeitgenommen deutlich gemacht werden. Celibidache bringt ja nicht nur einen Schuss Berlioz hinein in seine Deutung, er stellt auch Nähe zu Wagner her, wenn ich nicht ganz daneben liege, sogar zu dem viel späteren Vorspiel zum dritten "Parsifal"-Aufzug. Aber das ist vielleicht zu weit hergeholt. ;)


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Celibidache bringt ja nicht nur einen Schuss Berlioz hinein in seine Deutung, er stellt auch Nähe zu Wagner her, wenn ich nicht ganz daneben liege, sogar zu dem viel späteren Vorspiel zum dritten "Parsifal"-Aufzug. Aber das ist vielleicht zu weit hergeholt.


    Die Assoziation mit Wagner hatte ich auch und den Hinweis auf Berlioz finde ich wirklich erhellend! :) Ähnliches gelingt Celi im Zeitlupentempo bei "Nuages" von Debussy, wo man die revolutionären Kühnheiten der Harmonik so erst vernimmt, die sonst in gewohnt zügigerem Tempo im Erzeugen einer impressionistischen "Stimmung" untergehen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger und Josef,
    ich habe mir Celi (in Ausschnitten - ganz hätte ich es nicht durchgehalten) angehört und fand es fürchterlich, weil er das Stück und damit auch die Spannung einfach auseinanderfallen lässt.


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    Ja, so unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Ich habe mir die Aufnahme gestern abend auch noch mal herausgesucht und obwohl die von mit bisher empfohlenen (Muti, Barbirolli) auch auf der sehr flotten Seite sind, kann ich sagen, dass auch diese Aufnahme für mich "funktioniert". Ähnliches gilt auch für das vielgescholtene Finale in Bernsteins Aufnahme der 6. Symphonie oder Klemperers Mahler 7. Im ersten Moment denkt man, das geht doch gar nicht, aber es geht und eröffnet andere Perspektiven.

  • Nach etlichen Jahren habe ich mich kürzlich wieder verstärkt mit diesem tollen Werk beschäftigt. Ein paar herausragende Aufnahmen wurden im Verlaufe des Threads genannt. Was bisher noch gar nicht zur Sprache kam, ist die Tatsache, dass es eigentlich drei Fassungen von Tschaikowskis "Romeo und Julia" gibt.

    Die Urfassung datiert auf 1869. Im Jahr darauf gab es eine erste Überarbeitung (Zweitfassung 1870), zehn Jahre schließlich eine weitere. Diese Letztfassung von 1880 ist die heute üblicherweise gespielte und liegt dem Gros der Einspielungen zugrunde. In der gewaltigen Diskographie von tchaikovsky-research.net sind alle bekannten offiziellen Aufnahmen gelistet. Während es von der Zweitfassung bis zum heutigen Tage keine im Handel erhältliche Einspielung gibt (die BBC sendete 2007 eine eigene Produktion des BBC Scottish Symphony Orchestra unter Baldur Brönnimann, die jedoch nicht auf CD erschien), liegen von der Erstfassung zumindest folgende vier Einspielungen vor:


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    London Symphony Orchestra/Geoffrey Simon

    Aufnahme: All Saints Church, Tooting, London, I.1981

    Chandos


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    Philharmonia Orchestra/ Dalia Atlas

    Aufnahme: St. Barnabas Church, Mitcham, London, 7.-8.VII.1992

    IMP Classics


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    London Philharmonic Orchestra/Derek Gleeson

    Aufnahme: AIR Studios Lyndhurst Hall, Hampstead, London, 6.IV.1995

    Carlton Classics



    Russian National Orchestra/Vladimir Jurowski

    Aufnahme: DZZ Studio 5, Moskau, 25.-27.IX.2007

    Pentatone

    Ärgerlicherweise ist keine der Aufnahmen z. Zt. so einfach erhältlich. Die Unterschiede zur geläufigen Fassung sind teils frappierend.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II.


    Die Erstfassung der Fantasie Ouvertüre Romeo und Julia aus dem Jahr 1969 tönt wirklich wesentlich anders.

    Mit diesem You Tube Beitrag kann man sich davon überzeugen:


    London Philharmonic Orchestra/Derek Gleeson

    Aufnahme: AIR Studios Lyndhurst Hall, Hampstead, London, 6.IV.1995

    Carlton Classics


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • RE: Tschaikowsky - Romeo und Julia


    Etwa 4 Aufnahmen habe ich zur Verfügung (ohne nach zu sehen) auf dem Schirm, die mir liegen:

    Solti (Decca), Dorati (Decca), Swetlanow (Melodiya) und Bernstein (DG).


    Natürlich sind das alles die Letztfassungen. Aber Bernstein / New Yorker PH (DG) ist schon der Hammer. Was der für eine Energie in das Werk steckt, lässt alles Andere hinter sich. Der ist mit 22:40 auch erwas länger als die drei Anderen, aber welche Gefühlswelt kommt hier zum Ausdruck :angel: :hail:


    Ob mich da die Frühfassung in den von Josef genannten Einspielungen noch "flashen" kann, wage ich zu bezweifeln.

    Ich werde mir den YT-Datei von moderato später mal anhören.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang