Der Stoff aus dem die Opern sind (15) Wieso vergehen sich die Verunstalter primär an Wagner?

  • Immer wieder werden in den einzelnen Threads interessante Fragen gestellt - und es wird darauf auch geantwortet. Allerdings driften dann viele Threads ab, und ein interessierter Mitleser findet dan nicht das, was er eigentlich sucht - und meidet das Forum.
    Daher werde ich mir in Hinkunft erlauben eine alte Tradition des Forums wieder zu beleben - aus bestehenden Threads Fragen zu extrahieren - und neue Threads daraus zu kreieren...
    "Joseph II" hat folgende Frage in den Raum gestellt:
    "Wieso vergehen sich die Verunstalter primär an Wagner?"
    ich finde, daß dies -zumindest für mich - ganz offensichtlich ist, aber ich werde die Frage erst zu beantworten versuchen, wenn der Thread ins Laufen gekommen ist....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dann also noch einmal meine Antwort, auch wenn ich mir einen neutraleren Thread-Titel gewünscht hätte. Ich finde es schade, wenn der Titel schon eine bestimmte Haltung vorgibt, so dass man sich von vornherein zu einer Rechtfertigung gedrängt fühlt, wenn man diese Haltung nicht teilt.


    Dass die Stücke von Wagner so viele unterschiedliche Interpretationen und Deutungen in der szenischen Realisierung erfahren, liegt daran, dass sie so unglaublich reich und gehaltvoll sind. "La Boheme" und "Madama Butterfly" sind - mal ganz ehrlich - relativ seichte Liebes- und Leidens-Geschichten (das sage ich, obwohl ich Puccini liebe). Der "Ring" dagegen ist ein wahres Welttheater, in dem so ziemlich alles verhandelt wird. Natürlich bietet ein solches Werk ganz andere Spielräume für unterschiedliche Inszenierungen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Danke, lieber Alfred, für diesen gesonderten Thread. Ich hätte wohl auch eine etwas dezentere Formulierung im Titel verwendet. Andererseits: Wieso sollte man es denn schönreden, was auf den Bühnen in aller Welt abgeht? Wer sich als Regisseur bewusst und wider besseres Wissen von den sehr exakten und detaillierten Librettoangaben Wagners in einem solchen Ausmaße entfernt, der verunstaltet sein Werk. Punkt. Ich gehe mal davon aus, dass sich sogar ein Bieito damit beschäftigt hat, bevor er seine "tollen" Einfälle hatte. Aber lassen wir den Meister selbst zu Wort kommen:


    "Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Werke gibt: mir liegt einzig daran, dass man sie so gibt, wie ich's mir gedacht habe; wer das nicht will und kann, der soll's bleiben lassen." (Richard Wagner)


    Aber zum eigentlichen Thema:


    Ich glaube auch, dass es wohl daran liegt, dass Wagners Opern einfach die "besten" sind im Sinne von unsagbar tiefsinnig und hintergründig. Dies mag für die drei ganz frühen nicht so sehr gelten, dann sich stetig steigernd; spätestens ab dem "Tristan" wird man das mit Fug und Recht behaupten können.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dann also noch einmal meine Antwort, auch wenn ich mir einen neutraleren Thread-Titel gewünscht hätte. Ich finde es schade, wenn der Titel schon eine bestimmte Haltung vorgibt, so dass man sich von vornherein zu einer Rechtfertigung gedrängt fühlt, wenn man diese Haltung nicht teilt.


    Mit dem Titel habe ich gar kein Problem, lieber Bertarido. Du kannst ja etwas Entgegengesetztes thematisieren in einem eigen Thread.


    Ich bin nur nicht davon überzeugt, das Wagner explizit dieses Opfer ist. Und wenn? Er wird einfach überproportional zu viel gespielt. Über die Gründe ließe sich trefflich streiten. Niemanden fällt mehr so richtig etwas ein, scheint mir. An der Berliner Staatsoper gibt es gefühlt nur noch Wagner. Da jagt ein "Ring" den anderen. Es gibt kein richtiges Repertoire mehr. Als würde das Haus austrocknen. Auf jeden Fall aber wird Wagner zu oft unter Umständen gespielt, in denen die Voraussetzungen fehlen. Da ist Murks programmiert. Und das ist nicht neu. Mich wundert da nichts mehr. Theater, die von Wagner besser die Finger lassen sollten, retten sich gern in spektakuläre Inszenierungen, die stimmliche und musikalische Defizite aber nicht kaschieren. Schließlich will die Provinz doch auch in die überregionalen Feuilletons. Die reisen auch an, die Kritiken sind löblich. Und am Ende bleiben die Häuser auf ihren viel Geld verschlingenden Inszenierungen sitzen. So war es mit dem "Ring" in Meiningen, in Weimar und wer weiß wo noch. Wagner scheint mir totinszeniert worden zu sein. Er ist ausgesaugt und ausgepresst. Eine gewisse Abstinenz täte ihm gut. Weniger Wagner, dafür mehr Meyerbeer, Gluck, Russen, osteuropäische Meister und wie sie alle heißen. Ich bin Wagner seit meiner Jugend sehr nahe, aber ich kann ihn nicht mehr gut aushalten in diesen vielen langweiligen Aufführungen. Ich höre seine Musik fast nur noch in Tondokumenten.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Joseph,


    leider hat das Verunstaltungstheater alle Bereiche der Oper erfasst, egal ob sie tiefsinnig und hintergründig sind oder nicht. Im Gegenteil: Was nicht so tiefsinnig ist, muss mit Gewalt "tiefsinnig" gemacht werden, weil es sonst in den erhabenen Tempeln der Kunst keine Daseinsberechtigung hat. Wenn die Werke aber schon tiefsinnig und hintergründig sind, muss man sie anscheinend gewaltsam verfremden, weil sonst das dumme Publikum den tieferen Sinn nicht erkennt. Oder man findet Tiefenschichten, an die Komponist und Librettist nicht im (Alb)traum gedacht haben. Im Regisseurs-Chinesisch heißt das dann "Subtext".


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Mit dem Titel habe ich gar kein Problem, lieber Bertarido. Du kannst ja etwas Entgegengesetztes thematisieren in einem eigen Thread.


    Ich bin nur nicht davon überzeugt, das Wagner explizit dieses Opfer ist. Und wenn? Er wird einfach überproportional zu viel gespielt. Über die Gründe ließe sich trefflich streiten. Niemanden fällt mehr so richtig etwas ein, scheint mir. An der Berliner Staatsoper gibt es gefühlt nur noch Wagner. Da jagt ein "Ring" den anderen. Es gibt kein richtiges Repertoire mehr. Als würde das Haus austrocknen. Auf jeden Fall aber wird Wagner zu oft unter Umständen gespielt, in denen die Voraussetzungen fehlen. Da ist Murks programmiert. Und das ist nicht neu. Mich wundert da nichts mehr. Theater, die von Wagner besser die Finger lassen sollten, retten sich gern in spektakuläre Inszenierungen, die stimmliche und musikalische Defizite aber nicht kaschieren. Schließlich will die Provinz doch auch in die überregionalen Feuilletons. Die reisen auch an, die Kritiken sind löblich. Und am Ende bleiben die Häuser auf ihren viel Geld verschlingenden Inszenierungen sitzen. So war es mit dem "Ring" in Meiningen, in Weimar und wer weiß wo noch. Wagner scheint mir totinszeniert worden zu sein. Er ist ausgesaugt und ausgepresst. Eine gewisse Abstinenz täte ihm gut. Weniger Wagner, dafür mehr Meyerbeer, Gluck, Russen, osteuropäische Meister und wie sie alle heißen. Ich bin Wagner seit meiner Jugend sehr nahe, aber ich kann ihn nicht mehr gut aushalten in diesen vielen langweiligen Aufführungen. Ich höre seine Musik fast nur noch in Tondokumenten.


    Gruß Rheingold

    Ich stimme der Einschätzung zu, dass Wagner zu viel gespielt wird, aber wird er mehr gespielt als Verdi, Puccini, Strauss, Mozart? Ich glaube nicht. Ich würde mir jedenfalls wie Du wünschen - egal ob RT oder nicht -, dass der Spielplan unserer Opernhäuser stärker diversifiziert ist.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • "La Boheme" und "Madama Butterfly" sind - mal ganz ehrlich - relativ seichte Liebes- und Leidens-Geschichten

    Sorry, aber das ist - mal ganz ehrlich - ganz großer Blödsinn! Wer sich mit diesen beiden Opern seriös beschäftigt, kann den sozialkritischen Sprengstoff dieser beiden Opern gar nicht übersehen!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • "Wieso vergehen sich die Verunstalter primär an Wagner?"


    Obwohl ich selbst gerne aufmerksamkeitsweckende Titel mit Appellcharakter formuliere, habe ich mit der so gestellten Frage auch Probleme. Trotz des Fragezeichens unterstellt und suggeriert die Aussage eine bestimmte Einstellung und Haltung und erschwert dadurch eine wertfreie, neutrale Diskussion auf der Sachebende. Aber offensichtlich schnappen wir bei dem aus Wien raffiniert ausgelegten Köder wieder einmal zu und spielen mit.
    In der Sache ist vieles schon gesagt: Die Wagner-Werke mit ihrer Tiefsinnigkeit, ihrer Ideologie und den zahllosen gesellschaftskritischen, religiösen und politischen Metaphern regen wie kaum andere Opern zur Vieldeutigkeit an. Obwohl ich mich über 50 Jahre mit Wagner beschäftige erhalte ich ständig neue Denkanstöße und erweiternde Erkenntnisse, oft gerade in den Inszenierungen, die wir hier diskutieren und die zunächst provozieren. In diesem Dilemma steht auch jeder Regisseur, der Wagner inszeniert. Dazu kommt, dass geradezu ein Zwang zur Neudeutung besteht, weil bestimmte meinungsbildende Kreise sonst sofort Langweiligkeit und Einfallslosigkeit und mangelnde Kreativität konstatieren.
    Wagner wird also immer herausfordern und provozieren. Entscheidend ist, dass bestimmte Grenzen der Ästhetik und Zumutbarkeit nicht überschritten werden und nicht gegen das Werk, seinen gewollten Charakter inszeniert und der Handlungsablauf nicht mutwillig oder dümmlich grob verändert und gestört wird.
    Es lebe die Provokation, die Vieldeutigkeit und die Herausforderung im Musiktheater , denn dadurch bleiben Wagners Werke geheimnisvoll, spannend und lebendig!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Dazu kommt, dass geradezu ein Zwang zur Neudeutung besteht, weil bestimmte meinungsbildende Kreise sonst sofort Langweiligkeit und Einfallslosigkeit und mangelnde Kreativität konstatieren.

    Ich behaupte ja schon lange, dass die meisten "modernen" Regisseure nicht überlegen "Wie setze ich das Werk am besten um", sondern "was hatten wir noch nicht?" Gründe: s. oben.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Jedes noch so kleine Opernhaus meint Wagner aufführen zu müssen und wenn man dazu nicht die Sänger hat, dann muss man eben durch die Regie auf sich aufmerksam machen. Und ich denke mal das viele Regisseure davon ausgehen das die meisten Opernbesucher gar nicht den genauen Inhalt einer Wagner Oper kennen. Mein Bekannter , der ebenfalls Regissuer ist, aber noch keine Wagner Oper inszeniert hat, hat mir mal erzählt das viele seiner Kollegen Angst haben, ebenfalls in die rechte Ecke gedrängt zu werden, wie Wagner, wenn sie die Opern so inszenieren wie sie eigentlich sein sollten. Und um ja nicht dieser Gefahr ausgesetzt zu werden , werden halt so viele Opern verunstaltet. Ganz schlimm finde ich solche Regisseure wie Herrn Kosky ( obwohl er auch einige gute Inszenierungen gemacht hat ) der offen bekennt mit Wagner nichts anfangen zu können, aber trotzdem Wagner Opern inszeniert. Dann sollte man auch die Finger davon lassen.

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