Es muß nicht immer ein Meisterwerk sein.......

  • Es muß nicht immer ein "Meisterwerk" sein, welches Vergnügen bereitet........
    Aber HALT !! - Darf "klassische Musik" überhaupt "Vernügen" bereiten ??? Ist das nicht die Domäne des Schlagers und der volksdümmlichen Musik ?
    Nicht "hintergründiges" Vergnügen - indem man schon beim Lesen der Partitur in helles Entzücken gerät und man die Musik erst gar nicht zu hören braucht und an Hand des Notenbildes die Komplexität, Originalität, das Meisterhafte, Revolutionäre schon im voraus erkennt - sondern oberflächliche Freude an Ohrwurmthemen, einschmeichelnden, weil simplel gestrickten , volkstümlich anmutenden Melodien, bzw wirksam eingesetzten Terzen en masse. Musik von Komponisten, die den jeweiligen Zeitgeist bedienten und sich dem jeweiligen Publikumsgeschmack anpassten, die sich nicht als "Erneuerer um jeden Preis" sondern als Diener ihres jeweiligen Dienstherrn bzw Auftraggebers sahen. Epigonen, die sich der bewährten Tonsprache anderer Kollegen bedienten - und die - trotz Rücksicht auf den zeitgeistigen Publikumsgeschmack DENNOCH Eigenständiges schufen....
    Oft werden solche Komponisten (zu Unrecht-wie ich meine) "Kleinmeister" genannt - aber das sind sie nicht - sie schreiben durchaus "Meisterwerke" Meisterwerke müssen handwerklich perfekt sein und die Hauptaufgabe erfüllen -. sie müssen indes nicht "aussergewöhnlich" sein. Aber was "außergewöhnlich ist - und was nicht - darüber kann ja wohl nur selten absolute Einigkeit erzielt werden. Es gibt Divergenzen zwischen den Generationen, den Zeitaltern, den Publikumsschichten, den verschiedenen Weltanschauungen. Was also zeichnet ein "außergewöhnliches Werk " aus ?
    Früher hat man sich mehrheitlich an der Beliebtheit eines Werkes orientiert. Spätestens seit Einführung des Schlager ist dieses Kriterium ein zweischneidiges Schwert - oft wird mit Beliebtheit ein "niedriges Niveau" verstanden. Was soll man dann als "wertvolle Musik" sehen ? Sperrige Werke ???


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    ich denke in diesem Zusammenhang z.B. an Nikolaus von Reznicek (1860-1945), desen Werke nur noch gelegentlich zu hören sind, von dem es nur wenige Aufnahmen gibt, der aber, mit großer Begabung ausgestattet, im Stile der Spätromantik komponiert hat; wenn man z.B. seine Sinfonien d-Moll oder B-Dur hört, wundert man sich über seinen vergleichsweise geringen Bekannntheitsgrad. Bekannt ist ja wirklich nur der "Tanz der Stunden" aus der Oper Donna Diana, ein Evergreen der Kurkonzerte und "klassischen" Schalplatten mit "leichter Musik". Zumindest diese Oper war früher so angesehen, daß sie sogar von Mottl und Mahler dirigiert wurde.
    Wer noch mehr über Reznicek erfahren will, kann im MGG Band 13 des Personenteils nachschlagen, wo sich auch ein Werkkatalog befindet.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Lieber Joachim,


    irrst du dich da nicht ein wenig? Von Reznicek ist wohl am meisten seine Ouvertüre zu "Donna Diana" bekannt, und ich muss gestehen, dass ich auch von Reznicek sonst (noch) nichts kenne.
    Einen "Tanz der Stunden" kenne ich nur aus der Oper "La Gioconda" von Amilcare Ponchielli, und der ist allerdings auch sehr populär. Oder gibt es einen solchen auch in der Oper "Donna Diana"? Den habe ich noch nicht gehört, aber er würde mich sehr interessieren, weil ich immer wieder gerne Neues kennen lerne.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo Gerhard,


    Du hast natürlich recht; ich meinte die Ouvertüre! Bei JCP gibt es immerhin acht CDs mit Werken von Reznicek, die zum Teil sogar verbilligt abverkauft werden (!). Sein Werkverzeichnis, das im MGG aufgeführt wird, ist gar nicht klein.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Hallo,


    eim weiterer Fall eines heute nahezu vergessenen Komponisten, der zu Lebzeiten sehr angesehen war, ist August Bungert (1845-1915).
    In Leutesdorf am Rhein, wo er zuletzt lebte, gibt es eine August-Bungert-Strasse dort, wo sein Haus heute noch steht. Er wirkte u.A. im Umfeld der Fürsten zu Wied, war insbesondere gut bekannt mit Königin Elisabeth von Rumänien (Dichtername Carmen Sylva), die ja aus dem Hause Wied stammte. Er vertonte viele ihrer Gedichte. Als Antipode Wagners, als der er wohl zu Lebzeiten angesehen wurde, komponierte er einen Homer-Zyklus in der Nachfolge des Rings (!).
    Ich wurde auf ihn auch erst aufmerksam, als mir einmal eine Erstausgabe von Lilli Lehmanns Memoiren ("mein Weg",Hirzel- Verlag Leipzig) geschenkt wurde, die aus dem Besitz von August Bungert stammte und zudem eine Widmung der Autorin an Bungert als Autograph enthielt sowie ein Dankschreiben von diesem an Lilli Lehmann.
    Ich habe noch niemals eine einzige Note von Bungert gehört, mit Ausnahme einiger Youtube-Schnipsel (was ich an sich verabscheue), weder bei JPC noch bei Amazon sind Aufnahmen von ihm erhältlich. Hört man sich diese Schnipsel an, ist man von Bungerts Kompositionskunst durchaus angetan!


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

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  • An sich meinte ich, als ich diesen Thread eröffnete, auch Werke von zwar RELATIV unbekannten, aber dennoch zumindest auf CD dokumentierten Komponisten, Also Cannabich, Pleyel, Kozeluh, Pleyel, Ries, Eberl, Vanhal und Vranicky. Damit wir nicht im 18. Jahrhundert hängenbleiben erwähne ich auch noch die unbekannten englischen und vor allem nordischen Komponisten. Letztere haben im Forum ja seit neum einige Anhänger gefunden. Aber generell muß gesagt werden, dass diese Komponisten eher negiert werden. Einerseits gibt es zahlreiche Ausgrabungen - andrerseits werden sie von der schweigenden Mehrheit der Klassikhörer ungehört ignoriert. (frei nach:"Warum soll ich Gernsheim oder Herzogenberg hören - wo ich doch Brahms haben kann?" - oder "es ist Zeitverschwendung Kozeluch zu hören") Ich muß sagen. es gibt schlechteres (das dann eigenartigerweise gehört wird)
    Im Gegenzug dazu werden immer wieder nahezu unanhörbare Werke als "Meisterwerk" angeboten.
    Daraus ergibt sich die Frage, ob ein "Meisterwerk" angenehm zu hören sein muss - bzw ob es das überhaupt darf....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gerhard nannte gestern die Ouvertüre Donna Diana von Resnicek.
    Ein Stück das ich immer mal ganz hören wollte. Im TV hatte ich höchstens mal einen Ausschnitt gehört und das Thema bekannt aus der U-Sendung "Erkennen Sie die Melodie" aus den TV-Anfangstagen.


    Hier ein schönes YouToube Video vom HR Rundfunk von 2012. Da kann man sich an dem "Nichtmeisterwerk" erfreuen:
    Der chin.Dirigent DeYe Lin des 6.internationalen Dirigentenwettbewerbes dirigiert das Stück in ~4:10.



    :!::thumbup: Eine weiteres Video hat mich aber wegen der höheren Ausdruckskraft noch mehr überzeugt; hier werden die Ausführenden nicht genannt:
    Ich habs jetzt nicht überprüft; denn das Tempo ist nicht auffallend langsamer, aber die Spielzeit beträgt ~6:00.


    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    Donna Diana wurde von Mahler am 9.12. 1898 in der Hofoper aufgeführt. Es gibt eine Korrspondenz mit Reznicek im Umfeld dieser Wiener Erstaufführung (Briefe vom 7.8., ?Sept.,?Oktober, 16.11. 1898, die zeigt, mit welcher Akribie und offensichtlichem Enthusiasmus Mahler dieses Werk einstudiert hat. Reznicek hat auf Mahlers Wunsch sogar einige Zeilen des Librettos nachkomponiert (Schlußszene); die entsprechende Originalpartitur befindet sich in der österreichischen Nationalbibliothek.
    Es fällt daher schwer zu verstehen, warum ein solches Werk heutzutage kaum noch eine Chance im Opernbetrieb zu haben scheint.


    Quelle: "Verehrter Herr College", Zsolnay-Verlag, ISBN 978-3-552-05499-8


    Mit freundlichen Grüßen


    Joachim Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Im Opernbetrieb addieren sich m.E. sowohl die Wünsche des traditionellen Publikums (das immer dieselben Reißer möglichst unverändert sehen möchte) mit denen des sog. Regietheaters (das dieselben Reißer ungewöhnlich inszeniert, wenn man das bei einem Stück macht, das kaum jemand kennt, wirkt das nicht so stark) dahingehend, dass das Repertoire relativ eng umrissen bleibt.
    Gerade Opern der Spätromantik und frühen Moderne, die seinerzeit sehr erfolgreich waren (Schreker, Korngold) und/oder sich teils bis in 60er recht wacker im Repertoire gehalten haben (Pfitzner, d'Albert) sind seither teilweise hinten runtergefallen bzw. Repertoire-Außenseiter geblieben. Aufwand und Risiko sind immens, kleinere Häuser können das, allein aufgrund der typischen Orchesterstärke für solche Stücke, wohl erst gar nicht wagen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • "Warum soll ich Gernsheim oder Herzogenberg hören - wo ich doch Brahms haben kann?"

    Eine ganz entscheidende Frage ist natürlich, wieviel Musik höre ich denn insgesamt aufmerksam. Und da ist es sicher so, dass jemand der pro Woche im Schnitt 1-3 Stunden Musik intensiv hört, vermutlich mit den etablierten Komponisten weitgehend auskommt. Jemand der 5x im Jahr eine Oper (zu Hause oder im Theater) goutiert, braucht ja praktisch ein ganzes Leben, um die bedeutenden Opern mehr oder weniger gut kennenzulernen.


    Die Situation der meisten Forenmitglieder ist natürlich eine ganz andere, sie hören 1-3 Stunden Musik täglich, teils offensichtlich auch noch deutlich mehr. Da stellt sich die Situation natürlich völlig anders dar. Ich kann - ehrlich gesagt - die Brahms Symphonien kaum noch hören und mit denen meisten von Beethoven geht es mir ähnlich. Da setze ich inzwischen bewußt lange Zeiträume des Nichthörens ein, um danach noch einmal Freude an diesen Werken zu haben. Und somit wächst natürlich das Interesse auch die weniger bekannten, die kleineren "Meisterwerke" kennenzulernen. Mal abgesehen davon, dass ich mit dem "Meisterwerk" Begriff sowieso Probleme habe, ähnlich wie mit der "Referenzaufnahme".

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  • Hallo,


    man könnte solche Opern doch zumindest in konzertanter Form aufführen. Und warum raffen sich die öffentlich-rechtlichen Radiosender, sofern sie sich noch der klassischen Musik verpflichtet fühlen (!), nicht in verstärktem Maße auf, Werke von Korngold, Reznicek, Herzogenberg u.a. durch ihre Sinfonieorchester produzieren zu lassen und zu senden bzw. in der Konzertreihen dieser Orchester auch öffentlich aufzuführen? Dies gibt es natürlich teilweise schon, aber hier wäre es m.E. auch an der Zeit, das Repertoire in stärkerem Ausmaß durch solche "Neuentdeckungen" zu erweitern, wobei ich natürlich gerne zugebe, daß manche Werke wohl zurecht in Vergessenheit geraten sind, andere aber dieses Schicksal nicht und daher eine zweite Chance verdient hätten.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Aufwand und Risiko sind immens, kleinere Häuser können das, allein aufgrund der typischen Orchesterstärke für solche Stücke, wohl erst gar nicht wagen.

    Aber wenn ich mir die Diskographie z.B. der Schreker-Opern anschaue, haben doch gerade die kleineren Bühnen diese Werke an Tageslicht befördert. Mir scheint eher, dass die großen Häuser hier keine Wagnisse eingehen.