Sterben die Klassikhörer aus?

  • Eigentlich wieder mal ein sehr plakativer Titel. Irgendwie hielt ich das Thema schon für abgehakt. Aber eine Dissertation über dieses Thema, welche teilweise im Internet veröffentlicht wurde, ließ mein Interesse an diesem Thema erneut erwachen.
    Vor allen gibt es hier die verschiedensten Betrachtungsweisen und Erklärungsversuche, warum denn das so ist, bzw. daß es eigentlich gar nicht so ist. Dann kommen die Ratschläge wie man den angeblichen Rückgang der Klassikhörer effizient stoppen könnte. Viele dieser Ratschläge sind so geschaffen, daß wir am eine jede Menge an Hörern dazubekämen - dass das was sie in letzter Konsequenz hörten - aber mit dem Begriff "Klassische Musik" (im weitesten Sinn) überhaupt nichts mehr zu tun hat.
    Last - but not least - kann man sich die Frage stellen WARUM wir so darauf bedacht sind, daß unser Interessengebiet auch der Nachwelt erhalten bleibt - wenn sie doch partout andere Prioritäten hat.
    Heute muß alles für alle erschwinglich sein - auch vom Dümmsten der Dummen leicht verstanden werden - und ohne Hintergrundwissen konsumiert werden können. Da erscheinen Klassikhörer geradezu suspekt und nicht ins Konzept passend.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    daß die klassische Musik, ebenso wie alle anderen künstlerischen Leistungen einen Wert für sich darstellt, kann man m.E. als Axiom betrachten.
    Eine ganz andere Frage ist natürlich, welche Personenkreise die Kunst und also auch die klassische Musik als notwendigen Bestandteil der persönlichen intellekuellen und charakterlichen Entwicklung betrachten, also quasi als unbedingt notwendigen Bestandteil eines im weitesten Sinne geglückten Lebens.
    Hier wird man ganz schnell beim Begriff der Eliten landen, über den im Forum ja schon oft diskutiert wurde. Dabei muß man sich nach meiner Erfahrung von der Vorstellung verabschieden, Geschmack und Kunstsinn wäre notwendig an eine bestimmte schulische und/oder universitäre Ausbildung bzw. eine Berufstätigkeit im "gehobenen" Bereich gebunden. Dies alles kann natürlich den Zugang zur Kunst und damit zur klassischen Musik erleichtern, aber ich beobachte z.B. im Kollegenkreis immer mehr - vor allem jüngere! - Zeitgenossen, die völlig ungebildet und an kulturellen Dingen desinteressiert sind, obwohl ihnen theoretisch alle Möglichkeiten der Kulturteilhabe offenstünden.
    Zur klassischen Musik gehört auch eine Offenheit für andere Kunstformen, zumal ja gerade die Oper ein Musterbeispiel für das Zusammenwirken verschiedener Kunstgattungen darstellt. Gerade im Tamino-Forum finde ich es sehr gut, daß es hier - neben der klassischen Musik - auch andere diesbezügliche Threads gibt; eigentlich sollte sich das Forum in Tamino-Kulturforum unbenennen.
    Und wenn diese Betrachtungsweise elitär sein sollte: dann bitte! Ich denke, daß man auf seinem Weg nicht jeden mitnehmen soll oder will, dies kann politisch als notwendig betrachtet werden (die Folgen dieser Denkweise sehen wir immer, wenn wir die Zeitung aufschlagen), aber in der Kultur möchte ich die "Dümmsten der Dummen" nicht auch noch erleben müssen.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Zunächst eine Gegenfrage: Gibt es aktuelle Statistiken, die ein "Aussterben" belegen?

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Klassikhörer sterben nicht aus. Sie werden nur älter.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Wir hatten das neulich erst in einem anderen Thread. Es gibt keine wirklich zuverlässigen Statistiken. Die unzuverlässigen deuten in der Tat auf eine "Überalterung" (weit über der Alterung der Bevölkerung überhaupt) und ein drohendes "Wegbrechen" jüngerer Interessenten. Nur sind die halt unzuverlässig :D


    Es gibt übrigens eine ganze Reihe anderer Interessengebiete, die ähnlich (oder weit deutlicher) "überaltert" sind als klassische Musik. Z.B. Modelleisenbahnen, vermutlich allg. Modellbau und nach einem Foto, das ich neulich in der Lokalzeitung gesehen habe, Amateurfunk.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hier wird man ganz schnell beim Begriff der Eliten landen, über den im Forum ja schon oft diskutiert wurde.


    Lieber Joachim,


    Gegen die "sogenannten Eliten" in der Kunst und deren Kunstverständnis ziehe ich hier zu Felde. Es sind mir zuviel Menschen bekannt, die sich in Theater, Konzert und Oper wiederfinden, aber keinerlei "Ahnung" von Kunst haben. Da gilt nur gesellschaftlich "sehen und gesehen werden"
    " Die wirklich Kunstsachverständigen findet man in der Regel im 4. Rang" (Zitat Rudolf Bing, Leiter der Metropoliten Opera in seinem Buch "5000 Abende in der Oper"


    Ich glaube der Sinn für Schönheit, die Empfindung Kunst in seine Seele aufzunehmen ist der Schlüssel!


    Liebe Grüße


    Bernard :hello:

    Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelbar, so tief wie die MUSIK,
    eben weil keine uns das wahre Wesen der Welt so tief und unmittelbar erkennen lässt



    Arthur Schopenhauer

  • Es gibt übrigens eine ganze Reihe anderer Interessengebiete, die ähnlich (oder weit deutlicher) "überaltert" sind als klassische Musik. .............. und nach einem Foto, das ich neulich in der Lokalzeitung gesehen habe, Amateurfunk.


    Stimmt genau, die Funkerei ist heute im Handy- Smartphone-Zeitalter absolut out.
    :thumbup: Mein alter Funkrufname teleton hat sich aber bis heute gehalten !



    :( Ich denke man braucht keine Statistiken um zu erkennen, dass es mit dem Interesse der Klassischen Musik bergab geht.
    Ich bin ja froh, wenn ich im TV (meist erst spät Abends und nicht zu den Hauptsendezeiten) Sendungen über Klassik und den musikalischen Nachwuchs sehe. Auch nur in ausgewählten Sendern wie ARTE, 3SAT ... bei den Anderen wird es immer seltener.


    Die CD-Läden und CD-Abteilungen sind entweder ganz verschwunden oder derart abgespeckt, dass man dort nichts neues mehr findet. SATURN, Mediamarkt, Pro(l l)Markt CD-Abt sind dort heute ein Trauerspiel, sodass man nur noch zu jpc und amazon greifen kann. Der Briefkasten ist dann fast nur noch meine CD-Quelle !


    Ich versuche wenigsten manchmal erfolgreich Interesse für klassischen Musik zu wecken.
    ;) Bei Leuten mit Sinn für gute Musik (und Hirn) klappt das auch. Erst kützlich wieder mit den Schumann-Sinfonien unter Paavo Järvi. ;):thumbup: Soetwas geht natürlich nicht übers Internet, sondern mit persönlichen Hörsitzungen !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Zunächst eine Gegenfrage: Gibt es aktuelle Statistiken, die ein "Aussterben" belegen?


    Danke für DIESE Frage - ich würde sagen NEIN.
    Natürlich kann man mit Statistiken vieles beweisen.
    Meine PERSÖNLICHE Beurteilung ist, daß es immer ein kleiner Kreis war, den die Klassische Musik interessiert hat.
    Daran hat sich nichts geändert und wird sich auch nichts ändern (und soll es auch nicht :stumm: )


    Wo liegt dann also das Problem ?
    Das Zauberwort heißt einfach MASSENVERMARKTUNG
    Wer hat noch nicht erlebt, daß gerade sein Lieblingsliqueur, seine Lieblingsseife, seine Lieblingsschokolade etc - wegen mangelnder Nachfrage - vom Markt genommen wurde. Ich erinnere mich dunkel einst (vor etwa 40 Jahren ) das Plattenlabel "Harmonia Mundi" (heute Deutsche Harmonia Mundi) von einem seiner Kurzzeit-Besitzer wieder abgestoßen wurde, weil der Jahresumsatz nur 38 Millionen Mark betrug - das war uninteressant.


    Genau das Problem ist heute zu bemerken. Anstatt, daß der Klassikkäufer das kauft, was ihm die Werbeindustrie - oft als Fachzeitschrift getarnt - empfiehlt. ist er oft zurückhaltend - kauft bei Kleinlabeln .-oder überhaupt nicht.


    Es gibt nämlich vermutlich noch einen weiteren Grund, warum der Klassikumsatz rückläufig ist.
    Ich selbst habe lange gebraucht, bis er sich mir offenbarte - speziell deshalb, weil ich hier ganz anders gestrickt bin.


    Während früher die Wiedergabe durch Radio und fernsehen von mehr oder weniger deutlichen Klangeinbussen gezeichnet war, so ist das heute nicht mehr der Fall. Etliche ehemalige Plattenkäufer begnügen sich einerseits damit - ihre alten Aufnahmen zu hören und andrerseits die Lücken durch das Hören und sehen von Radio- bzw Fernsehsendungen zu schliessen.


    Die Präsenz von Klassikverächtern in unserer Gesellschaft rührt vermutlich daher, dass heute Personen zur "Gesellschaft" gerechnet werden, bei denen das früher undenkbar gewesen wäre. Sie sitzen in Fernseh-Talkshows und geben Banalitäten von sich vor einem ausgewählten Publikum, welches die ideale Zielgruppe für solche Banalitäten ist. Die erweckt dann den Anschein, das Interesse an Kultur - und somit auch klassischer Musik sei gesunken. Mag sein, dass hier auch ein gewisser Verdrängungswettkampf durch andere Unterhaltungsmedien mitspielt - aber in der Hauptsache dürfte es doch so sein, daß man heute ein bestimmtes Zielpublikum im Visier hat, welches früher einfach nicht als beachtenswert eingestuft wurde. Diese Leute hat es immer gegeben, aber die Gesellschaft hat keine Notiz von ihnen genommen....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Zusammen,


    wie ich finde ein nachhaltiges Thema. (Gibt es die Dissertation auch nen Link?)


    Also ich glaube auch nicht:
    Wir haben hier vor Ort eine Musikschule die fast Wöchentlich "Jugendkonzerte (Jugend musiziert oder so ähnlich) veranstaltet. Klar wenn man es wissenschaftlich betrachtet muss man die Eltern und Großeltern und Presse von den Besucher abziehen. Jedoch sind auch weiter Besucher vor Ort. Auch gibt es hier die Veranstaltung http://www.weltklassik.de
    welche natürlich nicht von den oben genannten Personen besucht wird, sondern von reinen Musik - Klassikinteressierten. Ich denke diese Veranstaltungen sind nicht ohne Grund vorhanden auch diese werden eine Verhältnisrechnung machen.
    Die Konzertsäle großer Konzerte / Opern sind voll.


    Da ich jeden Tag mit Jugendlichen zu tun habe, kriege ich natürlich bei dem Thema Klassik eher einen großen Schreck. Aber ich denke wir sollten und das sollte die Dissertation auch tun, nach sozialen und Bildungspolitischen Aspekten untersuchen. Ich denke das ab der "Mittelschicht" das Thema Klassik (übrigens auch das Thema Politik) eigentilch vorgegeben wird. Das ein Jugendlicher im Alter von 20 natürlich dann auch mal "Metallica" hört ist doch ehr normal, dass haben wir doch - denk ich - alle gemacht.


    Wichtig ist auch wie man überhaupt Musik definiert. Denk ich denke das die Grundlage für die Klassik "handmade" Musik ist. Dieses ganze Computer erzeugtes Zeugs von den Top 100 spricht für sich. Wer sich von vornherein von "handmade" angesprochen fühlt, hat natürlich ein viel Größeres Risiko der Klassik zu verfallen. Auch ist die Tendenz zu "MTV - Unplugged" steigend.
    Ich denke auch wenn man ca. Ende 20 ist und die Zeit der Discogänge vorbei sind, das sich dann in vielen Bereichen der Musikgeschmack auch zwangsläufig anpasst (natürlich von den Medien vorgegeben). Ich weiss noch wie ich - 2009 - hier vor Ort an einem lokalen Kammerkonzert teilgenommen habe. Ich war da gerade 35 (also wohl eher nicht der Klassiker für Klassik). Ich wurde am Eingang gefragt was man denn für mich tun könnte? Ich sagte: Ich möchte gerne das Konzert hören und eine Karte. Antwort: Oh ja Herzlich Willkommen! (Auch von meinem Nachbarn wurde ich wohl nicht als Klassikinteressierter eingestuft. Wir kamen ins Gespräch und ich sagte das ich "ein Neuer" bin. Und wollte wissen welche Radiosender man denn so in der Szene höre. Mein Nachbar nannte mir diese und wünschte mir viel 'Erfolg.)


    Ich denke das auch bei vielen die Musik auch mehrgleisig läuft, das heisst man hört z.b. Ich: Eric Clapton und Co. und dann noch parallel Klassik. Auch denk ich das man nicht viele Leute findet die offen sagen das sie Klassik-Fans sind, dies hat leider immer noch ein Spießig / Langeweile Image.


    Ach ja sorry bin etwas abgedriftet aber lasse es jetzt alles stehen ;)


    Gruß
    Michael

  • Es gibt nämlich vermutlich noch einen weiteren Grund, warum der Klassikumsatz rückläufig ist.

    Einer der Gründe ist die Möglichkeit des kostenlosen Downloads von klassischer Musik.
    In den vergangenen 2 bis 3 Jahren sind sie wie Pilze aus dem Boden geschossen, die kostenlosen Downloadseiten, die hauptsächlich in Südamerika beheimatet sind.
    Es gibt fast nichts, was nicht als Download angeboten wird, nahezu jede CD oder Rundfunkmitschnitte aus Vergangenheit und Gegenwart.
    Meistens sogar im Flac-Format, also in CD-Qualität. Ganze CD-Boxen und CD-Serien.
    Während der CD-Sammler z.B. 60 CDs "The Romantic Piano Concertos" (Hyperion) für ca. 1200 Euro im Regal greifbar hat, begnügt sich der Downloader mit 16 GB (flac) derselben 60 Klavierkonzerte auf seiner Festplatte zum Nulltarif.
    Viele (oft jüngere) Musikhörer legen keinen Wert mehr auf CDs und bevorzugen Downloads.
    Und Downloads kann man nicht ansehen, aus welcher Quelle sie stammen.
    Kein Wunder also, wenn die CD-Verkäufe zurück gehen.
    Das lässt aber nicht darauf schließen, daß der Klassikhörer ausstirbt.

    mfG
    Michael

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  • Hallo, Bernard,


    ich glaube, Du unterliegst einem Mißverständnis.
    Mit dem Begriff "Elite" beschreibe ich selbstverständlich nicht Wichtigtuer, Angeber und "Adabeis", die -wenn auch nach meinem Eindruck in geringerem Maße als früher- unsere Konzertsäle und Opernhäuser (letzteres natürlich nur zur Premiere) verunzieren, inklusive des hierzu passenden politischen Personals, also insgesamt Leute, die ihre Eintrittskarten nicht bezahlen.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Sterben die Klassikhörer aus?


    Nein! So lange ich mich erinnern kann, trug das Gros des Publikums in der Oper und im Konzert Weiß oder Grau auf dem Haupt, wenn da überhaupt noch etwas war. Auch die reife Generation hat die Eigenschaft, nachzuwachsen und nicht abzustreben. Nur, weil es immer weniger Musikgeschäfte gibt und unsere subjektive Wahrnehmung ein anderes Bild suggeriert, ist doch das Ende der Klassik nicht gekommen. Die Gewohnheiten, Musik zu beziehen und auf sich wirken zu lassen, haben sich geändert. Mehr nicht. Was wir davon zur Kenntnis nehmen, stimmt mit unserer Erfahrung oft nicht mehr überein. Ich versuche, mich den verändertet Tatsachen zuzuwenden. Schneewittchen hat zu Recht auf die neuen Bezugsquellen verwiesen, die nicht einmal kostenlos sein müssen. Der Downloadumsatz hat sich grundsätzlich erhöht. Mir persönlich ist nicht mehr daran gelegen, die Regale erweitern zu müssen. Ein großer Teil meiner eigenen Bestände in inzwischen auf hoch aufgelöst Festplatten gelagert, und ich greife auf sehr unterschiedliche Weise darauf zurück. Sogar von unterwegs. Das ist für mich auch bequemer, als den Player zu bedienen. Ich höre viel mehr Musik. Das Klangbild hat mit der Zeit an Qualität gewonnen. Trotzdem kaufe ich auch noch CDs, die mir persönlich sehr wichtig sind und von denen ich mir etwas verspreche. Gehet hin und schauet: Nie war das Angebot an klassischer Musik größer als heute. Selbst die seltensten Werke stehen oft in mehreren Interpretationen zur Auswahl. Ob HIP oder nicht HIP. Die Mozart'sche Bearbeitung des "Messias" zum Beispiel ist aktuell in mindestens vier oder fünf Varianten zu haben. Es ist nicht lange her, dass es nicht eine einzige gab. Würde das nicht alles gekauft, es würde nicht produziert. Ob es denn auch gehört wird, ist ein Anderes. Ich lebe in Berlin, einer Stadt mit hohem Jugendanteil. Wir haben hier mindestens sechs große Orchester. Die Vorstellungen sind in der Regel sehr gut besucht, auch von jungen Leuten. Ich bin immer ganz hin, wenn bei Schostakowitsch, Mahler oder Janacek junge Leute so hingerissen sind, wie ich es immer wieder erlebe.


    Ich würde das Publikum niemals einteilen in solche Besucher, die Musik verinnerlichen und bis ins Detail würdigen können und solche, denen das nicht gegeben ist und auch mal nervös auf ihrem Stuhl herumrutschen. Warum sollen sich Menschen nicht einfach hübsch anziehen und sich eine Sinfonie von Beethoven anhören, von der sie zumindest wissen, dass es sie gibt? Da,da,da,da!


    Also ich bin sehr heiter und gelassen bei diesem Thema.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tja, sterben die Klassikhörer aus?
    Ein Kulturpessimist würde die Frage vermutlich mit einem überzeugten JA beantworten und dann käme man sofort zu den von Alfred bereits erwähnten Ratschlägen, wie man denn vorgehen müsse, um diesen Vorgang zu verhindern: diese bestehen meist aus einem heterogenen Bündel an Maßnahmen, nicht alle werden der klassischen Musik dienlich sein. Viele Hörer anzusprechen hat zwangsläufig einen Preis: man muß überlegen, ob man den zu zahlen bereit ist. Eine Verbreitung klassischer Musik als Selbstzweck kann die Lösung m. E. nicht sein. Was nicht heißt, daß man nicht Angebote abseits von Konzertsälen etc. machen sollte. Auch die Kinderkonzerte und Bearbeitungen von Opern für Kinder finde ich wunderbar. Einen Draht zur klassischen Musik kann man in dieser Zeit entwickeln. So lange solche Angebote existieren wird es immer eine vermutlich recht stabile Gruppe an Klassikhörern geben.
    Da ich bekennender Optimist bin denke ich also: obwohl jeder einzelne Klassikhörer einmal stirbt, stirbt der Typus des Klassikhörers nicht. Bei meinen regelmäßigen Besuchen von Gewandhaus und Oper bemerke ich z. B. in der Oper ein sehr junges Publikum, im Gewandhaus ist es tendenziell etwas älter. Aber es ist auch eine Frage, was geboten wird: bei Mahler ist der Altersdurchschnitt im Gewandhaus bisher immer geringer gewesen.
    Letztlich beruhen hier all meine Gedanken auf subjektiven Eindrücken, eine Statistik haben wir nicht, und das ist auch gut so.


    Zitat Rheingold1876

    Zitat

    Ich würde das Publikum niemals einteilen in solche Besucher, die Musik verinnerlichen und bis ins Detail würdigen können und solche, denen das nicht gegeben ist und auch mal nervös auf ihrem Stuhl herumrutschen. Warum sollen sich Menschen nicht einfach hübsch anziehen und sich eine Sinfonie von Beethoven anhören, von der sie zumindest wissen, dass es sie gibt?


    Lieber Rheingold, das ist eine sehr schöne Bemerkung zum Thema, vielen Dank.
    Natürlich ärgert man sich manchmal im Konzert, aber doch nicht wirklich über vermeintliches Unwissen, sondern über schlechtes Benehmen und dazu sind ziemlich viele Menschen fähig, ob sie nun etwas von klassischer Musik verstehen, oder nicht. Klassische Musik ist für alle, die sich - egal auf welcher Ebene der Reflektion - auf sie einlassen mögen. Und solange durch Erziehung oder gesellschaftliche Angebote erreicht werden kann, daß Menschen sich für verschiedenen Dinge interessieren, blicke ich positiv und vergnügt in die Zukunft.
    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Hallo,


    in Diskussionen wie der in diesem Thread kommt irgendwann der Einwand, die Probleme seien gar nicht so groß, in den Konzerten und der Oper nähme man immer mehr junge Leute wahr, der Umsatz der Schallplattenindustrie stagniere wegen der Downloads usw.


    Sehr gerne würde ich mich dem anschließen, wenn ich diese Äußerungen nicht eher als das berühmte Pfeifen im finsteren Wald empfinden würde.
    Für uns Musikfreunde und Klassikhörer ist die von Alfred angesprochene Problematik von großer Brisanz. Da die politischen Entscheidungträger sich immer mehr nach den Ratschlägen ihrer Berater richten, die wiederum auf die unterschiedlichste Weise versuchen herauszufinden, welche Themen "politisch besetzt" werden sollten, um Wähler anzulocken, klassische Musik aber für diese Zwecke als irrelevant eingestuft werden dürfte, sehe ich für die Zukunft schwarz im Hinblick auf die für einen ordentlichen Opern- und Konzertbetrieb notwendigen staatlichen Subventionen.
    Wir sind in unserem Sprachgebiet nun einmal die komfortable Situation der staatlichen Kulturförderung gewöhnt und sind sicher auch bereit, manch zweifelhafte bildhauerische Hervorbringung im öffentlichen Raum zu akzeptieren, wenn hierfür Konzerthäuser, Operntheater, Musikschulen etc. ebenfalls gefördert werden.
    Irgendwie muß der Politik die Relevanz unserer spezifischen Musikkultur klargemacht werden. Wie dies gelingen könnte, sollte man diskutieren; eine Patentlösung habe ich allerdings auch nicht.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Da die politischen Entscheidungträger sich immer mehr nach den Ratschlägen ihrer Berater richten, die wiederum auf die unterschiedlichste Weise versuchen herauszufinden, welche Themen "politisch besetzt" werden sollten, um Wähler anzulocken, klassische Musik aber für diese Zwecke als irrelevant eingestuft werden dürfte, sehe ich für die Zukunft schwarz im Hinblick auf die für einen ordentlichen Opern- und Konzertbetrieb notwendigen staatlichen Subventionen.


    Das verstehe ich nun überhaupt nicht, obwohl ich mir große Mühe gebe. ?( Mir ist kein Bundesland in Deutschland bekannt - und ich kann als Deutscher nur über Deutschland reden - wo nicht Konzerthäuser, Operntheater, Musikschulen mit großen Summen gefördert würden. Sie könnten sofort schließen, fände das nicht statt. In Berlin zum Beispiel wird jeder Platz in Opernhäusern und Konzerten nach neuesten statistischen Angaben mit bis zu 250 Euro, mindestens aber mit 186 Euro vom Steuerzahler bezuschusst, ob er nun besetzt ist oder nicht. Da kommt sehr viel Geld zusammen, das wir alle aufbringen. Ich habe hier keinen Grund, politische Entscheidungsträger in Schutz zu nehmen, aber die Tatsachen sprechen schon für sich. Etwas mehr Bürgersinn täte uns allen gut.



    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Hallo,


    dies ist ja gerade das Problem! Die immer noch erheblichen Kultursubventionen sind in Zeiten knapper Kassen eine geradezu herausfordende Manövriermasse, um Einsparungen vorzunehmen. Der Ist-Zustand sagt hier leider wenig aus. Glaubt wirklich jemand ernsthaft, "Bürgersinn" sei eine valide Münze im Politgeschäft, in dem es nur noch um Machterhalt geht?
    Es wird berichtet, daß bei der Konferenz von Jalta Josef Stalin darauf hingewiesen wurde, einen stärkeren sowjetischen Einfluss auf Polen würde der Papst nicht dulden. Darauf Stalin: "wieviele Divisionen hat der Papst?"
    Man kann hier ebenso im übertragenen Sinne fragen: wieviele Divisionen, sprich Einflussmöglichkeiten haben die Verfechter der klassischen Musik im Politbetrieb?


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Zitat von J.Schneider

    Irgendwie muß der Politik die Relevanz unserer spezifischen Musikkultur klargemacht werden. Wie dies gelingen könnte, sollte man diskutieren; eine Patentlösung habe ich allerdings auch nicht.

    Ich kann hier nur für die unmittelbare Umgebung sprechen: in Leipzig funktioniert es im Prinzip ganz gut, ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten hat Sparmöglichkeiten ergeben, aber die Stadt hat sich entschlossen, die Ausgaben nicht drastisch zu kürzen (etwas zum Leidwesen der anderen Institutionen, die auch auf Kulturförderung angewiesen sind). Ich fürchte solche Dinge sind unglaublich personenabhängig.



    Zitat

    Irgendwie muß der Politik die Relevanz unserer spezifischen Musikkultur klargemacht werden. Wie dies gelingen könnte, sollte man diskutieren; eine Patentlösung habe ich allerdings auch nicht.

    Ich fürchte, Patentrezepte können nicht existieren, weil die Situation je nach Stadt/ gemeinde unterschiedlich ist. Zentral ist, daß die jeweiligen Häuser in der dortigen Bürgerschaft so verankert sind, daß es eben doch Themen sind, die sich politisch besetzen lassen.



    Mit bestem Gruß
    JLang

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    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Das Ganze ist international verflochten.


    Wenn die Japaner und die Russen die Europäische Kultur hoch schätzen - was sie zweifellos tun - dann ist im Falle von Kürzungen bei Subventionen die Gefahr gegeben, dass diese Machtblöcke die Europäische Kultur unter ihren Einflußbereich bringen. Damit bekommt dieser Bereich einen völlig anderen Stellenwert lösgelöst vom tatsächlichen Interesse an der Institution. Ich möchte als politische Partei nicht in der Stituation sein, der österreichischen Bevölkerung erklären zu müssen, warum (als Fiktion) die Wiener Staatsoper unter ausländischem Einfluß steht. In Wien würden auch jene Leute auf die Barrikaden steigen, die dieses Opernhaus noch nie betreten haben.
    Im Tonträgerbereich könnte ich mir vorstellen, daß in mittlerer Zukunft die Verwertungsrechte entweder beim Künstler selbst oder einem Kleinlabel ohne teuren Verwaltungsapparat liegen, Klassikproduktion ohne Wertschöpfung fpr Großkonzerne.....


    Die Tendenz dazu schein bereits vorhanden....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • "Die Russen" haben schon im 20. Jhd. vermutlich mehr hochklassige klassische Musiker hervorgebracht als "der Westen". Warum die musikalisch nicht zur europäischen Kultur gehören sollen, ist wohl nur alten und neuen kalten Kriegern verständlich...

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  • Eintritte und Hotelrechnungen von Touristen sind aber "valide Münze" (und die verschmäht man, soweit ich sehe, auch nicht von Russen, Japanern und Chinesen). Allein diese dürften an Orten wie Wien, Salzburg, Dresden, vielleicht auch Leipzig und anderswo durchaus ein relevanter Faktor sein.

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  • Hallo,


    ich meinte den Begriff "valide Münze" metaphorisch. Politiker - besonders in den oberen Etagen - befinden sich in der Regel nicht mehr in der Realität sondern in einer Wirklichkeitssimulation. Hier ist Geld - entgegen landläufiger Meinung - nicht mehr besonders wichtig, sondern der Machterhalt in einem ständig um sich selbst kreisenden System.
    Wichtig ist hier vor allem, Ämter und Einfluss zu er- und behalten, was in einer Demokratie unbequemerweise nur über Wahlen möglich ist.
    Also wird die Politik nach dem mutmaßlichen Wählerwillen - gewürzt durch populistische Einlagen - ausgerichtet. Die Gefahr für die Kulturförderung sehe ich darin, daß die hierfür nötigen Mittel vor Ort - selbst bei gutem Willen der unmittelbar Verantwortlichen - nicht mehr zur Verfügung stehen, da die kommunalen Kassen per Bundesgesetzgebung durch völlig andere Forderungen beansprucht werden. Diese Situation sehen wir schon heute in vielen überschuldeten Städten und Gemeinden.
    Wenn tatsächlich einmal die Situation einträte, daß die kulturellen Flaggschiffe, die man derzeit noch aus Prestigegründen aufrecht erhält, unter den maßgeblichen Einfluß russischer oder asiatischer Geldgeber gerieten, so würde - worauf Alfred zutreffend hingewiesen hat - eine andere Situation gegeben sein und die Politik würde mit Sicherheit reagieren.
    Dies ist zumindest m.E. nach der Stand von heute. Wie sich dies in 20 oder 50 Jahren darstellen könnte, wenn der allg. Kulturverfall im gleichen Tempo wie bisher weitergeht, ist eine ganz andere Sache.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Ob die Klassikhörer aussterben vermag ich nicht zu sagen. Es mar auch in früheren Zeiten keine Mehrheit. Vor allem kann man die gesellschaftliche Schicht (nach früherer Definition), die in Konzerte und Theater ging, nicht unbedingt als Klassikhörer verhaften. Man ging eben dahin, weil es zum guten Ton gehörte, freute sich auf die Lachshäppchen in der Pause und das Essen nach der Aufführung. Diese Schicht, die etwas tut, was zum guten Ton gehört obwohl sie das eigentlich gar nicht will, scheint auszusterben. Vielleicht gottlob. Man trifft in Konzerten immer mehr auf wirklich Interessierte als auf präpotente Absonderungen einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Tatsächlich hatten wir noch nie so viel klassische Musik wie heute. Noch nie war das Angebot so breit gefächert. Und all diese Konzerte werden besucht. Und all die CD's werden gekauft. Wo also liegt das Problem? Das im persönlichen Umfeld niemand zu finden ist, mit dem man sich auf differenziertem Niveau über Klassik unterhalten kann? Das gab's auch früher nicht. Ebenso wenig wurde und wird ein Liebhaber von Literatur mal so eben nach einem Gesprächsgegenüber fündig. Klassikpräsenz in TV-Programmen? Sorry, zu meiner Kindheit gab's mal gerade zwei Sender, ein dritter kam dann hinzu. Die sendeten alle nicht rund um die Uhr. Heute haben wir hunderte von Sendern, einzelne komplett auf Kulturangebote ausgerichtet. Auch hier haben wir erheblich mehr als erheblich weniger als früher. Das eine große Mehrheit in der Freizeit den Weg des geringsten geistigen Widerstandes geht war schon zu allen Zeiten so. Auch dieses Angebot wird heute breiter bedient (früher las man halt Hedwig Curths-Mahler, später dann Simmel). Eigentlich, so meine Wahrnehmung, haben die Zeiten sich zum Guten geändert.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zunächst die banale Lebensweisheit: "Totgesagte leben länger". In den über 60 Jahren, die ich mich mit klassischer Musik und Oper beschäftige, wurde der Grabgesang auf die Klassik mal lauter mal leiser gesungen. Es gibt Tendenzen, die besonders im Bereich der staatlichen Kulturförderung auf Gefährung hinweisen. Genauso sind Entwicklungen feststellbar, dass der Konsum und die Beschäftigung mit klassischer Musik immer mehr zunimmt und in immer breitere Bevölkerungsschichten Einzug hält. Ich glaube, dass die Zahl der Jugendlichen, die Musikunterricht nehmen, noch nie so groß war wie heute. Auch die Besucher von Theatern und Konzerten werden nicht weniger, aber sie ändern sich. Die Zahl derjenigen, die sich durch Abonnements an Veranstalter binden, wird weniger, die Zahl der Spontanbesucher größer. Wahrscheinlich vollkommen zu recht werden Konzertveranstalter und Opernhäuser von den Zuschussgebern zunehmend auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Diejenigen, die durch Erziehungsversuche des Publikums oder falsche Programmgestaltung ein Haus leerspielen, bekommen die Quittung für ihr Fehlverhalten. Auf der anderen Seite merkt langsam jeder Provinzpolitiker, dass die sogenannten "weichen Standortfaktoren", die die Lebensqualität stark beeinflussen, für die Attraktivität einer Region eine entscheidende Rolle spielen und der Wettbewerb der Regionen hat erst begonnen und wird in Zukunft eine immer grössere Rolle spielen. Meines Erachtens wird klassische Musik als prägende Säule der abendländischen und zunehmend auch weltweiten Kultur niemals sterben. Was sich ändert ist die Art des Musikerlebens. Heute werden zunehmend Events erwartet. Klasssiche Musik als Open-Air- Veranstaltung oder an ungewöhnlichen Orten und in neuer Form der Darbietung. Cross-Over ist ein Trend. Bereits in dieser Diskussion erwähnt, Download schlägt Kauf. Ständige Verfügbarkeit und Abspielmöglichkeit auf mobilen Geräten wird zunehmen und, und, und. Die Veranstalter müssen, wenn sie sich im unter Marktgesichtspunkten verschärfenden Wettbewerb der Anbieter und gegen kokurrierende Unterhaltungsformen behaupten wollen, an die veränderten Erwartungen und Kosumgewohnheiten ihrer Zielgruppen und Verbraucher anpassen. Unter diesem Druck werden sich auch Operninszenierungen, die von einem großen Teil des Publikums abgelehnt werden verändern, hin zu Aufführungen, die von den Besuchern akzeptiert werden. Marketinggesichtspunkte, Publikumsbefragungen, Rankings bei Theatern und Orchestern, Besucherzahlen und Einspielergebnisse werden in immer stärkerem Maß das Angebot und die Spielpläne beeinflussen. Klassische Musik wird weiter leben und weiter blühen, allerdings in veränderten neuen Angeboten und Formen. Diese Anforderungen zu akzeptieren und die Herausforderungen zu meistern ist die Beschäftigungsgarantie für Kulturschaffende und die Überlebensstrategie dessen was uns eint: Die Liebe zur unsterbilchen klassischen Musik.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hallo, Operus,


    Du hast völlig recht mit der Feststellung, daß "weiche" Standortfaktoren im Wettbewerb der Städte und Regionen zunehmend Bedeutung erlangen, einfach um qualifizierte "white-collar"-Arbeitnehmer gewinnen zu können.
    Dabei konkurriert das Konzert- und Opern/Theater-Angebot mit Freizeitparks, Erlebnisbädern, Sportstätten, attraktiven Einkaufsmeilen; von Bedeutung ist das Angebot und Profil der Schulen, der ÖPNV usw..Wo ist bei dieser Aufzählung wohl die Kultur angesiedelt? Natürlich auf einem der hinteren Plätze!
    Es ist naheliegend, als ultima ratio Marketinginstrumente für die Kulturvermarktung einzusetzen, wie Du sie ja schon beispielhaft aufgezählt hast. Da der Mensch von sich aus in der Regel den Weg des geringsten Widerstandes wählt: was für eine Kultur, vor allem welche klassische Musik werden wir bei unkritischem Weitergehen auf diesem Weg wohl erhalten? Kultur hat nach meiner Meinung auch und vor allem einen erzieherischen Auftrag. Wenn "Events", Open-Air-Veranstaltungen und die Pest des "Cross-Over" um sich greifen, haben wir eine Situation wie in einem hypothetischen Gymnasium, wo man Mathematik, Physik, Latein, Deutsch, alle lebendigen Fremdsprachen, Geschichte und Sozialkunde abwählen und dennoch das Abitur mit voller Hochschulberechtigung erwerben kann.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Lieber Joachim,


    dabei wird es entscheidend darauf ankommen, wie Veranstaltungen publikumsgerecht konzipiert werden. Das ist doch bereits heute so, dass gewandte Programmmacher dem Publikum bekannte Zugstücke servieren und erst danach - möglichst nach der Pause, damit niemand gehen kann - kommen die anspruchsvollen, modernen Stücke mit erzieherischem Charakter, die die Hörer fordern und dann der Rausschmeisser am Schluss. Also in Deinem fiktiven Gymnasium ein Unterrichts- und Medienmix, der so gewählt ist, dass er ankommt und dennoch den Lehrstoff enhält, der zum anspruchsvollen Studium qualifiziert.


    Herzlichst
    Opers

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Zitat

    möglichst nach der Pause, damit niemand gehen kann - kommen die anspruchsvollen, modernen Stücke mit erzieherischem Charakter, die die Hörer fordern und dann der Rausschmeisser am Schluss.


    Ich sehe das völlig anders. Der Versuch dem Publikum Stücke aufzuwingen wurde schon in meiner Jugend in Wien gemacht: Man kombinierte Meisterwerke der Klassik mit spröden , für den Großteils des Publikums unanhörbaren und unerwünschten Stücken - in der Hoffnung, da Publikum wäre nun "wie oben beschrieben "gefangen" Das Publikum indes reagierte damals anders als erwünscht: Entweder es ging eben nach der Pause - oder es kaufte die Karten gar nicht erst.
    Als man in mein Jugendabo ein Konzert "Lutoslawski dirigiert Lutoslawski" hineinmogelte liess ich die Karten einfach verfallen und bemerkte sarkastisch: Es ist wie bei den Jugendherbergen: Alles was einem Normalpublikum als unbrauchbar erscheint schiebt man der ahnungslosen und anspruchslosen Jugend unter....
    Warum ein Werk, das offenbar ein großer Prozentsatz nicht freiwillig hören will mittels Kunstkniffen dem Publikum aufgezwungen wird - und was daran "erzieherisch" oder "anspruchsvoll" sein soll, das erschliesst sich mir nicht. Wenn man sich ärgern will, dann muß man nicht 100 oder mehr Euro für eine Eintrittskarte in den Sand setzen. Zahlendes Publikum will sich (meistens) unterhalten. Dazu sind Vivaldi, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und noch ein paar andere Komponiosten "anspruchsvoll" genug.
    Dem Publikum für sein Geld Ungeniessbares vorzusetzen - das ist EIN Defizit der Klassikszene unserer Zeit - und wird auf Dauer großen Schaden anrichten.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Klassikhörer als aussterbende Spezies? So leicht will ich das nicht von der Hand weisen. In den hier stattfindenden traditionellen Kirchenkonzerten zu Allerheiligen, Weihnachten und Ostern kann man meinem Eindruck nach immer weniger ein reines klassisches Programm anbieten. Man muss dann solche Schinken wie Time to say goodbye mit einer gebuchten Opernsängerin aus Oslo bringen, sonst sitzt man ggf. mit zu wenig Leuten im Konzert.
    Oder so ein Schmalz von L-Webber ( Agnus dei.....) sollte auch nie fehlen ......ich finde das alles furchtbar.


    Wenn ich im TV klassische Konzerte sehe, dann gibt es meinem Eindruck nach immer mehr Angebote, die zwar Klassik heissen, auch von der Masse als solche wahrgenommen werden, aber mit dem, was uns etwa ein Furtwängler oder Celibidache zu vermitteln versuchten, kaum noch etwas zu tun haben.
    Ich weiss nicht, ob es mit "Achtung Klassik" anfing, oder mit der Rothenberger bei Peter Alexander und all diesen Dingen und letztendlich ist das ja auch egal.


    Dennoch beobachte ich eine Tendenz, dass sich so eine Populärklassik als Klassik ausgibt, und den letzten Rest der immer noch vorhandenen klassischen Klassik langsam aber sicher unterwandern bis verdrängt. Wenn es um Verkaufszahlen geht, wird das wohl schon so sein.
    Ich staune manchmal nicht schlecht, wenn ich in meinem E-Mailpostkasten Werbemails der alterwürdigen DG finde und dann diese neuartigen Titel lese....Die Cover haben mit den Bildern eines gestrengen Herrn Böhm mit Brille auch nicht mehr viel gemein.
    "Da fehlt ja nur noch, dass diese "wunderbaren Perlen" auf so einem Shopping-Kanal bei Astra angeboten werden", dachte ich manchmal schon.
    Dennoch gibt es natürlich immer noch ein grosses Angebot - wohl grösser als je zuvor- an klassischen Tonträgern, die allerdings manchmal auch sehr schnell und unter Wert verramscht werden.


    Den 100%igen Nur-Klassik-Hörer, der alles andere als Katzenmusik abtut, den wird es in Zukunft wohl kaum noch geben, was vielleicht auch nicht zu bedauern ist. Mein Vater ist noch so einer.....ich jedoch bin von jeder Musik fasziniert, in der ich Qualitäten ausmachen kann. Der Grund, weshalb ich niemals der Klassik den Rücken kehren werde, ist nun einmal der, dass es in der Literatur sehr viele Werke mit hervorragender Qualität gibt, auf die man einfach nicht verzichten kann (abgesehen von den beruflichen Gründen).
    Aber ich finde auch, dass man als Musiker heute auch in der Lage sein müsste, Eigenes kreativ zu schreiben, zu arrangieren und zu improvisieren, was jedoch ein anderes Thema ist.


    Ich finde durchaus, dass man im TV oder auf Platten "ganz normale" gut gespielte Klassik den Leuten auch zu guter Sendezeit vorsetzen sollte. Auf diese Popularisierung würde ich gerne verzichten, wenn ich etwas zu sagen hätte.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich stimme Alfred Argumentation zu - aus eigenem Erleben mit Lutoslawskis "Livre pour Orchestre", einem Auftragswerk des Hagener Orchesters (?) in den Sechzigern. Nach der Premiere wurde es nie mehr gespielt, das Publikum goutierte es nicht.


    Ich stimme aber auch Glockenton zu, der schrieb:


    Zitat

    Den 100%igen Nur-Klassik-Hörer, der alles andere als Katzenmusik abtut, den wird es in Zukunft wohl kaum noch geben, was vielleicht auch nicht zu bedauern ist. Mein Vater ist noch so einer.....


    Ein Geistesverwandter, der mir sehr sympathisch ist...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Es gibt eigentlich nur EINEN beunruhigenden Hinweis auf das Aussterben der Klassikhörer - oder sagen wir besser: auf das ERWARTETE Aussterben der Klassikhörer - oder vielleicht sogar noch treffender formuliert: auf das FORCIERTE Aussterben der Klassikhörer - und das wären die vielen Abverkäufe und Sonderangebote. Das werden Jahrhundertaufnahmen in Boxen zu 20 30 oder 50 CDs gepackt und dann zum Dumpingpreis verschleudert. Was möchten diese Konzerne in Zukunft verkaufen, wenn sie schon heute den Markt zugemüllt haben? Die Antwort kann hier nur lauten: Keine Klassik-CDs.
    Es herrscht hier eine Art Torschlußpanik "Wir verkaufen KlassikCDs - solange sie sich noch verkaufen können"
    Es mag aber durchaus sein, daß der derzeitige Trend lediglich eine Umformung des Marktes bedeutet, daß die Großkonzerrne ihre Finger von der Klassik lassen, weil sie sich als Massenvermarktungsprodukt endgültig als untauglich erwiesen hat....
    Also Schliessung der Mega- und Supermärkte zugunsten der kleinen Feinkostläden und "Greissler" - Also kein Aussterben der Klassikhörer - sondern nur ein Rückzug auf die Kernkompetenzen. Den reinen Klassikhörer hat es wahrscheinlich nie gegeben - auch wenn ich mich selbst oft als solchen bezeichnet habe. Aber ich habe mich nie gestört gefühlt, wenn irgendwo ein Schlager im Radio lief, ich kannte die Beatles namentlich - und sogar 4 oder 5 Titel von ihnen - indes ich hätte in meiner Jugend nie etwas von ihnen gekauft.....
    Aber es gab auch Ausnahmen, wie beispielsweise Simon and Garfunkel und Joan Baez, wenngleich deren Weltbild bestimmt nicht das meine war.......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das werden Jahrhundertaufnahmen in Boxen zu 20 30 oder 50 CDs gepackt und dann zum Dumpingpreis verschleudert. Was möchten diese Konzerne in Zukunft verkaufen, wenn sie schon heute den Markt zugemüllt haben ?

    Ich glaube, die Konzerne gehen davon aus, das die nächste Generation keine physischen Tonträger mehr haben möchte, sondern nur noch Downloads oder Streaming. Meine Söhne kaufen jedenfalls keine CDs und auch keine DVDs mehr, sondern nutzen irgendwelche online Dienste.

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