Neuaufnahme Mozart - Opern - Zyklus: Mit Spannung erwartet ??

  • Sony plant Neuaufnahmen einiger Mozart Opern: "La Nozze di Figaro" ist vor kurzem erschienen, "Die Zauberflöte" und "Don Giovanni" sollen noch heuer folgen. So weit- so gut. Es ist ja erfreulich, dass abgesehen von Mitschnitten, Opern überhaupt noch aufgenommen werden.
    Was mich ein wenig irritiert ist die Art der Vermarktung. Bei der "Produktinformation" heisst es unter anderem:

    Zitat

    Der hochgelobte griechische Dirigent Teodor Currentzis und sein Ensemble Musica Aeterna mit einer spektakulären neuen Referenz-Aufnahme von Mozarts "Nozze di Figaro"

    Darf ich es wagen an dieser Stelle zu sagen, daß ich von diesem Mann noch nie etwas gehört habe ? :untertauch:
    (inzwischen habe ich ein wenig gegoogelt und durch Wikipedia erfahren:



    Zitat

    Teodor Currentzis, auch Teodor Kurentzis (griechisch Θεόδωρος Κουρεντζής; * 24. Februar 1972 in Athen), ist ein griechischer Dirigent, Musiker und Schauspieler.

    Zitat

    In den Jahren von 2004 bis 2010 war Currentzis Chefdirigent am Opern- und Ballettheater Nowosibirsk, dem größten Opernhaus in Sibirien. Dort gründete er das Musica Aeterna Ensemble und den Neuen Sibirischen Sänger-Kammerchor und wurde für seine Arbeit dort mehrfach ausgezeichnet.

    OK - Ich hätte ihn wahrscheinlich kennen sollen (???)
    Aber insbesondere der letzte Satz der PR Mitteilung hat mir klar gemacht, daß meine Kenntnis der Klassikszene einer Nachschulung bedarf (ob das in meinem Alter überhaupt noch möglich ist ????)



    Zitat

    Selten wurde eine Veröffentlichung so sehr mit Spannung erwartet wie diese Neueinspielung

    Tja - auch das habe ich - bis jetzt -nicht gewusst. :untertauch:
    Vermutlich ist es nicht bis zu mir vorgedrungen.......?
    Es sind dies die Momente, wo man bemerkt, daß man die Hand nicht mehr am Puls der Zeit hat - wo einem das eigene Alter schmerzlich bewusst wird.... :hahahaha:


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    ich habe es an verschiedenen Stellen des Forums immer schon einmal angesprochen: Im Wesentlichen werden hier nur ältere Aufnahmen bzw. Neuaufnahmen von "alten Hasen" der Musikszene besprochen, will sagen: Furtwängler, Böhm, Karajan, Solti, Szell, Barbirolli, Klemperer, Wand, Mackerras, Haitink, Maazel, Brüggen, Harnoncourt, Dohnanyi usw. und von den Jetzt-Dirigenten großer namhafter Orchester.


    Natürlich ist es schwierig, immer alles im Blick zu haben, gearde eben auch, was das NEUE betrifft. Aber dieses Forum sollte es schon tun!


    Teodor Currentzis ist in der Musikszene spätestens seit 2008 nicht nur bekannt, sondern auch ein Begriff. Größeres Aufsehen bereitete diese Aufnahnahme:



    Spätestens jedoch seit 2011 mit der herausragenden Aufnahme des Mozart-Requiems:



    Auch wenn die Sänger nicht immer so überzeugen; was uns jedoch vom Orchester her entgegenströmt, ist schlichtweg famos! Und das trifft auch auf den neuen "Figaro" zu. Nur am Rande: Geplant sind nur erst einmal "Cosi" und "Don Giovanni".


    Fazit: Manch einer sollte seine museale Sammlung etwas entrümpeln bzw. entstauben und etwas frische Luft hineinlassen. Das bedeutet aber auch, sich über Neuigkeiten in der Musikszene zu informieren. Damit meine ich nicht nur die Neuigkeiten über Maazel, Thielemann usw., sondern wirklich NEUES, noch nichts DAGEWESENES.



    :hello: LT

  • Das also ist der "Figaro", auf den Alfred verweist. Als nächstes erscheint "Cosi", die bereits eingespielt ist, dann folgt der "Don Giovanni". Von der "Zauberflöte" hatte ich noch gar nichts vernommen. Die Vorschusslorbeeren sind verführerisch. Da ist aber auch reichlich Werbung mit im Spiel. Niemand kann Mozart neu erfinden. In diesem Falle aber gibt es doch viele Überraschungen. Ich habe den "Figaro" genau gehört. Es ist seltsam, dass der ungewöhnlich frische musikalische Eindruck vornehmlich auch aus einer alten hier wiederbelebten Tradition entsteht, nämlich den Appoggiaturen. Ich bin davon sehr angetan. Insgesamt mangelt es dieser Aufnahme, die in Perm (!) entstand - näheres über diese besonderen Umstände ist besser im Netz nachzulesen - an sängerischer Qualität und Noblesse. Mozart will eben auch gesungen sein. Die Susanna, für mich die Hauptfigur des ganzen Stückes, gefällt mir gar nicht. Andererseits fällt positiv ins Gewicht, dass die Akteure jung sind und jung klingen. das halte ich für ganz entscheidend, um die unglaublich rasante Geschichte überzeugend darbieten zu können. Zunehmend stört mich an vielen berühmten alten Aufnahmen eine gewisse Matronenlastigkeit der Sänger.


    Mit Liebestraum bin ich einer Meinung, dass durch derlei neue Sichten und Herangehensweisen wie sie auch in diesem "Figaro" walten, frische Luft hereingelassen wird.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zugegeben: Ich kannte den Dirigenten und das Orchester auch nicht. Von den Mitwirkenden nur Simone Kermes, die ich ob ihrer Exzentrik durchaus schätze (ich weiß, sie polarisiert). Das Gehörte in den Hörschnippseln bei JPC ist besonders orchestral spannend (schöne Betonungen, die man so nie hört). Sängerisch kann ich natürlich insgesamt nichts sagen, ich kenne nur diese kurzen Schnippsel.


    Hier noch der Link zu JPC:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das mit der "Zauberflöte" war ein Lapsus von mir - irgendwie war mir der Fehler schon beim Abfassen des Artikels unterschwellig bewusst - aber ich war sogar zum Nachsehen zu müde... Sorry...
    Ich habe auch in die Aufnahme hineingehört. Ich würde das Gesamtbild durchaus positiv bewerten - wobei sich gewisse Vergleiche mit älteren Aufnahmen wohl nicht vermeiden lassen. Der boshafte Unterton im Eröffnungsbeitrag war durchaus dazu gedacht Widerspruch - vor allem aber Interesse - zu erzeugen - was mir hoffentlich gelungen ist.
    Lediglich der Satz: "Selten wurde eine Veröffentlichung so sehr mit Spannung erwartet wie diese Neueinspielung" war denn doch ein wenig überzogen.
    Wobei wir bei der Vermarktung dieser Aufnahme wären: Immerhin hat SONY hier scheinbar eine Menge Herzblut - und vermutlich auch Geld in das Projekt gesteckt. Man nimmt Oper ernst. Der Trailer hierzu spricht eine deutliche Sprache.



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint


    Auf die Vermarktung muss man nichts geben


    Currentzis nicht zu kennen ist in der Tat eine bedauernswerte Luecke



    Schon seine Aufnahme von Dido war eine richtige Sensation


    Dann kam eine provozierende Version des Mozart Requiems


    Currentzis provoziert inzwischen wohl weniger, aber seine Interpretationen sind nach wie vor höchst hörenswert


    Ich hatte im Forum mehrfach auf ihn hingewiesen, aber diese Hinweise gingen unter


    Nun kommt man an ihm nicht mehr vorbei

  • Es ist ja zu begrüßen, dass auch heute noch interessante Neuaufnahmen der Mozart-Opern zustande kommen. Allerdings können die das, was vorher schon vorlag, nicht ersetzen. Es wurde bereits angesprochen, dass diese neuen Einspielungen sängerisch den alten nicht das Wasser reichen können. Da müssen wir nicht mal bis in die Mono-Zeit zurückgehen, denn mit Einspielungen von Otto Klemperer, Karl Böhm, Ferenc Fricsay und Sir Colin Davis sind einfach Maßstabe in noch heute konkurenzfähigem Stereo gesetzt worden, die schwer zu erreichen, geschweige denn zu überbieten sind. Man mag Harnoncourt schätzen oder nicht, aber auch sein Mozart ist durchaus nicht zu verachten. Neues gerne ja, aber die Alten werden ihren Platz zumindest bei mir behalten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Man mag Harnoncourt schätzen oder nicht, aber auch sein Mozart ist durchaus nicht zu verachten.


    Wie man hört, ist auch Herr Harnoncourt gerade dabei, die Mozart-Da-Ponte-Opern neu zu erfinden.
    Im Theater an der Wien wurde der Anfang mit Figaros Hochzeit bereits gemacht.
    Mozart - Le nozze di Figaro
    Bo Skovhus (Conte di Almaviva),
    Christine Schäfer (Contessa di Almaviva),
    Mari Eriksmoen (Susanna),
    Andrè Schuen (Figaro),
    Elisabeth Kulman (Cherubino),
    Ildiko Raimondi (Marcellina),
    Mauro Peter (Basilio) u.a.
    Arnold Schoenberg Chor,
    Concentus Musicus Wien;
    Dirigent: Nikolaus Harnoncourt


    Zitat

    Nikolaus Harnoncourt: "Mich reizt das Unerhörte, also etwas, das man bis jetzt so nicht gehört hat. Wer glaubt, die Opern zu kennen, wird seine Wunder erleben. Auch ich habe die Werke von Null aus erarbeitet. So, als hätte ich sie noch nie gemacht."

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich konnte mit Harnocourts Interpretation von Mozart-Opern eigentlich nie etwas anfangen. Das hängt mit meiner Erwartungshaltung gegenüber dieser Musik zusammen. Mozart muß - wenn schon nicht leicht, beschwingt und silbrig, so doch wenigstens "schön" klingen. Harnoncourts Mozart klingt in meinen Ohren eher sperrig. Als Beispiel: Die Overtüre zu Mozarts "Entführung aus dem Serail" klingt unter Harnoncourt wie "türkische Musik" - bei Karl Böhm (und zahlreichen anderen) indes kann man erkennen, daß es sich um Musik der Wiener Klassik - mit einem "a la turca" Akzent handelt. Die Leichtigkeit von Mozarts Musik bleibt voll erhalten.
    Harnoncourt ist ein blitzgescheiter Mann. Er kann seine Thesen zur Musik Mozarts (und anderer) sehr überzeugend formulieren.
    Bei mir endet sein Zauber, wenn er seinen Taktstock zur Hand nimmt......
    Aber ich akzeptiere durchaus, wenn das andere nicht so sehen. Zurück zum eigentlichen Thema: Mal sehen wie die neuen Mozart-Opernaufnahmen mit dem Orchester aus Nowosibirsk klingen......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Harnoncourt ist ein blitzgescheiter Mann. Er kann seine Thesen zur Musik Mozarts (und anderer) sehr überzeugend formulieren.


    Bei mir endet sein Zauber, wenn er seinen Taktstock zur Hand nimmt......

    Lieber Alfred,


    besser kann man das nicht ausdrücken. Wenn ich Harnoncourt dozieren höre bin auch ich beeindruckt. Wenn ich aber dann einen "Don Giovanni" live von ihm höre, der sezierend langatmig "zerlegt" ist, dann ist das zumindest nicht meine Mozart-Sicht. Allerdings muss ich fairer Weise zugeben, dass ich halt von den Mozart-Dirigaten von Krips, Kleiber,Böhm, Karajan und Sir Thomas Beecham (Entführung aus dem Serail) geprägt bin. Deshalb ist es anregend und lehrreich, wenn initiiert von Liebestraum auf neue Sichtweisen und Aufnahmen hingewiesen wird. Jede Zeit muss ihren Interpretationsstil finden oder zumindest versuchen, neue Interpretationen zu wagen . Ich werde die eine oder andere Aufnahme erwerben und mir anhören. Allerdings besteht bei einem Opernfreund in meinem Alter die Gefahr, dass er ganz schnell wieder zu seinen Hörgewohnheiten und vor allen Sängerlieblingen reumütig zurückkehrt. In der Psychologie nennt man dieses Phänomen "Kognitive Dissonanz".


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Lieber Joseph,


    ich denke, ich habe z.B. mehr "Don Giovannis" auf CD bzw. DVD/Blu-ray aus der Stereo-Ära als du. Nun bin ich einige Jährchen älter als du, gebe mich aber dennoch nicht mit Krips, Giulini, Böhm (2x), C. Davis usw. zufrieden. Den einen oder anderen mag das ausreichen - aber den Spuren Mozarts zu verfolgen bis hinein in die JETZT-ZEIT ist dann schon etwas anderes. Denn nur ZURÜCKSCHAUEN und BEWAHREN bedeutet STILLSTAND.


    Das heißt natürlich nicht die o.g. Produktionen einfach ad acta zu legen, sondern dem NEUEN eine CHANCE zu geben.


    Leider hat Harnoncourt seit etwa 2006 einen Kurs der Mozart-Interpretation gefahren, der eben wenig mit Mozart zu tun hat. So habe ich dich ja bezüglich der HARNONCOURT-BUCHBINDER-KLAVIERKONZERTE gewarnt. Das mag alles ganz fetzig klingen - allerdings hat das mit Mozart wenig zu tun.


    :hello: LT

  • Zitat

    .....sondern dem NEUEN eine CHANCE zu geben.


    Damit "das Neue" bei mit eine "Chance" hat - muss es MIR etwas zu bieten haben.
    Bedaurlicherweise hat das 20 Jahrhundert - von Filmkunst, Technik und Wissenschaft abgesehen - wenig zu bieten.
    Das wird umso evidente, als wir in Bezug auf Stimmen, Inszenierungen etc zahlreiche Ton-Bild und Filmdokumente haben, die den Vergleich geradezu herausfordern. Kommen wir zu Mozart zurück: Nach allem was wir über Mozart wissen ist kaum anzunehmen, daß er an einer Neudeutung seiner Werke im 21. Jahrhundert interessiert wäre - geschweige denn wirklich seine Freude daran hätte.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    wenn es danach ginge, wäre Mozart schon nicht sonderlich begeistert gewesen irgend welche Deutungen des 19. und 20. Jahrhunderts anzunehemen.
    Wenn es dir etwas bieten soll, dann muss man es auch kennen, leider verschließen sich viele dem NEUEN.




    :hello: LT

  • Harnoncourt ist ein blitzgescheiter Mann. Er kann seine Thesen zur Musik Mozarts (und anderer) sehr überzeugend formulieren.
    Bei mir endet sein Zauber, wenn er seinen Taktstock zur Hand nimmt......


    Dann bin ich ja beruhigender Weise nicht die einzige, der es wiederholt so gegangen ist...


    In der ORFTVthek ist noch die Figaro-Aufzeichnung vom Sonntag zu sehen, auf die Harald oben schon hingewiesen hat: so interessant einige Sänger sind, so schwer tue ich mich mit dem Dirigat.


    :untertauch:

  • Hab mir letzten Sonntag den Figaro aufgenommen. Die Sänger siind hervorrgand, vor allem Elisabeth Kuhlmann als Cherubino, Bo Skovhous als Figaro und Andre Shuen als Graf. Unterirdisch leider Frau Schäfer als Gräfin. Für diese Rolle hätte es doch bestimmt eine bessere Alternativ Besetzung gegeben. Hoffentlich singt sie nicht auch noch die Donna Anna oder Elivira im Don Giovanni. Das Diirigat von Herrn Harnoncourt hat, so sehr ich ihn auch schätze. wenn man diesen Figaro z.B. mit dem Züricher Figaro anfang 2000 vergleicht sehr an Spritzigkeit und Leichtigkeit verloren. Aber man soll ja immer sein Urteil mit dem Abschluss eines Zyklus treffen.

  • In diese "Figaro" Übertragung bin ich am Sonntag in den zweiten Akt hineingesprungen. Aber diese köstliche Szene mit dem Gärtner, die ich wirklich gerne sehe bzw. höre, war so spannungslos und langweilig, wie ich es noch selten erlebt habe. Humor zum Mitschreiben! Ich habe dann auf den Rest gerne verzichtet.

  • Sagitt meint:


    Hätte man das je gedacht, dass ein Musiker wie Harnoncourt sich SO entwickeln würde. Was ht man nicht alles an lebendig begeisternden Aufnahmen von ihm gehabt. Schon seit Mozart 2006 in Salzburg fand ich überwiegend langweilig.



    Hätte er doch rechzeitig aufgehört!

  • Glockenton meint (oder vielleicht auch nicht ? ):


    Harnoncourt ist ein blitzgescheiter Mann. Er kann seine Thesen zur Musik Mozarts (und anderer) sehr überzeugend formulieren.
    Bei mir endet sein Zauber, wenn er seinen Taktstock zur Hand nimmt......

    Nun ja, bei mir konnte ich das Phänomen noch nicht beobachten, vor allem wohl auch, weil er ja immer ohne Takstock dirigiert....



    Leider hat Harnoncourt seit etwa 2006 einen Kurs der Mozart-Interpretation gefahren, der eben wenig mit Mozart zu tun hat. ..... Das mag alles ganz fetzig klingen - allerdings hat das mit Mozart wenig zu tun.

    Da kann man ja nur froh sein, dass man noch den Liebestraum aus dem Klassikforum hat, der einen darüber aufklärt, dass das alles Mögliche sein könne, nur eben kein Mozart. Vielleicht ergibt sich die Definitionshoheit über die Frage ob eine Interpretation "ein Mozart ist" (oder nicht) aus der Mehrzahl der zustimmenden Postings von Fachleuten aus einem Internetforum - ein spannender Gedanke, der mir so noch gar nicht gekommen ist, aber mir dennoch schlüssig erscheint.


    Ich habe das in meiner unerfahrenen Verblendung ja bisher anders gehört, aber werde versuchen, mich der korrekten Meinungsmehrheit anzupassen, die durch die Postings hier offenkundig wird.



    Schon seit Mozart 2006 in Salzburg fand ich überwiegend langweilig.

    Zwar findet es der eine fetzig, aber nicht Mozart, und der andere findet es seit 8 Jahren überwiegend langweilig, und noch andere lassen durchscheinen, dass sein Dirigieren -verglichen mit dem Jahre 2000- sehr an Spritzigkeit und Leichtigkeit verloren habe, was wohl auch Sagitt sehr zurecht ermuntert hat zu meinen, er wäre besser schon längst in Rente gegangen. (im Grazer Altenstift "Zur goldenen Urne")
    Wahrscheinlich haben die Poster trotz dieses nur scheinbaren Widerspruchs in gleicher Weise den Nagel auf den Kopf getroffen, wie jemand, der sich hier früher einmal wünschte, dass Harnoncourt nie seine Stelle als Cellist bei den Wiener Symphonikern aufgegeben hätte.
    Es ist ja im Sinne der Meinungsfreiheit auch gut, dass man im Internet nach dem Motto "was ich immer schon einmal loswerden wollte" seine fundiert-fachliche Kritik anbringen kann.


    Nehmen wir doch einmal eine neue Mozart-Aufnahme:


    Da habe ich mir einmal die Tracks Nr. 2 und Nr. 9 angespielt, also der erste Satz der Posthorn-Serenade und dann der Haffner-Symphonie.
    Und ja, endlich erkenne ich es auch - was die Kritiker sagen, stimmt: Es ist total unmozartärtlich-fetzig und alterschwach zugleich, klingt irgendwie nach überreif fürs betreute Wohnen. Ich kann nur jedem Mozartfreund dringend davon abraten, da überhaupt hineinzuhören. Wieso lässt er nicht einfach schön leicht alles leggiero oder eben alles legato spielen? Das würde doch noch ein Mensch verstehen. Aber wer soll das hier verstehen? Immer diese vielen Abwechslungen zwischen gebundener und gestossener Artikulation, diese irritierenden Dynamik (reicht denn nicht laut/leise/cresc. und dim.?) und diese komische Phrasierung. Was hat das denn noch mit jenem unendlichen Gesang zu tun, der diese Mozartmusik in Wahrheit doch ist? Klingt ja fast so wie als wenn die Musik redet - einfach nur furchtbar.


    Und dann las ich gestern im Facebook, bzw. auf der Webseite der Berliner Philharmoniker auch noch das:



    Was hat sich diese Truppe von Ahnungslosen eigentlich dabei gedacht, als sie ihn jetzt auch noch mit der Ehrenmitgliedschaft würdigten?


    Hören wir einmal in die Begründung`rein:


    Ein bewegender Moment am Ende unserer Tournee: Vor der Anspielprobe im Wiener Musikverein am vergangenen Freitag haben wir Nikolaus Harnoncourt in den Kreis der Ehrenmitglieder der Berliner Philharmoniker aufgenommen. Seit seinem späten Debüt 1991 dirigierte er in 90 Konzerten 29 Programme in Berlin und bei den Osterfestspielen in Salzburg. In einer kurzen Rede erklärte Orchestervorstand Peter Riegelbauer: »Sie haben uns eine neue Sicht auf die Werke der großen Meister des 18. und 19. Jahrhunderts ermöglicht. Sie haben uns immer wieder neugierig gemacht auf die stilistischen Wahrheiten jenseits der Partituren. Wir sind Ihnen zu größtem Dank verpflichtet.«


    Die sollten einmal diesen Thread hier anklicken, damit ihnen `mal endlich einer die Augen öffnet. Das gilt auch für die wirklich unzähligen weltweiten Preise und Würdigungen, deren Initiatoren wahrscheinlich alles Mögliche gemacht haben, bloss eben nicht hingehört, vor allem nicht seit 2006.


    OK - dann werde ich mir wohl auch noch den Kauf dieser fetzig-alterschwachen Blue-ray mit Missa longa von Mozart schleunigst aus dem Kopf schlagen (obwohl mir der Trailer davon, der auf der Schumann-Järvi-Blue-ray enthalten ist, immer so gut gefiel) , nachdem ich nun endlich dank meiner Vorschreiber klar sehe:



    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Jeder halt wie er mag - der eine hat seinen Böhm für den Ohrensessel, der andere seinen Harnoncourt für die Stuhlkante.


    Was die frühen Symphonien betrifft, ziehe ich persönlich diese blitzsaubere Einspielung der Gemächlichkeit Böhms jederzeit vor...



    Dafür ist mir Harnoncourt bei den späten Sinfonien nicht "repräsentativ", nicht voll und strahlend genug - das ist mir zu drahtig-asketisch.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • In der neuen Aufnahme Harnoncourts des 23. und 25. Klavierkonzerts mit Rudolf Buchbinder hört man nicht mal im Ansatz Langeweile oder Spannungsarmut. Hier wird mal wieder pauschalisiert und abgewertet, der persönliche subjektive Geschmack zur absoluten Wahrheit erkoren. Wieso darf Harnoncourt den "Figaro" nicht langsam dirigieren? Das tat doch bereits der große Klemperer 1970 und wurde dafür sogar größtenteils gefeiert (die Aufnahme erhielt etliche Auszeichnungen). Muss ja nicht jede Aufnahme davon dem revolutionär-stürmischen Einheitsbrei folgen. Wem's nicht gefällt, der findet nun wirklich eine überreiche Anzahl an Alternativen bei wirklich jedem Mozart-Werk.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Hallo,


    ich muß hier in aller Naivität doch eine Frage stellen:
    warum wird es als unbedingt notwendig erachtet, bei berühmten und oft aufgeführten Flaggschiffen des Klassik-Kanons nach einer "neuen Sicht für unsere Zeit" zu suchen? Warum setzt sich jeder, der auf die zahlreichen auf Tonträgern verewigten Interpretationen der größten Sänger, Orchester und Dirigenten verweist, dem Verdacht aus, in einem Museum zu leben, bzw. verhindern zu wollen, daß "frischer Wind" hereinweht?
    Ich werde mir den beschriebenen Figaro zwar aus Neugier zulegen und anhören, aber man fragt sich doch, welche neuen Erkenntnisse Teodor Currentzis aus Perm im Vgl. zu Böhm & Co. beizutragen hat.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Lieber Joseph II.,


    wenn du Mozarts letzte Kompositionen mit Orchester kennst, dann weißt du auch, dass Harnoncourt speziell schon im KK 25 keinen Mozart spielen lässt. Auch wenn es nicht langweilig und nicht spannungsarm klingt, mit Mozart hat das nichts zu tun. Schon die Eingangsakkorde erinnern eher an Beethoven... Harnoncourt lässt sie hier mit Gewalt herauspressen - zerstört dadurch aber die geniale Musikarchitektur Mozarts!


    Zum "Figaro":


    Es gibt ein langsames spannendes Musizieren ----> KLEMPERER
    und es gibt ein langsames langweiliges Musizieren ----> HARNONCOURT


    :hello: LT

  • Lieber Joachim Schneider,


    dann leg dir den Currentzis schnell zu! Du wirst staunen, welche neue Sicht der musikalischen Interpretation sich für dich eröffnet!


    :hello: LT

  • mit Mozart hat das nichts zu tun


    Vollständiger Satz: "Mit meiner Auffassung von Mozart hat das nichts zu tun". Falls hier nicht zufällig jemand per Zeitmaschine ins 18. Jahrhundert gereist ist und mit Mozart gesprochen/seine Konzerte gehört hat, ist jede Auffassung davon notwendigerweise subjektiv. Hier sind wir bei der gängigen Problematik (und Neigung), subjektive Geschmacksurteile zu objektivieren...


    Viele Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Jeder weiß, daß ich kein Freund von Harnoncouts Dirigat bin (eigenartigerweise ist es dennoch der Dirigent mit den meisten Einspielungen in meiner Sammlung) - ABER: Selbstverständlich ist es das gute Recht jeder Organisation ihm mit einer Auszeichnung zu bedenken: Und es gibt offenbar auch zahlreiche Anhänger seines Dirigats - ansonst wären seine Aufnahmen ja längst vom Markt verschwunden. Persönlich habe ich lieber "singende" Musik als "sprechende" - vom im Sinne des Ausdrucks.
    Wenn ich schreib, daß Harnoncourts Dirigat mich nicht anspricht, so ist damit kein Werturteil verbunden. Ganz richtig wurde die übergroße Dynamik erwähnt und der Verzicht auf vieles, das von einem Gutteil der Mozart-Anhänger als typisch für diesen Komponisten gesehen wird.
    Aber - auch darauf weise ich hier ausdrücklich hin - wenn ein Mitleser diesen Thread öffnet, so erwartet er sich keinen Abhandlung über Harnoncourt- so einen Thread gibt es bereits - sondern eine Stellungnahme über Currentzis "Figaro" - und in sprätere Folge auch über "Don Giovanni" und "Cosi fan tutte" - Sowohl in Sachen Dirigat, Orchsesterklang, Besetzung und Aufnahmetechnik. Die Aufnahem wird von Sony teilweise schon als "Referenz" angepriesen - bevor sie noch allzuviele Käufer finden konnte.


    Meine Wunschliste ist maßlos "überbucht" , sodaß ich derzeit keine Prognose darüber abgeben möchte ob uns wann ich mir den Figaro kaufen werde."Don Giovanni" - ich habe noch nicht sooo viele Aufnahmen von ihm - wird vermutlich gegen Jahreseinde Eingang in meine Sammlung finden.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • warum wird es als unbedingt notwendig erachtet, bei berühmten und oft aufgeführten Flaggschiffen des Klassik-Kanons nach einer "neuen Sicht für unsere Zeit" zu suchen? Warum setzt sich jeder, der auf die zahlreichen auf Tonträgern verewigten Interpretationen der größten Sänger, Orchester und Dirigenten verweist, dem Verdacht aus, in einem Museum zu leben, bzw. verhindern zu wollen, daß "frischer Wind" hereinweht?



    Lieber Joachim, ich würde Dich diesem Verdacht niemals aussetzen. Waren nicht die meisten Aufnahmen, die inzwischen fünfzig Jahre und noch älter sind, in ihrer Zeit doch auch der Versuch, die Werke einem zeitgenössischem Publikum nahe zu bringen? Viele dieser Versuche waren so gut, dass sie noch heute faszinieren. Da fällt mir ganz spontan der "Figaro" - um bei diesem Werk zu bleiben - unter Erich Kleiber von 1955 bei der Decca ein. Allein der Beginn der Ouvertüre ist umwerfend weil so aufrührerisch. Da ist etwas im Gange, da wird eine ganze gesellschaftliche Ordnung in Frage gestellt. Mit wenigen Takten wird eine große Unruhe gestiftet, ein starkes Aufbegehren ins Rollen gebracht. In noch früheren Aufnahmen höre ich das nicht so stark heraus. Nehmen wir uns die erste Figaro-Einspielungen von 1935 aus Glyndebourne unter Fritz Busch vor, entdecken wir das Werk als Ensemble-Stück, in dem die Arien eine fast untergeordnete Rolle spielen. Es geht irgendwie demokratisch zu. Interessant ist auch, wie unterschiedlich die einzelnen Figuren durch die Jahre musikalisch präsentiert werden. Die Susanna, für mich die wichtigste Figur, bekommt mal mehr, mal weniger Gewicht in ihrer Bedeutung. Die entscheidende "Entdeckung" in jüngerer Zeit ist für mich die Besetzung der Hauptrollen mit relativ jungen Sängern. Auffällig ist das in der Produktion mit Georg Solti 1981 bei der Decca. Der Graf ist nicht mehr der weiß gepuderte Lüstling, der in die Jahre gekommen ist und der sich Liebe durch Macht gewinnen will. Nein, der ist wie alle tatsächlich in Susanne verliebt, der leidet wirklich. Und Susanna? Die ist nicht so weit davon entfern, diesen Werbungen zu unterliegen. Da braucht es gar nicht des Versuchs, das längst abgeschaffte Recht auf die erste Nacht zu beleben. Will sagen: Jede Zeit bringt in ihre Deutungen auch ihre gesellschaftliche Reife und Erkenntnis ein. Davon bleibt nicht immer etwas übrig. Das Verfallsdatum ist auch bei vielen Opernproduktionen schnell erreicht. Von den unzähligen Figaro-Aufnahmen sind viele längst wieder dem Vergessen anheim gefallen. Und das ist sicher auch gut so.


    Im Übrigen gibt es ja schöne Museen.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich erst durch diesen Thread auf Teodor Currentzis aufmerksam geworden bin. Vorhin habe ich mir seine Aufnahme von Mozarts Requiem angehört und bin immer noch sprachlos... Ob mir seine Interpretation wirklich besser gefällt als die vielen anderen, die ich im CD-Regal stehen habe, weiß ich nicht einmal, aber es ist ein Mozart, wie ich ihn noch nie gehört habe, und das meine ich positiv. Wenn wieder einmal darüber diskutiert wird, ob man von Standardwerken des Repertoires wirklich noch eine Aufnahme braucht, ist diese CD ein Paradebeispiel, dass immer noch neue und manchmal auch umwerfende Sichtweisen auf ein Werk möglich sind.


    Was die Aufnahmen der Mozart-Opern betrifft: ich höre ganze Opern so gut wie nie auf CD, weil mir das szenische Element fehlt, was für mich ein unverzichtbarer Bestandteil der Oper ist. Aber nach dieser Hörerfahrung beim Requiem bin ich geneigt, bei Currentzis' "Figaro" eine Ausnahme zu machen.


    Kennt übrigens jemand die vier Opernaufnahmen unter seiner musikalischen Leitung, die auf DVD/BluRay erschienen sind? Ich habe dazu im Forum nichts gefunden.


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Diese Diskussion erinnert mich an die Neuaufnahmen der Mozart - Opern durch René Jacobs. Sein Figaro ist gut gelungen, aber sein Don Giovanni leidet unter den schwachen Sängerleistungen. Das ist leider bei Jacobs ein öfter vorkommendes Phänomen. Zum Glück ist es nicht die Regel; es gibt Aufnahmen, da ist jeder Sänger erstklassig, selbst die in den kleinen Rollen (ich denke an Cavallis La Calisto).

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zunehmend stört mich an vielen berühmten alten Aufnahmen eine gewisse Matronenlastigkeit der Sänger.


    Gruß Rheingold


    Was sind das denn für Töne? Wenn ich so was über Renée Fleming als Arabella schreibe, werde ich untergepflügt, aber Rheingold darf so was schreiben? Wobei er natürlich absolut Recht hat.
    "Matronenlastigkeit" ist ein wunderbares Wort, das werde ich mir merken. Vielleicht fällt mir ja so was noch für Johan Botha ein.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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