Das (New) Philharmonia Orchestra in Referenzaufnahmen

  • Unsere verdienstvolle Reihe großer Orchester aus aller Welt in Referenzaufnahmen weist eine empfindliche Lücke auf, die mir gerade erst auffiel: Es fehlt das Londoner (New) Philharmonia Orchestra!


    Es ist eines der fünf großen Londoner Symphonieorchester (neben London Symphony Orchestra, London Philharmonic Orchestra, Royal Philharmonic Orchestra und BBC Symphony Orchestra) und weist eine legendäre Historie auf. Gegründet wurde es 1945 als Philharmonia Orchestra vom EMI-Produzenten Walter Legge als reines Schallplattenorchester. Er hatte sich die besten Musiker der Britischen Inseln dafür zusammengesucht und die künstlerische Leitung Herbert von Karajan übertragen. Im März 1964 wollte Legge das Orchester auflösen, das sich fortan mit Klemperers Unterstützung als New Philharmonia Orchestra zum privatrechtlichen Verein zusammenschloss. 1977 wechselte es zum alten Namen als Philharmonia Orchestra zurück. Zwischen 1988 und 2000 trat es als The Philharmonia auf, seither wieder als Philharmonia Orchestra.


    Chefdirigenten:


    Herbert von Karajan (1948—1954) (inoffiziell)
    Otto Klemperer (1959—1973)
    Lorin Maazel (1971—1973) (stellv. Chefdirigent)
    Riccardo Muti (1973—1982)
    Giuseppe Sinopoli (1984—1994)
    Christoph von Dohnányi (1997—2008) (seither Ehrendirigent auf Lebenszeit)
    Esa-Pekka Salonen (seit 2008)


    Die meisten Referenzaufnahmen entstanden m. E. unter Karajan und besonders unter Klemperer, der zwischen 1954 und 1971 seinen "Indian Summer" erlebte und zahllose, heute legendäre Aufnahmen für EMI machte. Letztes Jahr hatte ich das Glück, das Philharmonia Orchestra live in Wien zu erleben und kann bestätigen, dass sich das hohe Niveau auch in der Ära Salonen erhalten hat.


    Ich will euch dennoch den Vortritt überlassen und zunächst keine Aufnahmen nominieren. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dann will ich mal den Anfang machen und aus meiner Warte zuesrt die nachfolgende Box nennen, nicht nur, was die Sinfonien betrifft, sondern auch, was die Klavierkonzerte mit Daniel Barenboim betrifft, zwei absolut überzeugende Gesamtaufnahmen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nachdem Willi mit Klemperer, dem der Anfang auch gebührt, angefangen hat, möchte ich mit Karajan fortsetzen.


    An die Qualitäten der Aufnahmen der Sibelius Sinfonien Nr. 2 und 5 ist Karajan bei seinen späteren Aufnahmen auf DG und EMI mit den Berliner PH nie wieder so eindrucksvoll herangekommen.
    Ich möchte auch deutlich sagen, dass die Ormandy-Aufnahme der Sinfonie Nr.2 (CBS 1957 (die spätere bei RCA sowie so nicht)); im aktuell neuen Ormandy-Thread von Josef genannt, für meinen Eindruck keinesfalls an diese ausgezeichneten und hochspannenden Karajan-Int herankommt.



    EMI, 1960, ADD


    Karajan hat auch wenig vorher die Sinfonien Nr.4 und 7 mit dem PH Orch aufgenommen ... sollen laut Kritiken und Klassikforumsbesprechungen ebenfalls ausgezeichnet sein ... aber die sind in Mono ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Aus dieser Karajan-Reihe kann ich als m E. referenzwürdig noch die folgende Aufnahme beisteuern, bei der Die Vierte Brahms in Stereo und mit dem Philharmonia Orchestra (AD 1995) ist:



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Der Begriff Referenz hat zuletzt im "Gewandhaus Orchester - Thread" schon heftige Widersprüche ausgelöst - und dass mit Recht.
    :!: Man kann, wie wir vor einiger Zeit in einem speziellen Thread darüber bereits festgestellt haben nur von "meiner Referenz" sprechen !


    Manche werden auch hier ganz andere Referenzen haben ! Und was die Grosse C-Dur anbetrifft ticke ich mit meiner geliebten Karajan (DG) - Aufnahme sowieso anders als ihr "Taminos".
    Aber einen referenzwürdigen Anspruch hat für mich deutlich die Mackerras-Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra; die auch alle Wdh (die ich ja nicht unbedingt brauche) beachtet. :thumbsup: Mackerras bietet Megaklasse und Hörspass pur:



    SIGNUM, 2008, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Bruckner: Symphonie Nr. 5
    New Philharmonia Orchestra
    Otto Klemperer
    Aufnahme: Kingsway Hall, London, 9.—11., 14. & 15. März 1967 (Studio), bzw. Royal Festival Hall, London, 21. März 1967 (live)


    Die EMI-Studioaufnahme bekam den seinerzeit noch raren Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Die Live-Aufnahme wenige Tage später ist etwas impulsiver, dafür nur in (gutem) Mono. Ich würde die Fünfte als Highlight von Klemperers Bruckner-Einspielungen sehen. Anders als bei der Sechsten, sind die Pauken hier sehr deutlich vernehmbar. Die Tempogestaltung ist für meine Begriffe ideal. Die Coda des Finales ist der absolute Höhepunkt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Beethoven: Symphonie Nr. 9
    Nordmo-Løvberg, Ludwig, Kmentt, Hotter
    Philharmonia Chorus & Orchestra
    Otto Klemperer
    Aufnahme: Royal Festival Hall, London, 15. November 1957


    Eine absolute Sternstunde der Beethoven-Interpretation. Wieder einmal zeigt sich, dass das Live-Konzert noch besser ist als die vorherige Studioaufnahme (die von Klemperer eher als Probearbeit angesehen wurde). Und von wegen ultralangsam: Etwa 70 Minuten Spielzeit sind absolut im Rahmen. Tonqualität sehr gut (Stereo).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mein Gott, lieber Joseph, dass ich hier eben noch reingeklickt habe. Die Aufnahme ist ja der Wahnsinn. Schon bestellt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wer sich für die wechselvolle Geschichte dieses Orchesters interessiert - Joseph II. hat sie eingangs bereits kurz umrissen - dem möchte ich das Buch "Gehörtes, Ungehörtest, Memoiren" von Elisabeth Schwarzkopf und Walter Legge empfehlen. Es ist zwar seit langem vergriffen, gebraucht aber beispielsweise bei Amazon, Ebay und ZVAB zu haben, sowohl in Deutsch als als auch in Englisch. Legge lässt sich darin sehr ausführlich und detailreich über die Gründung des Klangkörpers aus, räumt aber auch ein, vielleicht nicht der objektivste Zeitzeuge zu sein, weil in die Ereignisse und Entwicklungen so unmittelbar einbezogen. Die Anfänge waren nach Legge ein Streichquartett, das sich maßgeblich mit Mozart beschäftigte. Daraus entwickelte sich dann die Idee der Orchestergründung, an deren Beginn übrigens auch Mozart stand. Gleich von Beginn ab gab es öffentliche Konzerte, also nicht nur Plattenaufnahmen. Das erste bestritt Sir Thomas Beecham am 25.Oktober 1945 in der Londoner Kingsway Hall mit einem reinen Mozart-Programm. Weche Werke dabei gespielt wurden, erwähnt Legge nicht.


    Eine meiner liebsten Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra ist diese "Cosi fan tutte", eingespielt im Juli 1954 in der Kingsway Hall in Mono. Es gab seither viele Ausgabe, auch auf CD, in leicht unterschiedliche Klangqualität. Ich würde zur Veröffentlichung von NAXOS tendieren, hier schon aus Prinzip eine der EMI-Ausgaben - als EMI noch EMI war:



    Nach meinem Eindruck hat das Orchester nie wieder so leicht, so hell, so transparent geklungen wie in bei dieser Opernproduktion. Die Balance zwischen Solisten und Musikern ist vollkommen. Es wird ein Ensemblegeist beschworen, der mich an die frühen Mozart-Aufführungen unter Fritz Busch in Glyndebourne erinnert. Kurz, eine Aufnahme für die berühmte einsame Insel.

    Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich kenne das Buch von Legge/Schwarzkopf nicht, aber die "Fortsetzung" des Produzenten Suvi Raj Grubb (der übers Singen im Philharmonia Chorus an seinen Job kam, wenn ich recht erinnere) ist jedenfalls auch unterhaltsam und interessant:



    Meine Aufnahmeempfehlung ist wenig originell: Mahlers Lied von der Erde


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zustimmung zu Rheingolds Cosi-Eloge! Das Zusammenspiel des Orchesters wäre mit "präzis" unzureichend, ja geradzu falsch beschrieben. Die Musiker sind sich von Phrase zu Phrase (jeweils) einig in Atem, Bogenführung, - druck, Farbigkeit. Dazu gehören paradoxerweise auch Momente minimaler, intendierter Asynchronität. Orchesterleistungen wie im "Abschiedsterzett" sind in Falle von Operneinspielungen eigentlich nur noch von der Sächsischen Staatskapelle und den Wiener Philharmonikern zu hören, mit wenigen weiteren, vereinzelten Ausnahmen.


    Einige frühe Karajan-Aufnahmen mit eher abgelegenem Repertoire (z.B. Roussel) scheinem momentan leider nicht erhältlich zu sein, obwohl nicht wenige davon zu seinen besten Einspielungen zählen.


    Der dem Orchester zugehörige Chor soll nicht unerwähnt bleiben. Zum Ruhm etwa der Aufnahmen des Verdi-Requiems durch Giulini trug er maßgeblich bei. Als "chorlastiges" Werk sei noch Frühbecks "Carmina" genannt, die zweitbeste Einspielung dieses Stücks ;) .


    Den Zenit seines Ruhmes hat das Orchester zwar schon längst überschritten, doch sei wenigstens eine Aufnahme aus "digitaler Zeit" genannt. Michael Tilson Thomas läßt mit Debussys La mer und den Nocturnes noch einmal den vergangen alten, französischen Orchesterklang aufleuchten - und dies mit einem immer noch wandlungsfähigen britischen Ensemble.

  • Mein Gott, lieber Joseph, dass ich hier eben noch reingeklickt habe. Die Aufnahme ist ja der Wahnsinn. Schon bestellt.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    Lieber Willi,


    ich gratuliere zum Kauf und wage die Prognose, dass Du begeistert sein wirst. ;)


    Die Aufnahme ist übrigens auch "teleton-tauglich": Besonders im Scherzo hat der Paukist keine Hemmungen (besser wird man den Satz kaum je hören), so dass in einer englischen Rezension gar über eine "Privataufnahme des Paukisten" gescherzt wurde. :D


    Liebe Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Einige frühe Karajan-Aufnahmen mit eher abgelegenem Repertoire (z.B. Roussel) scheinem momentan leider nicht erhältlich zu sein, obwohl nicht wenige davon zu seinen besten Einspielungen zählen.


    Hier ist ein sehr günstiges Angebot:



    Hat er denn noch mehr eingespielt von Roussel?


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hier sind neben den bereits genannten noch ein Vielzahl von Einspielungen zu nennen! - Eine meiner ganz persönlichen Referenzen ist Otto Klemperers Aufnahme der Matthäus Passion BWV244 aus dem Jahre 1961:



    Natürlich ist gerade diese Einspielung des Bachschen Großwerkes aufgrund ihres gänzlich unHIPpen Duktus, der Tempowahl und auch einiger Solisten-Besetzungen nicht ganz unproblematisch bzw. nicht jedermanns Sache. Mir liegt sie jedoch einfach deshalb am Herzen, weil ich dieses Werk in dieser Aufnahme (damals noch auf Vinyl) kennen und lieben gelernt habe und so etwas prägt bekanntlich.


    p.s. Zu haben inzwischen auch in dieser wohlfeilen Box:


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.