Bohuslav Martinu - Die Streichquartette

  • Zwischen Bohuslav Martinu (1890-1959) und Paul Hindemith gibt es auffällig viele Gemeinsamkeiten. Beide wurden ursprünglich als Geiger ausgebildet, beide entwickelten sich zu Vertretern der gemässigten Moderne, ihre Musik trägt immer auch stark musikantische Züge, beide komponierten ziemlich viel. Beide flohen vor den Nazis in die USA, kehrten aber nach dem Krieg nach Europa zurück. Und beide schrieben 7 Streichquartette, z.T. fast parallel. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, parallel zum entstehende Hindemith Streichquartett-Thread auch einen Martinu-Thread zu entwickeln und die Quartette der beiden darin ggf. auch zu vergleichen.


    Es geht um folgende Werke


    1. Streichquartett H 117 (1918)
    2. Streichquartett H 150 (1925)
    3. Streichquartett H 183 (1929)
    4. Streichquartett H 256 (1937)
    5. Streichquartett H 268 (1938)
    6. Streichquartett H 312 (1956)
    7. Streichquartett H 314 "Concerto da camera" (1947)



    Die Lage auf dem Tonträgermarkt ist bei Martinu günstiger als bei Hindemith, die Tschechen pflegen ihre Komponisten halt besser als die Deutschen.


    Schon zu LP-Zeiten gab es neben zahlreichen Einzelaufnahmen eine Gesamteinspielung durch das Panocha Quartett (steht im Regal). Zu CD-Zeiten kam dann das Stamitz Quartett dazu und auf Naxos das Quartett, das sich den Komponisten als Namen gab, das Martinu Quartett. Einzelaufnahmen gibt es von weiteren anderen Ensembles, wie Prazak, Kocian, Zemlinsky usw.


  • Die Martinu-Quartette sind (wie anderes vom Meister auch) ein wenig ungleichgewichtig. Ich würde tendenziell meinen: je später, je interessanter. Die frühen Quartette zeigen zum Teil Längen; beim großen Landsmann Dvorak ist das bekanntlich noch eklatanter der Fall.


    Ich besitze nur die Einspielung mit dem Stamitz-Quartett - das reicht.


    Damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich mag diese ostinat motorische Kammermusik sehr. Nur wird nicht so viel Abwechslung geboten, wie man sich im Idealfall erhoffen würde.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Das erste Streichquartett von Martinu entstand 1918, also drei Jahre später als das von Hindemith. Martinu war zu dem Zeitpunkt auch schon 28 und somit kein Student mehr, vielmehr spielte er als Geiger in der Tschechischen Philharmonie. Auch das 1. Quartett von Martinu ist noch stark von der Spätromantik, speziell Smetana und Dvorak, geprägt, hat aber einen deutlich eigenständigeren Charakter als das Jugendwerk Hindemiths. Einflüsse der französischen Impressionisten sind hörbar und auch Anklänge an Janacek, dessen Quartette allerdings noch geschrieben werden mussten. Es ist mit 36 min auch bei Martinu das längste.


    Vier Sätze - 1. Moderato - Allegro ma non troppo 2. Andante moderato 3. Allegro non troppo 4. Allegro con brio. Ich finde die melodischen Einfälle und ihre Verarbeitung schlichtweg hinreissend und für mich ist das eines der schönsten Streichquartette des frühen 20. Jahrhunderts. Deshalb stört mich seine manchmal etwas ausufernde Länge auch nicht. Laut Booklet ein technisch sehr anspruchsvolles Stück, das schon deshalb selten aufgeführt wird.


    In der vorliegenden Aufnahmen spielt das junge tschechische Zemlinsky Quartett, das in den letzten Jahren mehrere Preise eingefahren hat, Bordeaux 2010, Banff 2007, Prague 2005, London 2006.


  • In vorauseilendem Gehorsam habe ich mir die Aufnahmen mit dem Martinu Quartett (Naxos) gekauft, denn ich habe irgendwie vorausgesehen, daß Martinus Werke heuer am Forenplan stehen würden.
    Ich hatte die Werke indes noch nicht gehört, das 20. Jahrhundert ist nicht mein Spezialgebiet - um es dezent auszudrücken. Dementsprechend verwirrend bis verstörend empfand ich auch den ersten Satz des 1. Streichquartetts, der in gewisser Hinsicht eine nervöse Ausstrahlung hat - zumindest habe ich dies so empfunden. Indes im Laufe der Zeit hörte ich auch sehr lyrische Stellen, die mich in gewisser Weise - wenn auch stark verfremdet - an Dvorak erinnerten. Sie standen in interessantem Gegensatz zu den "verstörenden Stellen - ein Korrektiv gewissermaßen. Ein weiteres Element kam dann noch hinzu, nämlich ein rhythmisches, besonders durch - oft schroffe - Zupf-Effekte hervorgerufen, bzw unterstrichen. In letzter Hinsicht habe ich das Streichquartett Nr 1 nicht als langatmig, sondern eher als interessant empfunden. Man muß es mit Sicherheit mehrmals hören um seine Vorzüge wirklich voll erkennen zu können - sie sind aber zweifellos vorhanden
    Deutsche Musikkritiker dürften mit Martinu nur wenig am Hut haben, denn im Harenberg Kammermusikführer gestand man ihm zwar EINE SEITE (!) zu, die sich aber vornehmlich mit seinem Lebenslauf befasste und sein GESAMTES kammermusikalisches Werk auf 13 Zeilen abhandelte!!


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dreiendhalb Jahre sind verstrichen. Heute habe ich Martinus Streichquartet Nr 1 das zweite mal gehört - eher durch einen Zufall ausgelöst.
    Zu meiner Überraschung habe ich dann diesen alten Thread entdeckt, der irgendwie eingeschlafen war. Interessant ist, daß mein Eindruck heute viel geschlossener und insgesamt positiver war als beim Ersthören. Dvorak kam immer wieder durch, obwohl das Werk doch einigermaßen avantgardistisch angelegt ist, wobei die Spätromantik und ein gewisser "tschechischer Volkston" ebenfalls noch stark eingebunden sind. Martinus Streichquartett Nr 1 ist übrigens gar nicht sein erstes, es gab frühere, die aber als verschollen gelten.
    Auf jeden Fall wird dieser Thread ab jetzt fortgesetzt.


    mit freundlichen Grüßen auns Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn ich einen vertreter der Avantgarde anhöre, dann beginne ich vorzugsweise mit dem ersten Werke einer mich interessierenden Gruppe (in unserem Falle sind das die Streichquartette) denn ich meine, der Komponist wäre danm noch irgendwie von der Tradition geprägt oder abhängig und hab noch nicht allzuviel Böses angestellt. :D
    So mir das Erstlingswerk gefällt schreite ich weiter voran, werde abern dann immer distanzierter zum betreffenden Komponisten. Folgerichtig habe ich das Streichquartett Nr 2 von Martinu ein wenig mit Bangen in den Player gelegt. Sieben Jahre hat der Komponist verstreichen lassen, bevor er sich an das zweite Quartett wagte. Ich muß sagen, ich war angenehm überrascht. Anfangs meinte ich, die Anklänge an Dvorak oder - wer so will - der tschechische Ton sei verschwunden - aber nach längerem Hören habe ich erkannt, da0 dies ein Fehlschluß war. Die Anklänge sind zwar subtiker, versteckter - aber immer nich irgendwie da.
    Martinu versteht erneut, bei aller Modernitätm ein klanglich ansprechendes Werk zu schreiben, ich meine hier aus "konservativer" Sicht., wobei es eine Gratwanderung ist, so etwas zu schreiben, die Toleranzgrenze in bezug auf "Neue Töne" ist sehr unterschiedlich.
    Mich hat indes die Vilefalt der Klangfarben, die ungeuhere Dynamik (für ein Streichquartett) und die zahlreichen akustischen Überraschungseffekte für sich eingenommen. Da gibt es düster grollende Passagen, fast an eine Orchester erinnernd, schmissig Aggressives, schmelzend betörendes . Dennoch bleibt immer etwas "Gefälliges" dqs unseren Ohren schmeichelt - und ich bitte das jetzt nicht falsch zu verstehen. Denn der Musikkritiker Robert Schumann hätte vermutlich an dem Werk kein gutes Haar gelassen...... :D
    Ich habe jetzt im nachhinen nachgesehen wie Wikipedia zu diesem Werk steht. Das habe ich nicht gefunden, aber sehr wohl winw allgemeine Beschreibung der Musik Martinus, Und hier finde ich alles was ich bislang herausgehört aufs trefflichste beschrieben...
    Zitat Wikipedia:

    Zitat

    Auffällig ist ein stets enger Bezug zur tschechischen Volksmusik, der sein Werk oft sehr „musikantisch“ erscheinen lässt. Seine Kompositionen sind häufig vital und tänzerisch. Besonders differenziert ist Martinůs Rhythmik, die eine reizvolle Spannung zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Elementen sowie ständige Taktwechsel aufweist. Die Harmonik ist relativ traditionell, hat aber eine eigene Ausprägung – es entstehen ganz neue Zusammenhänge und Klangfarben; das Festhalten an einer erweiterten Tonalität schließt aber teilweise harsche Dissonanzbildungen nicht aus.


    Vielleicht sollte Man noch anmerken, daß das Qaurtett im Herbst 1925 in Paris komponiert wurde und bereits 13 Tage darauf in Berlin uraufgeführt wurde.
    der Publikumserfolg war groß
    Meine Hörerfahrungen beziehen sich auf die IMO vorzüglich Aufnahme mit dem Martinu Quartett (Naxos - Link: Siehe Beitrag Nr 1)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich könnte mir ja vorstellen, dass mir das auch gefällt, aber ich muss erst einmal meinen Wunschzettel Stück für Stück abarbeiten, bevor ich neue CDs drauf setze. Sonst wird das noch eine never ending story :hahahaha: