Cosi fan tutte, Canadian Opera Company, Toronto, 18.01.2014

  • Ihr Lieben,


    es war zwar nicht "gestern", sondern am Samstag, aber ich hoffe, es gilt noch. ;)


    Die neue "Cosi" in Toronto war ein reichlich "mixed bag": Musikalisch größtenteils sehr schön, als Inszenierung ... oh mei, oh mei, oh mei.


    Aber fangen wir mit den "Daten" an:
    Conductor: Johannes Debus
    Director: Atom Egoyan
    Set & Costume Designer: Debra Hanson
    Fiordiligi: Layla Claire
    Dorabella: Wallis Giunta
    Ferrando: Paul Appleby
    Guglielmo: Robert Gleadow
    Despina: Tracy Dahl
    Don Alfonso: Thomas Allen


    Meine "Entdeckung" des Tages stand beziehungsweise saß im Orchestergraben: Der noch recht junge, deutsche GMD der COC Johannes Debus liefert mit seinem Orchester einen erstaunlich transparenten, "vibrierenden" Mozart ab, der sehr spannende, große Momente hat. Er hatte auch einige Ecken und Kanten, an denen er noch schleifen muss und hin und wieder - vor allem im Mittelteil - kam er sogar mal einen Moment "bräsig" daher, aber insgesamt vermittelte er das Gefühl, dass man von diesem jungen Herrn bestimmt noch mehr hören wird. Allerdings habe ich nicht so ganz verstanden, was ihn auf die Idee gebracht hat, die Rezitative selbst auf einem Flügel zu begleiten - das war gewöhnungsbedürftig.


    Die beiden jungen Damen schlugen sich sehr wacker, wobei ich vor allem Layla Claires warmes Timbre mag. Paul Appleby hatte ich schon im Vorjahr in Boston als Ferrando erlebt. Ich halte was von ihm: Ein ausgesprochen schöner, warmer, lyrischer Tenor, sehr musikalisch - aber am Samstag ein bisserl nervös und daher nicht immer auf der Höhe, die er erreichen kann. "Lokalmatador" Robert Gleadow (er ist in Toronto geboren und aufgewachsen) ist ein Bass-Bariton mit recht dunklem Ton und sehr viel Kraft, der nur aufpassen muss, nicht zu viel zu machen. Und über Sir Thomas Allen muss man wohl nicht viel sagen - er ist für mich der lebende Beweis, dass eine Stimme, wenn man sie gut und richtig behandelt und einsetzt, nicht "altern" muss, sondern höchstens reift.


    Damit wären wir aber bei der Inszenierung. Der Regisseur Atom Egoyan ist, so habe ich mir sagen lassen, in Canada als Filmregisseur sehr bekannt und hat auch schon für die COC gearbeitet. Die "Cosi fan tutte" ist aber eindeutig nicht seins und alles Blahblah darüber, wie toll und originell das ist, konnte nicht dafür gut machen, dass ich seine "Grundidee" weder neu noch toll finde. Bei ihm spielt die Cosi in einer Schule, weswegen alles in Schuluniform (die Damen in sehr kurzen Faltenröckchen) unterwegs ist. Das Zentralstück der Deko ist ein riesiger Schrank (ungefähr 6 m), in dem so allerlei Kram aus dem Naturkundeunterricht zu Anfang des 19. Jahrhunderts rumliegt. Die Details gehen allerdings unter, weil das Ding ja hinten steht und irgendwie ... die Figuren davor wirken wie in der Zwergenstube und die Beleuchtung ließ überlegen, ob man in Toronto auf dem Energiespartrip ist (der Regisseur, so lernte ich, hat seinen Vornamen der Begeisterung seines Herrn Papas für ein neu errichtetes Atomkraftwerk zu verdanken. Schad', dass er die väterliche Begeisterung für Strom nicht teilt). Außerdem - oh, wie originell - hat auch Herr Egoyan festgestellt, dass die Cosi "frauenfeindlich" ist, wenn man sie im Original spielt. Also werden aus den naiven Schäfchen, die ihre verkleideten Lover nicht erkennen, flugs toughe Girls, die natürlich von Anfang an wissen, was gespielt wird. Das hatten wir schon vor einigen Jahren in Salzburg - und da hat's auch nicht funktioniert. Spätestens dann, wenn die Herren sich verabschieden und die Mädels ihren Abschmiedsschmerz besingen, fasst man sich nämlich an den Kopf und fragt, was das soll. In der Egoyan Inszenierung ist das alles ein "Experiment" - aber warum macht Fioridiligi dann so ein Gedöns, bis sie Ferrando in die Arme sinkt? Wahrscheinlich weiß sie es selbst nicht - jedenfalls hatte man streckenweise das Gefühl, dass alle sechs Akteure nach dem Prinzip "Augen zu und durch - die Musik wird's schon retten!" über die Bühne wuselten. Vielleicht sollte mal Herrn Egoyan sagen, dass Hühnergerenne nicht die Alternative zum Rampensingen ist und dass die Überlegung, ob seine Sänger und sein ständig aktiver Chor für die Nummer eigentlich Kilometergeld kriegen, etwas ablenkt.


    Es war eindeutig "Regietheater light" - und schad' drum. Gerade die Cosi mit ihrer herrlichen Musik braucht einen Regisseur, der weiß, was er tut ...


    Sycorax
    "Naja, vielleicht beim nächsten Mal wieder ..."

  • Zitat

    Zitat von Sykorax: "Naja, vielleicht beim nächsten Mal wieder ..."

    Liebe Sykorax,


    wenn du heute den Bericht von Operus unter Regietheater - Konzepttheater - altbackene versus moderne Inszenierung gelesen hast, kann man nur sagen: "Lass alle Hoffnung fahren." Wenn nur noch diesen faschistischen Zuschauern in Gesicht geschlagen werden soll, wobei die Musik überhaupt nicht mehr zählt, dann wirst du wahrscheinlich beim nächsten Mal wahrscheinlich wieder dasselbe erleben. Ich wünsche dir jedenfalls etwas Besseres.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo Sycorax,
    da wäre mir doch glatt dieser interessante Bericht durch die Lappen gegangen. Offenbar ja ein witziges Kerlchen dieser "Regisseur", fürwahr. Ich finde, da könnte der Begriff "Atomspaltung" wieder eine ganz neue Bedeutung gewinnen.
    Leider wird wohl auch in der "Neuen Welt" nur mit abgestandenem RT-Wasser gekocht, wenn man dies alles so liest. Aber so langsam sollte dir natürlich auch klar sein, dass die großen und kleinen Regie"künstler" über solche profanen Dinge wie Personen-, Chor-und Lichtregie mehr als erhaben sind. Das ist schließlich nur schnödes Handwerk, mit dem sich ein echtes Genie nicht auseinanderzusetzenn braucht.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)