Oper und Dramaturgie


  • Natürlich sind Opern auch nach üblicher Dramaturgie aufgebaut. Wie gut dies jeweils gelungen ist, hängt von der Kunst des Librettisten und auch des Komponisten ab. Oft sind die wirkungsvollsten Stellen erst den Strichen des Komponisten zu verdanken Dramaturgisch ausgezeichnet sind z. B. Puccini, Janácek, Mozart. (meistens aber auch erst mit zunehmendem Alter) Überhaupt Janácek - durch Überlagerungen erzielt er wunderbare Effekte, seine Aktschlüsse sind dramaturgisch auch phänomenal, hervorzuheben ist seine Kunst, aus ganz offensichtlich opernungeeigneten Texten (z. B. Aufzeichnungen aus einem Totenhaus v. Dostojewskij) dramaturgisch hervorragende Libretti zu schaffen. :yes:
    Meiner Meinung nach schwächelt dagegen die Dramaturgie beim frühen und mittleren Verdi ziemlich. Erst seine Boito-Opern (Simon Boccanegra, Otello, Falstaff) sind stringent konstruiert.

  • Salut,


    ein tolles Thema!Leider habe ich viel zu wenig Muße, ausgiebig dazu zu posten. Grundlegend möchte ich aber anmerken, dass die Dramaturgie einer Oper sehr viel komprimierter gestaltet ist, als bei einem Schauspiel ohne Musik. Oper und Schauspiel sind in aller Regel abendfüllende Projekte, das Schauspiel alleine bietet hier die Möglichkeit, Spannungsmomente über eine ziemlich lange Zeit hinweg aufzubauen, bei der Oper hingegen muss das alles etwas schneller gehen, da sich hier im Prinzip "Musik und Literatur gegenseitig im Weg stehen". Die Oper nutzt dies natürlich insofern als Vorteil, dass für den Aufbau der Dramaturgie zusätzlich die Musik zur Verfügung steht. Die Charakterisierung der Acteure geht mit Hilfe der Musik sehr viel schneller, als durch allein gesprochene Texte. Opern haben in vielen Fällen bekannte Schauspiele als Vorlage, die zum zwecke der Oper auf das Wesentliche "zusammengeschnitten" werden, die Handlung wird also in der Regel im "nur" Kern erfasst, so daß ausreichend Platz für die wunderbare Musik und ausgedehnte Gesangskunst verbleibt. Dies bezieht sich natürlich überwiegend auf die Klassische Oper des 18. Jahrhunderts.


    Trés amicalement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo!


    Ich interessiere mich sehr für den dramatischen Aufbau - bei Dramen.
    Bei Opern steht für mich die Musik im Vordergrund, achte meist nicht auf dramaturgische Kunstgriffe. Vom Gehalt des Textes her steht die Oper dem Drama (sofern es sich um einen guten ramatiker handelt) ja um einiges nach - sofern ich das beurteilen kann.


    Allerdings ist mir z.B. bei Mozarts Zauberflöte ein interessanter dramaturgischer Aufbau aufgefallen (das hat nichts mit der Diskussion zu tun, ob der Inhalt der Oper tief- oder blödsinnig ist).


    Bei der Beschäftigung mit Verdis Macbeth ist mir als einer der Hauptunterschiede zu Shakespeare aufgefallen, daß Verdi die Lady Macbeth nach der 2. Hexenszene zu ihrem Gatten eilen läßt, und die beiden in Eintracht Pläne schmieden. Das fehlt bei Shakespeare zurecht komplett, da es von der psychologischen Entwicklung her unsinnig ist: Spätestens nach der Erscheinung von Banquos Geist im 3. Akt (Shakespeare) bzw. 2. Akt (Verdi) gehen Macbeth und seine Frau innerlich und äußerlich getrennte Wege. Verdi wollte wohl der Rolle der Lady mehr Gewicht verleihen.
    Zudem finde ich bei Verdi das Umformen zum Vier-Akte-Drama unglücklich (er verschmolz den 1. und 2. Akt von Shakespeare zu einem).


    Viele Grüße,
    Pius.