Eine Lanze für die Epigonen

  • Ich gestehe ganz offen, daß ich eine Vorliebe für Epigonen - oder Komponisten, die als solche gesehen werden - habe.
    Eigentlich hat mich die Suche nach Mozart-Epigonen erst dazu gebracht mich mit der "Wiener Klassik" näher zu befassen. Ich habe damals nicht nach "Epigonen" gesucht - sondern nach Komponisten, die "ähnlich wie Mozart" komponierten.
    Stilsicher fiel meine erste Wahl auf Johann Christian Bach :hahahaha: - was so falsch gar nicht ist - wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen. Es ging mir damals wie heute lediglich darum, nicht zu akzeptieren, daß ein bestimmter Komponist nur eine kurze Lebensspanne zur Verfügung hatte - und daß nach dessen Tod eine "Ära" zu Ende ging.
    Genau diese Lücke schließen Epigonen (wobei man hier oft sehr großzügig im Umgang mit dieser Bezeichnung ist)
    Ferdinand Ries beispielsweise gilt als Beethoven Epigone. Tatsache ist, daß er Musik geschrieben hat, die jener Beethovens recht ähnlich, bei genauerem Hinhören jedoch doch anders ist. Für Beethoven-Liebhaber ein Gewinn, das Angebot wird auf diese Weise quantitativ erweitert. Allerdings ist bemerkenswert, dass die meisten bedeutenden Werke von Ries noch zu Beethovens Lebzeiten entstanden - sie stellen also keine Brücke in die Zukunft dar, aber immerhin eine Bereicherung des ansonsten unvergleichlichen Stils...


    Meine Ansprüche an eine Komposition sind nicht dahin gehend, dass hier "Neuland" erschlossen werden muß - sondern dass mir das Werk gefällt.


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    das kann ich gut verstehen, dass man immer wieder weiter ramifiziert, was einem gefällt, und auch ich möchte mich auf diesen Weg begeben, wobei ich mir dann selber die Frage stelle, sollte ich nicht erst einmal den ganzen Mozart intensiv hören? Die 170 und mehr CDs sind noch lange nicht alle durch. Zudem stellt sich mir die Frage, was macht einen Epigonen "zweitklassig" oder aber "verkannt und kongenial"? Sicherlich ändert sich da im Lauf der Zeit oft das Urteil, und manch einer von Mozarts Zeitgenossen, die heute kaum noch bekannt sin, standen damals in hohem Ruf.
    Viele Lücken lassen sich glücklicherweise schließen, da der CD - Markt einiges bietet, schwieriger scheint es mir da zu sein, unbekanntere Komponisten auch einmal im Konzert zu hören.


    Vielleicht können im Rahmen dieses Threads auch noch mehr Tipps gegeben werden, welche Namen hier aufhorchen lassen? Alfred hat ja schon Ferdinand Ries genannt. Ich möchte hier auch Carl Czerny nennen, der m. E. sehr viel mehr als nur hölzerne Gebrauchsmusik für seine Klavierschüler geschrieben hat, die ja immer wieder mit seinen Etüden "gequält" werden.

  • Epigonen ?!? - Find' ich gut! So möchte ich es tatsächlich ausdrücken. An die großen Meister, die Neuland entdeckten und dieses Neuland gleich mit ganzen Serien meisterhafter Werke mit Ewigkeitswert absteckten (z.B. Haydn und das Streichquartett), reichen die Epigonen natürlich nicht heran. Aber ... neue Meister vom Schlage und Gewicht eines Haydn, Mozart, Beethoven wird man nicht mehr entdecken. Aber Epigonales kann immer wieder für schöne Überraschungen sorgen. Epigonales rundet das Bild einer Epoche erst vollständig ab. Bestand die süddeutsch-österreichische Musikszene der 1780er Jahre nur aus Haydn und Mozart? Das wäre seltsam und auch irgendwie öde (bei allem Respekt vor den beiden Genies). Auch Gemälde brauchen Hintergrund und Nebenfiguren etc. um wirklich 'rund' zu wirken. Wir brauchen die Epigonen um ein reichhaltiges musikalisches Epochengemälde zu erhalten und manchmal auch, damit wir uns mal wieder deutlicher bewusst werden, wie genial die berühmten Meister waren.


    Und manchmal produzierte ein Epigone neben vielem Durchschnittlichen wenigstens ein Werk, das ihm wahrhaft meisterlich gelang. Und auch über diese einsamen Perlen muss man froh sein, aber eben auch das gut gearbeitete 'Durchschnittliche' (das ja in Wahrheit auch Kunstwerk ist, denn wer von uns wäre denn zu diesem 'Durchschnittlichen' fähig?) kann schöne Musikstunden bereiten.


    Ich fordere: Mehr Respekt vor den Epigonen, sie sind unendlich wertvoll. Aber damit renne ich hier im Forum ja eh' nur weit geöffnete Tore ein.


    Grüße
    Garaguly

  • Zitat

    Vielleicht können im Rahmen dieses Threads auch noch mehr Tipps gegeben werden, welche Namen hier aufhorchen lassen?


    Ganz allgemein wird Rosetti als sehr Mozart - ähnlich beschrieben und Pleyel als Haydn-Nachfolger gesehen.
    Das mag als grober Hinweis dienen. Persönlich habe ich indes die Erfahrung gemacht, daß vieles, das angeblich (als Beispiel) Mozart oder Haydn etc. etc. nahe steht lediglich dem Stil deren Zeit entspricht, der allerdings natürlich von den "Großen" mitgeprägt wurde.
    Ich würde Pleyel durchaus einen eigenen Stil zuerkennen, der "gefälliger" ist als jener seines Lehrers.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dann kann ich gleich mal das beste Epigonat aller Zeiten benennen: Die "Wagner-Oper" Harald Viking des Schweden Andreas Hallén (1846-1925).

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  • Mit dem Begriff der "Epigonen" ist das etwas problematisch ... es handelt sich hier um eine Bewertung von Geschichte, erfolgt nach vielen Jahrzehnten bis -hunderten. Wir sind hier wieder mal bei der "Rezeption"! Denn wer damals oftmals als großer Künstler angesehen wurde, wird heute als "hach, der hat ja bloß nachgeahmt" disqualifiziert. Denn der wirklich Große darf ja nicht nachgeahmt haben ...
    Um nur ein Beispiel herauszugreifen: die Entwicklung des "klassischen" Streichquartetts. Boccherini, Sammartini, Matthias Georg Monn, Johann Georg Albrechtsberger, Leopold Gassmann oder die Mitglieder der Mannheimer Schule waren in Form und Struktur die Wegbereiter dieses Zweigs der Kammermusik, der durch Joseph Haydn dann zu einer festen eigenen Gattung geprägt wurde. Wer war da Epigone? betrachtet man die Geschichte, so waren es letztlich Haydn und Mozart: da sie für ihre Werke auf Vorläufern aufbauten.
    Anderes kleines Beispiel: das Nocturne. Der Engländer John Field war der Wegbereiter dieses romantischen Genrestücks; er war der erste, der seinen Romanzen diesen Titel gab - und war so Vorläufer von Chopin. Dessen Nocturnes haben überlebt, Fields nicht (oder fast nicht). Wer war Epigone?


    Ich würde daher diesen Begriff nicht anwenden - es würde den Komponisten, die durch die Größe Einzelner abseits stehen, aber die die eigentliche Vorarbeit geleistet haben, nicht gerecht werden. (Aus meiner Sicht) ist es nicht richtig, eine Bewertung von unserer heutigen Sichtweise aus vorzunehmen: und der Begriff "Epigone" ist eindeutig wertend.

  • Ich denke, "wirkliche" Epigonen gibt es gar nicht so viele, da die meisten großen Komponisten schwer nachzuahmen sind. So spontan würde ich etwa von Herzogenberg (Brahms) nennen. Wenn man den Begriff etwas weiter fassen will, also nicht als Nachahmer eines bestimmten Komponisten, würde ich jene Komponisten Epigonen nennen, welche bei der Verarbeitung ihrer Stücke ausschließlich auf etablierte Modelle zurückgreifen, ohne dem musikalischen Material ihren persönlichen, individuellen Stempel aufdrücken zu können. Von dieser Art Komponisten gibt es viel mehr. Diese Art zu komponieren kann durchaus auch reizvoll sein und zu guten Ergebnissen führen, aber wohl eher selten zu sehr guten Ergebnissen, da "Inhalt" und "Form" nicht synergistisch wirken sondern nebeneinander. In diesem Zusammenhang fallen mir viele Kammermusikwerke der Romantik ein, in welchen mehr oder weniger gute Melodien recht stereotyp im klassizistischen Rahmen des Soantenhauptsatzes durchdekliniert werden. Beeinflussung hingegen, wie von Tuonela ausgeführt, würde ich nie als "Epigonentum" definieren. Da gäbe es ja nur Epigonen.

  • Wer war da Epigone? betrachtet man die Geschichte, so waren es letztlich Haydn und Mozart: da sie für ihre Werke auf Vorläufern aufbauten.


    Das Schlüsselwort hier heißt aber "aufbauen".
    Wagner hat ja schließlich auch aufgebaut, meist auf Marschner und Weber, doch niemand würde auch nur andeutungsweise ihn als Epigonen verdächtigen.


    Bei Andreas Hallén liegt die Sache anders. Seinen Harald Viking kann jedenfalls ich nicht als Weiterentwicklung empfinden. Die sollte schon vorhanden sein, um als eigenständiger Komponist zu gelten.

  • Zitat

    Ich denke, "wirkliche" Epigonen gibt es gar nicht so viele, da die meisten großen Komponisten schwer nachzuahmen sind.


    Ich würde das sogar weiterführen- Es ist vermutlich gar nicht MÖGLICH das zu tun - und zwar unabhängig von der Qualitätsfrage. Denn jeder Mensch hat seinen persönlichen Stil, den man zwar unterdrücken kann - aber der immer wieder durchscheint.
    Wir sehen das Problem schon bei Rekonstruktionen. Natürlich ist es möglich eine unvollendete Sinfonie zu vollenden. Da gibt es IMO zwei Denkansätze.
    a) Ich suche in anderen Werken des Komponisten geeignete Stellen, die ich so geschickt einfüge und mit ganz wenig Füllseln aus meiner Feder zu einem "harmonischen Ganzen" zusammenfüge - mit leicht veränderten Originalthemen des zu ergänzenden Werkes.


    Solch eine Rekonstruktion wird stets akademisch trocken wirken - das Werk mag im ersten Augenblick geretttet erscheinen - ein Meisterwerk wird es aber dadurch nicht.


    b) Mit allem Einfühlungsvermögen und Kennerschaft versuche ich den Stil des Werkes nachzuempfinden.
    Vermutlich wird man das Ergebnis als gelungen betrachten -in der Zeit in der es entstanden ist. Jahrzehnte oder Jahrhunderte später wird man aber bemerken, daß hier ein stilistischer Bruch vorhanden ist, der erst aus der Distanz der Zeit bemerkt werden kann.


    Wir sehen daraus, daß ein Personalstil auch bei Tonsetzern mit weniger Profil quasi IMMER vorhanden ist - ob dies nun erwünscht ist - oder nicht....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es gibt ja schon eine ganze Reihe Threads in ähnlicher Richtung. Wie schon angedeutet wurde, muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen Epigonen i.e.S. wie der skandinavische Wagnerianer oder vielleicht auch Herzogenberg und andererseits Komponisten, die, obwohl man sie eng dem Umkreis oder der Nachfolge eines berühmteren Komponisten zuordnen kann, ziemlich originell sein können. Dazu würde ich zB Ries zählen. (Ich kann und will gewiss nicht beurteilen, ob Ries nun origineller/epigonaler als Herzogenberg ist, sie werden nur als mögliche Beispiele genannt.)
    Die meisten weniger bekannten Komponisten sind aber keines von beiden. Manche sind eher "Pioniere", die irgendwann in den Schatten ihrer Nachfolger geraten sind, wie die erste Generation der "Mannheimer Schule" oder vielleicht sogar CPE und JC Bach.
    Andere sind, auch wenn ihnen keine bahnbrechenden Pionierleistungen zugeschrieben werden, seinerzeit angesehene Komponisten gewesen, niemandes Epigone, aber aus diversen Gründen langfristig nicht so erfolgs- und einflussreich wie die heute angeseheneren Zeitgenossen, zB Hummel und Spohr gegenüber Beethoven und Schubert. Jemanden wie Boccherini könnte man sogar in unterschiedliche dieser Gruppen einordnen. Einerseits ein Pionier des Streichquartetts, dann aber auch ein Komponist, der allein geographisch ein wenig abseits werkelte und durch die Konzentration auf Kammermusik hauptsächlich bediente, was heute eher Nischenrepertoire ist.


    Es gibt sicher gute Gründe, sich auf Komponisten/Werke zu fokussieren, die, wie und warum auch immer, von der musikggeschichtlichen Entwicklung dauerhaft herausgehoben worden sind.
    Es gibt ebenso gute Gründe, sich auch mit dem "Hintergrund" zu befassen.
    Nur gibt es allerdings schon von sehr berühmten Komponisten sehr viel Musik, mit der man sich befassen kann, insbesondere wenn man nicht stark auf einige Gattungen/Epochen konzentriert ist. Nicht jeder hat beliebig viel Zeit. Ich würde daher z.B. zögern, jemandem, der nicht den größeren Teil von Haydns Sinfonien und Quartetten gehört hat, zu empfehlen, sich lieber erstmal mit Dittersdorf oder Pleyel zu befassen. Und obwohl es natürlich naheliegt, dass jemand, der mehr ähnliches wie Haydn sucht, dann Pleyel hören sollte, könnte man ihm auch nahelegen, stattdessen "große" Werke anderer Epochen zu hören, z.B. Madrigale von Monteverdi oder Klaviersonaten von Prokofieff oder was auch immer...

    Struck by the sounds before the sun,
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  • Die Epigonenfrage könnte man noch ausweiten. Was ist, wenn die gleichen stilistischen Mittel von Zeitgenossen verwendet werden?


    Angenommen man legt ein bis dahin unbekanntes Schostakovitsch-Streichquartett einer Schar Experten zum Raten vor.
    Da könnte es durchaus sein, dass einige auf Prokofjev tippen. Wer wäre in diesem Fall der Epigone?


    Prokofjev sicher nicht, der war ja etwas früher da. Aber es wäre auch vermessen, Schostakowitsch einen Epigonen zu nennen, dafür ist seine Musik zu eigenständig,
    auch wenn er, wie man sagt, Gustav Mahler und Igor Strawinskij nahe steht.


    Ob es überhaupt möglich ist, den Beweis zu erbringen, der und der Komponist sei ein Epigone und hätte dabei noch bewusst nachgeäfft, erscheint mir sehr fraglich; ohne sorgfältige und umfassende Forschung geht es ohnehin nicht.


    Das Beste wird wohl sein, einen eventuellen Verdacht zu ignorieren und - wenn einem die Musik gefällt - sie unbeschwert zu genießen.

  • Zitat

    Nicht jeder hat beliebig viel Zeit. Ich würde daher z.B. zögern, jemandem, der nicht den größeren Teil von Haydns Sinfonien und Quartetten gehört hat, zu empfehlen, sich lieber erstmal mit Dittersdorf oder Pleyel zu befassen.


    Dieser Wunsch muß von alleine kommen - und er kommt, sobald man sich "durchgehört" hat - was ja heute durch niedrigere Tonträgerpreise relativ bald möglich ist. Ich meine hier nicht den zwanzigjährigen oder 25 jährigen. Mit 35 Hatte ich einen Großteil der sogenannten "klassischen " Literatur bereits gehört - unter bewusster Ausklammerung des 20. Jahrhunderts - von sagen wir mal 20 Schlüsselwerken ausgenommen. Aber ausgefallene Barockkomponisten oder Vorklassik war natürlich kaum vorhanden. Die Ries Renaissance begann etwa um 1997. Ries war - soweit mir bekannt - der einzige WIRKLICHE Epigone, der BEWUSST STILKOPIEN seines Vorbilds anfertigen wollte - und bei kritischer Betrachtung ist ihm das NICHT gelungen - zuviel eigene Ideen kommen unter der Oberfläche immer wieder hervor - das war bestimmt nicht angestrebt. Andere Komponisten, die heute als Epigonen dastehen wollten lediglich den Publikumsgeschmack bedienen - und rutschten damit selbstverständlich in die Nähe der "musikalischen Opinion-Leader" ihrer Zeit. Das war damals kein Makel, sondern eher eine Auszeichnung für alle Beteiligten. Das "Vorbild" fühlte sich geschmeichelt - der "Nachahmer" konnte behaupten. den Stil eines berühmten Mannes so zu kopieren, dass es keine für alle ersichtlichen Unterschiede gäbe. Der "Originalitätswahn" ist eine Erfindung des amusischen 20. Jahrhunderts, wo jeder Halbidiot sich rühmte etwas "völlig neues, eigenständiges" geschaffen zu haben - ohne Rücksicht darauf, daß jenes "Eigenständige" eine Scheusslichkeit darstellte - etwas das nur deshalb kein Vorbild hatte, weil sich in der Vergangeheit jeder Künstler geschämt hätte seinen Namen unter solch ein Machwerk zu setzen.
    Kommen wir zu "Güte" von "epigonalen Werken" Es ist schon bezeichnend, wenn Bachs Autorenschaft bei BWV 565 in Zweifel gezogen werden kann und niemand in der Lage ist hier eine eindeutige Aussage zu machen, die falschen Zuschreibungen (Mozart Haydn etc) bestätigen meine Ansicht, daß epigonales oft - ja sogar meist - gleichwertig ist wie das Original - und in seltenen Fällen sogar besser....


    mfg aus Wien
    Alfred

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  • Die Epigonenfrage könnte man noch ausweiten. Was ist, wenn die gleichen stilistischen Mittel von Zeitgenossen verwendet werden?


    Das ist ja normalerweise immer der Fall. Eine stilistische Vielfalt wie im 20. Jhd. ist eher die Ausnahme. Unterschiede wie "französischer" vs. "italienischer" Stil im Hochbarock nimmt heute wohl nur ein erfahrener Hörer bei typischen Stücken wahr, zumal schon damals nicht nur deutsche Komponisten wie Telemann oder Bach, sondern sogar Couperin einen "vermischten Geschmack" anstrebten.


    Ich glaube aber, dass es dennoch Stücke gibt, die man recht deutlich als "epigonal" einordnen kann. Normalerweise beginnen junge Komponisten als Epigonen, sie komponieren eng an den Stil ihrer Lehrmeister oder Vorbilder angelehnt. Nur kennen wir heute meistens nur Jugendwerke derart überragender und origineller Komponisten, dass die oft, selbst wenn man die Anklänge noch wahrnimmt, einen eigenen Ton aufweisen oder ihre Vorbilder sogar übertreffen. Man kann hier zB frühe Mozart-Sinfonien mit Werken Joh. Chr. Bachs vergleichen. Oder Beethoven Streichtrio op.3 mit Mozarts KV 563. Allein aufgrund der seltenen Besetzung und Sechssätzigkeit ist das Vorbild unbestreitbar, aber Beethovens Werk ist vom Charakter deutlich anders, energischer, humorvoller, während Mozarts insgesamt weit lyrischer, melancholischer, "reifer" daherkommt (ich meine nicht, dass Beethoven hier sein Vorbild übertrifft, aber er zeigt deutlich einen eigenen Tonfall).


    Ein Stück, das ich, obgleich durchaus hörenswert, als epigonal empfinde, wäre zB die sog. "Jenaer Sinfonie" von Friedrich Witt, die eine Zeitlang dem jungen Beethoven zugeschrieben wurde. Die hängt sich sowohl was den Charakter der Sätze als auch teils sogar die Gestalt der Themen betrifft, derart eng an Haydns Nr. 97, wie man es bei Beethoven unter Werken mit Opusnummer eigentlich nie findet. (M.E. auch nicht bei Jugendwerken wie den "Kurfürstensonaten", aber da bin ich sicher nicht genügend mit möglichen Vorbildern CPE Bachs, Haydns o.ä. vertraut, um das beurteilen zu können.)

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  • Das Schlüsselwort hier heißt aber "aufbauen".
    Wagner hat ja schließlich auch aufgebaut, meist auf Marschner und Weber, doch niemand würde auch nur andeutungsweise ihn als Epigonen verdächtigen.


    Bei Andreas Hallén liegt die Sache anders. Seinen Harald Viking kann jedenfalls ich nicht als Weiterentwicklung empfinden. Die sollte schon vorhanden sein, um als eigenständiger Komponist zu gelten.


    Tja, aufbauen tut aber jeder auf seine Art. Oder vielleicht andersherum - und natürlich rein hypothetisch - formuliert: Wie hätten die "großen" Komponisten komponiert, wenn die Wegbereiter nicht gewesen wären? wenn es kein musikalisches Umfeld gegeben hätte?
    Und auch bei Komponisten, die heute gar keine Bedeutung haben, weil ihnen keine beigemessen wird, muss man vorsichtig sein ... Rezeption ist vielschichtig; und das gilt auch für die Werke, die oft dem "Zeitgeschmack" huldigen mussten, um dem Musiker, der sich in jenen Zeiten selbst um seine Karriere kümmern musste, das Überleben zu sichern. ("Komponisten" gab es in früheren Jahrhunderten nicht - die Musiker waren Komponisten, Interpreten und Pädagogen in Personalunion; man nannte sie "Tonkünstler".)

  • Zitat

    Nur gibt es allerdings schon von sehr berühmten Komponisten sehr viel Musik, mit der man sich befassen kann, insbesondere wenn man nicht stark auf einige Gattungen/Epochen konzentriert ist. Nicht jeder hat beliebig viel Zeit. Ich würde daher z.B. zögern, jemandem, der nicht den größeren Teil von Haydns Sinfonien und Quartetten gehört hat, zu empfehlen, sich lieber erstmal mit Dittersdorf oder Pleyel zu befassen. Und obwohl es natürlich naheliegt, dass jemand, der mehr ähnliches wie Haydn sucht, dann Pleyel hören sollte, könnte man ihm auch nahelegen, stattdessen "große" Werke anderer Epochen zu hören, z.B. Madrigale von Monteverdi oder Klaviersonaten von Prokofieff oder was auch immer...


    Bevor ich weiterschreibe: Du hast auch meines Erachtens Recht!


    Aber er ist, so denke ich, ein Modell, das Du erstellst. Die Entwicklungspsychologie eines (zunehmend) engagierten Musikliebhabers wird nicht so modellhaft ablaufen - nicht können und wohl auch nicht sollen. Man macht eigenständige Erfahrungen, um sich abzusondern oder weil man (etwa in einem Forum) dazu angeregt wird, man möchte sich spezialisieren und in diesem Kontext mehr kennenlernen als in anderen, man erweitert seinen Geschmack dennoch, lässt einen alten Schwerpunkt liegen, vertieft einen neuen. Man gewöhnt sich in zunehmendem Maße an bestimmte Musik - gattungs- oder epochenspezifisch -, die einem vorher fremd war, und man versteht gar nicht mehr, wie sie einem fremd bleiben konnte.


    (PS - aus gegebenem Anlass off topic: Viel wichtiger scheint mir, endlich wegzukommen von der Wahnvorstellung, es gäbe da zwei Sparten (oder gar noch mehr), und eine davon heiße "Klassik". Das macht mich längst bei Weitem aggressiver als - was weiß ich - der Streit um Musiktheaterinszenierungen ;) ).


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Kommen wir zu "Güte" von "epigonalen Werken" Es ist schon bezeichnend, wenn Bachs Autorenschaft bei BWV 565 in Zweifel gezogen werden kann und niemand in der Lage ist hier eine eindeutige Aussage zu machen, die falschen Zuschreibungen (Mozart Haydn etc) bestätigen meine Ansicht, daß epigonales oft - ja sogar meist - gleichwertig ist wie das Original - und in seltenen Fällen sogar besser....


    Vielleicht sollte man hier das Werk vom Künstler trennen und sich fragen, ob gekonnt nachäffen als Kunst zu bewerten ist und ob es zulässig ist, dem Nachahmer Genialität zu bescheinigen, weil es ihm gelungen ist, mit seiner Arbeit Experten zu täuschen.


    Man sollte doch den Zeitaspekt beachten.
    Paavo Nurmis Weltrekord-Zeiten reichen heutzutage oft nicht einmal aus, eine Kreismeisterschaft zu gewinnen. Ein guter Kopist kann einen Rembrandt malen,
    Hermann Hesse konnte wie Goethe schreiben und Hallén einen Wagner simulieren. Hinterher ist eben etwas anderes als vorher.


    Sicher habe ich gerade aus diesem Grunde noch nie davon gehört, dass ein Epigone oder purer Nachäffer in die gleiche Klasse aufgestiegen wäre wie Beethoven, Bach, Wagner, Verdi oder Mozart.
    Vereinzelte Identifikations-Probleme können daran nichts bewegen.

  • Sicher habe ich gerade aus diesem Grunde noch nie davon gehört, dass ein Epigone oder purer Nachäffer in die gleiche Klasse aufgestiegen wäre wie Beethoven, Bach, Wagner, Verdi oder Mozart.



    Bruckner hat seine 3. Sinfonie "in tiefster Ehrfurcht" Richard Wagner gewidmet und auch "Wagnerklang" erzeugen können. Ist er ein Epigone Wagners?


    Ich denke nein. Dazu war seine Musik zu eigenständig. Bloße Nachäffer bleiben wohl immer Kreisklasse, wie schon unser alter Schwede richtig sagte.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich denke, "Neues schaffen" wird sehr oft vom falschen Blickwinkel aus betrachtet. Nur um der Neuheit willen Neues schaffen zu wollen, wird wohl meistens erfolglos bleiben. Das Neue ist aber fast immer notwendig, um den ästhetischen Vorstellungen eines Komponisten zum Durchbruch zu verhelfen, bzw. eine möglichst erfolgreiche Verarbeitung des musikalischen Materials zu erlauben. Hat ein Komponist keine grundsätzlichen ästhetischen Ziele sondern einen eher handwerklichen Zugang zur Komposition, dann werden auch die Produkte dementsprechend sauber aber weniger faszinierend, individuell und authentisch sein. Mit Handwerkern und Erfindern ist es ähnlich. Ein Erfinder muss ein guter Handwerker sein, um seine Vorstellungen umzusetzen, aber ein Handwerker muss nicht erfinderisch sein. Selbstverständlich gibt es Handwerker, die geschickter als so mancher Erfinder sind - aber dafür wird man nicht berühmt sondern höchstens zu Lebzeiten erfolgreich. Auch ist nicht jeder, der gut rechnen kann, ein guter Mathematiker.

  • Tja, aufbauen tut aber jeder auf seine Art. Oder vielleicht andersherum - und natürlich rein hypothetisch - formuliert: Wie hätten die "großen" Komponisten komponiert, wenn die Wegbereiter nicht gewesen wären? wenn es kein musikalisches Umfeld gegeben hätte?


    Ich denke nicht, dass "Wegbereiter" Epigonen sein können. Was Du meinst, ist eher der Gegensatz "große" und "kleine" Komponisten.


    ("Komponisten" gab es in früheren Jahrhunderten nicht - die Musiker waren Komponisten, Interpreten und Pädagogen in Personalunion; man nannte sie "Tonkünstler".)


    Für Opernkomponisten traf das eigentlich nie zu und ab Haydn auch nur noch bedingt für Komponisten im Allgemeinen. Berlioz, z.B., konnte meines Wissnes nur ein bisschen Gitarre spielen. Dvorák war auch kein Virtuose.


  • Vielleicht sollte man hier das Werk vom Künstler trennen und sich fragen, ob gekonnt nachäffen als Kunst zu bewerten ist und ob es zulässig ist, dem Nachahmer Genialität zu bescheinigen, weil es ihm gelungen ist, mit seiner Arbeit Experten zu täuschen.


    Man sollte doch den Zeitaspekt beachten.
    Paavo Nurmis Weltrekord-Zeiten reichen heutzutage oft nicht einmal aus, eine Kreismeisterschaft zu gewinnen.


    Nurmi wäre mit seiner 5000m-Bestzeit (14:28) unter den Top40 und mit der 10000m-Bestzeit (30:06) 11.! der DLV-Bestenliste 2013... das dürfte für die meisten Kreise locker zum Gewinnen reichen... Sagt vielleicht zwar mehr über die Schwäche der deutschen Leichtathletik nach den paar Spitzenleuten aus als über die Entwicklung von Rekorden in knapp 90 Jahren, aber eben auch, dass man Sport und Kunst nicht so ohne weiteres vergleichen kann.


    Zitat


    Vereinzelte Identifikations-Probleme können daran nichts bewegen.


    Es gibt meines Wissens kein einziges Identifikationsproblem bei einem Werk vom Rang einer Bach-Passion oder einer reifen Haydn- und Mozart-Sinfonie. Bei Komponisten des 19. Jhd. sind mir überhaupt keine Fehlzuschreibungen bekannt.
    Im Falle von Bach und einem Werk wie der Toccata (u. einigen anderen) kommen mehrere Aspekte zusammen. So etwa eine Praxis von wiederholten Bearbeitungen und Arrangements eigener und fremder Werke, u.a. auch zu Lern- und Lehrzwecken. Einige fragwürdige Kammermusikwerke hat JS Bach vermutlich in solcher Weise mit seinen ältesten Söhnen gemeinsam komponiert. Andere, wie die C-Dur-Triosonate (BWV 1037) von Goldberg stammen von einem Musterschüler, der sehr eng am Stil des Lehrers komponiert.
    Mit ziemlicher Sicherheit handelt es sich jedenfalls nicht um einen Fall analog einem Kunstfälscher, der einen berühmten Künstler imitiert, um davon zu profitieren. Denn es wäre selbstverständlich 1730 nichts damit zu verdienen gewesen, ein Werk Bachs zu imitieren. Bach hatte genügend Mühe, bei den Werken, die er für teures Geld stechen ließ, die Unkosten reinzukriegen.
    Sondern eher um etwas ähnliches wie Werke aus "Rembrandts Werkstatt"

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  • Nurmi wäre mit seiner 5000m-Bestzeit (14:28) unter den Top40 und mit der 10000m-Bestzeit (30:06) 11.! der DLV-Bestenliste 2013... das dürfte für die meisten Kreise locker zum Gewinnen reichen.

    Habe doch in Kenia gemeint.


    Übrigens, ein hessischer Juniorenmeister lief 1960 oder 1961 auch um die 14.30 auf 5000m.

  • Ich glaube auch nicht, daß Komponisten, die heute den "Epigonen" zugezählt werden können aus "Profitsucht" einen anderen imitiert haben, sondern, weil ihnen der Stil zusagte - oder aber weil sie zur gleichen Zeit - einen ähnlichen Geschmack und eine ähnliche Technik entwickelten. Einder wurde berühmt - der andere nicht. Sehr gut zu sehen im Falle von Rott - Mahler.
    Rotte war VOR Mahler, und Mahler beruft sich sogar auf Rott:


    Zitat

    "Es ist völlig unmöglich zu ermessen, was die Musikwelt an ihm verloren hat. Seine Erste Sinfonie erhebt sich in solche Höhen des Genius, daß sie ihn, ohne Übertreibung, zum Begründer der Neuen Sinfonie macht,wie ich sie verstehe."


    Rott ist heute mehr oder weniger vergessen - Mahler nicht. War Mahler ein Epigone ? Hat er Rotts Stil "nachgeäfft" - ähh, ich meine natürlich "kopiert" ?
    Ich glaube er hat hier einen Kompositionsansatz gefunden, der seinem persönlichen Empfinden nahestand - er hat ihn übernommen und verfeinert, bzw abgewandelt. Letztlich macht das aber jeder Epigone.
    Nicht alles das noch nie dagewesen ist, ist ein Kunstwerk. Vieles wurde einfach nicht komponiert, gemalt, gedichtet oder gebaut, weil es einfach als hässlich gesehen wurde - man blieb im Rahmen der Konventionen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

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  • Schlimm wird es dann, wenn der eigene Sohn ständig als Epigone des Vaters angesehen wird, wie das bei Richard und Siegfried Wagner der Fall war. Der Sohn ist heute leider ziemlich vergessen, die Werke des Vater gehören weiltweit zu den meist aufgeführten. Wobei der Sohn zu Lebzeiten die Genugtuung hatte, dass die genau umgekehrt war und seine Werke z. B. "Der Bärenhäuter" höhere Aufführungszahlen erreichten als die Musikdramen des Vaters.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich finde überhaupt, daß der Begriff "Epigone" zu oft und oft bewusst abwertend gewählt wird. Viele Zeitgenossen Rembrandts haben in einem so ähnlichen Stil gemalt, deshalb gab es in der Vergangenheit (und Gegenwart ?) zahlreiche falsche Zuschreibungen. Das lag aber daran, daß hier der Zeitgeschmack eine gewisse Rolle spielte.
    Genauso sehe ich es bei den Komponisten. Es war durchaus üblich, daß Komponisten ein-und desselben Zeitalters und des gleichen Landes sich einer ähnlichen Tonsprache bedienten. Heute werden , wenn derzeit eher unbekannte Komponisten vorgestellt werden, immer Vergleiche mit ein oder zwei Berühmtheiten jener Epoche angestellt, damit man sich ein Bild machen kann. Wenn aber jemand in einem Stil geschrieben hat, der jenem von Haydn entsprach, dann folgt noch nicht daraus, daß es sich um einen Epigonen handelt.


    Ich möchte hier auch noch den Begriff des Eklektikers ins Spiel bringen - dem man in etwa dieselben Vorwürfe macht wie dem Epigonen - nämlich mangelnde Originalität. Es ist natürlich eine Frage ob man als Komponist "nach neuen Lösungen sucht", die meist vom zeitgenössischen Publikum abgelehnt werden - mit der Option auch Bewunderung und Anerkennung in 100 oder mehr Jahren - ODER man orientiert sich am momentanen Zeitgeschmack, verdient eine Menge Geld, erntet Ehrungen und Titel zu Lebzeiten - und wird 150 oder mehr Jahre später als "unoriginell" und "mittelmäßig" beschrieben, bzw als "Randerscheinung der Musikgeschichte"


    Epigonen und auch Eklektiker kopieren ja keine Werke, keine Themen, etc - sondern sie verpacken ihre (eigenen !!) Themen in ein Klangbild, welches dem Publikum auf welches man zu Lebzeiten angewiesen ist, vertraut und sympathisch ist, welches es nicht "verschreckt" Da können dann schon mal zwi verschieden Stile miteinander kombiniert werden, abeer nicht in der Art und Weise, daß sie aufeinanderprallen, sonder, daß sich sich in einer bisher noch nie dagewesenen Form ergänzen....


    mfg aus Wien
    Alfred

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  • Wörtlich bedeutet "Epigone" in etwa "Nachgeborener" und "Eklektiker" "Auswähler". Ein Epigone kann man m.E. nur in Bezug auf eine dominante Figur oder Schule sein. Man kann ein Wagner-Epigone sein, aber kein Rott-Epigone, selbst wenn Rott ein Einfluss gewesen ist. (Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass Rott-Mahler-Gemeinsamkeiten mehr auf ihrem gemeinsamen Hintergrund beruhen als auf direktem Einfluss.)


    Auf die meisten weniger bekannten Komponisten bis zum Anfang des 19. Jhds. trifft m.E. meistens weder das eine noch das andere zu. Es waren einfach weniger originelle oder aus unterschiedlichen Gründen weniger bedeutende Komponisten der jeweiligen Zeit. (Oder einfach nur für die unmittelbar Nachfolgenden weniger interessant.) Aber Dittersdorf war wohl kaum ein Haydn-Epigone. (Es ist aber auch viel schwieriger zu beurteilen, da so unglaublich viel Musik mit sehr ähnlichem Aufbau, Material/Floskeln bzw. nach relativ engen Konventionen komponiert wurde.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Epigone = Nachahmer mit mangelnder Kreativität
    Eklektiker = Zusammensteller mit mangelnder Verschmelzung


    EPIGONE - Wenn diese Definition zuträfe - es gibt - soweit ich weiß - mehrere Auslegungen, dann wären die meisten sogenannten Epigonen gar keine, denn es wird ja üblicherweise keine Melodie abgekupfert, lediglich die Tonsprache. Ich habe schon vor zwei oder drei Tagen die Frage gestellt, ob bei zahlreichen Besprechungen von Werken diverser Komponisten des 19. Jahrhunderts, wo beim Scherzo immer wieder die Erinnerunge an Mendelssohn auftaucht, dies mit Mendelssohn zusammenhängt, oder ob sich dieser - wie auch andere Komponisten dieser Zeit - eine allgemeinen "Strömung" unterworfen hat. Natürlich wird dann immer wieder auf den berühmteren Komponisten Bezug genommen.....


    EKLEKTIKER - Inwieweit eine Zusammenstellung geluingen ist, da werden sich ebenfalls die Geister scheiden. Wikipedia bringt einige Bildbeispiele für Eklektizismus in der Architektur. Sie gefallen mir allesamt besser als die schiefen Türme, die heute das Stadtbild verschandeln......


    Es wird heute allzugroßer Wert auf angebliche "Kreativität" gelegt.
    Jeder der heute etwas plant, komponiert, malt oder baut, was "noch nie dagewesen" ist bezeichnet sich als "kreativ" - und findet immer wieder Leute die ihn bestätigen . Dabei wird wenig Rücksicht darauf genommen, ob die "Kreation" auch ästhetischen Ansprüchen genügt - Das meiste, das heut noch nicht "geschaffen" ist, verdankt seine "Nichtentstehung" der Tatsache, daß man sich nicht getraut hat solche hässliche Dinge einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.
    Ich bleibe bei der Baukunst: "Historismus" war vorerst bewundert, dann verschmäht, und zuletzt steht man wiedr staunend vor den Bauten dieses Stils.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist ja nicht so trivial, zu entscheiden, ob etwas nun etwas "wirklich Neues" ist oder nicht. Beim Historismus war man eine Zeit lang zu streng, inzwischen hat sich das ja gebessert. Freilich hat der Historismus Bauwerke hervorgebracht in einer Art, die es vorher nicht gab, auch wenn die Dekoration Gotik- oder Renaissance-Elemente verwendet. Er war also im 19. Jahrhundert ein Stil, der vorher "nie dagewesen" war.


    Deine Trennung zwischen "persönlicher Erfindung der Melodie" innerhalb eines "nicht persönlichen Stils" halte ich nicht für realistisch. Die Melodiebildung gehorcht ebenso einem Stil wie die übrigen Parameter, und wenn jemand einen Personalstil entwickelt, dann nicht in nur einem Parameter.


    Man müsste jetzt ein paar Beispiele für epigonale oder eklektische Musikstücke anführen, um darüber zu diskutieren, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß, dass wir da viel finden, das erstens allen bekannt ist und zweitens übereinstimmend entsprechend etikettiert werden wird (auch deshalb, da die wahrhaft epigonalen oder eklektischen Werke nicht eingespielt werden, weil zu schlecht).

  • Man müsste jetzt ein paar Beispiele für epigonale oder eklektische Musikstücke anführen, um darüber zu diskutieren, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß, dass wir da viel finden, das erstens allen bekannt ist und zweitens übereinstimmend entsprechend etikettiert werden wird (auch deshalb, da die wahrhaft epigonalen oder eklektischen Werke nicht eingespielt werden, weil zu schlecht).


    Ein schlechtes Beispiel wäre Siegfried Wagner, weil seine Musik mich wenig an die seines Vaters erinnert.


    Ein gutes wäre für mich der Schwede Andreas Hallén, dessen Harald Viking in meinen Ohren wie der pure Wagner klingt.

  • Ein Stück, das sich m.E. sehr eng, teils die Motivik/Thematik eingeschlossen, an einem Vorbild orientiert, ist eine C-Dur-Sinfonie von Friedrich Witt, die früher als sog. "Jenaer Sinfonie" dem jungen Beethoven zugeschrieben worden war. Das (überdeutliche) Vorbild ist Haydns Sinfonie Nr. 97. Ob das nun Epigonentum, Hommage oder was auch immer ist, ist sicher nicht leicht zu entscheiden.
    Selbst wenn das unfair sein mag, ist das für mich ein Beispiel, das die Originalität des jungen Beethoven sehr deutlich macht. Obwohl sich der natürlich auch manchmal recht eng an Vorbildern Mozarts oder Haydns orientiert. Man findet ja immer noch manchmals in (älterer) Literatur Aussagen, dass zB die ersten beiden Beethoven-Sinfonien oder die Quartette op.18 "ganz im Geiste Mozarts u. Haydns" gehalten seien. Mag sein, dass das auch daran liegt, dass ich die Stücke inzwischen besser kenne, aber ich finde das ein sehr oberflächliches Urteil. Angesichts der tatsächlichen Werke des jungen Beethoven finde ich schwer nachvollziehbar, dass Witts Sinfonie ihm jemals zugetraut wurde. Beethoven ist von Anfang an fast immer so viel origineller und "eigensinniger", selbst in verglichen mit Kammer- und Klavierwerken bewusst "konservativen" Stücken wie der 1. Sinfonie.


    Es gibt ja auch im 19. Jhd. noch Werke, die offensichtliche "Verbeugungen" vor Vorbildern enthalten oder sich an solchen orientieren, zB Grieg an Schumanns Klavierkonzert. Das wurde dem Stück aber, wenn überhaupt, schon lange nicht mehr vorgeworfen, da es ungeachtet des Anklangs am Anfang (bei dem ich früher manchmal einige Zeit brauchte, um sicher zu sein, welches der beiden Stücke nun erklang...) insgesamt ziemlich originell ist und im Verlauf nicht mehr viel mit Schumann zu tun hat.

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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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