"Recomposed" oder "Deutsche Grammophon feat. DJ HERBIE"

  • Hallo,


    also ich am gestrigen Abend geruhsam die Website der Wochenzeitung "DIE ZEIT" aufsuchte und in der Feuilletonrubrik herumstöberte, fiel mir folgender Artikel auf:


    "Arfmann mischt Karajan auf
    Der Komponist im Dub-Remix - darf man das? Ein Pro und Contra und zwei Stücke zum Anhören


    Von Josef Engels/Andi Schoon


    Die Deutsche Grammophon, Hort der klassischen Musik, wendet sich mit einer neuen Doppel-CD an ein im Hier und Jetzt herumhopsendes Publikum – und spaltet es sogleich. Der Dub-Produzent Matthias Arfmann hat sich übers Archiv hergemacht und die Berliner Philharmoniker mit wuchtigen Rhythmen modernisiert. „Recomposed“ bringt auf der einen Platte die Karajan-Originale von Dvorak, Smetana, Schubert, Wagner, Mussorgsky und anderen, auf der zweiten Platte die Arfmannschen Bearbeitungen. Darf man das? Soll man das? Mag man das? Wir bringen ein Pro und Contra – und zwei Stücke zum Anhören."


    Oops, they did it again! Vor ein paar Jahren startete das Gelbetikett das "Yellow Lounge"-Konzept, bei dem einigen DJs klassisches Ausgangsmaterial zur grooveverstärkten Beschallung einer chillout-wütigen Großstadt-Adoleszenz vorgeworfen wurde. Nun wagt man in der Hamburger Rabenstraße das Äußerste und hat das Allerheiligste zur finalen Tabernakelschändung freigegeben: die Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan. Hier sowohl das Cover dieser für Hardcore-Klassikfans "Schwarzen Messe" als auch das der gleichfalls erschienenen Originaleinspielungen (jetzt mußt Du ganz tapfer sein, Alfred!):




    (Eine Frage: Läuft da so etwas wie Bierteig über die Rose? Will man sie frittieren?)




    Der Hörtest auf der "ZEIT"-Website mit dem "Mars" aus Holsts "Planeten" offenbart nur das allzu Vorhersehbare: der elektronisch feingewolfte Karajan-Luxussound wird ohne Sinn und Verstand mittels computergestütztem Bastelkasten derart stark zersampelt, daß am Ende nur ein vorverdauter Brei an Breakbeats, Gitarren-Riffs und Baßbomben übrigbleibt. Wenn es Herrn Arfmann (ehemaliges Mitglied der Punk-Band "Kastrierte Philosophen") darum gegangen sein sollte, die wehrlosen Klassik-Preziosen zu entmannen - d a s scheint gelungen!


    Zwar war Herbert von Karajan zeitlebens an technischen Neuentwicklungen äußerst interessiert und hat die Technik weiß Gott nicht immer zum Segen der Musik eingesetzt. Aber daß der Immer-noch-Goldesel der einstmaligen Prestige-Marke jetzt von jugendgeilen Marketinglümmeln ins diskographische Fegefeuer gestoßen wird, das hat selbst HvK nicht verdient. Oder was meint Ihr?


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ein wahres Wort, dem ich nur zustimmen kann. Irgendwo is Schluß mit lustig.


    flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Und so ganz verstehe ich die Aufregung nicht: Ist doch nicht so, dass alten Karajan-Originalaufnahmen versampelt wurden und es jetzt nur noch die Remix-Version existiert. Ist müsst einfach nur diesen Remix ignorieren und dann bleibt die Welt so wie sie ist.
    Fazit: Das ist aus verschiedenen Gründen 100%-ig nicht mein Geschmack, aber ich kann's tolerieren, dass es jemand gemacht hat (zumal diese CD mein Leben in keinster Weise berührt).


    Und wie heißt es doch so schön bei Woody Allen:


    "Jede Generation kriegt die Musik, die sie verdient."
    Also: Auf die Jugend!


    Gruß,

  • Naja jeder wie er will, für mich wäre das nichts, da fällt mir ein Bild, bzw. eine Veränderung, die der Künstler Marcel Duchamps einst machte, ein:





    Das ist irgendwie das gleiche....
    mehr sage ich dazu nicht :D

  • Ich habe den Remix-Kram nicht gehört (werde das auch nicht freiwillig tun), aber bei allem Respekt für Herbie the K feat. Berlin PO, wundert mich doch ein wenig, dass hier offenbar nur überlegt wird, ob die Remixe gegenüber Old Silbertolle und nicht gegenüber Dvorak, Mussorgsky, Holst u.a. zu verantworten sind. Der Ruf der letzteren Herren scheinen mir da doch ein wenig relevanter zu sein, schließlich ist es "ihre" Musik nicht Karajans.


    Allerdings ein weiteres Zeichen für die Peinlichkeit (aus Verzweiflung geboren?) der "majors", dei den namen zunehmend nicht mehr verdienen...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ich sehe das genau so, dass das grösste Verbrechen am Werk der Komponisten begangen wird, die man so besudelt. Das es solche Produktionen überhaupt gibt, ist schon schlimm genug, aber das es auch noch auf dem Mist der Deutschen Grammophon selber wächst (und hier ja wohl offensichtlich aus kommerziellen Beweggründen) schlägt dem Fass echt den Boden aus. Ich habe irgendwo auch schon mal Rap über Mendelssohns Violinkonzert gehört... :kotz: :kotz:


    Und der Titel 'Recomposed' ist ja wohl der absolute Hohn.

    "Das beste, an dein Übel nicht zu denken, ist Beschäftigung."
    Ludwig van Beethoven

  • Ihr wollt Doch nicht allen Ernstes den Tonträgerkonzernen das Recht absprechen wollen,
    den Ast abzusägen auf dem sie sitzen ??


    :baeh01:


    Liebe Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Moritz


    Ich sehe das genau so, dass das grösste Verbrechen am Werk der Komponisten begangen wird, die man so besudelt. Das es solche Produktionen überhaupt gibt, ist schon schlimm genug, aber das es auch noch auf dem Mist der Deutschen Grammophon selber wächst (und hier ja wohl offensichtlich aus kommerziellen Beweggründen) schlägt dem Fass echt den Boden aus.


    Man müßte es natürlich mal hören; ich kann das von zu Hause nicht. Es gibt m.E. durchaus hörenswerte Bearbeitungen oder auch freiere Adaptionen. Loussier/Bach finde ich z.B. recht unterhaltsam, wenn auch nicht irgendwie überragend, einige Bach-Bearbeitungen des Modern Jazz Quartet gefallen mir sehr und Switched on Bach sowieso (letzteres ändert natürlich keine Note). Es gibt ein Album namens "Electric V", das die Vier Jahresszeiten verhackstückt, auch nicht uninteressant.
    Aber man muß es eben können und entweder sich auf eine Arrangement beschränken oder wirklich kreativ mit den Stücken umgehen. Mir scheint aber, dass ich romantische Reißer wie Holst oder Dvorak für so etwas extrem schlecht eignen und die DJ/Remix.-Szene ist mir ohnehin zuwieder. Das mag etwas sein, was zu unserer aktuellen Gesellschaft paßt (was in dem Zeit-Artikel an dem Gelaber des Kritikers zu merken ist, der das Album gut fiindet), ich kann damit gar nichts anfagen. Nochmal um Zeitartikel: Dass mit solchen Remixen "Demokratie" endlich auch in die elitäre Klassik einziehen würde (weil jeder alles remixen kann, oder was?) ist natürlich Geschwätz. Erstens ist an dem Oma-Wunschkonzertprogramm, das remixt wurde, gerade gar nichts elitär und zweitens heißt "demokratisch" ja nicht, dass jeder für alles kompetent ist. Demokratie bedeutet nur, dass Eliten nicht an Geburt o. gekoppelt sind, sondern prinzipiell jedem Bürger offenstehen, und dass basale politische Mitwirkung nicht an irgendeine Auswahl gekoppelt ist.


    viele Grüße


    JR

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  • Ich hatte es ja oben schon mal angedeutet: Ich wäre für Toleranz (ist übrigens nicht dasselbe wie Akzeptanz). Gibt ja auch Leute, die finden Klassik ekelhaft. Ist halt alles eine Sache des Standpunktes. Und bei all dem Gezeter hier: SO schlimm ist es ja auch nicht... einfach ignorieren.


    Gruß,

  • Ich möchte mich van Rossum anschließen: Wozu sich über etwas echauffieren, wenn ignorieren viel mehr nützt? Wenn es einen Markt für derlei Veröffentlichungen geben sollte… sei’s drum, man muss sie ja nicht kaufen. Falls es keine Nachfrage geben sollte (was ich annehme), hat sich die Sache eh sehr schnell erledigt.


    Gruß, Cosima


    P.S.: Heute las ich in einer Zeitung von einem Experiment an einer Schule: Statt des üblichen Pausengeklingels sollen kurze 20-Sekunden-Sequenzen aus bekannten klassischen Stücken gespielt werden, um den Schülern die Musik näher zu bringen. Das ist auch so eine Geschichte, bei der sich mir persönlich der Magen umdreht, aber gottlob ist die Schulzeit bei mir schon länger vorbei.

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  • Zitat

    Original von Cosima
    P.S.: Heute las ich in einer Zeitung von einem Experiment an einer Schule: Statt des üblichen Pausengeklingels sollen kurze 20-Sekunden-Sequenzen aus bekannten klassischen Stücken gespielt werden, um den Schülern die Musik näher zu bringen. Das ist auch so eine Geschichte, bei der sich mir persönlich der Magen umdreht, aber gottlob ist die Schulzeit bei mir schon länger vorbei.


    Klassik in der Schule


    Tja, TAMINO ist up to date...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Tja, TAMINO ist up to date...


    Ich kann den Link nicht öffnen, mir wird der Zugang zu dieser Seite verwehrt.... ?(


    Nachtrag: Stimmt nicht, ich muss mich nur erneut einloggen. Ist diese Funktion neu?

  • Es ist ja nicht so, dass ich jetzt mit Schlaflosigkeit und immer wiederkehrenden Wutausbrüchen zu kämpfen habe, während ich rituell meine DG-Cds auf einem Scheiterhaufen verbrenne :D


    Dennoch ist mir die mittlerweile gängige Praxis, aus allem (und das ist ja nicht nur in der Musik-Industrie der Fall, ähnliches gilt ja auch bsp. für dei Filmbranche, mit hunderten überflüssigen Remakes) mit möglichst wenig Aufwand und noch viel weniger Kreativität den letzten Euro rauszuquetschen.

    "Das beste, an dein Übel nicht zu denken, ist Beschäftigung."
    Ludwig van Beethoven

  • Hallo,


    Zitat

    Ich kann den Link nicht öffnen, mir wird der Zugang zu dieser Seite verwehrt....


    Nachtrag: Stimmt nicht, ich muss mich nur erneut einloggen. Ist diese Funktion neu?



    ich muss mich nicht extra neu einloggen, um den Link zu öffnen...





    Ich muss ehrlich sagen, dass mir das mehr oder weniger egal ist, wenn so etwas in der heutigen Zeit vorkommt.
    Es stört mich nur von der Seite, dass es eine Schandtat für den Komponisten oder besser gesagt gegen den Komponisten ist. Denn seine Absicht war es sicherlich nicht, dass seine Musik so 'verunstaltet' wird (liegt im/am Auge/Ohr des Betrachters/Hörers ;)).
    Persönlich würde ich mir so etwas nie anhören!
    Vielleicht gibt es aber Leute, die davon angetan sind...Geschmäcker sind nun mal unterschiedlich.


    Aber schon alleine vor Respekt des Komponisten und dessen Schaffen würde ich einen großen Bogen rum machen.


    Und da ich solche Aktionen nicht verhindern kann, sondern mich nur daran ärgern kann oder könnte, beachte ich sie nicht...
    Sollen sie doch machen.
    Ich ignoriere dies einfach, wie Cosima und van Rossum schon sagten.


    Ich bin ein Mensch, der sich nicht gleich über alles aufregen muss, sondern auch mal über Dinge hinweg sehen kann.
    Man muss sich ja nicht an allem 'aufge***n' oder dran aufziehen. Letztlich erreiche ich damit eh nichts, außer eine innere Unruhe bei mir selbst.


    Wenn es kein Gehör findet oder jedenfalls nur sehr wenig, dann wird so etwas sicherlich nicht oft vorkommen, wenn überhaupt nochmal...
    Denn dann muss auch DG einsehen, dass sie damit kein Geld verdienen können...
    Bei mir könnten sie es nie und was bei anderen ist, muss jeder selbst wissen.



    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Salut,


    nun ja: Variationen über großartige Musik wurden schon immer hergestellt. Dabei wurde zunächst beachtet, dass es sich um bekannte Ohrwürmer handelt. Zumeist wurden diese [oft Opern-]Melodien für Klavier gesetzt und dann variiert - Futter fürs niedere Volk, damit auch dieses im kleinen Kämmerlein an der großen Musik teilhaben konnte.


    In diesem Falle sehe ich das kaum anders...


    Mit etwas Übung kann man jedoch auch künstlerische wertvolle und virtuose Variationen "komponieren".


    :D


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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