Nach langer Gesangsabstinenz (Gründe sind den Lesern bekannt) nutzte ich, ausgehungert, süchtig nach einem Live-Erlebnis gestern das Angebot unseres Theaters zum Besuch des Verdi-Requiems.
Unser Konzertsaal gehört zu den schönsten, alten Sälen in Mitteldeutschland, mit Lauben, Kronleuchtern, Deckengemälde, Parkett und Rang. Ein Besuch ist immer wieder ein Erlebnis. Ich war auch neugierig auf unseren neuen GMD, Herrn Laurent Wagner. Der Franzose, der optisch durchaus Ähnlichkeit mit Szarkosy hat, kam nach Tätigkeiten in Heidelberg, Wuppertal, Gelsenkirchen, Dortmund und auch Barcelona und als ehemaliger GMD Saarbrückens nach Gera, mit einem Haufen Erfahrung. Und die hat er gebraucht.
Der Konzertsaal faßt ca. 800 Personen, er war bis auf wenige freie Plätze randvoll. Ich hatte Bedenken, daß die 160 Musiker und Choristen auf der Bühne das Publikum überschütten und erdrücken werden. Weit gefehlt. Wagner (schönes Motto: Wagner dirigiert Verdi) nahm das Orchester dezent zurück, ließ dem Chor (Geraer Opernchor, Philharmonischer Chor Gera, Motettenchor Altenburg und Musikstudenten aus Weimar) dadurch exakt die Lautstärke, auch in den pp-Stellen nicht unterzugehen. Das gelang ihm vorzüglich, die leisen Stellen des Requiems wurden zum Ereignis. Beim Mahlers 2. vor etlichen Jahren war die Lautstärke deutlich höher, teilweise an der Schmerzgrenze. Die Befürchtung, daß sich das widerholt war aber unbegründet.
Aber was wäre das alles ohne die Solisten gewesen. Hervorstechend der Baß des jungen Armeniers Vagen Ghazaryan, der trotz seiner Jugend bereits Erfahrungen in Jerewan, Lissabon, Genua, St. Petersburg, Bonn und Chemnitz machen konnte.
Nicht ganz mithalten konnte da Roman Sadnik, dessen Laufbahn von der Wiener Staatsoper über München, Salzburg, Aix en Provence nach Catania, Amsterdam, Lyon, Leipzig und nun bis nach Gera führte. Seine Stimme war nicht ganz frei, vielleicht hat ihn der Dirigent auch zu sehr gezügelt.
Die Sopranpartie gestaltete die Polin Lucja Zarzycka, die in Gera auch schon die Abigaile und die Tosca mit Bravour gesungen hatte. Sie war u.a. fest engagiert an der Semperoper, am Staatstheater Warschau und an der Krakauer Oper. Ihr Sopran leuchtete - so wie man das erwartet - und konnte an den exponierten Stellen im ff mühelos den gesamten Chor und das Orchester übertönen, während sie an den pp - mf-Stellen deutliche Zurückhaltung im Interesse des Ensembles übte.
Sie wurden aber alle übertroffen von der in Gera fest engagierten Altistin Chrysanthi Spitadi. Die Griechin, die auch in Musical und Tanz ausgebildet ist (was sie im Requiem natürlich nicht brauchte), stach im Timbre, im zarten Vibrato, in der Innigkeit alle anderen aus. Fast hätte man befürchtet, daß ihr die Tränen kommen, so ging sie in der Rolle auf. Nach Engagements in Wien (Schloßtheater Schönbrunn), Klosterneuburg und Wiesbaden wurde sie auch mit internationalen Ehren bedacht. Nun ist sie in Gera, was eigentlich ein Qualitätsbeweis des Hauses sein sollte.
Nach Ende der Aufführung blieb das Publikum gebannt sitzen und war erst nach gefühlten 30 sec. zum Beifall bereit. Beifall, der sich zum Orkan steigerte. Die höchste Form der Anerkennung in Gera ist das Trampeln mit den Füßen. Und das geschah in einer solchen Stärke, daß ich um die Standfestigkeit des Hauses fürchtete. Die etwa 10 min Applaus sind für Gera sehr, sehr viel.
Glücklich, befriedigt und endlich wieder einmal mit dem Gefühl versehen, einen wundervollen Theaterabend erlebt zu haben und mich nicht ärgern zu müssen fuhr ich nach Hause. Nur eines vermißte ich - meine Frau an meiner Seite, die gerade zur Kur weilt. Aber auch das geht vorüber.
La Roche