Magnus Lindberg - Finnischer Gegenwartskomponist

  • Das kleine Volk der Finnen hat ja im 20. Jahrhundert erstaunlich viele Komponisten von Rang hervorgebracht. Mal abgesehen vom Übervater Jean Sibelius sind das in der ersten Hälfte: Erik Melartin, Leevi Madetoja und Aare Merikanto. Nach dem Kriege Einojuhani Rautavaara, Aulis Sallinen, Joonas Kokkonen, Pehr-Hendrik Nordgren und unter den jüngeren nach 1945 geborenen Aho Kalevi, Kaija Saariaho und Magnus Lindberg.

    Letzterer - 1958 geboren - ist derzeit einer der erfolgreichsten, meistgespielten und -aufgenommenen Komponisten seiner Generation. Von recht avantgardistischen und experimentellen Kompositionen ausgehend hat sich seine Orchestersprache in den letzten Jahren zunehmend zu einer auch für konservativere Hörer verständlichen hin entwickelt bis hin zu seinem jüngsten 2. Klavierkonzert, dass nur unwesentlich progressiver ist als das von Gershwin oder die ersten drei von Prokofieff.


    Wie andere Komponisten auch hat er in den letzten Jahren zahlreiche Solokonzerte für junge aufstrebende Solisten verfasst (z.B. Lisa Batiashvili), so dass auch von dieser Seite her seine Musik Verbreitung findet.


    2009 - 2012 war Magnus Lindberg Composer-in-Residence bei den New Yorker Philharmonikern für die er u.a. das Stück EXPO schrieb.


    Magnus Lindberg gehört zu den wenigen zeitgenössischen Komponisten, deren Orchestermusik mich anspricht und dessen CD-Einspielungen (meist auf Ondine) ich regelmäßig kaufe. Ich werde sie hier in den nächsten Monaten vorstellen.


  • Frank Gehry's Disney Concert Hall in Los Angeles ist eines der faszinierendsten Bauten des 21. Jahrhunderts. Für die Eröffnung dieses Konzertsaals schrieb Lindberg seine Sculpture für Orchester. Und es ist eine ebenso grandioses Stück geworden. Ein Stück, das ich mit nichts vergleichen kann, was ich kenne. 23 min Orchestersound pur, keine Themen, keine wirkliche Entwicklung, einfach nur wabernder und irisierender Klang eines Riesenorchesters mit Wagnertuben und Orgel, man ist im Klang eingehüllt wie in Watte und fühlt sich wohl. Ich weiß nicht, ob das tonale Musik ist oder nicht, es klingt einfach. Diese Musik sollte man mit Kopfhörer hören und bei geschlossenen Augen, es ist ein akustischer Trip sondergleichen.


    Für mich eines der genialsten Musikstücke der letzten Jahrzehnte.


  • Über Magnus Lindbergs ebenfalls grandioses 2. Klavierkonzert von 2012 schrieb ich an anderer Stelle:


    Dieses Konzert ist geschrieben als zeitgenössische Weiterentwicklung des Virtuosenkonzerts a la Ravel, Prokofieff und Rachmaninoff. Prokofieff ist 1953 gestorben, da war er erst 62 Jahre alt. Nehmen wir mal an er wäre 92 geworden, in den 60ern in den Westen ausgewandert und hätte die Entwicklung der 50-70er Jahre in Freiheit miterlebt. Und dann kurz vor Ende beschlossen, ein 6. Klavierkonzert zu schreiben, schon so in seinem Stil, aber unter Einbeziehung einiger Dinge, die die Avantgardisten der Zeit ihn gelehrt hätten. Dann wäre ein Klavierkonzert ähnlich dem von Magnus Lindberg herausgekommen.


    Auf Youtube spricht Yefim Bronfman über das Lindberg-Konzert.


    http://www.youtube.com/watch?v=rHRW-mm6q4Q


    Eine ziemlich gute (allerdings englische) Charakterisierung der Musik von Lindberg findet man hier .




  • Aura ist ein Schlüsselwerk von Magnus Lindberg aus der Mitte der 90er Jahre. Eine reine Klangfarbenkomposition von symphonischem Ausmaß, vier "Sätze", die unmittelbar ineinander übergehen. Was er da an Klängen in 37 Minuten packt, ist phänomenal, das macht ihm niemand nach. Gegen das Aufgebot erscheint selbst "Le Sacre" bescheiden orchestriert. Wobei sich auch eine Gefahr abzeichnet, nämlich die eines "Aural Information Overload". Viel mehr kann ein menschliches Ohr und Hirn vermutlich an klanglichen Informationen nicht verarbeiten. Danach möchte man jedenfalls ein Weilchen nichts mehr hören, vielleicht noch etwas Ruhiges von Bach.

    Das faszinierende Stück ist Witold Lutoslawski gewidmet, den Lindberg verehrte und der während der Komposition verstarb.

  • Eine neue Magnus Lindberg CD ist auf dem Markt, was bei mir immer eine Kaufaktion nach sich zieht, selbst wenn ich das vielleicht wichtigste Stück der CD schon in der Sammlung habe, das Violinkonzert von 2006. Das wurde seinerzeit für Lisa Batiashvili komponiert und auch vor einigen Jahren eingespielt. Hier nun die zweite Aufnahme mit dem Sieger des Sibelius-Wettbewerbes von 1995 Pekka Kuusisto, dessen Bruder Jaako erst kürzlich ein ähnlich grandioses Violinkonzert komponiert hat. Ich berichtete darüber.



    Die Wiederbegegnung mit dem Lindbergkonzert bestätigt meinen positiven Eindruck von vor einigen Jahren, einfach ein geniales und für den Geiger dankbares Stück. Das Orchester geht über eines der Mozartzeit kaum hinaus, bringt aber trotzdem einen mächtigen Sound. Kuusisto ist nicht nur der fabelhafte Solist, sondern dirigiert auch noch, ein Stunt, der verständlicher wird, wenn man weiss, dass die Tapiola Sinfonietta häufig ohne Dirigent auftritt.

  • Die neue Magnus Lindberg CD ist schnell besprochen:


    Al largo 10/10
    Cellokonzert Nr. 2 10/10
    Era 10/10


    Ich kenne keine CD mit zeitgenössischer Musik, die mir besser gefällt als die hier. :thumbsup:



    Das Orchesterstück Era wurde für das Concertgebouw Orchester komponiert, deren Version erscheint in wenigen Tagen.


  • Wenn man für Lindbergs Klavierkonzert Nr.2 Feuer gefangen hat, dann will man auch Lindbergs Klavierkonzert Nr.1 kennen.


    Die CD vom KK NR.2 mit Bronfman liegt mir derzeit noch nicht vor (kommt "superjünstich" aus den USA).
    *** Aber das Klavierkonzert Nr.1 (1990 - 1994) mit dem weiteren Werk KRAFT (1985) für Ensemble (Cello, Klavier, Klarinette, Schlagzeug) und grossem Orchester liegt mir schon vor.


    Ganz klar kann ich heute schon sagen, dass es zwischen dem KK Nr.1 und dem KK Nr.2 wenig Gemeinsamkeiten; da liegen grosse Kontraste zwischen den Beiden, aber auch ca.10Jahre Entwicklingszeit des Komponisten.
    *** Ist schon harter atonater Tobak, was die beiden Werke Klavierkonzert Nr.1 und Kraft auszeichnet. Dennoch verdammt interessant gemacht. Der Hörer wird absolut kurzweilig am Ball gehalten und kommt bei Konzentration nicht zur Ruhe ... das ist schonmal ein Qualitätsmerkmal, das man lange nicht bei allen moderen Werken feststellen kann (wie jetzt bei Nörgard 7 + 8, die ungleich mehr Geduld erfordern).
    Hier geht es ganz schön mit Power zur Sache, sodass ein Gedanke an Langeweile erst gar nicht aufkommt. :thumbup: Eine Klasse für sich bei dem auch Hörspass aufkommt !



    ONDINE, 2003, DDD



    Ich freue mich auch schon auf das von lutgra positiv beschriebene Violinkonzert, das in der Batiashvili-Aufnahme zu mir unterwegs ist ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich gestehe freimütig, daß Magnus Lindberg derjenige der zeitgenössischen, "nordischen" Komponisten ist, der mich am wenigsten erreicht.
    Ich glaube, ich habe die meisten seiner CDs wieder weggegeben. Das hatte für mich keinen Sinn mehr.
    Allerdings besitze ich noch die von "lutgra" in Beitrag Nr. 5 gezeigte CD mit dem Violinkonzert. Ich werde sie auch behalten - vielleicht gefällt sie mir ja irgendwann mal.

  • Die CD des finnischen Komponisten Magnus Lindberg (geb. 1958), die mir noch am besten gefällt, ist diese mit den Werken


    EXPO (2009) - Dauer 10:08
    Klavierkonzert Nr.2 (2011-12) = 3 Sätze - Dauer 28:39
    Al largo (2009-10) - Dauer 23:43


    Man kann von Lindberg keine voll tonale Musik mehr erwarten; viele Passagen sind atonal. Den beiden Klavierkonzerte (KK NR.1 in Beitrag 7) wird aber auch ein deutlicher Bezug auf die Ravel-KK nachgesagt; dieses KK Nr.2 in Anlehnung und Färbung an das Klavierkonzert für die linke Hand.
    Bewundernswert wie Lindberg es schafft, dass Ganze auf genissbarem Boden zu halten. Den Hörer wird auf Spannung gehalten - da kommt keine Langeweile auf.


    Der israel-amerikansiche Pianist Y.Bronfmann und auch der amerikanische Dirigent Alan Gilbert sind eng mit den Aufträgen der New Yorker PH für diese drei Werke verbunden, die auch die UA ausführten.



    DACAPO, 2009, 2012, 2010, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Je älter Magnus Lindberg wird umso konservativer wird seine Tonsprache bzw vielleicht nicht konservativer aber tonaler. Mit seinem 2. Violinkonzert ist er jedenfalls endgültig in die Fußstapfen von Einojuhani Rautavaara und Aulis Salinen getreten und schreibt ein ausgesprochen hörerfreundliches Stück. Nicht schwierger zu hören als z.B. die von Prokofieff. Aber stilistisch ganz anders. Lindberg liefert praktisch in modernem Gewand das Violinkonzert nach, das die Impressionisten nie geschrieben haben und scheut auch vor Klängen nicht zurück, die in einem Hollywood-Blockbuster Platz hätten. Das flimmert und schillert in den schönsten Farben und ist phänomenal aufgenommen. Dass Frank Peter Zimmermann seinen dankbaren Part technisch-perfekt mit großem warmen Ton perfekt herüberbringt, muss nicht besonders hervorgehoben werden. Nichts anderes war zu erwarten. Einige werden die Nase rümpfen, ich finde es geil.



  • Zitat

    Einige werden die Nase rümpfen, ich finde es geil.

    Sehr schöne Musik - da ist nichts mit Naserümpfen auch bei mir älterem Menschen! Aber ein Vokabular hat die heutige Jugend drauf! :huh::baeh01:

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!