Kalevi Aho - Finnischer Symphoniker

  • Die Symphonie wurde im 20. Jhdt zwar von diversen Propagandisten schon mehrfach beerdigt, dennoch können wir in der zweiten Dekade des 21. Jhdts festhalten, dass sie noch immer lebt, d.h. dass sich viele Komponisten immer noch berufen fühlen, den Kanon zu erweitern.



    Einer der inzwischen bekanntesten lebenden Musiker, der sich regelmäßig mit der symphonischen Gattung auseinandersetzt, ist der Finne Kalevi Aho. 1949 geboren hat er in 44 Jahren immerhin 15 Symphonien komponiert, von denen - dank des unermüdlichen Einsatzes der Firma BIS und des Lahti Symphonieorchesters unter Osmo Vänska - die ersten 14 bereits auf Tonträger vorliegen, die letzten oft kurz nach der Uraufführung eingespielt. Das Engagement der schwedischen Plattenfirma ist gar nicht hoch genug zu loben, immerhin stammt die Aufnahme der 1. Symphonie von 1989 und ist immer noch lieferbar. Unsere Majors hätten sie schon nach wenigen Jahren verramscht und dann nie wieder aufgelegt.


    Forummitglied teleton hat vor einiger Zeit davon Abstand genommen, einen Aho-Thread einzurichten, da er schon mit anderen ähnlichen Themen kaum Resonanz fand. Ich will es trotzdem tun, da ich auf diesen wichtigen Musiker aufmerksam machen möchte und dann sind wir zumindest schon zwei, die sich für diesen Komponisten interessieren. :)

  • Kalevi Aho's 1. Symphonie wurde 1969 komponiert, zu diesem Zeitpunkt war Aho zwanzig Jahre alt und Student bei Rautavaara, einem inzwischen auch bekannten finnischen Komponisten (s. entsprechenden thread).


    Ende der 60er Jahre zeichnete sich bereits ab, dass die Entwicklung der Musik der 50er und 60er Jahre (Serialismus, Aleatorik, elektronische Musik etc.) in eine Sackgasse geraten war und so ist es vielleicht nicht erstaunlich, dass sich Aho gar nicht erst mit dieser Entwicklung kompositorisch auseinandergesetzt hat, sondern ganz woanders ansetzte.


    Ausgangspunkt der symphonischen Arbeit von Kalevi ist die Musik von Dimitri Schostakowitsch, der ja zu diesem Zeitpunkt auch noch lebte (und mit dem er - wie ich finde - auch äußerlich eine entfernte Ähnlichkeit hat). In den vier Sätzen der knapp halbstündigen Symphonie ist dieser Einfluss an vielfältigen Stellen und Wendungen nachweisbar, besonders deutlich beim einleitenden Andante und dem letzten Satz. Andere Einflüsse sind sicher der späte Sibelius (Tapiola) und Hindemith (Noblissima visione). Ausgehend von diesen Einflüssen baut Aho seine Symphonie gekonnt und originell zusammen, sicher ist einiges noch ungeschickt und für meinen Geschmack gibt es zu viel fugiertes (der 3. Satz z.B. beginnt wie ein leicht verfremdetes Violinkonzert von Bach), aber insgesamt handelt es sich doch um eine recht vielversprechende erste Talentprobe.

  • Hallo Lutgra,


    schön, dass Du Dich entschlossen hast zu Kalevi Aho einen Thread zu eröffnen. Bei mir war die Eröffnung für Aho weniger die geringe Erwartung auf eine Resonanz, als eher mein persönlicher Hörfortschritt bei den Aho-Sinfonien insgesamt. *** Ich habe die CD-Aufnahmen der Sinfonien 1 + 8; 4 + 11; 2 + 7.


    Eigendlich wollte ich warten, bis mal eine GA erscheint, aber die Neugier hat gesiegt und zu o.g. Aufnahmen geführt. Es sind bei mir auch nur die BIS-CD´s mit dem Lahti SO / Osmo Vänskä, die einen ganz autentischen Eindruck für diesen Kompomponisten vermitteln.


    :thumbup: Insgesamt finde ich die Sinfonien (die ich bis dato kenne), genau wie Du sehr hörenswert. Das ist nichts "ungeniessbares" dabei und bin schon von daher gespannt auf jede Weitere. Der hohe Preis der BIS-CD´s hat mich aber bisher zurückgehalten weitere, als die o.g. Sinfonien zu kaufen.
    Wie gesagt - eine GA der bislang 15 Sinfonien würde mir da entgegenkommen. ((Bei Pettersson war es doch das Gleiche: Jede der cpo-CD´s war megateuer (und dann dafür diese Musik, die einen ungeheueren Geduldsfaden erfordert :pfeif: ) - die GA habe ich dann 2011 bei jpc für kleinen Bruchteil kaufen können.))


    :hello: Deinen Thread werde ich zum Anlass nehmen und Aho in Kürze wieder einmal "auffrischen" - dann von mir auch mehr zu meinen Eindrücken der jeweiligen Sinfonien.


    :!: Mit Rautavaara, Englund, Kokkonen, Holmboe, Rangström u.a, die auch fast keine oder wenig Resonanz hatten, habe ich mich rein vom ersten Eindruck her, wegen der dort gebotenen Innenspannung bei den Sinfonien und Werken bisher noch noch mehr mit auseinandergesetzt. Jon Leifs, vermittelt wieder eine ganz andere Welt - aber hochinteressant.


    Aber Peer Norgaard, zu dem ich keinen positiven Zugang finde, gehört meinem Eindruck nach dann offenbar doch eher zu den "Ungeniessbaren". ;) Da weis man dann, womit man seine kostbare Hör-Zeit wertvoller verbringen kann.
    Das als kurze Zwischenbilanz und Vergleich mit einigen Komponistenkollegen Ahos.
    :) Aho gehört zu denen, wo mir meine Zeit eindeutig nicht zu schade ist !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang



  • The Shamans
    Winter darkness and midsummer
    Song in the Fells
    Storm in the Fells


    Kein Licht drang unter den vorgezogenen Vorhängen mehr ins Zimmer, ich hatte geschlafen und beschloss im Bett zu bleiben und mir die “Luosto”-Sinfonie noch gleich ein zweites Mal anzuhören (19.3.2013, ca. 19:15). Dabei wollte ich mir vorstellen, auf einem Schlitten durch eine verschneite Landschaft gefahren zu werden.
    Der Schlitten steht schon bereit, und es nähert sich der günstigste Zeitpunkt zur Abfahrt, dass das wenige Tageslicht uns am weitesten begleiten wird. Das können natürlich nur die Einheimischen mit ihren Trommeln am besten einschätzen, für mich ist es einfach nur dunkel und Nacht, während sie den nahenden Tag sicher herbeizurufen wissen. Zur Dauer der Fahrt machte man mir die widersprüchlichsten Angaben und ich beschliesse, mich jetzt einfach dahineinzufügen. Immerhin, ich werde ja in die berühmte Luosto-Schwitzhütte gebracht, und kann mich in Decken mummeln bis dahin und das Land besehen.
    Die Fahrt geht nun schon eine Weile recht rasch, und da sehe ich am Horizont einen Streifen Licht, der breiter und breiter wird und eine Eislandschaft leuchten macht. Rätselhafte Gestalten im Weiss, das sind kümmerliche, schwer vom Schnee gebeugte Bäume, denen nun auch der Wind zusetzt, mit dem Licht ist ein Sturm aufgezogen. Und es wird auch wieder dunkler, so sehr ich mich in die Decken verkrieche, überall dringt Kälte zu mir.
    Ich bin wohl wieder eingeschlafen und erwache in einer tiefen stillen Nacht. Ringsum Bäume, hohe gerade Bäume, der Schlitten steht still. Wie lange schon? Wo sind wir hier? Bin ich allein? Da! – und Da! und dort wieder, es glitzern grosse Kristalle auf, die von den Zweigen hängen. Ich denke an meine Erkältung, dass es ungeklärt ist, was nun eigentlich die Kälte zur Erkältung beiträgt. Jetzt ist mir das ganz klar, die Entstehung der Erkältungsviren geschah folgendermassen:
    Zur Zeit, als das Leben sich auf der Erde ausbreitete, suchte es sich im Sreben nach Form und Ordung sich den Bau der Schneekristalle Eigen zu machen. Als die Kristalle von einer Proteinschicht überzogen wurden, schmolzen sie, während der Proteinfilm die Form beibehielt. Darum haben die Grippeviren eine so regelmässige Gestalt. Wenn man nun von ein solchem Virus infiziert wird, gibt er das Schmelzwasser, in dem die ursprüngliche Kälte in besonderer Weise verwahrt blieb, in den Organismus. Diese Kälte ist aber dem Leben feind und der Körper produziert Hitze, um sie zu neutralisieren. Ist man aber schwach oder müde oder ausgekühlt, kann sich diese Virenkälte viel weiter im Körper ausbreiten. Darum also friert man erst, bevor man zu schwitzen beginnt, das ist ganz klar und folgerichtig, der Alte bestätigt es mir.
    Ich bin zu Gast bei diesem Alten, sitze in seiner runden Hütte, in der ringsum Felle hängen. Er sitzt da und singt “Jahahajaja”, und so, wie er die Silben betont, spüre ich ganz deutlich, dass er sich damit auf meine Gedanken bezieht und diese bestätigt. Aber warum singt er da niemals “Nein”? Es ist eine eigenartige Sache mit seinem Gesang, ist es nicht, dass sein ewiges “Jajahajaja” doch mir erst die Gedanken eingeben, die ich dann denke? Und so kann es gar kein “Nein” geben, allenfalls Schweigen, ist es nicht so auch in der Hypnose, wo Negierendes nicht verstanden werden kann von den tieferen Bewusstseinschichten?
    Ich fühle mich ganz erfüllt von diesen Einsichten und möchte so weiter Interessantes denken, doch der Alte hat nun mit seinem Gesang mich erinnert, dass ich doch als Erwachsener wohl nun einige Erfahrung mit Erkältungen habe und wohl weiss, dass man sich da ruhig verhält und Tee trinkt, bis es vorbei ist. Warum also solch ein Theater? Sich gleich zur Luosto-Hütte bringen lassen! Der Alte macht sich lustig, ich bin beschämt, wie anders klingt jetzt sein “jahaha”. Wenn ich nun einmal hier bin, so der Alte, kann ich ja auch mal seiner Frau Gesellschaft leisten.
    Eine gewisse Boshaftigkeit in seiner Intonation des “Jahaha” lässt mich nun mit einiger Sorge und manchen Unwillen an Gepflogenheiten Mongolenstämme, Eskimos und anderer in Isolation lebender Gemeinschaften zu denken, die somit ihre Gene fit halten. Dabei höre ich schon das “Jahaha” der Frau des Alten.
    Ja, sie sei auch noch viel älter und unansehlicher als ich befürchte, das eröffnet sie mir sogleich ohne Spott und ohne Bedauern, und feierlich fügt sie hinzu, darum gänge es auch gar nicht. Wie ich doch einmal hier bin, soll ich etwas über die grosse, wahre Liebe erfahren. Die begänne damit, anzuerkenen, das ich hier bin und dies auch Wirklichkeit ist. Und weiter gänge es, die Liebe auch in den Grippeviren zu erkennen, denn auch sie, diese missglückten Bindeglieder zwischen kalter Form und Leben sind aus dieser Liebe heraus entstanden, die ständig schafft und formt und umformt. Darum darf man nichts abtun oder verdammen, denn das schneidet von Teilen der Liebe ab, und letztlich bleibt einem, der so fortfährt im Verwerfen, nichts. Wer die Liebe nicht hat, hat nichts. Vergiss das nicht! So die Alte.
    Ich stehe allein in klarer Sternennacht. Es ist so still, von wo komme ich her? Was ist geschehen, wohin geht es weiter? Ich erinnere mich an die Hütte der Alten, dies muss ein Traum gewesen sein, ich muss zurück in die Stadt, von der ich heute morgen aufbrach im Schlitten. Oder war es nur eine Schlittenstation, bin ich verloren?
    Da beginnt wieder Musik, es ist die “Luosto”-Sinfonie, ich bin im Bett, die Kälteschauer sind abgeklungen, ich schwitze unter den Decken. Ich hatte es gleich alles aufgeschrieben, und auch im Nachhinein gefällt mir dieses Erlebnis, zu dem ich mit anderer Musik wohl nicht gekommen wäre.
    Viele Grüsse
    Julius

    Julius



  • Mit schöner Konstanz baut BIS seine Kalevi Aho Discographie aus. Die neueste Folge enthält wiederum drei Stücke, die auch ein komplettes Konzert abgeben würden. Schon die CDs mit der 13. und 14. Symphonie hatten dieses Konzept vorgestellt. Hier jetzt also die 15. Symphonie - die derzeit letzte des Komponisten. Ob er es hierbei belässt, in Anlehnung an den Komponisten, der ihn in den frühen Jahren am meisten beeinflusst hat? Wir werden es sehen, Aho ist 64 und hat hoffentlich noch einige Jahre vor sich.
    Die CD/das Konzert wird eröffnet mit dem 19-minütigen Orchesterstück Minea, das als Auftragsarbeit für Osmo Vänskä und sein Minnesota SO entstand. Es folgt das halbstündige fünfsätzige Konzert für Kontrabass und Orchester und schließlich die ebenfalls halbstündige 15. Symphonie. Kalevi Aho hat inzwischen eine kompositorische Eigenständigkeit und Meisterschaft erreicht, die es schwer macht, seine Musik zu beschreiben. Sie erinnert an keine andere Musik, ist Aho pur. Die Musik ist weitgehend tonal ohne im geringsten klischeehaft zu wirken. Wenn ein Komponist beweisen kann, dass man auch im 21. Jahrhundert noch tonal komponieren kann, dann ist es Aho. Seine Musik auf dieser CD kommt eher ruhig daher, ganz im Gegensatz zu der des Landsmannes Magnus Lindberg, bei dem man manchmal das Gefühl hat, er schreibt ein wenig nach dem Motto: hört her, was ich alles kann (er kann allerdings sehr viel!!!). Die Musik von Aho ist da weniger auftrumpfend. In allen Werken auf dieser CD klingt seine Beschäftigung mit asiatischer Musik durch, was auch schon durch die intensive Verwendung nicht-europäischer Perkussionsinstrumente deutlich wird. Die Musik Aho's wird sicher nicht jedem gefallen, aber ich höre sie immer wieder und häufig mit Gewinn. Für mich ist er der bedeutendste lebende Symphoniker und mir gibt seine Musik viel. Entdecken muß sie jeder selbst.


    Die Darbietung durch das Lahti SO unter drei verschiedenen Dirigenten und dem 1. Kontrabassisten Eero Munter sowie die Klangqualität erfüllen die hohen Ansprüche, die man von BIS gewohnt ist.

  • 1949 geboren hat er in 44 Jahren immerhin 15 Symphonien komponiert, von denen - dank des unermüdlichen Einsatzes der Firma BIS und des Lahti Symphonieorchesters unter Osmo Vänska - die ersten 14 bereits auf Tonträger vorliegen, die letzten oft kurz nach der Uraufführung eingespielt.

    Hier muss ich mich übrigens mal selbst korrigieren, das was ich da vor einigen Monaten geschrieben habe, stimmt so nicht. Denn in der BIS Serie fehlen noch die Symphonien 5. und 6. Die 5. gab es bei Finlandia mit dem Leipzig RSO und Max Pommer, von der 6. scheint es bisher keine Aufnahme zu geben. Ich hoffe, das ändert sich bald.

  • Kalevi Aho scheint darauf aus zu sein, für praktisch jedes Orchesterinstrument ein Solokonzert zu schreiben. Das ist sicher eine gute Strategie, seine Musik aufgeführt zu bekommen, denn Widmungsträger sind in der Regel und soweit man es ihnen erlaubt dankbar für die Möglichkeit, ihr Stück aufzuführen.

    2007 komponierte Kalevi ein Oboenkonzert, das inzwischen auch bei dem Hauslabel BIS eingespielt wurde. Auftraggeber war der belgische Oboeist Piet van Bockstal, der es auch spielt.


    Ich zitiere ein paar Sätze aus dem Booklet, dass vom Komponisten selbst verfasst wurde:


    Das Oboenkonzert hat fünf Sätze, deren letzte vier ohne Pause aufeinander folgen. ...ich wollte eine Musik mit latenter totaler Grundlage schaffen, die nicht der traditionellen Dur-Moll-Tonalität entsprechen sollte. Im Oboenkonzert habe ich daher in einigen Sätzen Skalen aus der klassischen arabischen Musik - bekannt als maqamat - als melodische Basis verwendet. Einige maqamat enthalten Intervalle, die einen Viertelton über oder unter den üblichen Tonhöhen liegen und für westliche Ohren zunächst verstimmt klingen mögen.... Mein zweites Ziel war es, mit dem Orchester einen stärkeren rhythmischen Puls zu erzeugen. Dies wird besonders im zweiten Satz..deutlich, wo die arabische Darabuka und die akrikanische Djembe (zwei Arten von Bechertrommeln) im ganzen Satz den Rhythmus spielen...im 10/16-Takt, das auf die arabische Musik zurückgeht. Drittens wollte ich die orchestrale Klangwelt...bereichern. Neben Darabuka und Djembe gehören dazu die Oboe d'amore und das Heckelphon.
    Das Oboenkonzert beginnt mit liedhafter, aber klagender Musik (Lamento). Im zweiten Satz (Presto) geben Darabuka und Djembe der Musik eine höchst feurige, hypnotisch-rhythmische Suggestivität. Der dritte Satz ist ein eher kurzes Zwischenspiel, das von ruhigen, fast religiös anmutenden Figuren zweier Posaunen dominiert wird. In diesem Satz tritt der Oboensolist überhaupt nicht in Erscheinung, er sammelt Kräfte für die anspruchsvolle Solokadenz, die den vierten Satz bildet. Der Beginn des Finales hat liedhaften Charakter, danach übernimmt die Musik einen tragischen Tonfall an und steigert sich zu einem mächtigen, überwältigenden Höhepunkt.


    Soweit der Komponist. Da gibt es wenig hinzuzufügen, außer das ich das Konzert mit Interesse gehört habe und wohl noch öfter hören werde. Die Ausführenden sind mit größtem Engagement bei der Sache.

  • Kalevi Aho ist am 9. März diese Jahres 65 Jahre alt geworden. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, seine 14 Symphonien, die bisher auf Tonträger vorliegen, einmal in chronologischer Folge und über einen kürzeren Zeitraum zu hören, um mir einen Gesamteindruck über dieses beeindruckende Oeuvre zu verschaffen und hier darüber zu berichten.


    Die 16 Symphonien des Kalevi Aho verteilen sich über einen Zeitraum von 43 Jahren, die 16. Symphonie ist gerade in Arbeit und wird im September kommenden Jahres uraufgeführt.

    • Sinfonie Nr. 1 (1969), UA: 18. Februar 1971.

    • Sinfonie Nr. 2 (1970/1995), UA: 17. April 1973.

    • Sinfonie Nr. 3 für Violine und Orchester (Sinfonia concertante Nr. 1) (1971-73), UA: 20. Februar 1975

    • Sinfonie Nr. 4 (1972–73), UA: 12 März 1974.

    • Sinfonie Nr. 5 (1975–76), UA: 19. April 1977.

    • Sinfonie Nr. 6 (1979–80), UA: 13. März 1980.

    • Sinfonie Nr. 7 (1988), UA: 26. Oktober 1988.

    • Sinfonie Nr. 8 für Orgel und Orchester (1993), UA: 4. August 1994.

    • Sinfonie Nr. 9 für Posaune und Orchester (Sinfonia concertante Nr. 2) (1993–94), UA: 2. September 1994.

    • Sinfonie Nr. 10 (1996), UA: 6. Februar 1997.

    • Sinfonie Nr. 11 für 6 Schlagzeuger und Orchester (1997–98), UA: 9. März 2000.

    • Sinfonie Nr. 12 (Luosto-Sinfonia; Luosto Symphonie) für Symphonieorchester, Kammerorchester, 10 off-stage Musiker (Schlagzeug und Blechbläser) und 2 Solisten (Sopran und Tenor) (2002–2003), UA: Luosto, Lappland, 16. August 2003

    • Sinfonie Nr. 13 Sinfonisia luonnekuvia (Symphonische Charakterisierungen) (2003), UA: 17. März 2005.

    • Sinfonie Nr. 14 Rituaaleja (Rituale) für Darabuka, Djembé, Gongs und Kammerorchester (2007), UA: 27. November 2007

    • Sinfonie Nr. 15 (2009–2010), UA: 26. März 2011.

    • Sinfonie Nr. 16 für 60 Streicher, 4 Schlagzeuger und Mezzosopran (2013–2014), Text: "Die Fahrende" (Gertrud Kolmar), UA: September 2015.

    Alle Symphonien bis auf 5, 6 und 16 wurden bereits für das schwedische BIS-Label eingespielt. Die Symphonie 5 (+ 7) gibt es auf einer Ondine CD mit Max Pommer und dem RSO Leipzig. Die Symphonie Nr. 6 fehlt - der Grund hierfür ist vermutlich in ihrer überaus großen technischen Schwierigkeit zu sehen. Eine Anfrage beim BIS Label wurde mir kürzlich wie folgt beantwortet:
    We are indeed planning to record Aho's symphonies 5 & 6. The 5th will most likely be recorded and released first, as the 6th is very demanding for the orchestra. But we have not yet decided when we will record them, so we will unfortunately not release them in the near future. We are planning to release a record with piano music by Aho in the beginning of next year, though.



  • Die erste Symphonie schrieb der zwanzigjährige Komponist 1969, er war also in einem vergleichbaren Alter wie sein großes Vorbild Schostakowitsch, als dieser seine erste komponierte. Schon alleine die Tatsache, zu dieser Zeit mit einer Symphonie, dazu noch einer tonalen, an die Öffentlichkeit zu treten, zeugt von Mut und Eigensinn, denn Symphonien speziell tonale waren mega-out. Pendereckis vielgescholtene 2. Symphonie entstand z.B. erst 10 Jahre später. Allerdings gab es in Finnland eine eigene Symphonietradition, die u.a. von Aho's Lehrer Rautavaara und Joonas Kokkonen bedient wurde.


    Aho's erste Symphonie besteht aus vier Sätzen in der ungewöhnlichen Reihefolge:


    Andante- Allegretto - Presto - Andante/Allegro non troppo.
    Zwei langsame, düster-tragische Sätze umrahmen zwei scherzoartige Mittelsätze.


    Das Werk beginnt mit einer mysteriösen Eröffnung der Streicher und geht dann in aufsteigende Bläserpassagen über. DSCH ist nicht weit und auch einige amerikanische Symphoniker (Schuman, Mennin) klingen ähnlich. "Age of Anxiety" Musik. Das folgende Allegretto erinnert auch an vielen Stellen ans Vorbild. Mit dem Presto und seinem in sich selbst drehenden Motiv und eingeschobenen lakonischen Walzer kommen wir dann schon zu etwas recht Eigenem. Das abschließende Andante bringt dann wieder in den tiefen Streichern eine tragische Stimmung, die übergeht in eine an Hindemith gemahnende sich steigernde Fuge und klingt mit dem Eingangsmotiv schließlich fragend aus.


    Starke Musik in der Schostakowitsch-Nachfolge, die sich aber zunehmend vom Übervater löst und sehr eigenständig entwickelt.


    Die einzige vorliegende Aufnahme stammt vom Lahti SO und Osmo Vänska, die auch für eine Reihe der anderen Aufnahmen zuständig sind.


  • Bereits ein Jahr später, 1970, komponierte der jetzt 21-jährige Aho seine zweite Symphonie. Es ist vermutlich seine kürzeste, einsätzig, ca. 21 min Spielzeit. Die Tempobezeichnungen Adagio - Poco piu mosso - Presto - Poco piu mosso -Poco meng mosso. Die Symphonie wurde 1995 noch einmal überarbeitet.


    Der Komponist schreibt:
    Strukturell ist das Werk eine breite Tripelfuge in einem Satz, die um eine freie, passacagliaähnliche Coda erweitert wurde. Mehrere Faktoren beeinflussten meine Entscheidung, eine Fuge im symphonischen Zusammenhang zu verwenden. Einer war die Reaktion gegen die Tendenzen der Entwicklung der modernen Musik der 1960er Jahre. Die Tonalität war zusammengebrochen, die Melodik war ein Tabu geworden, und die musikalische Form war derartig fragmentiert worden, dass die formale Logik moderner Kompositionen häufig sehr schwer zu verfolgen war. Als Ergebnis öffnete sich ein Abgrund zwischen dem Konzertpublikum und der modernen Musik...Die bereits toterklärte Fugenform schien mir eine denkbare und der Erforschung werte Lösung des Problems zu bieten, wie man die Form der modernen Musik mit ihrem Empfang beim Publikum versöhnen könnte.


    Die 2. Symphonie bereit dem Hörer dementsprechend wenig Probleme. Der Einfluss von DSCH tritt deutlich zurück, man denkt an diversen Stellen eher an ein fernes Echo auf Malers Symphonie. Diese Symphonie eignet sich sicher besonders gut, um die Musik Kalis kennenzulernen. Die einzig verfügbare Aufnahme stammt wieder vom Lahti SO unter Vänska. Bessere Anwälte lassen sich kaum denken. Gepaart ist die 2. mit der 7., der sog. "Insektensymphonie", darüber später.


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  • Kalevi Aho's 3. Symphonie entstand wiederum nur ein Jahr nach der 2. Es trägt den Untertitel "Sinfonia concertante" und ist tatsächlich ein Zwitterding zwischen Violinkonzert und Symphonie. Das 38-minütige Werk hat vier Sätze: Andante (Cadenza) - Prestissimo - Lento - Presto. Der Komponist wollte in diesem Werk wohl das Individuum (Geige) und die zunehmend die Individualität bedrohende Gesellschaft (Orchester) gegenüberstellen.


    Über leisen Paukenschlägen beginnt die Violine ihre Kadenz, die praktisch den ganzen Satz ausmacht. Es gibt zwar kurze Einwürfe des Orchesters, aber die Violine dominiert. Das Prestissimo ist dann der eigentliche Kopfsatz, bei dem Aho noch einmal seinem Vorbild DSCH Referenz erweist. Der Satz ist bewegt und durch auch grelle und groteske Orchestereinwürfe gekennzeichnet, dabei kommt die Violine zunehmend "unter die Räder" und kann sich immer weniger behaupten. Im 3. Satz Lento ist sie dann auch völlig still. Der Satz hebt mit tiefen Streichern und einem Motiv aus einem Satz von Mahler an, geht aber natürlich nach zwei Takten ganz anders weiter. In der zweiten Hälfte gesellen sich vor allem die Blechbläser dazu, die einige eindrucksvoll Choräle spielen. Dieser Satz berührt stark und ist das vielleicht bisher Beeindruckendste was Aho komponiert hat. Der letzte beginnt wie der erste, die Geige muß sich jetzt aber zunehmend gegen reine Perkussionsinstrumente durchsetzen, die einen Militärmarsch intonieren. Hier zeigt sich zum ersten Mal die Faszination, die Schlaginstrumente auf den Komponisten ausüben und die in späteren Symphonien noch häufiger eine prominente Rolle einnehmen werden. Irgendwann verstummt die Violine und das Stück endet mit einer traurig-lakonischen Holzbläserkantilene.


    Ein ziemlich ungewöhnliches Stück, das aber ziemlich beeindruckt. Den Solopart spielt der finnische Geiger Jaakko Kuusisto.


  • 1972 war Kalevi Aho mit einem DAAD-Stipendium in Berlin, wo er seine Kompositionsstudien bei Boris Blacher fortsetzte. Hier entstanden große Teile der 4. Symphonie, die aber erst im folgenden Jahr in Finnland abgeschlossen wurde. Sie beendet Aho's frühe Phase.


    Die vierte ist mit einer dreiviertel Stunde die bisher umfangreichste, sie besteht aus drei Sätzen: Adagio - Allegro presto - Lento, wobei das einleitende Adagio schon fast 20 min dauert. Hier lässt Aho noch einmal in vollem Umfang das große tragische Adagio der spätromantischen Symphonie aufleben, natürlich mit klanglichen Mitteln des letzten Drittel des 20. Jahrhundert. Der zweite Satz Presto beginnt als ein leichtfüssiges Scherzo, dass aber immer verzerrter und dissonanter wird, stark vom Schlagzeug dominiert. Der abschließende Satz beginnt wie ein Tongemälde, das eine klirrende Winternacht beschreibt oder die trostlose lebensfremde Welt nach einer atomaren Katastrophe. Diese lastende Stimmung wird recht abrupt von virtuosen Bläserfanfaren aufgelöst, die einen optimistischeren Teil einleiten. Dieser hält jedoch nicht lange an und gleitet wieder über in die Anfangsstimmung mit der die Symphonie fahl ausklingt.


    Dies war m.W. die erste Aho Symphonie, die überhaupt eingespielt wurde. Jedenfalls besitze ich eine LP mit dem Tampere Philharmonic Orchestra unter Paavo Rautio von 1977. 22 Jahre später haben Osmo Väsnka und das Lahti SO ihre für BIS eingespielt.



  • In den Jahren 75/76 schrieb Kalevi seine 5. Symphonie, sie eröffnet eine neue Phase in seinem symphonischen Schaffen. Das hört man schon nach wenigen Takten. Die 5. ist mit knapp 30 min wieder kürzer als die letzten beiden und in einem Satz. Aho beabsichtigte wohl die zunehmende Komplexität des gesellschaftlichen Lebens zu beschreiben, dementsprechend ist die Musik hier wesentlich komplexer als in den ersten 4 Symphonien. Um das gleichzeitige Mit-, Gegen und Durcheinander der modernen gesellschaftlichen Strömungen zu charakterisieren, verwendet er eine Technik, die schon Anfang des Jahrhunderts Charles Ives entwickelt hat. Er überlagert polyrhythmische und polystilistische Strukturen, einzelne musikalische Entwicklungen laufen parallel und werden übereinander geschichtet, so dass eine Orchestertextur entsteht, die außerordentlich komplex und an den lauten Stellen kaum noch durchhörbar ist. Bei dem Höhepunkt bei ca. 24 min fällt mir unwillkürlich der Begriff "Kakophonie" ein. Dagegen ist "Le sacre" Salonmusik. Ich bin mir nicht sicher, ob selbst der geneigte Hörer dem Komponisten hierhin öfters folgen möchte. Ein Experiment, ein extremes.
    Interessanterweise stammt die einzige Aufnahme dieses Werkes nicht von den gewohnten BIS-Kräften, sondern erschien bei Ondine. Max Pommer dirigiert das RSO Leipzig, das hier Exzeptionelles leisten muss. Wie es zu dieser Zusammenarbeit zwischen finnischem Komponisten und dem ostdeutschen Orchester kam, weiß ich nicht.




  • Geht es noch komplexer als in Nr. 5. Anscheinend ja, die Symphonie Nr. 6 stellt angeblich so hohe Anforderungen an das Orchester, dass es bisher keine Einspielung gibt. Alleine die Geigenstimmen sind nach Auskunft des Komponisten so schwierig, dass jeder Geiger ein Solist sein muß. Nun ja, vielleicht werden wir das irgendwann einmal überprüfen können. Es hat ja 1980 eine UA gegeben; schade, dass es nicht wenigstens davon einen Mitschnitt gibt. Ich habe aber im Netz nichts finden können. Vielleicht hat ja ein Tamino Zugang zu spezifischeren Quellen.

  • Nach der 6. Symphonie wandte sich Aho erst einmal anderen Genres zu, u.a. der Oper. Die ironisch-satirische Komödie "Aus dem Leben der Insekten" der tschechischen Brüder Josef und Karel Capek (sein "Krieg mit den Molchen" ist auch bei uns recht bekannt) wählte er als Stoff für sein abendfüllendes Musiktheaterwerk. "Die Oper folgt der Struktur des Dramas: Ein Landstreicher, durch Kriegserlebnis aus allen Bahnen und Bindungen geworfen, nimmt das Leben der Insekten als allegorischen Zerrspiegel der menschlichen Gesellschaft wahr. Die dramatische Bahn beginnt komisch mit dem Liebesleben der im Foxtrott tanzenden Schmetterling, gewinnt grotesk-finstere Züge im Prinzip des Fressens und Gefressenwerdens bei den Käfern und endet im Vernichtungskrieg der Ameisen. Gleichwohl setzt der Komponist gegen den Geist der Vorlage am Ende ein Hoffnungszeichen mit Vogelgezwitscher" (Ulrich Schreiber, Opernführer für Fortgeschrittene).


    Die Oper reichte der Komponist 1989 zur 350-Jahrfeier von Savonlinna ein, musste aber bis 1996 warten, bis die Oper von der Nationaloper produziert wurde. Es gibt m.W. keine Einspielung der Oper, aber wenn doch, werden die Melomanen hier sicher noch daraufhinweisen. Jedenfalls wollte Aho nicht so lange warten, seine Musik an die Öffentlichkeit zu bringen und gestaltet aus 6 Szenen der Oper die Symphonie Nr. 7 unter Veränderung der Reihenfolge und Neukomponieren von Übergäben und Abschlüssen.


    "Den Insekten der Oper fehlt es an Lebensechtheit, nur die Rollen sind geblieben und die Substitute des Echten. Dies wird durch eine Musik charakterisiert, welche man als Substitutmusik bezeichnen könnte.Die Stilart der Sinfonie ändert sich von Satz zu Satz. In dem Werk habe ich stellenweise von Stilkopie-, Allusion- und Pseudozitattechniken Gebrauch gemacht - direkte Anlehnungen enthält die Symphonie nicht." "Jeder neue Satz stellt seinerseits wieder den vorhergehenden Satz in Frage, ist gleichsam seine Antithese. Zum Schluß hin werden die Gegensätze immer krasser, niemals kommt es zu einer gesammelten Synthese von allem aufgeführten und sehr vielschichtigen Material." (Der Komponist im Booklet zur Online CD).


    Die 6 Sätze der 45-minütigen Symphonie sind nach den verschiedenen Insekten benannt, die in ihnen charakterisiert werden. Das verwendete Tonmaterial ist tatsächlich sehr disparat. Der erste Satz z.B. ist ein sehr merkwürdiges Scherzo für Schlagzeug und Blasinstrumente, der zweite bedient sich verzerrter Anklänge an Jazz, Foxtrott und Tango, der vierte ist zarte Feenmusik (Grashüpfer), der Krieg der Ameisen im 5. eine Parodie auf Teile von "Le Sache" und der letzte schließlich ein streichergesättigter Ausklang, der als einziges auch so etwas wie Melodien enthält und ein wenig an Musik aus der thematisch verwandten Oper "Das schlaue Füchslein" erinnert. Die Instrumentierung ist sicher originell und dem Sujet angemessen. Aber den Anblick von herumkrabbelnden Insekten empfindet nicht jeder als besonders ästhetisch und die musikalische Umsetzung davon möglicherweise auch nicht. Mir fehlt der ja auch vom Komponisten negierte symphonische Zusammenhalt.


    Es gibt zwei Aufnahmen dieser Symphonie, eine auf Ondine (s. Beitrag 13) und eine auf BIS (s. Beitrag 10).

  • Bis zum 26. Oktober auch noch hier mit dem Lahti SO zu besichtigen.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Im September dieses Jahres fand die UA der Sinfonie Nr. 16 für 60 Streicher, 4 Schlagzeuger und Mezzosopran (2013–2014) Text: "Die Fahrende" (Gertrud Kolmar) von Kalevi Aho statt.
    Das ca. 50-minütiger Werk ist komplett in guter Bild- und Tonqualität auf youtube abrufbar. Mit dieser Symphonie setzt Aho die Erkundung der Möglichkeiten von Schlaginstrumenten in der symphonischen Literatur fort. Im umfangreichen Arsenal kann man wohl fast jedes auf dieser Welt genutztes Schlaginstrument wiederfinden und die 4 Schlagzeuger sind über Teilstrecken gut beschäftigt. Gegen die Schlaginstrumente setzt Aho ein reines Streichorchester, was zu einer relativ leichten Faktur des ganzen Werkes beiträgt. Weite Strecken der Symphonie spielen im Bereich zwischen Piano und Mezzoforte. Die Musik ist weitgehend tonal mit Einbeziehung gewisser avantgardistischer Techniken. Im letzten Satz tritt eine Mezzosopranistin hinzu, die zu Beginn und zum Abschluss off-stage Vokalisen singt und dazwischen auf der Bühne ein dramatisches Orchesterlied nach einem Text der 1943 in Auschwitz ermordeten Lyrikerin Gertrud Kolmar vorträgt. Der Text dazu findet sich hier.


  • Hallo Lutgra,


    gerade habe ich die 4 Sätze (nur in den 4.Satz nicht komplett) der recht aktuellen neuen Aho-Sinfonie Nr.16 mit Interesse gehört.


    Die Sätze haben die Überschriften:
    1. Die Wanderstassen
    2. Ein Zipfel dieser Welt
    3. Des Blinden Sehnsucht
    4. Weit verwirrte Bilder


    Kurz meine Eindrücke:
    Zunächst finde ich es gut, dass wieder einmal ein aktuelles Orchesterwerk nicht mit ungeniesbaren Klängen vollgestopft ist ... ;) die Komponisten haben die Zeichen der Zeit erkannt, dass man sonst kaum noch Einen erreicht !
    Das Werk fand ich zumindest in den ersten 3 Sätzen wirklich gut und hörenswert.


    Allerdings habe ich auch Einwände:
    Im 1. Satz spannt er mich ziemlich lange auf die Folter, bis er mal zur Sache kommt. ;):D Insofern finde ich den Satz ab ~der 9.Minute erst richtig spannend (was Dich wohl kaum verwundern wird).
    Der 2.Satz stahlt zwar Tiefe aus, bleibt aber doch recht langatmig. Hier hätte ich mir zur Abwechslung des Klangbildes mehr Instrumnetation gewünscht, als nur Streicher und Schlagwerk.
    Der 3.Satz gefällt mir wegen seiner energetischeren Art eindeutig besser und wirkt kurzweiliger. Das Schlagzeug, wie die Klangschalen auf den Pauken klingen zu lassen ist zwar "was Neues", aber bringt wenig und erzeugt Zufallsklange (so wie sich die Klnagschalen bewegen). Die Klangschalen sauber auf einem Ständer fände ich angemessener.
    Der 4.Satz entsprach nicht so meinem Geschmack. Klar, wegen der Mezzosopranistin. Ich kann es für meinen Geschmack nicht nachvollziehen, wie man auch heute noch eine Sopranistin einsetzt und ihre quasi "schrille Stimme in der Art" (um es gemässigt auszudrücken) wie aus dem 18./19.Jhd wirken lässt. Ich würde in solchen Fällen eine aktuelle nichtklassische Sängerin verpflichten (wie etwa Kim Sanders).


    Nun stelle ich mal die Frage:
    Glaubst Du (oder natürlich jeder Andere auch), ob sehr viel von den Live-Zuhöreren beim Finnischen RSO nach dem Konzert nach Hause gehen und sagen: "Die Sinfonie muss ich unbedingt zu Hause auf CD haben !" ? Das mag ja bei Dir anders sein.
    Ich finde diesen Anspruch sollten heutige Werke haben, dass der Zuhörer voll begeistert wird und ein Wiederhöreren bald ersehnt wird.


    Da gibt es einige Beispiele, wo ich diesen positiven Eindruck habe (Daugherty wäre nur ein Komponistenname). Auch bei UA in der Beethovenhalle Bonn hatte ich des öfteren das Bedürfnis das neu Gehörte unbedingt auf CD haben zu wollen - leider meist ohne Erfolg, da nie eingespielt ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Nun stelle ich mal die Frage:
    Glaubst Du (oder natürlich jeder Andere auch), ob sehr viel von den Live-Zuhöreren beim Finnischen RSO nach dem Konzert nach Hause gehen und sagen: "Die Sinfonie muss ich unbedingt zu Hause auf CD haben !" ? Das mag ja bei Dir anders sein.
    Ich finde diesen Anspruch sollten heutige Werke haben, dass der Zuhörer voll begeistert wird und ein Wiederhöreren bald ersehnt wird.


    Lieber Wolfgang
    das ist eine gute und durchaus berechtigte Frage. Auch mich hat die 16. Symphonie jetzt nicht so beeindruckt, dass ich gleich bei BIS geschaut habe, ob die CD schon angekündigt ist. Ich habe zwar bisher alle verfügbaren Aho-Symphonien in der Sammlung muß mich aber noch intensiver mit den einzelnen Werken auseinandersetzen, um zu klären, welche wirklich gut sind und welche verzichtbar. Ich hatte in der Vergangenheit sehr häufig das Interesse, alle Symphoniker möglichst komplett zu haben. Aber wenn man ehrlich ist, ist das bis einschließlich Bruckner, Mahler, Nielsen und Sibelius sicher noch sinnvoll, bei den Symphonikern, die danach kamen, aber nicht mehr unbedingt so nötig. Mir gefallen nicht ALLE Symphonien von Schostakowitsch, Weinberg, Simpson usw. Da kann man sich vielleicht auf die Werke beschränken, die einem wirklich gefallen. Ich bin mit meiner "Sammlerwut" jetzt auch an eine natürliche Grenze gekommen, wo ich vielleicht mal innehalten sollte und sondieren, was Bestand hat und was nicht. Wäre jedenfalls ein Vorsatz fürs neue Jahr.

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  • Geht es noch komplexer als in Nr. 5. Anscheinend ja, die Symphonie Nr. 6 stellt angeblich so hohe Anforderungen an das Orchester, dass es bisher keine Einspielung gibt. Alleine die Geigenstimmen sind nach Auskunft des Komponisten so schwierig, dass jeder Geiger ein Solist sein muß. Nun ja, vielleicht werden wir das irgendwann einmal überprüfen können. Es hat ja 1980 eine UA gegeben; schade, dass es nicht wenigstens davon einen Mitschnitt gibt. Ich habe aber im Netz nichts finden können. Vielleicht hat ja ein Tamino Zugang zu spezifischeren Quellen.


    Es gibt eine Aufnahme. In mono und mit gelegentlichen Störgeräuschen. Trotzdem, was für ein Soundtrip.


  • Seine Reihe von Konzerten für alle Orchesterinstrumente setzt Kalevi Aho 2014/15 mit einem Konzert für Sopransaxophon fort, nicht gerade ein typisches und häufig anzutreffendes Orchesterinstrument, aber sei es drum. Mit einem solchen Konzert will er vermutlich nicht nur Freunde der gemässigten (Post-)Moderne anpsrechen, sondern auch Jazzfans und obwohl er keine typischen Jazzrhythmen verwendet, dürfte ihm das ziemlich gut gelungen sein. Alle drei Sätze enthalten ausgedehnte meditativ gestimmte Passagen, der erste Satz beginnt damit über liegenden Tönen, der zweite besteht komplett daraus und in der zweiten Hälfte des Kopfsatzes und dem Finalsatz geht es etwas munterer zu. Die Tonsprache ist sehr gemässigt und dürfte niemanden vor allzu große Hörprobleme stellen. Anders Paulsson, der das Konzert in Auftrag gegeben hat, spielt das alles berückend und John Storgards begleitet kompetent. Man könnte sich vorstellen, dass auch Musiker wie Jan Garbarek so ein Stück ins Repertoire aufnehmen. Neben dem Konzert findet sich noch ein ebenfalls neues Quintett für Klavier und Bläserquartett sowie ein älteres Solostück für Violine auf der aktuellen CD. Darüber demnächst.


  • Die Werke und Sinfonien von Kalevi Aho sind ja untereinander absolut kontrastreich und haben scheinbar keinen festgelegten Stil, bei dem man ihn deutlich charakterisieren kann. Aber es sind schon verdammt gute Werke dabei, die den Hörspass haben, den auch ich mir für moderne Werke vorstelle/wünsche.


    Auf CD liegen mit die Sinfonien Nr. 1 und 8, 2 und 7, 4 und 11 in den klangtechnisch ausgezeichenten Aufnahmen mit Osmo Vanskä / Lathi SO (BIS) vor.


    Von den sehr positiven Kritiken angeregt und von einem Konzert auf YT mit Martin Gruber vom Schlagzeugkonzert SIEIDI (2010) angeregt, hat sich jetzt bei mir auch die Sinfonie Nr.5 mit SIEIDI mit dem Lathi SO unter Dima Slobodenouk (what a Name !) eingefunden:


    BIS, SACD 2020


    Besonders SIEIDI für Schlagwerk und Orchester (2010) ist ein Wahnsinnswerk von 36Minuten Spieldauer.

    Die Stimmungen reichen vom Atmosphärischen bis zur aufgipfelnden Dramatik. Der Schlagzeuger Colin Currie wechselt zischen seinen neun Schlaginstrumenten die nicht (wie sonst gewohn) alle besetzt sind und wird höchstens noch von 3 Schlagwerkern im im Orchester unterstützt. (Darin ähnlich angelegt wie in Daughertys Ufo für SoloPercussion und Orchester (1999) mit Evelin Glennie.)

    Aho wurde durch Colin Currie, der James McMillians Schlagwerkkonzert Veni, Veni, Emmanuel aufführte (dass ich persönlich ungleich weniger lebendig empfinde (um nicht zu sagen langatmig)) angeregt, dieses Schlagzeugkonzert zu komponieren.

    Sieidi bedeutet heiliger Opferstein und die Kutstätte der Sami. Aho wollte gerade daran erinnern, dass es auf der Welt viele kleine Völker wie die Sami gibt ... Seidi beschreibt nun nicht nur ausschliesslich samische oder finnische Rituale, sondern beginnt mit einer afrikanischen Djembe, gefolgt von einer arabischen Darbuka und wieter über europäische Schlaginstrumente über Vibraphon bis zum TamTam.

    Sieidi ist Einsätzig, aber in 8 Unterteile gestaffelt.

    Es ist seit der UA 80 mal aufgeführt worden und soll das meistgespielte Werk Ahos sein und wurde dann am 18.April 2012 mit dem London PO und Currie als Solist erstaufgeführt.


    Die Sinfonie Nr.5 (1975 - 1976) hält am Anfang Längen bereit, die meinen Geduldsfaden schon mal strapazieren können (bis sich mal was anregendes tut ...) , aber dann gestalten sich grossartiege Anstige, die bis zum Ende immer chaotischer werden. Es werden 2 Dirigenten benötigt, die die aufgeteilten zwei Teile der Orchestergruppen wahrlich auf ein schnelleres Tempo beschleunigt, während die andere Gruppe im gleichen Tempo bleibt, bis sie dann wieder zu einem gleichen Puls zusammenfinden. Sehr komplex das Ganze.


    :) Eine tolle CD ist es auf jeden Fall !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang