Paul Hindemith - Der bedeutendste deutsche Komponist des 20. Jahrhunderts - V.1 - Allgemeine Betrachtungen

  • Liebe Forianer
    Passend zum 50 Todestag (1963) eröffne ich diesen Thread
    Es gibt zwar schon einen - und der war nicht mal schlecht besucht - aber er ist in vielerlei Hinsicht überholt, sei es wegen der anderen Zusammensetzung der Mitglieder, sei es, weil hier hauptsächliches über sein Leben ,seine Bedeutung einst und jetzt, und seine persönlichen Vorlieben und Abneigungen geschrieben werden soll - Werke können am Rande gestreift werden, jedoch sind mindestens 2 oder 3 weitere Threads geplant, wo seine Werke zum Zuge kommen sollen - nach Sachgebieten geteilt.


    http://tamino-klassikforum.de/…?page=Thread&threadID=599


    Anregt wurde ich zu diesem Thread, weil im Kammermusikforum begonnen wurde zu hinterfragen, weshalb Hindemith weniger populär sei als beispielsweise Bela Bartok. Eine interessante Frage- auf die es vermutlich EINIGE Antworten geben dürfte
    Um das Einsteigen ins Thema zu erleichtern habe ich diesmal ausnahmsweise auf die einleitende Biographie vorerst verzichtet.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Hindemiths stark nachlassende Popularität kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. Aber das heißt nicht viel, ich kann auch nicht verstehen, warum Webern nicht populärer ist als Lehár (auch ein Komponist des 20. Jahrhunderts).
    :D
    Hindemith nehmen heute viele Leute als verstaubt, vorgestrig, trocken, akademisch, langweilig wahr. Man stößt sich am restaurativen Zug und vermisst den emotionalen Überschwang - das waren aber genau die Eigenschaften, die ihn zur Zeit unserer Großväter so populär machten. Wenn man bedenkt, dass etwa das Regietheater vorzugsweise alle Stoffe in die 50er-Jahre verlegt (wenn's nicht gerade Nazis sein sollen), um Kritik an den wertkonservativen Aspekten jener Ära zu üben, an der letzten Ära vor 1968 sozusagen, dann kann man vielleicht verstehen, warum deren "deutschester" Vertreter der musikalischen Hochkultur heute geradezu das Feindbild des aktuellen Kulturbetriebes ist und als Synonym für "muffig" herhalten dürfte. Sebstverständlich versucht man dann auch noch, ihn ins rechte Egk abzuschieben.


    Bartók hingegen fungiert als Multi-Kulti-Hero, der den kitschigen Folklore-Missbrauch des 19. Jahrhunderts überwunden haben soll und nun seriös wissenschaftlich eine echt barbarische moderne Musik geschaffen hat.


    Komisch nur, dass diese eigentlich ziemlich lächerliche Grundlage für Verachtung und Begeisterung zieht. Schließlich wird der späte Bartók ja auch ziemlich "bieder" verglichen zu seinen wildesten Stücken und das Gemeinsame der beiden Komponisten überwiegt doch. Aber der Musikbetrieb braucht nur wenige Heroen, und somit wurde Hindemith eben abgeschossen.


    :hello:

  • Stellen wir uns zunächst die Frage. ob Hindemith tatsächlich relativ unpopulär ist, denn - auch wenn ich mich persönlich mit ihm kaum auseinandergesetzt habe - so spricht doch einiges gegen diese Annahme. So bezeichnen ihn beispielsweise alle mir zur Verfügung stehenden Quellen als den vermutlich bedeutendsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ok - das sagt noch nicht wirklich etwas über seine Popularität aus. Rufen wir beispielsweise die verfügbaren Aufnahmen bei jpc auf. so erhalten wir knapp 600. Bartok erzielt zwar ein besseres Ergebnis - aber der Level ist schon recht hoch. Vielleicht kommt noch dazu, daß Hindemith im Laufe seiner Karriere mehrfach seinen Stil gewechselt hat und somit von vielen nicht zugeordnet werden konnte, bzw falsch eingeordnet. Das Statement vom "atonalen Geräuschemacher" wird vermutlich auch noch in den Hinterköpfen von vielen evident sein - wobei ich mir nicht sicher bin daß jedem die Quelle bekannt ist.


    mfg aus Wien
    Alfred


    PS. Ich habe übrigens den Titel des Threads geändert - und werde eine Serie daraus machen

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Statement vom "aronalen Geräuschemacher" wird vermutlich auch noch in den Hinterköpfen von vielen evident sein - wobei ich mir nicht sicher bin daß jedem die Quelle bekannt ist.

    Jetzt wissen wir zumindest, welche Zahnpasta Du benutzt!


    Spaß beiseite, das Zitat stammt natürlich vom unsäglichen Reichspropagandaminister. Hindemith galt ja während der Nazizeit als "entartet", obwohl durch und durch Deutsch. Interessanterweise durfte Bartok während der dunklen Jahre gelegentlich gespielt werden, da er aus dem "befreundeten" Ungarn stammte.


    Der Hass der Nazis auf Hindemith ergab sich übrigens aus dem persönlichen Widerwillen von Adolf Hitler, der empört einer Aufführung von "Neues vom Tage" beiwohnte, bei der eine mehr oder weniger unbekleidete Dame in der Badewanne herumturnte. Hier gibt es also eine Parallele zu Dmitri Schostakowitsch, der sich ja auch den Unwillen von Josef Stalin zuzog, als dieser einer Aufführung von "Lady Macbeth" beiwohnte.


    Gut möglich, dass das Nazi-Verdikt gegen Hindemith noch lange in der Adenauerrepublik nachgewirkt und einer vorurteilsfreien Rezeption im Wege gestanden hat. Dabei wurden da nun wirklich atonale Geräusche komponiert.

  • So bezeichnen ihn beispielasweise alle mir zur Verfügung stehenden Quellen als den vermutlich bedeutendsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ok - das sagt noch nicht wirklich etwas über seine Popularität aus.


    Verglichen mit der Bedeutung, die ihm in den Quellen beigemessen wird, sieht es im Konzertleben doch etwas dürftig aus. Aber so schlimm ist es auch nicht, da gebe ich Dir recht.
    :hello:


    clck 95

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  • Ich halte es jedenfalls für ein Gerücht, dass Bartok populärer als Hindemith ist, weil er als "Multi-Kulti"-Heros gehandelt wird... :D


    Ebenso war Hindemith in der Adenauer-Republik in den 50er Jahren ziemlich sicher der oder einer der meistgespielten lebenden Komponisten. Wobei ich allerdings vermute, dass damals wie heute einige wenige Werke dominierten: Weber-Metamorphosen, Mathis-Sinfonie usw.
    Ich kenne zu wenig von Hindemith gut genug, um Spekulationen über den deutlichen Niedergang, den seine Musik seit dem Tod ihres Urhebers erlitten zu haben scheint, anzustellen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Das ist jetzt kein eigentlicher Beitrag zu Hindemith, sondern eine ganz schlichte Frage:


    Weiß wer, ob die Szenenfolge aus "Mathis der Maler", die an den CD-"Cardillac" von der Deutschen Grammophon mit Dietrich Fischer-Dieskau angehängt ist, auch separt existiert, und wenn ja, in welchem Umfang? Es singen Pilar Lorengar, Donald Grobe und ebenfalls Fischer-Dieskau. Dirigent ist Leopold Ludwig.


    Danke und Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich halte es jedenfalls für ein Gerücht, dass Bartok populärer als Hindemith ist, weil er als "Multi-Kulti"-Heros gehandelt wird... :D

    Ich muss zugeben, auch meine Zweifel zu haben an meiner These.
    :whistling:


    Zitat

    Ebenso war Hindemith in der Adenauer-Republik in den 50er Jahren ziemlich sicher der oder einer der meistgespielten lebenden Komponisten. Wobei ich allerdings vermute, dass damals wie heute einige wenige Werke dominierten: Weber-Metamorphosen, Mathis-Sinfonie usw.
    Ich kenne zu wenig von Hindemith gut genug, um Spekulationen über den deutlichen Niedergang, den seine Musik seit dem Tod ihres Urhebers erlitten zu haben scheint, anzustellen.

    Ab heute bis Ende nächste Saison:
    Wiener Musikverein:
    Bartók: Konzert für Orchester, Sz 116 | Konzert für Viola und Orchester | Klänge der Nacht, Hetzjagd (Klavier) | Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 h-Moll, SZ 112
    Hindemith: Kleine Kammermusik für fünf Bläser, op. 24/2
    ---------
    Wiener Konzerthaus:
    Bartók: Divertimento für Streichorchester Sz 113 | Klavierquintett B-Dur BB 33 | Klänge der Nacht, Hetzjagd (Klavier) | Streichquartett Nr. 5 Sz 102 | Streichquartett Nr. 3 Sz 85 | Streichquartett Nr. 2 Sz 67 | Kontraste Sz 111 für Klarinette, Violine und Klavier | Streichquartett Nr. 4 Sz 91
    Hindemith: Ludus tonalis (Auszüge)


    Bartók ist also ein Fixpunkt in der Programmgestaltung, Hindemith ein Kuriosum, bei dem die ehemaligen Schlachtrösser, die Du genannt hast, vergessen sind. Im Konzerthaus kommt er nur in einer Kinderveranstaltung vor.

  • Es ist aber doch sicher nicht nur Bartok, der Hindemith "verdrängt" hat, oder? Ebenso könnte man sicher auch Debussy, Ravel (die in den Adenauer-50ern noch als "modern", jedenfalls nicht als Standardrepertoire galten), Strawinsky, Schostakowitsch und vermutlich auch einiges von Berg anführen.
    Sind es vielleicht auch äußerliche Punkte? Es gibt zwar von Hindemith ein Violinkonzert, den "Schwanendreher" als eine Art Bratschenkonzert und auch Musik mit konzertantem Klavier. Aber die frühen Konzertmusiken sind für ungewöhnliche kammerorchestrale Besetzungen und anscheinend sind Werke wie Bartoks Klavierkonzert oder auch Bergs Violinkonzert bei Musikern und Publikum weit beliebter als entsprechende Werke Hindemiths. Ich vermute zwar, dass "The Rakes Progress" und Bartoks Blaubart auch nicht gerade ständig gegeben werden, aber Wozzeck ist sicher häufiger auf dem Plan als jegliche Opern Hindemiths.
    Den Status quo bestreite ich also gar nicht. Nur bin ich mir über die Ursachen nicht im Klaren. (Könnte es am Ende an der Musik liegen? ;))

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  • Wiener Musikverein:
    Schönberg: Kammersymphonie für 15 Soloinstrumente Nr. 1 E-Dur, op. 9 | Variationen für Orchester, op. 31; bearbeitet von Thomas Schön | Verklärte Nacht, op. 4 | Pelleas und Melisande. Symphonische Dichtung, op. 5 | Sechs kleine Klavierstücke, op. 19; bearbeitet von Bernhard Wulff
    Wiener Konzerthaus:
    Schönberg: Gurre-Lieder für Soli, Chor und Orchester | Erwartung op. 2/1 | Sechs kleine Klavierstücke op. 19 | Drei Klavierstücke op. 11 | Sechs kleine Klavierstücke op. 19 (Bearbeitung für Kammerensemble: Heinz Holliger)


    Was ist das für ein Quatsch? Wieso bearbeiten jetzt alle die 6 kleinen Klavierstücke?
    :no:

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  • Zitat

    (Könnte es am Ende an der Musik liegen? ;))


    Diese Frage stellte Johannes Roehl in Beitrag Nr 9 - und bevor hier ein allgemeiner Proteststurm beginnt, solllte man darüber nachdenken ob er vielleicht recht hat. Bartok hat zumindest das "Konzert für Orchester" geschrieben, welches allgemein bekannt ist - oder zumindest ein paar Sequenzen davon.


    Das ORF "Nachtstudio" bediente sich als Kennung eines Themas von Bartok, nämlich aus dem Beginn des Klavierkonzerts Nr 3......


    Es gab also einiges, das irgendwie bekannt war. Bei Hindemith ist das meines Wiessens nach nicht der Fall - es fehlt das eine "große" Werk - wie bei Orff beispielsweise die Carmina Burana, das allein schon ausreicht um dem Komponisten "Profil" zu verleihen......


    Was ist das "Einnehmende" für Hindemith - die Melodik, die Rhythmik - oder der Aufbau ?


    Fragen über Fragen - Was ist Hindemiths "Musikalische Visitenkarte ?"


    mfg aus Wien
    Alfred



    *musikalische Visitenkarte ist ein Thema, das mich zu einer Neuen Threadseria inspiriert hat, die ich demnächst starten werde

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich halte Hindemiths "Mathis der Maler" für eine der bedeutendsten Opern des 20. Jahrhunderts; die Sinfonie ist nur ein Auszug, allerdings ein sehr gelungener. Leider wird das kaum gespielt, die letzte Aufführung war vor Jahrzehnten in Düsseldorf (Harald war bestimmt drin). Hindemith hielt diese Oper und die "Harmonie der Welt" am Ende seines Lebens für weit bedeutender als seine frühen "revolutionären" Werke. Ich kenne zwei Einspielungen des "Mathis": Kubelik mit Fischer-Dieskau; für mich die Referenzaufnahme! Daneben fällt die WDR-Aufnahme und Gerd Albrecht doch ab, zwar nicht vom Orchester, aber von den Sängern. Die Aufnahme der "Harmonie" habe ich schon lange, aber da braucht man einen langen Atem, um sich da einzuhören. Erwähnenswert ist allerdings noch "Cardillac", die ich schon Berlin und Dortmund sehen konnte. Vor 2o Jahren fiel mir eine Sängerin in Dortmund auf, von der ich sagte: "die wird mal was!" Es war Waltraud Meier!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)


  • Diese Frage stellte Johannes Roehl in Beitrag Nr 9 - und bevor hier ein allgemeiner Proteststurm beginnt, solllte man darüber nachdenken ob er vielleicht recht hat. Bartok hat zumindest das "Konzert für Orchester" geschrieben, welches allgemein bekannt ist - oder zumindest ein paar Sequenzen davon.


    Dem entspricht wohl am ehesten Hindemiths Sinfonie "Mathis der Maler".
    :hello:

  • Hindemth kat auch ein Klarinettenkonzert geschrieben (1947), das er Benny Goddman widmete. Hier eine Kostprobe in der Fassung für Klavier und Klarinette:


    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. (Nietzsche)

  • Für mich trifft das Video genau das Problem, dass ich mit Hindemith habe, das ist ganz schön, das klingt auch irgendwie emotional, aber diese Emotionen leben dann nicht in mir. Es bleibt beim Wollen. Es erscheint mir so, als habe Hindemith gewisse Parameter, die Emotionen wecken müssten, und die setzt er dann ganz rational ein. Es ist ein wenig wie mit dem Witz von Woody Allen, man weiß, dass es lustig ist, aber man lacht nie laut auf.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Ich habe mir gestern abend "Schwanendreher" und die Suite aus "Nobilissima Visione" angehört. Das Bratschenkonzert verwendet alte Volkslieder (daher auch der Titel). Problematisch dabei ist m.E., dass das Stück ungeachtet dessen nicht besonders populär klingt. Besonders der Kopfsatz wirkt recht sperrig. Der Mittelsatz ist eingängiger mit choralartigen gestalteten lyrischen Eckteilen und einer Fuge im Mittelteil über ein "lustiges" Lied (Der Gutzgauch (?! anscheinend ein Kuckuck) auf dem Zaune saß). Das Finale sind dann Variationen, die recht schnell auch eher "gelehrt", sperrig wirken. Das muss ja nicht gegen das Werk sprechen, aber es ist weder offensichtlich expressiv (wie zB Berg) noch klassizistisch-witzig (wie manches vom neobarocken Stravinsky) noch volkstümlich mitreißend.


    Bei der Nobilissima-Suite kommt in der Passacaglia am Schluss zu der Gelehrtheit ein gehöriger Schuss Blechbombast dazu, der mich zwar schon beeindruckt, bei dem ich aber auch verstehen kann, warum Hörer das ablehnen. Die Sätze davor haben eher so etwas karges, pseudomittelalterliches.

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  • Und da muss ich sagen, dass Johannes das sehr schön ausdrückt, was ich irgendwie auch so meinte.
    Wobei ich immer auch ein wenig Angeberei bei Hindemith zu hören glaube: "Schaut einmal, was ich alles weiß!"

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Die Zeiten ändern sich. Reger ist auch nicht der beliebteste seiner Zeit. Und Bach vermutlich nicht (nur), weil er so gelehrt ist. Ich habe nichts gegen gelehrt und auch nichts gegen Hindemith.
    Nur bei den genannten Werken zwiespältige Eindrücke, weil ich nicht so genau weiß, ob dass nun witzig/volkstümlich sein soll (dann scheitert's) oder ob das eine falsche Erwartung ist. Vermutlich sind das tatsächliche Aspekte der Musik und des Komponisten, die sich für mich in der Realisierung dann nicht gut vereinigen lassen: "Musikantentum" (antiromantisch, "volkstümlich"), Musik als Handwerk (antiromantisch), gelehrter Kontrapunkt (anti-volkstümlich) und dann doch wieder Neoromantik, wenn auch vielleicht mit barocken Mitteln wie in der Nobilissima-Passacaglia oder meiner Erinnerung nach auch in der Mathis-Sinfonie und der Sinfonie in Es.

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  • Nur bei den genannten Werken zwiespältige Eindrücke, weil ich nicht so genau weiß, ob dass nun witzig/volkstümlich sein soll (dann scheitert's) oder ob das eine falsche Erwartung ist. Vermutlich sind das tatsächliche Aspekte der Musik und des Komponisten, die sich für mich in der Realisierung dann nicht gut vereinigen lassen: "Musikantentum" (antiromantisch, "volkstümlich"), Musik als Handwerk (antiromantisch), gelehrter Kontrapunkt (anti-volkstümlich) und dann doch wieder Neoromantik, wenn auch vielleicht mit barocken Mitteln wie in der Nobilissima-Passacaglia oder meiner Erinnerung nach auch in der Mathis-Sinfonie und der Sinfonie in Es.


    Kann man das nicht auch über Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta sagen?

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  • Meinem Gefühl nach ist gerade das Stück von Bartok eins, dem die Integration unterschiedlicher Elemente in außerordentlich überzeugender Weise gelingt, nämlich so, dass man normalerweise gar nicht über einzelne Aspekte nachdenkt, sondern einfach mitgerissen wird.


    Mal abgesehen davon, dass mir der klangliche Reiz (besonders im 3. Satz), den Bartok trotz oder wegen der ungewöhnlichen Instrumentation erzielt, bei Hindemith so noch nie begegnet ist. (Vielleicht in den frühen "Kammermusiken"). Ich finde auch die Motivik Bartoks weit prägnanter, aber das wird wohl daran liegen, dass ich das Stück viel länger und besser kenne als irgendwas von Hindemith.

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  • Ich habe persönlich ziemlich lange gebraucht, um einen Zugang zu Bartóks genanntem Werk zu finden - besonders die akademischen Sätze fand ich lange völlig farblos und stur, dazwischen das ungarische Paprika überhaupt nicht zwingend integriert (außerdem mochte ich Paprika nicht).
    :hello:

  • Obwohl die Anregung zu diesem Thread von mir stammt, habe ich eine ganze Weile geschwiegen, da ich mal hören wollte, was andere so über diese Frage denken. Aber ich stelle fest, dass es vielen ähnlich geht wie mir. Man gesteht Herrn Hindemith zu, dass er auf der Höhe seiner Zeit komponiert, technisch brilliant und überaus fähig, aber ein letztes Quäntchen Genialität fehlt bei vielen Stücken dann doch irgendwie. Die Musik Hindemiths wirkt auf mich oft ein wenig "konstruiert", die Noten sprudeln nur so hervor, aber man fragt sich manchmal: wofür? Dieses Gefühl habe ich bei Bartok nie gehabt, die Note muss hier so sein und nicht anders. Auch wenn ich bei einigen Bartokstücken viel Hörarbeit investieren musste, bis ich sie "verstanden" hatte. Also, mein Eindruck ist, dass es sich bei Hindemith häufig um "hervorragendes Handwerk" handelt, aber eben nicht um "Kunst".


    Solch eine Aussage muss aber immer wieder überprüft werden. Deshalb werde ich mir mal die 7 Streichquartette vornehmen, die ich nicht wirklich gut kenne und mich mit ihnen näher befassen. Dafür hat Alfred auch gerade einen neuen Thread eröffnet.


    P.S. Ein anderer Komponist, bei dem die Musik auf mich als irgendwie "konstruiert" aber nicht echt empfunden wirkt, ist der englische Komponist Robert Simpson. Obwohl ich seine symphonischen Beiträge "interessant" finde, fehlt mir immer etwas. Auch Herr Simpson hat Streichquartette geschrieben, so an die 15 (!). Ich habe alle im Schrank stehen, aber auch mit diesen muss ich mich noch richtig befassen. Das wird dann sicher ein weiterer Thread werden.

  • Dieses Gefühl habe ich bei Bartok nie gehabt, die Note muss hier so sein und nicht anders. Auch wenn ich bei einigen Bartokstücken viel Hörarbeit investieren musste, bis ich sie "verstanden" hatte.


    So geht es mir doch fast bei jeder Musik: Es gibt Zeiten, wo ich mir denke: Es könnte genausogut ganz anders sein, das klingt beliebig - und es gibt Zeiten, wo ich empfinde, dass es genauso sein müsse, wie es gerade erklingt.


    Vielleicht liegt das daran, dass ich Musik der unterschiedlichsten Stile und Gattungen höre und keine Fixpunkte mehr pflege. Ich habe viel Erfahrung damit, mich von Komponisten zu entwöhnen bzw. an andere zu gewöhnen. Ich glaube, ich kann zu jedem beliebigen Komponisten mittels 2-wöchigem Hörtraining das Gefühl entwickeln, genauso müsse es sein, wodurch die Nähe zu anderen Komponisten wieder temporär verlorenginge.

  • Was wären die "akademischen" Sätze" bei Bartok?


    Den Eingangssatz von "Musik für..." habe ich nie so wahrgenommen, obwohl das Stück für mich natürlich auch nicht so eingängig war wie das Divertimento oder das Konzert f. Orchester. Erst im Nachhinein ist mir der Gedanke gekommen, dass das vielleicht auch eine Hommage an ein anderes Werk, das mit einer langsamen expressiven Fuge beginnt sein könnte (Beethovens op.131), dagegen habe ich beim langsamen Satz des "Schwanendreher"-Konzerts eher (ich übertreibe jetzt ein wenig) den Eindruck des fiesen Bonmots "Und wenn er nicht mehr weiter kann, dann fängt er eine Fuge an"...

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  • Was wären die "akademischen" Sätze" bei Bartok?


    Den Eingangssatz von "Musik für..." habe ich nie so wahrgenommen, obwohl das Stück für mich natürlich auch nicht so eingängig war wie das Divertimento oder das Konzert f. Orchester. Erst im Nachhinein ist mir der Gedanke gekommen, dass das vielleicht auch eine Hommage an ein anderes Werk, das mit einer langsamen expressiven Fuge beginnt sein könnte


    Da sieht man schön, wie unterschiedlich Kunstwerke auf verschiedene Betrachter wirken können. Ich habe dort lange einen starken Widerspruch zwischen überdeutlich vorgestelltem diatonischen Material, gelehrter Fugato-Technik und dissonantem Zusammenklingen wahrgenommen, was mir das Ganze unerträglich sinnlos machte. Bei Hindemith ist mir das nie so aufgestoßen.

  • Ohne jetzt ein Spezialist für einen der beiden zu sein, aber viel mehr als mit Bartók kann man Hindemith doch mit Martinu vergleichen, nicht? Beide eher aus der mitteleuropäischen Tradition stammend mit Ausläufern Richtung Jazz, Vielschreiber, neoklassizistische/neobarocke Phase, etc... Bartók ist im Gegensatz zu Hindemith ein Bekenntnismusiker. Daher hat seine Musik auch etwas Abgründiges, das zumindest den Hindemith-Werken, die ich kenne, abgeht. Ich halte Hindemith für einen sehr guten Komponisten, einiges, das ich gehört habe für grandios (Mathis-Symphonie, Konzertmusik für Streicher und Bläser op. 50, ...), aber Bartók ist schon etwas sehr besonderes: technisch absolut perfekt und gleichzeitig sehr emotional, beizeiten apokalyptisch - eine Art Mischung aus Bach, Debussy, Strawinsky und Schostakowitsch.

  • Meiner Meinung nach liegt es an der Methode, die Hindemith entwickelt hatte.


    Vermutlich war in dieser Zeit das grosse Rennen um die erfolgreichste neue Theorie bzw. Kompositionstechnik.
    Schönberg hat dieses Rennen klar gewonnen.


    ich denke, dass die spontanen wilden Kompositionen der frühen Jahre viel besser und lebendiger sind als die theoriefixierten späteren.
    z.B: Ludus tonalis halte ich mittlerweile für einen Tiefpunkt, bei aller Bewunderung für die kontrapunktischen Spielereien, die er sich überlegt hat.


    Das seltsame Merkmal Hindmiths ist ja die eigenartige Schlusskadenz, die den Hörer aus heiterem Himmel (oder auch düsterem) immer wieder in irgend eine normale Tonart zurückführt.


    ich habe die Opern Mathis und Cardillac gespielt und denke, dass sie sehr eindrucksvoll sein können.
    Unsere Zeit ist ja viel offener gegenüber freier Atonalität geworden (in jedem dritten Kriminalfilm ist ohnehin auch solche Musik zu hören), daher warte ich auf einen kleinen Durchbruch, den Hindemith verdient hat.
    aber vielleicht liegt es nur an einem Versuch, eine Generationenfolge bedeutender deutscher Komponisten aus dem 19.Jh weiterführen zu wollen... und das gelingt uns nicht mehr...
    dazu eine hervorragende Analyse : http://tamino-klassikforum.de/…+nepomuk+david#post222599

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Meiner Meinung nach liegt es an der Methode, die Hindemith entwickelt hatte.


    Vermutlich war in dieser Zeit das grosse Rennen um die erfolgreichste neue Theorie bzw. Kompositionstechnik.
    Schönberg hat dieses Rennen klar gewonnen.


    Sicher trägt dieser abstrakte Aspekt seiner Musik nicht gerade zu deren Beliebtheit bei, allerdings ist ja die Musik der Zweiten Wiener Schule per se nicht eingängiger - im Gegenteil, würde ich sagen. Ich denke weiterhin, dass der "lArt pour l'Art"-Ansatz großer Teile seiner Musik ihn nicht nur Unterstützung beim Publikum sondern auch bei den Musikern kostet. Komponisten ähnlicher Ausrichtung, wie etwa Saint-Saens, leiden ebenfalls an einer ihren kompositorischen Qualitäten nicht adäquaten Missachtung.



    clck 588

  • ich glaube auch, dass viele Komponisten ein Bach-Syndrom aufweisen, dass sie dazu zwingt, mit den Spätwerken bzw. den grossen zyklischen Werken mithalten zu können.


    Kunst der Fuge, bzw. Wohltemperiertes Klavier, Goldbergvariationen, h-moll Messe, Matthäuspassion... das sind alles Prüfsteine, an denen andere ihre Meisterschaft mehr oder minder beweisen wollten. (Nebenbei gesagt, sind viele dieser Werke auch nicht gerade beliebt, eher sogar gefürchtet...oder gemieden. soviel zur Eingängigkeit.)


    Bach hat allerdings diese Werke als Essenz aus einem reichhaltigen Schaffen gewonnen und konnte damit eigene Massstäbe schaffen.
    die Nachfolger mussten zuerst diesen Himalaja bezwingen...
    Ich denke, dass das einen Unterschied ausmacht und ein grosser Nachteil für die Epigonen war.


    @felix: Interessant, dass du Saint-Saens erwähnst... ich denke genauso über ihn.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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