Joseph Joachim RAFF Sinfonie Nr 1 „An das Vaterland“

  • Nach langem Zaudern habe ich mich entschlossen diesen Beitrag nicht im Thread über Raffs Sinfonien (aus dem Jahre 2004) unterzubringen, sondern für jede Sinfonie einen eigenen zu schaffen. Die Gefahr der mangelnden Teilnahme ist mir beswusst. Aber andrerseits ist jahrelang eine Ergänzung möglich ohne daß die einzelnen Kompositionen miteinander vermengt werden.....



    Eine deutsche Sinfonie mit dem Titel „Das Vaterland“ wird heute doch ein wenig scheel angesehen, notabene, wenn sie ein erläuterndes Programm wie das hier unten angefügte mitgeliefert bekommt:


    1. Satz: A-dur –Allegro:
    Bild des deutschen Charakters; Aufschwungsfähigkeit, Hang zur Reflexion,
    Milde und Tapferkeit als Kontraste, die sich mannigfach berühren, durchdringen, überwiegender Hang zum Gedankenhaften


    2. Satz: d-moll, Allegro vivace:
    Im Freien, zum deutschen Wald mit Hörnerschall, zu Flur mit den Klängen des Volksliedes


    3. Satz: D-dur Larghetto:
    Einkehr zu dem durch die Musen und die Liebe verklärten häuslichen Herd


    4. Satz: g-moll, Allegro dramatico:
    Vereiteltes Streben, die Einigkeit des Vaterlandes zu begründen


    5. Satz: d-moll Larghetto – D-dur, Allegro trionfale:
    Klage: Neuer Aufschwung



    Raff führt seine Absichten, seine Eindrücke, die zu dieser Sinfonie geführt haben noch genauer aus – nachzulesen im Beiheft der TUDOR- CD


    Raffs Erste Sinfonie, nahm auch an einem Preisausschreiben der Gesellschaft der Wiener Musikfreunde teil. Raff verpasste den Einsendeschluss – konnte aber dank des Entgegenkommens der Jury dennoch teilnehmen – und schliesslich wurde der Sinfonie der erste Preis zuerkannt.


    Zitat

    Euer Wohlgeboren !
    Der infolge Einladung der Gesellschaft der Musikfreunde vom 20. April 1861 von Euer Wohlgeboren unter dem Motto „An das Vaterland“ eingesandten Sinfonie wurde infolge Urteils der Herren Preisrichter Ferdinand Hiller, Karl Reinecke, Dr. Ambros, Robert Volkmann und Vincenz Lachner der erste Rang unter den eingelangten zweiunddreissig Kompositionen zuerkannt.
    Infolgedessen wurde Ihre Komposition in dem von der Gesellschaft der Musikfreunde am 22. Februar d. J. veranstalteten öffentlichen Konzerte zur Aufführung gebracht und von dem zahlreich versammelten kunstsinnigen Publikum mit ausserordentlichem Beifalle begrüsst…


    Die Sinfonie enthält zahlreiche volkstümlich anmutenden Passagen, Krönung ist allerdings der Ohrwurm im 4. Satz. Als Nicht-Deutscher habe ich lange gebraucht was es war, lange gebraucht, was hier zitiert wurde. Seit einigen Tagen weiß ich es. Es ist ein Lied von Reichardt auf einen Text von Arndt „Was ist des Deutschen Vaterland“…. Ein Ohrwurm – notabene ohne Text – und in der wunderbaren Intrumentierung von Raff - ein Künstler auf diesem Gebiet...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe in etwa die Hälfte der Raff-Symphonien (3,4,6,7,9,11), muss aber ehrlich gestehen, dass ich noch immer nicht den rechten Zugang zu diesen Werken gefunden habe. Über die hervorragende Instrumentierung braucht man nicht zu diskutieren, über effektvolle Stellen auch nicht, dennoch habe ich Probleme zu folgen, da die Werke weder wie normale Symphonien klingen (vielleicht mit Ausnahme der 6.ten) noch wie wirkliche Programmmusik (ich kann besipielsweise die Musik der beiden Jahreszeitensymphonien, die ich habe überhaupt nicht mit dem Programm in Einklang bringen)..
    Meine Frage bezüglich der ersten Symphonie, lieber Alfred, wäre, wie hoch Du diese Symphonie im Vergleich mit den anderen einstufst (d.h. muss man sie unbedingt haben?), ob sie im Vergleich mit den anderen Besonderheiten aufweist, und ob die Aufnahme bei Naxos ähnlich gut wie die bei Tudor ist (Preisunterschied!). Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine Raff-Sammlung vorerst nicht zu erweitern, da ich mich mehr in die Symphonien, die ich bereits habe, reinhören wollte, aber wenn die Erste in irgendeiner Weise besonders wäre, würde ich mir vielleicht überlegen, auch diese zu erwerben.

  • Es ist schwer zu raten - wenn jemandem die bisherigen nicht besonders gefallen haben. Die erste zählt im Allgemeinen nicht als Raffs stärkstes Werk, mir jedoch gefällt sie wegen ihres volktümlichen Stils.
    Nutzen wir die Möglichkeiten, die Tamino bietet.
    Du kannst Dir in internetüblicher Qualität die gesamte Stadelmair Aufnahme anhören und Dich dann entscheiden.



    zu den Unterschieden - Die Stadlmair Aufnahme setzt mehr auf Dramatik und Interpretation, das Naxos Gegenstück ist weniger dramatisch, aber eher auf schönen Klang ausgelegt -kapellmeisterlicher, wenn Du so willst.
    Kurz nach Minute 41:20 (man kann an beliebiger Stelle ein - und aussteigen) beginnt das Thema des Liedes "Was ist des Deutschen Vaterland - Es wird oft variiert....


    Beste Grüße
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Danke, habe an mehreren Stellen reingehört! Ich werde da wohl noch eher etwas zuwarten. Von den Symphonien, die ich habe, hat mir die Alpensymphonie bisher am besten gefallen. Es ist übrigens recht interessant, wie oft Richard Strauss Sujets von Raff übergenommen hat: eine Macbeth Ouvertüre, eine Alpensymphonie, und Heldenleben (Raffs sechste hat fast dasselbe Programm wie Richard Strauss' Werk).

  • Ich habe gerade die erste Symphonie zu Ende gehört, ein wunderbares Stück, wenn man nicht gerade erwartet, dass nun das Bindeglied zwischen Beethoven und Bruckner bzw. Schubert und Mahler aus dem Zauberhut steigt.
    Erstens haben das die vier Genannten gar nicht nötig, und zweitens hat das der gute Joachim Raff auch ganz gewiss nicht darauf abgesehen.
    So viel habe ich nach dem ersten Hören schon mitbekommen: hier ist keiner, der schicksalsschwere Konflikte in seiner Musik austragen will (auch, wenn der vierte Satz mit "Allegro drammatico" überschrieben ist), sondern er setzt mehr auf beschreibende Musik, in diesem Fall die Beschreibung seines Vaterlandes, und die Zeit, in der er das tut, die Hochromantik, ist ja auch dazu angetan.
    Und vergessen wir nicht, dass auch vor Raff Komponisten wie Beethoven in ihren Werken Beschreibungen vorgenommen haben, dieser z. B. in seiner Pastorale, wenngleich der Gewittersatz noch etwas ganz Anderes ist als das "allegro dramatico" in Raffs Erster. Und denken wir an Smetana, den Zeitgenossen Raffs, mit seinen vier sinfonischen Dichtungen unter dem Titel "Mein Vaterland (Ma Vlast).
    Oder denken wir an Franz Liszt, der Raff unter seine Fittiche genommen hat und sicherlich sofort seine Begabungen, besonders auf dem Gebiet der Instrumentierung, erkannt hat und ihn für sich arbeiten ließ. Wer weiß heute, was von Liszts großen Sinfonischen Dichtungen durch die Bearbeitungen Raffs "optimiert" wurde?
    Jedenfalls ist dies die erste Sinfonie au0erhalb des bekannten Sinfonienkosmos, die ich in einem Rutsch durchgehört habe, obwohl ich sofort gemerkt habe, dass man hier mit ganz anderen Erwartungen ehrangehen muss. Jedenfalls darf man nicht nach irgendwelchen Sonatensatz-Schemata suchen und versuchen, sich das Werk so zurecht zu legen. Das funktioniert nicht.
    Die Schönheit der Musik, der Einfallsreichtum der Melodien, die Instrumentierung, der teilweise dynamisch-temporale Impetus, aber auch der lyrische Gehalt, all das hat mich überzeugt, und ich werde mich hier wieder melden, wenn ich die nächsten Symphonien gehört habe.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das Raff-Jahr 2022 (200. Geburtstag) hat mich veranlasst, mich wieder näher mit dem 'Komponisten zu befassen. Und da eignet sich zum Beginn der "Campagne" die Sinfonie Nr 1 - meine Lieblingssinfonie IMO ganz besonders.

    Immer wieder bin ich von den "schönen Stellen" und vor allem auch den Fanfaren begeistert, sowie von Raffs Instumentationskunst im Speziellen. Wie konnte es passieren, daß solch ein Genie quasi in Vergessenheit gerät, wo er doch zu Lebzeiten zu den ganz Großen gezählt wurde - auch von Fachkollegen ?

    Vielleicht, weil er speziell an den Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts angepasst ist. Seine Landschafts- und Jahreszeitenschilderungen im Volkston muten für viele heute etwas "altväterlich" an (für mich kein Manko !!)

    Das trifft aber doch auf viele Komponisten des 10. Jahrhunderts zu ! Genau ! Und DESHALB sind die meisten von ihnen heute vergessen. Man sehe sich nur die Zusammensetzung der Jury an, die der 1. Sinfonie Raffs den "1. Preis" zuerkannten !

    Ganz harmlos ist indes die Sinfonie nicht. Prinzipiell gibt es hier eine politische Aussage. Das zugrundeliegende Gedicht "Des Deutschen Vaterland" - es wurde schon im Eröffnungsbeitrag geschrieben - stammt von Ernst Moritz Arndt (1769-1860), einem Kämpfer für die deutschen Einheitsbestrebungen und Gegnener. Er schrieb den Text zu diesem politischen Werk 1813. Johannes Cotta, ein deutscher Burschenschafter schrieb dazu 1815 eine Melodie, die in jener Zeit oft und gern gesungen wurde- vorzugsweise als Hymne gegen Frankreich.

    Aber bereits 1826 komponierte Gustav Reichardt (1797-1884) eine neue Melodie dazu, welche nun alle anderen Versionen verdrängte. Genau dieser Melodie bediente sich 1860 Raff in seiner 1. Sinfonie, die man somit ebenfalls als politische Aussage werten kann....

    Ich habe übrigens die Naxos Ausgabe der Sinfonie gewählt (besitze aber bei), weil ich sie persönlich der TUDOR Einspielung vorziehe. Sie ist IMO kontrollierter und klangschöner, die Orchestrierung kommt besser zur Geltung. Diese Aufnahme ist übrigens ident mit der seinerzeitigen Veröffentlichung für das Label "Marco Polo"


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es war eine langwieirgie Suche einen Eintrag, bzw eine Kritik zu irgend einer Sinfonie von Raff zu finden - eine zeitgenössische Einschäzung - Die ist umso verwunderlicher, da Raff ja selbst alls Korrespndent und Kritiker der "Neuen Zeitschrift für Musik" war. Ich habe die Inhaltsverzeichisse der 1870 Jahre durchwühlt - und lediglich "Nebenwerke" von ihm gefunden.

    Immerhin - hier eine Rezension seiner ersten Sinfonie: "An das Vaterland"

    Sie ist sehr ausführlich - um nicht zu sagen "weitschweifig" (natürlich nur aus heutiger Sicht gesehen)

    und in Fraktur gedruckt. Lesbar - aber mühsam. Der Übertrag ins unsere Schrift wäre sehr aufwändig und ich bin mir nicht sicher ob Interessenten von heute solch einen langen Text in voller Lenge lesen würden.


    Daher hier ein Linkz zur Originalkritik von 1866


    https://muwileipzig.files.wordpress.com/2018/10/62-04.pdf


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !