Hans Pfitzner und seine Lieder

  • Mit dem Namen Hans Pfitzner mag man vielleicht nicht auf Anhieb die Bezeichnung „Liedkomponist“ verbinden. Und doch war er das. Er war es sogar in einem originären Sinn. Man kann guten Gewissens die Feststellung treffen: All die Musik, die er als Komponist hervorbrachte, hat ihre Quelle im Lied. Es ist mehr als ein Zufall, dass sein Liedschaffen nicht nur der umfangreichste Teil seines kompositorischen Werkes ist, sondern auch an dessen Anfang steht.


    Die musikwissenschaftliche Pfitzner-Literatur ist sich einig darin, dass die „musikalische Lyrik“ im Zentrum seines Schaffens steht und sein ganzes übriges Werk durchdringt. Man findet dort die qualifizierende Formulierung, er sei „in der deutschen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts der genuine musikalische Lyriker schlechthin“ (G.J. Winkler). Und der Pfitzner Biograph Walter Abendroth merkt hierzu an:
    „Es gibt keinen Weg, der sicherer und tiefer in das Zentrum der unerschöpflich gegensatzreichen Pfitznerschen Natur führen könnte, als der über sein Lied.“


    Die ersten Lieder entstanden im Jahre 1884, also noch vor dem Besuch des Konservatoriums. Bis zum Jahre 1889 lagen die Liederhefte bis Opus 7 vor. Die Lieder op.9 auf Gedichte von Eichendorff entstanden 1895. In der Zeit von 1901 bis 1909 komponierte Pfitzner neun Hefte mit Liedern. Sein Liedschaffen erstreckte sich bis zum Jahr 1931. Mit Opus 41 findet es in diesem Jahr sein Ende. Insgesamt umfasst es nach der jetzt vorliegenden Edition 113 Lieder, die mit Opus-Zahl versehen sind, und 11 zum Teil fragmentarische Nachlässe.


    Die Lyrik, auf die er sich kompositorisch einließ, ist breit gestreut. Es finden sich darin Zeitgenossen wie Ricarda Huch, Detlev von Liliencron oder Richard Dehmel, aber es taucht sogar der Name Walther von der Vogelweide auf. Den Schwerpunkt bilden aber Lyriker des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts: Bürger, Goethe, Keller, Meyer, Heine. Pfitzner war nicht wählerisch, was lyrische Qualität anbelangt. Er griff auch zu Gedichten von Verfassern wie Julius Sturm, Robert Reinick, Richard Leander, James Grun oder Hermann Lingg. Maßgeblich war für ihn nicht die dichterische Qualität des lyrischen Textes, sondern allein die Frage, ob von diesem ein emotionaler Impuls ausgeht, der sich in Musik verwandeln lässt.


    Man hat Hans Pfitzner – im Gefolge der von Conrad Wandrey in seiner Pfitzner-Biographie geprägten Formulierung - immer wieder einmal gerne als den „letzten Romantiker“ bezeichnet und musikgeschichtlich eingeordnet. Ungeachtet dessen, dass es sich hierbei um eine im Grunde plakative Qualifizierung handelt, die man genauso gut – was das Lied anbelangt – auf Othmar Schoeck anwenden könnte, so trifft sie doch einen Wesenszug des Komponisten Hans Pfitzner. Er hat sich zwar später mit Nachdruck gegen sie gewehrt, indem er darauf verwies, dass nur der ein „Anrecht auf Anerkennung als schöpferisches Genie“ habe, „der in der Vorwärtsschau lebt“, gleichwohl trifft sie sein Wesen als Liedkomponist und als Schöpfer musikalischer Werke ganz allgemein recht gut. Pfitzner bezieht seine musikalisch schöpferische Kraft in erster Linie aus dem Geist und der künstlerischen Überlieferung der Romantik.


    Es ist kein beiläufiges biographisches Faktum, dass die Lyrik Eichendorffs einen zentralen Platz in seinem Liedschaffen einnimmt und er sogar eine Kantate für vier Solostimmen, Chor und Orchester (op.28) darauf komponiert hat. Man kann mit guten Gründen behaupten, dass sich seine spezifische Liedsprache in der Begegnung mit den Gedichten Eichendorffs ausgebildet und entwickelt hat. Umso merkwürdiger ist, dass von ihm keine einzige Äußerung zu diesem Dichter überliefert ist. Traf diese Begegnung so sehr den Kern seines Wesens, dass er darüber schwieg? Tatsache ist jedenfalls – und durch entsprechende Publikationen belegt - , dass Pfitzner in der damaligen Kontroverse um die „Neue musikalische Ästhetik“, wie sie von Busoni, Alban Berg und Paul Bekker propagiert und vertreten wurde, eine eindeutige und vehement vertretene Gegenposition einnahm: In seinem , aus dem Geist der Romantik hergeleiteten, Bekenntnis zum Irrationalen und letztlich rational nicht fassbaren Ursprung und Wesen des musikalischen Kunstwerkes.


    Hierher gehört auch die für seine Liedkomposition und sein kompositorisches Werk ganz allgemein konstitutive „Einfalls-Ästhetik“. Grundlage dafür ist sein Bekenntnis: „Etwas Außermusikalisches kann nie etwas Musikalisches ersetzen.“ Als Anhänger der Philosophie Schopenhauers vertritt Pfitzner die These, dass das Genie über eine in der Inspiration wurzelnde irrationale Erkenntnisfähigkeit verfüge. In der Musik findet diese ihren denkbar höchsten Ausdruck. Und deren Quelle ist die sich im kompositorischen „Einfall“ artikulierende Inspiration.


    „Einfall“, - das kann ein musikalisches Motiv oder eine Melodie sein. Aber Pfitzner hat auch schon einmal Schumanns „Träumerei“ oder Schuberts „Moment musical“ in f-Moll als einen solchen „Ureinfall“, wie er das zuweilen auch nannte, eingestuft. Er meint hierzu:
    Die Komposition musikalischer Werke beruhe zwar „auf bewußter Gedankenarbeit“ und es sei hinsichtlich des diesbezüglichen Aktes „kindisch, sich gegen das Wort >Reflexion< zu wehren, das kombinatorische Moment leugnen zu wollen“. Aber dann fügt er hinzu: „Alles das ist doch abhängig von dem Ur-Einfall.“


    Für seine Liedkomposition spielt diese „Einfalls-Ästhetik“ insofern eine große Rolle, als er den lyrischen Text nicht, wie dies bei Hugo Wolf der Fall ist, als eine Herausforderung zur adäquaten Umsetzung in Musik im Sinne einer Interpretation und aussagemäßigen Potenzierung verstand. Für ihn tritt die Musik nicht in den Dienst des lyrischen Textes, sondern dieser hat für ihre Genese den gleichsam inspirierenden kompositorischen Impuls zu liefern.


    Insofern kann man Hans Pfitzner durchaus als einen liedkompositorischen Antipoden Hugo Wolfs sehen. Und Walter Abendroth hat nicht so ganz unrecht, wenn er meint, dass nach der Steigerung des deklamatorischen Prinzips zu seinem Höhepunkt, wie sie Hugo Wolf zustande brachte, nur noch die Möglichkeit blieb, „diese schließenden Mauern zu durchbrechen“.


    Hans Pfitzner ist dieses mit seinen Liedern in einer Weise gelungen, die liedkompositorische Geschichte geschrieben hat. Es soll versucht werden, das in gleichsam exemplarischer Weise anhand der Betrachtung und Analyse einzelner Lieder unter Beweis zu stellen. Der Schwerpunkt wird dabei auf den Eichendorff-Vertonungen Pfitzners liegen. Seinen Grund hat dies darin, dass, wie man es einmal sehr treffend formuliert hat, die Lyrik Eichendorffs wie ein „heimlicher Orgelpunkt“ das kompositorische Schaffen begleitet (Heinrich Lindler). Die Eichendorff-Lieder decken zeitlich die ganze Phase von Pfitzners Liedschaffen ab. Es sind insgesamt neunzehn, und sie sollen alle hier besprochen werden.


    In einer Art zweitem Durchgang sollen dann anschließend einzelne Lieder auf andere Textdichter aus allen Phasen von Pfitzners Liedschaffen vorgestellt werden. Die Auswahlkriterien orientieren sich dabei an den Aspekten des Exemplarischen und Repräsentativen. Hierbei ist freilich an gewisser Anteil an Subjektivität unvermeidlich.

  • Was die Aufnahmen von Pfitzner-Liedern anbelangt, so bietet der Markt zurzeit ein Bild, das man unterschiedlich beurteilen kann, - je nachdem, welchen Interessen man nachgeht. Möchte man alle Lieder Pfitzners einfach nur kennenlernen und sich hörend mit ihnen auseinandersetzen, so ist das sehr wohl möglich. Legt man aber Wert auf eine Vielfalt von sängerischen Interpretationen derselben, womöglich gar, um sich auf dem Hintergrund einer Abbildung der jeweiligen CD-Covers über deren Qualität hier zu äußern, so sieht das Bild trübe aus.


    Einmal abgesehen von jenen CDs, bei denen in einem Mischprogramm da und dort auch Pfitzner-Lieder auftauchen, werden nach meiner Kenntnis auf dem Markt zurzeit nur folgende CDs angeboten, die ausschließlich dem Pfitzner-Lied gewidmet sind oder zumindest einen großen Anteil davon enthalten:


    - Hans Pfitzner, Lieder. Complete Edition. Fünf CDs, eine WDR-Produktion, erschienen bei CPO 2001. Solisten: Julie Kaufmann, Iris Vermillion, Christoph Prégardien, Andreas Schmidt, Robert Holl und verschiedene Pianisten. Vol.3 und 4 sind auch einzeln erhältlich.


    - Hans Pfitzner, Lieder, interpretiert von D. Fischer-Dieskau, am Klavier Karl Engel, Aribert Reimann und Hermann Reutter. Erschienen bei EMI, 1990


    - Hans Pfitzner, Lieder, interpretiert von D. Fischer-Dieskau, am Klavier Harmut Höll. Erschienen bei ORFEO, 1982


    - Reger, Pfitzner-Lieder, interpretiert von D. Fischer-Dieskau, am Klavier G. Weissenborn, Karl Engel, Jörg Demus. Erschienen im Rahmen der Fischer-Dieskau-Edition der DG


    - Songs of Hans Pfitzner. Marianna Busching, Mezzosopran / Michael Cordovana, piano. Erschienen bei CENTAUR, 2009


    Leider nicht mehr im Handel ist die ehedem bei CORNET als Lp erschienene Gesamteinspielung der Eichendorff-Lieder mit dem Bariton Wolfgang Anheisser (a, Flügel Julius Severin)



    Dass es an der Vielfalt von sängerischen Interpretationen der Lieder Pfitzners mangelt, hat einen Grund, der ganz allgemein mit der spezifischen Problematik des Komponisten Hans Pfitzner zusammenhängt, wie sie sich in der Zeit nach seinem Tod darstellte, - der Nachkriegszeit also. Hier kamen zwei Faktoren zusammen, die maßgeblichen Einfluss auf die Rezeption seines kompositorischen Werkes hatte.


    Der eine ist als eine Art Paradigmenwechsel im Verständnis des Wesens „klassischer Musik“ auszumachen. Er fand gleichsam exemplarischen Ausdrucks in Theodor W.. Adornos Schrift „Philosophie der Neuen Musik“. Neue Musik, das war jetzt die atonale. Denn sie wurde durch die Geschichte der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus als wesenhaft „antifaschistisch“ ausgewiesen. Hans Pfitzner aber hatte sich in all seinen Publikationen ausdrücklich gegen das u.a. von Busoni maßgeblich vertretene Prinzip des „Fortschritts in der Musik“ gestellt und die – wie er sie nannte – „aharmonische Musik“ ausdrücklich abgelehnt und als Irrweg verdammt.


    Der andere Faktor hängt ganz eng mit Pfitzners Biographie zusammen. Nach dem Krieg galt er als Sympathisant des Nationalsozialismus und ausgewiesener Antisemit. Sowohl seine Publikationen als auch sein Verhalten in der Zeit des sog. „Dritten Reiches“ lieferten eine für dieses moralische Verdikt hinreichende Grundlage. Für die Pfitzner-Biographie stellt sich die Sache zwar heute in keineswegs so eindimensionaler und undifferenzierter Weise dar, wie man das damals sehen wollte, - oder musste. Gleichwohl genügten die vordergründigen „Fakten“ für eine Verbannung Pfitzners aus dem öffentlich-musikalischen Leben der Nachkriegszeit.


    Nach dem Tod Furtwänglers war Joseph Keilberth der einzige Dirigent von Rang, der Pfitzners Werk noch dirigierte. Bezeichnend ist, dass eine geplante Aufführung des „Armen Heinrich“ in München nach dem Tode Keilberths im Jahre 1968 abgesagt wurde. Und was für das musikalische Gesamtwerk galt, das traf im besonderen auch auf die Lieder zu. Der einzige Liedinterpret von internationalem Rang, der Lieder Pfitzners aufführte und auf Tonträgern publizierte, war – wieder einmal – Dietrich Fischer-Dieskau. Das alles ändert sich in jüngster Zeit allmählich. Es ist zwar keine Renaissance des Pfitznerschen Werkes zu konstatieren, sondern eher eine Art höherer Präsenz. Aber das Liedschaffen Pfitzners, um das es hier ja gehen soll, hat im öffentlichen Konzertleben noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die ihm aus musikgeschichtlicher Perspektive gebührt.

  • Lieber Helmut, in der so genannten Raucheisen-Edition, die noch zu haben ist, finden sich folgende Lieder von Hans Pfitzner


    Mailied: Anders, Peter 19+20
    Studentenfahrt: Anders, Peter 17+18
    Trauerstille: Anders, Peter 19+20
    An die Bienen: Berger, Erna 19+20
    Du milchjunger Knabe: Berger, Erna 19+20
    Gretel: Berger, Erna 17+18
    Mir glänzten die Augen: Berger, Erna 19+20
    Röschen biss den Apfel an Berger, Erna 19+20
    Singt mein Schatz wie ein Fink: Berger, Erna 19+20
    Sonst: Berger, Erna 17+18
    Unter den Linden: Berger, Erna 19+20
    Venus Mater Berger, Erna 17+18
    Verrat: Berger, Erna 17+18
    Wandl' ich im Morgentau: Berger, Erna 19+20
    Wie glänzt hell der Mond Berger, Erna 19+20
    Denk es, o Seele: Hotter, Hans 19+20
    Die Stille der Nacht: Hotter, Hans 19+20
    Es geht mit mir zu Ende: Hotter, Hans 19+20
    Gegenliebe: Hotter, Hans 19+20
    Geh nicht, die Gott für mich erschuf: Hotter, Hans 19+20
    Gewalt der Minne: Hotter, Hans 19+20
    Hast du von den Fischerkindern: Hotter, Hans 17+18
    Herbsthauch Hotter, Hans 19+20
    In Danzig: Hotter, Hans 19+20
    Meine eingelegten Ruder: Hotter, Hans 19+20
    Säerspruch Hotter, Hans 19+20
    Willkommen und Abschied: Hotter, Hans 19+20
    Zorn: Hotter, Hans 17+18
    Abendrot: Klose, Margarete 19+20
    Die Einsame: Klose, Margarete 17+18
    Im Herbst: Klose, Margarete 17+18
    Nachts: Klose, Margarete 19+20
    Zum Abschied meiner Tochter: Klose, Margarete 17+18
    Abbitte: Leisner, Emmi 19+20
    Sonst: Müller, Maria 17+18
    Venus Mater: Müller, Maria 17+18
    Verrat: Müller, Maria 17+18
    Ach, unsre leuchtenden Tage: Patzak, Julius 19+20
    Der Weckruf: Patzak, Julius 19+20
    Herbstgefühl: Patzak, Julius 19+20
    Sehnsucht: Patzak, Julius 19+20
    Wanderer Nachtlied: Patzak, Julius 19+20
    Wenn sich Liebes von dir lösen will: Patzak, Julius 19+20
    An die Mark: Schellenberg, Arno 17+18
    Leierkastenmann: Schellenberg, Arno 17+18
    Michaels Kirchplatz: Schellenberg, Arno 19+20
    Schön Suschen: Schellenberg, Arno 19+20
    Sehnsucht: Schellenberg, Arno 17+18
    Wie Frühlingsahnung weht es durch die Lande: Völker, Franz 17+18


    Die Ziffern bezeichnen das jeweilige CD-Doppelalbum.


    Diese Liste ist schon einmal Ausdruck einer gewissen Vielfalt. Es gibt also mehr Aufnahmen von Liedern Hans Pfitzners als man zunächst annehmen darf.



    Mit besten Grüßen und in hoher Erwartung auf interessante Beiträge grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Vielen Dank, lieber Rheingold, für diesen Hinweis. Die Raucheisen-Edition vergesse ich kurioserweise immer wieder bei meinen Recherchen, obwohl ich sie natürlich hier bei mir stehen habe.


    Und wenn Du schon ein Bildchen davon hier einstellst, - könntest Du mir einen Gefallen tun und auch noch wenigstens ein Cover-Bild von der "Complete Edition" (CPO) hier hinzufügen. Ich kann das computertechnisch einfach nicht und wäre Dir deshalb sehr dankbar, wenn Du mir helfen könntest.

  • Das mache ich doch sehr gern, lieber Helmut! Hier also der Link zur Gesamteinspielung der Lieder von Hans Pfitzner bei cpo.



    Sie ist bei unserem Werbepartner jpc auch noch zu haben - und ich bestelle sie mir in diesem Moment. Dort sind auch Orchesterlieder des gleichen Labels vorrätig:



    Nun stelle ich mit einem gewissen Erstaunen fest, dass dem Komponisten Hans Pfitzner mein tausendster Beitrag hier im Forum gilt. Das soll mir Recht sein.


    Es grüßt Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Glückwunsch zu Deinem "Tausendsten", lieber Rheingold. Und überdies: Dank für die prompte Erfüllung meiner Bitte!
    Aber warum "Erstaunen"? Pfitzners Lieder sind jedes Staunen wert. Und Du sagst es ja selbst: "Das soll mir recht sein":

  • Gerade stelle ich fest, dass ich – typisch für den Tunnelblick des Fixiert-Seins auf die Sache – vergessen habe, meiner Hoffnung Ausdruck zu geben, dass in diesem Thread ein lebhaftes Gespräch über die Lieder Pfitzners zustande kommen möge. Das möchte ich hier ausdrücklich und mit inständigem Begehr verbunden nachholen.


    Ich hatte ja die Tatsache, dass Pfitzner-Lieder lange Zeit in Liederabenden kaum zu vernehmen waren und auch heutzutage nicht allzu zahlreich in Aufnahmen zu Verfügung stehen, in eine Verbindung mit den spezifischen Umständen der Pfitzner-Rezeption ganz allgemein in Verbindung gebracht.


    Aber vielleicht liegt das ja auch an den Liedern selbst? Vielleicht sprechen sie in ihrer spezifischen Klanglichkeit und ihrem musikalischen Gehalt die Menschen nicht so breit gestreut an, wie das bei Liedern von Schubert oder Schumann der Fall ist?
    Ich erinnere mich gut, dass ein Tamino-Mitglied das Pfitzner-Lied „Zum Abschied meiner Tochter“ (Text: Eichendorff) u.a. mit der Bemerkung kommentierte:
    „Dieses Lied kann man erfreulicherweise (auch wenn es kein "Ohrwurm" ist) auf YouTube hören und in Bildern sehen.“


    Für mich aber ist das ein „Ohrwurm“. Und auch wenn es mir gelingen sollte, dies in einer späteren Vorstellung des Liedes in sprachlich hinreichender Form zu vermitteln, so muss das für mich doch letzten Endes unbefriedigend bleiben, wenn es diesbezüglich hier weder Zustimmung noch Widerspruch geben sollte und die Sache monologisch „in Ruh und Frieden“ untergeht.


    Allein um über Fragen dieser Art eine wenig mehr Klarheit und Gewissheit zu gewinnen, wäre eine möglichst große Beteiligung an diesem Thread wünschenswert. Von dem Dialog über die spezifische Eigenart des Pfitzner-Liedes, wie sie sich anhand einzelner Beispiele darstellt und konkretisieren lässt, einmal ganz abgesehen.

  • Tolle Idee, lieber Helmut, Pfitzner als "Antipoden" zu Wolf vorzustellen. Und eine sehr geistvolle und kenntnisreich-umsichtige Einführung! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Vielleicht ist das ja wirklich eine "tolle Idee", lieber Holger, Pfitzner als "Antipoden zu Hugo Wolf" zu bezeichnen. "Toll" insofern, als kein seriöser Musikwissenschaftler sie vertreten würde.


    Ein solcher Eindruck stellt sich ein, wenn man, wie ich das tat, noch am einen Thread arbeitet und den anderen schon vorbereitet, das heißt sozusagen nebeneinander Lieder von Hugo Wolf und Hans Pfitzner hört. Dann sieht man den einen mit seiner Mörike-Gedicht-Ausgabe herumlaufen und lesen und lesen, bis dann das Lied geboren wird. Und man liest von dem anderen seine Ausführungen über den "Ureinfall" als Keimzelle der Musik. Man liest das - und hört es dann tatsächlich auch - , dass dieser "Ureinfall" aus der Stimmung heraus entsteht, die ein Gedicht vermittelt, - das Lied also gerade nicht dem permanenten Lesen seines lyrischen Textes musikalisch entspringt.

  • Am Himmelsgrund schießen
    So lustig die Stern,
    Dein Schatz läßt dich grüßen
    Aus weiter, weiter Fern!


    Hat eine Zither gehangen
    An der Tür unbeacht´,
    Der Wind ist gegangen
    Durch die Saiten bei Nacht.


    Schwang sich auf dann vom Gitter
    Über die Berge, übern Wald –
    Mein Herz ist die Zither,
    Gibt ein´n fröhlichen Schall.


    Es ist typischer Eichendorff, der hier lyrisch aufklingt: Das Neben- und Ineinander von Nähe und Ferne, sprachlich entfaltet in einem dem Volkslied nahen, und das heißt in einem lyrisch einfachen Ton. Man vernimmt ihn in den Assonanzen (schießen – grüßen, Wald – Schall), in der konstatierenden lyrischen Diktion („Hat eine Zither…“, „Der Wind ist…“, „Schwang sich auf…“) und in der gleichsam assoziativen Reihung der lyrischen Bilder.


    Die Sterne am Himmel werden vom lyrischen Ich als „lustig schießend“ wahrgenommen. Es empfindet dieses Bild als Gruß des Schatzes aus weiter Ferne. Naturhafter, selbst kosmisch weiter Raum ist seelisch überbrückbar: Ferne kann in der Seele zu Nähe werden. Aus diesem Grund begegnet man in Eichendorffs Dichtung – in der Lyrik wie in der Prosa – häufig jener raumübergreifenden Bewegung aus der Ferne in die unmittelbare Nähe und umgekehrt. Es ist die typisch romantische Erfahrung von Entgrenzung und Bewahrung des Ichs, die all dem zugrunde liegt.


    Das Gedicht spannt einen Bogen vom „Himmelsgrund“ mit seinen Sternen über das Du der Geliebten hin bis zum Innersten des lyrisch Ichs: Dem „Herzen“. Außenwelt und seelische Innenwelt sind in ihrer Einheit noch nicht durch einen Bruch auseinandergerissen, sie können noch zusammenkommen. Und das ereignet sich in der Musik. Wenn man das Zauberwort trifft, kann man „das Lied“ zum Leben erwecken, das in allen Dingen schläft.


    Die Zither hängt an der Tür, - dem Ort, an dem sich die Innenwelt nach außen hin öffnet. Die Töne, die der Wind ihr entlockt, können Gitter überwinden, und über Berge und Wald hin bis zum geliebten Du gelangen und damit die Ferne zur Nähe werden lassen. Ihr eigentlicher Quell ist aber das Herz. In ihm wurzeln alle sinnstiftenden und damit die Einheit der Welt konstituierenden Kräfte, von denen die Musik die stärkste ist.
    Es ist ein genuin romantisches Gedicht, mit dem man es hier zu tun hat.

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  • Das Lied steht im Dreiachteltakt. Er ist von Pfitzner wohl gewählt, weil er die Möglichkeit bietet, mittels einer entsprechenden Rhythmisierung die Heiterkeit und Beschwingtheit der lyrischen Bilder musikalisch einzufangen. Und das ist ihm ja auch in vorzüglicher Weise gelungen. Die Vortragsanweisung lautet allerdings: „Nicht so schnell“. Und das hat einen guten Sinn. Eine zu rasche Entfaltung des tänzerischen Rhythmus´ würde die lyrisch-musikalische Tiefenschicht dieses Liedes überspielen, die sich in der dritten Strophe auftut.


    Schon das fünftaktige Vorspiel suggeriert, dass der Heiterkeit der Bilder, die nachfolgen werden, eben eine solche Tiefschicht innewohnt. Zwar wirken die Achtel- und Sechzehntel-Figuren tänzerisch beschwingt, aber das Ganze ist – obwohl das Lied doch in a-Dur steht – in cis-Moll gehalten, und nach dem auftaktigen „cis“ erklingt ein harmonisch ein wenig fremdartig wirkender Dominantseptakkord.


    Dieses Vorspiel erklingt übrigens als Überleitung zur zweiten Strophe noch einmal, und seine Motive werden auch im Nachspiel noch einmal aufgegriffen. Es hat also in seiner zugleich heiteren und ein wenig zwielichtigen Klanglichkeit eine durchaus prägende Funktion. Von einem „Ureinfall“ im Pfitznerschen Sinne möchte man dennoch nicht sprechen, da diese Motivik nicht in einen Kontext mit der melodischen Linie der Singstimme gebracht wird.


    Diese ist bei der ersten Strophe in ihrer Bewegung durch den Einsatz von Synkopen auf beschwingte Rhythmik hin angelegt. Auf der zweiten Silbe der Wörter liegt bei den vier Versen jeweils ein melodischer Schwerpunkt in Gestalt einer (im ersten Fall sogar punktierten) Viertelnote, während ansonsten Achtel und Sechzehntel die melodische Struktur prägen. Die Worte „dein Schatz“ werden auf diese Weise mit einem auftaktigen Terzsprung in markanter Weise hervorgehoben. Die einzelnen Melodiezeilen greifen so ineinander, dass sie in ihrer Gesamtheit eine strophenbezogene Einheit bilden. Allerdings endet die Vokallinie am Ende nicht auf dem Grundton, sondern auf der Terz, - ein guter Anlass für das Klavier, mit einer Wiederkehr des Vorspiels die Bewegung der Vokallinie aufzugreifen.


    Die zweite Strophe unterscheidet sich klanglich deutlich von der ersten. Die melodische Linie nimmt jetzt einen mehr schweifend-kantablen Zug an, und im Klavierdiskant erklingen arpeggierte Akkorde, - je zwei pro Takt, durch eine Pause voneinander getrennt. Dies allerdings nur bei den beiden ersten Versen, die das Bild von der Zither an der Wand lyrisch entfalten. Die melodische Linie bewegt sich hierbei in ruhigen Schritten auf mittlerer Lage, und die Harmonik wechselt von einem anfänglichen G-Dur nach D-Dur hinüber.


    Bei dem lyrischen Bild vom Wind, der über die Saiten geht, ereignet sich im Klaviersatz eine markante enharmonische Modulation nach F-Dur hin. Dieses wird allerdings, und das macht den Vorgang so musikalisch eindringlich, erst bei letzten Wort des Verses („Nacht“) erreicht. Es ist unüberhörbar, dass auf diese Weise die typisch Eichendorffsche „Zwielichtigkeit“ der Nacht musikalisch eingefangen wird. Die Vokallinie bewegt sich derweilen weiterhin in ruhigen Schritten. Bei den Worten „die Saiten“ macht sie allerdings einen bemerkenswerten und dem Bild melodischen Nachdruck verleihenden Sextsprung.


    Zu Beginn der letzten Strophe verharrt die Vokallinie zunächst auf einem Ton, - dies allerdings mit einem Crescendo. Bei dem Wort „Gitter“ macht sie einen markanten verminderten Terzsprung. Im Klavier erklingen rhythmisierte Achtelakkorde, die Dynamik in das Lied bringen. Bei den Worten „über die Berge, übern Wald“ verbleibt die melodische Linie weiterhin auf einer tonalen Ebene, im Klavierbass rauschen ab Sechzehntel zunächst nach unten, um dann in triolischer Form aus tiefer Lage bis hoch in den Diskant zu steigen. Damit einher geht eine harmonische Modulation über einen verminderten Septakkord. Man spürt: Hier ereignet sich musikalisch Wichtiges. Es ist die Einkehr der lyrischen Bilder in die Innerlichkeit des Herzens.


    Die letzten Worte des Liedes sprechen dies aus: „Mein Herz ist die Zither…“. Sie werden forte in markanter Weise deklamiert. Die melodische Linie der Singstimme bleibt in hoher Lage und verleiht dem Wort „Herz“ eine Dehnung, die es ins musikalische Zentrum rückt. Dann folgt eine ganztaktige Pause. Bei den Worten „gibt fröhlichen Schall“ erfolgt eine weitere Steigerung der hohen Lage durch einen Quartsprung zuerst nach einem hohen „gis“, und danach ereignet sich eine weitere Anhebung der tonalen Ebene bei dem Wort „Schall“. Das Wort „fröhlichen“ trägt dabei eine sehr lange melodische Dehnung, die wie eine klangliche Quintessenz dessen wirkt, was dieses Lied sagen will.

  • Dieses Lied gehört – zusammen mit zwei weiteren auf Texte von James Grun („Frieden“, „Wiegenlied“ ) – zu Pfitzners Opus 5. Es entstand in der Zeit, in der Pfitzner Schüler am Hoch´schen Konservatorium in Frankfurt war. Diese Zeitspanne von 1886 bis 1890 war, was die Entwicklung Pfitzners als Liedkomponist betraf, von großer Bedeutung, denn er entwickelte damals seine spezifische Liedsprache. Und der Dichter, der dabei eine maßgebliche Rolle spielte, war Eichendorff. Man geht wohl nicht fehl, wenn man Eichendorff bei Pfitzner eine ähnliche Rolle beimisst, wie sie Mörike für Hugo Wolf gewann: Pfitzner fand über die Begegnung mit Eichendorff als Liedkomponist zu sich selbst.


    Insgesamt sind in der Zeit der Zugehörigkeit zum Hoch´schen Konservatorium dreißig Lieder entstanden. Das ist fast eine Drittel des ganzen Liedschaffens. Pfitzner gab sie später unter den Opus-Zahlen 2 bis 7 heraus. Man kann, wenn man in diese Liedgruppe hineinhört, sehr schön erkennen, wie er in Orientierung an Schumann, Weber und Mendelssohn eine eigene Liedsprache entwickelt, die in ihrem klanglichen Charakter und ihrer Struktur als „Naturton“ bezeichnet werden kann. Dahinter steht eine ganz bewusste Abwendung von der Überfülle an musikalischen Ausdrucksmitteln, wie sie die Musik Wagners aufweist, und ein Streben nach jener „Einfachheit“, wie sie das Volkslied gleichsam maßstäblich bietet. Pfitzner steht damals darin nicht allein. Man kann diese Neuorientierung auch bei Max Reger und Gustav Mahler beobachten.


    In dem Lied „Der Bote“, dem ersten Pfitzners auf ein Gedicht von Eichendorff, vernimmt man, obgleich es sich in seiner Melodik noch stark am Schumannschen Vorbild orientiert, bereits viele Elemente der Pfitznerschen Liedsprache. Ihr spezifischer Charakter wurzelt in der Genese der Musik aus der „Stimmung“, die ein Gedicht vermittelt. Das bedeutet nicht, dass die Aussage des lyrischen Textes im einzelnen Vers keine Berücksichtigung fände. Die findet sie durchaus, - aber eben nur auf der Grundlage und im Rahmen des klanglich-musikalischen Grundcharakters des Liedes, wie ihn die Stimmung generiert, die von den zentralen lyrischen Bildern ausgeht.

  • Gerade stelle ich fest, dass ich – typisch für den Tunnelblick des Fixiert-Seins auf die Sache – vergessen habe, meiner Hoffnung Ausdruck zu geben, dass in diesem Thread ein lebhaftes Gespräch über die Lieder Pfitzners zustande kommen möge. Das möchte ich hier ausdrücklich und mit inständigem Begehr verbunden nachholen.


    Lieber Helmut,


    das wäre wirklich wünschenswert! :) Leider ist es aber so, daß Pfitzners Lieder eher zum "Nieschenrepertoire" gehören, so daß die wenigsten eine CD in ihrer Sammlung haben zum Nachhören. Ich z.B. habe leider feststellen müssen, daß sich die Fischer-Dieskau-CD mit den Hindemith-Liedern (Orfeo) in meiner Sammlung befindet, aber leider nicht der Pfitzner, mit dessen Liedern ich mich bislang einfach gar nicht beschäftigt habe, wie ich zugeben muß. Deswegen werde ich die Internet-Links zu Youtube einstellen - weil dies für die meisten die einzige Möglichkeit ist, mitzureden. Von "Der Bote" fehlt leider bei Youtube eine Einstellung. So ist das bedauerlicher Weise!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zit: „Leider ist es aber so, daß Pfitzners Lieder eher zum "Nischenrepertoire" gehören, so dass die wenigsten eine CD in ihrer Sammlung haben zum Nachhören.“

    Ja, lieber Holger. Und genau da liegt für mich das Problem, mit dem ich mich im Augenblick herumplage, - bei der Frage nämlich, ob ich diesen Thread überhaupt fortsetzen soll. Die Resonanz hier im Forum wird noch geringer sein, als sie es beim Thread „Hugo Wolf und Eduard Mörike“ war. Dort konnte man immerhin in den meisten Fällen auf Youtube zurückgreifen, und doch kamen außer von Dir und zweiterbass keine Reaktionen auf die einzelnen Liedbesprechungen.
    Und das bedeutet im Falle von Hans Pfitzner für mich: Das wird eine monologische Veranstaltung ohne Nutzen für das Forum. Mit dem Wort „Nutzen“ meine ich: Keine nennenswerte Einschaltquote und keine CD-Einkäufe bei den sog. „Werbepartnern“.


    Im Augenblick liebäugele ich mit der Idee:
    Ich lasse mir von meinem fachkundigen Neffen endlich mal erklären, wie man computermäßig Cover-Bildchen von Lied-Interpretationen von diesem oder jenem Komponisten hier einstellt und beschränke meine Tamino-Aktivitäten darauf.
    Gemessen an der Arbeit, die ich hier in Threads der letzten Art investiert habe, dürfte ich dann wieder sehr viel Zeit für anderweitige Beschäftigungen haben. Nichts geht flotter von der Hand, als sich über einen Liedinterpreten sozusagen eindrucksmäßig zu äußern und in diesem Zusammenhang aus dem zugehörigen Booklet zu zitieren.


    Und nun füge ich hier – aus gegebenem Anlass – noch einen Beitrag zum Hugo Wolf Thread an, den bislang zurückgehalten habe. Ich verfasste ihn als Antwort auf Deinen letzten Beitrag daselbst:


    „Ich lese in meinem vorletzten Beitrag:
    „Meine Reaktion auf Deinen Beitrag, lieber Holger, beschränkt sich aus vielen guten Gründen auf nur zwei Worte…“
    … und spüre mit einem Mal die Stille, die in diesen Thread inzwischen getreten ist.
    Das Leben, das es da gab, wurzelte ja eigentlich nur in dem, was von meiner Seite aus hier eingetragen wurde, und in den Reaktionen von Dr. Holger Kaletha und zweiterbass darauf, - für die ich überaus dankbar bin.
    Wenn das alles überhaupt als „Leben“ bezeichnet werden darf. Denn darunter stellt man sich ja in einem Forum mit hunderten von Mitgliedern eigentlich etwas anderes vor.


    Woran lag es, dass es so wenig Resonanz vonseiten der übrigen Forumsmitglieder gab? Lag es an der sprachlichen und inhaltlichen Gestalt meiner Beiträge? Das wäre ja noch zu verschmerzen. Höchst bedauerlich, ja bedenklich aber wäre es, wenn es mit den Liedern von Hugo Wolf selbst zu tun hätte.


    Und nun wäre zum Schluss noch dieses anzumerken:
    Derlei Gedanken, die einem in eben dieser „Stille“ kommen, ermuntern nicht gerade dazu, einen neuen Thread dieser Art in Angriff zu nehmen.“

  • Woran lag es, dass es so wenig Resonanz vonseiten der übrigen Forumsmitglieder gab? Lag es an der sprachlichen und inhaltlichen Gestalt meiner Beiträge? Das wäre ja noch zu verschmerzen. Höchst bedauerlich, ja bedenklich aber wäre es, wenn es mit den Liedern von Hugo Wolf selbst zu tun hätte.

    Lieber Helmut,


    laß Dich bloß nicht entmutigen und mache weiter so! Und wenn keiner mitmachen will, dann bestreiten wir den Thread eben alleine! :thumbsup: (Und dann machen wir danach zum Trotz mit "Abseitigem" weiter, mit Hindemith oder Berg oder Schönberg oder Webern!) Ich weiß auch nicht, woran die Scheu vor der Beteiligung liegt. Vielleicht daran, daß niemand Lust hat sich "anzustrengen", etwas Neues zu lernen? Ist das etwa die Leichtigkeit des Seins, die Spaß-Kultur unserer Zeit? Ohne Anspruch ist so ein Forum schlicht langweilig - nur zu erfahren, wer welche CD gerade gehört hat, das kann doch wohl nicht alles sein! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wenn ich einem Menschen, der sich in die Lieder von Hans Pfitzner einhören möchte, eine Empfehlung geben sollte, so würde ich die beiden Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau nennen, die bei EMI und ORFEO erschienen sind. Beide sind bei den Werbepartnern des Forums erhältlich. Die eine, jene von EMI, bei der Fischer-Dieskau von Karl Engel, Aribert Reimann und Hermann Reutter begleitet wird, enthält fast alle Eichendorff-Vertonungen und überdies das so bedeutende Lied "Hussens Kerker".


    Die andere, jene von ORFEO, bei der Hartmut Höll begleitet, bietet einen repräsentativen Querschnitt durch Pfitzners Liedschaffen von op.2 bis op.24. In beiden CDs sind die Lieder sängerisch hervorragend interpretiert. Das Lied "Der Bote" findet sich darauf freilich nicht. Es war mir bislang, bevor die Gesamteinspielung der Lieder bei CPO erschien, nur auf der oben erwähnten LP mit Wolfgang Anheisser zugänglich.


    Insofern war es vielleicht nicht so geschickt, ausgerechnet mit diesem Lied hier zu beginnen. Ich wollte aber gleichsam von vorne anfangen, und dieses Lied ist nun einmal das erste Pfitzners auf Gedichte von Eichendorff.


    (Wenn ein freundlicher Mensch von der Moderation hier die Cover-Bilder der beiden CDs einfügen könnte, wäre ich sehr dankbar!)

  • Lieber Helmut,


    laß Dich bitte nicht entmutigen, wenn die Resonanz auch nicht Deinen Erwartungen entspricht. Leser sind genügend da!


    Leider ist es so, daß in kleineren Orten ohne musikalische Ausbildungsstätten wie Musikhochschule u.a. das Klientel fehlt, Liederabende zu besuchen. In unserer 100 000 Einwohner-Stadt kann ich mich nicht erinnern, daß es außer der "Winterreise" in den letzten 10 Jahren einen Liederabend gegeben hätte. Es wird nichts getan, das Publikum an Lieder heranzuführen. 2014 haben wir z.B. Richard-Strauß Jahr, aber nicht einmal an dessen herrliche Lieder wird erinnert.


    Und wenn schon Strauß in der Planung der Musikverantwortlichen keine Rolle spielt und Schubert 10 Jahre nicht zu hören war (im Lied), wer sollte sich da gar an Pfitzner oder selbst an Wolf wagen? Immer wieder steht der finanzielle Hammer dahinter. Was, wenn zuwenig Leute kommen, was, wenn kein zugkräftiger Name auf dem Plakat steht (wobei es bei uns schon lange keine Plakate mehr gibt)? Ich würde gerne Liederabende konsumieren, aber es fehlt das Angebot! Traurig, aber wahr!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Vielen Dank, lieber La Roche!
    Man hat zuweilen so seine Anfechtungen, und da sind solche ermutigenden Worte wie die Deinigen hier sehr hilfreich.


    Mit der Feststellung:
    Zit.: „Es wird nichts getan, das Publikum an Lieder heranzuführen.“
    …dürftest Du – leider! - recht haben. Mein gewiss subjektiver und womöglich nicht verallgemeinerbarer Eindruck ist, dass der prozentuale Anteil von Liederabenden an den Veranstaltungsprogrammen klassischer Musik kontinuierlich abnimmt. Wahrscheinlich bringen derlei Veranstaltungen den Konzertagenturen nicht das Massenpublikum, das sie benötigen, um aus ihrer Sicht wirtschaftlich zu arbeiten.


    Vielleicht, so stelle ich mir zuweilen vor, können wir ja mit unserem Tamino-Forum die Freude an der Beschäftigung mit klassischer Musik da und dort wecken und befördern.
    Hoffen wir´s mal!

  • Die grundsätzliche Orientierung an der „Stimmung“ bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Aussage des lyrischen Textes ist an diesem Lied „Der Bote“ sehr schön zu beobachten. . Das tänzerisch-heitere musikalische Motiv des Vorspiels, das ja keineswegs auf eben diese Funktion beschränkt ist, sondern auch als Zwischenspiel und Nachspiel fungiert, ist ganz aus dem Bild der ersten Strophe gewonnen: Diesem „lustigen Schießen der Sterne am Himmelsgrund“. Und es ist bezeichnend, dass es das Lied beschließt und dabei langsam verklingt, kehrt doch die lyrische Aussage mit der Feststellung „Mein Herz ist die Zither, / gibt fröhlichen Schall“ wieder zur fröhlichen Aufbruchstimmung des Liedanfangs zurück, wobei sich die Singstimme forte zum höchsten Ton des ganzen Liedes emporschwingt.


    Der für die Eichendorff-Lieder Pfitzners so charakteristische Ton klingt erstmals in der zweiten und in den ersten beiden Versen der dritten Strophe auf. Das dafür maßgebliche lyrische Stichwort ist „Nacht“. Die Eingangstonart ändert sich, durchläuft mehrere Modulationen, und die melodische Linie bewegt sich nun ruhig mit der Anmutung von Bedeutungsschwere. Zusammen mit den arpeggierten Akkorden im Diskant und den dreistimmigen tiefen Akkorden im Bass wird die nächtliche Stimmung des Bildes vom Wind, der durch die Saiten der Zither geht, auf klanglich faszinierende Weise eingefangen.


    Wie sehr aber, bei aller Orientierung am evokativen Potential des lyrischen Bildes, auch die spezifische Semantik des lyrischen Textes in ihrer Tiefenschicht Berücksichtigung findet, das ist der Art und Weise zu entnehmen, wie Pfitzner den Vers „Mein Herz ist die Zither“ kompositorisch gestaltet. Nachdem eine regelrechte Flut von z.T. triolischen Arpeggien aus der Tiefe des Klavierbasses hoch in den Diskant gerauscht ist, setzt die Singstimme zunächst fortissimo mit einem Terzsprung in hoher Lage ein, jedoch ereignet sich nun keine weitere Steigerung dieser melodischen Expressivität, sondern die melodische Linie bewegt sich in einem Decrescendo nach unten und landet, aus A-Dur kommend, nun wieder im cis-Moll des Liedanfangs.


    Auf diese Weise will Pfitzner die Verinnerlichung musikalisch aufgreifen und zum Ausdruck bringen, die sich an dieser Stelle in der Aussage des lyrischen Textes ereignet: Von der Imagination eines sich „über die Berge, übern Wald“ weit in die Ferne schwingenden Saitenklangs wendet sich das lyrische Ich seinem Inneren zu und empfindet sein Herz als die eigentliche Quelle der Musik, die auch die größte Ferne zum geliebten Du zu überwinden vermag.

  • Er reitet nachts auf einem braunen Roß,
    Er reitet vorüber an manchem Schloß:
    Schlaf droben, mein Kind, bis der Tag erscheint,
    Die finstre Nacht ist des Menschen Feind!


    Er reitet vorüber an einem Teich,
    Da stehet ein schönes Mädchen bleich
    Und singt, ihr Hemdlein flattert im Wind:
    Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind!


    Er reitet vorüber an einem Fluß,
    Da ruft ihm der Wassermann seinen Gruß,
    Taucht wieder unter dann mit Gesaus,
    Und stille wirds über dem kühlen Haus.


    Wann Tag und Nacht in verworrenem Streit,
    Schon Hähne krähen in Dörfern weit,
    Da schauert sein Roß und wühlet hinab,
    Scharret ihm schnaubend sein eigenes Grab.


    Die Nacht ist bei Eichendorff der Inbegriff von „Zwielichtigkeit“. Sie kann Ort der Geborgenheit sein, weil Urgrund alles Seins, zu dem das Ich zurück möchte. Aus diesem Grund finden sich bei ihm auch Verse wie „Wie schön, hier zu verträumen / Die Nacht im stillen Wald, / Wenn in den dunklen Bäumen / Das alte Märchen hallt“. Aber Nacht ist auch Inbegriff der existenziellen Gefährdung: Sie kann „des Menschen Feind“ sein, weil sie die Gefahr der Entgrenzung und damit des Verlusts der Individualität in sich birgt.


    Davon spricht dieses Gedicht. Der wilde Reiter, den dieses balladenhafte Gedicht zum Gegenstand hat, ist eine gespenstische Figur, die ziellos auf ihrem Pferd durch die Nacht irrt. Drei Mal beginnen die Strophen mit den Worten „Er reitet“. Das tut dieses geisterhafte Wesen ohne jegliches Ziel. Immer wieder ist da das Wort „vorüber“, das all den lyrischen Bildern eine bedrückende Flüchtigkeit verleiht. Und sie sind ja ihrerseits wie wesenlos flüchtig: Ein bleiches singendes Mädchen, dessen „Hemdlein“ im Wind flattert, ein „Wassermann“, der nach einem flüchtigen Gruß in die grenzenlose Tiefe seines Reiches abtaucht, - und danach wieder Stille. Gibt es schrecklichere Erfahrungen?


    Es ist das lyrische Wort „vorüber“, das explizit nicht nur fünf Mal auftaucht, sondern darüber hinaus alle lyrischen Bilder prägt, worin die Aussage dieses Gedichts letzten Endes wurzelt. Elementare Bedrohung durch die Mächte der Nacht, die Macht des Unbewussten also, - darum geht es lyrisch hier. Und das ereignet sich sprachlich-lyrisch als gleichsam atemlose Bewegtheit in der Abfolge der Bilder. Und am Ende steht das Grab.

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  • „Sehr schnell“ lautet die Vortragsanweisung für dieses Lied, das in c-Moll steht und einen Viervierteltakt aufweist. Ein ausgearbeitetes Vorspiel gibt es nicht. Die Singstimme setzt auftaktartig schon im ersten Takt ein, der bereits ganz von dem dieses Lied klanglich und rhythmisch prägenden Klaviersatz ausgefüllt ist.


    In seiner Grundstruktur bleibt er fast bis zum Ende erhalten. Lediglich in den letzten zehn Takten wird er durch ein Tremolo ersetzt. Er besteht aus wie jagend aufeinander folgenden Klangfiguren, die sich aus vier vom Diskant in den Bass laufenden Sechzehnteln zusammensetzen, wobei das erste zunächst aus einem Akkord besteht. Später aber erfolgt eine zunehmende klangliche Ausdünnung in der Form, dass nur noch Einzeltöne nach unten laufen, - ein auf dem Hintergrund der Aussage des lyrischen Textes wichtiges musikalisches Ausdrucksmittel. Unüberhörbar hat der Klaviersatz die Funktion, das zugrundeliegende lyrische Bild, die durch die Nacht reitende geheimnisvolle Gestalt, musikalisch zu imaginieren. Wenn man sich dabei der Rhythmik des Klaviers überlässt, dann wirkt dieser Reiter wie ein Gejagter.


    In der Gestaltung der melodischen Linie der Singstimme folgt Pfitzner dem lyrischen Text in recht enger Anlehnung an den Aufbau der Strophen. Die ersten drei Strophen bringen lyrische Bilder, die all das einfangen, was er Reiter auf seinem nächtlichen Ritt erlebt. Sie werden jeweils mit den Worten „Er reitet“ eingeleitet. Pfitzner greift dies in der Weise auf, dass die melodische Linie des ersten Verses dieser drei Strophen in ihrer Struktur ähnlich angelegt ist. Erst bei den folgenden Versen erfolgt dann – abhängig von den lyrischen Bildern – eine Binnendifferenzierung der melodischen Linie und des Klaviersatzes, Die vierte Strophe unterscheidet sich in ihrer musikalischen Faktur deutlich von den vorangehenden drei. Sie weist schließlich auch einen anderen lyrischen Gehalt auf.


    Ganz dem balladenhaften Charakter dieses Gedichts gemäß, ist die melodische Linie der Singstimme stark rezitativisch geprägt. Das zeigt, welch engen Kontakt Pfitzner zum lyrischen Text sucht. Die Worte des jeweils ersten Verses der ersten drei Strophen werden in nahezu identischer Weise syllabisch exakt auf einer Tonhöhe deklamiert. Dann aber, wenn die spezifische Aussage des jeweiligen Bildes das erfordert, entfaltet die Vokallinie melodische Expressivität. Auf dem Wort „schlaf“ (dritter Vers, erste Strophe) liegt eine lange melodische Dehnung in hoher Lage. Und um dies vor der nächsten Dehnung bei dem Wort „Tag“ zu steigern, ereignet sich bei den Worten „droben mein Kind“ eine Repetition von Achteln auf einer tonalen Ebene.


    Dieses kompositorische Mittel der Repetition wird von Pfitzner in diesem Lied immer wieder eingesetzt, - in der Absicht, die Eindringlichkeit der melodischen Linie zu steigern und damit der Aussage des lyrischen Textes die musikalisch angemessene Geltung zu verschaffen. Auf eindrucksvolle Weise kann man dies bei den Worten „Die finstre Nacht ist des Menschen Feind“ hörend erleben. Die Singstimme deklamiert in tiefer Lage auf einer Tonhöhe und steigt am Ende, verbunden mit einer harmonischen Rückung im Klaviersatz, im Sekundschritt an, um dann bei dem Wort „Feind“ lange zu verharren. In ähnlicher Weise wird den Bildern „ihr Hemdlein flattert im Wind“ und „taucht unter wieder dann mit Gesaus“ durch Achtelrepetitionen auf einer tonalen Ebene mit nachfolgendem Sekund- oder Terzsprung hohe musikalische Expressivität verliehen.


    Wie wichtig Pfitzner der Klang als musikalisches Ausdrucksmittel nicht nur im Klaviersatz, sondern auch bei der melodischen Linie der Singstimme ist, das zeigt die kompositorische Gestaltung derselben beim letzten Vers der dritten Strophe („Und stille wird’s…“). Schon vorher ist der Klaviersatz in tiefe Lage abgesunken. Und dort bleibt er jetzt auch mit seinen jagenden Fallbewegungen, - allerdings klanglich abgemagert auf schiere Einzeltöne. Die Vokallinie entfaltet sich mit langen Dehnungen auf der Ebene eines tiefen „f“ und macht nur am Ende einen Anstieg über zwei Halbtonschritte zu einem „g“, auf dem sie dann lange verweilt. Sie muss es, weil das lyrische Bild vom „kühlen Haus“ das so verlangt.


    Die letzte Strophe macht noch einmal auf eindrucksvolle Weise deutlich, wie stark Pfitzner den Klang als musikalisches Ausdrucksmittel auch in der Melodik einsetzt. Bei den Worten „schon Hähne krähen in Dörfern weit“ macht die melodische Linie nach einer Art „Anlauf“ auf einer tonalen Ebene einen erweiterten Quartsprung zu einem hohen „d“, verharrt dort mit einer langen Dehnung und fällt danach wieder genau um dieses Intervall ab, um schließlich einen Halbton tiefer zur Ruhe zu kommen. Das Krähen des Hahnes ist melodisch imaginiert. Und wenn es dann um dieses schauerliche Bild von dem Ross geht, das dem Reiter schnaubend sein Grab scharrt, dann erklingen Tremoli in Bass und Diskant, und die Singstimme deklamiert in tiefer Lage auf einem Ton, erhebt sich dann noch einmal gerade um eine Quarte, um danach bei dem Wort „Grab“ auf die Dominante in tiefer Lage abzusinken.


    Das tun auch die Tremoli im Klavier und wirken dabei klanglich recht schaurig. Bemerkenswert freilich: Die Singstimme deklamiert die letzten Worte auf der melodischen Linie des Liedanfangs. Will heißen: Dieser Reiter kehr dahin zurück, wo er hergekommen ist.

  • Dieses Lied beeindruckt klanglich durch die rhythmische Atemlosigkeit, ja Gehetztheit, die einem als Hörer vom ersten Takt an ohne jegliche Unterbrechung begegnet und einen regelrecht in Bann zieht. Der Pfitzner-Biograph Abendroth spricht hier von „atemlos hetzenden Sechzehnteln“, die den Klaviersatz in den ersten drei Strophen beherrschen, bis dann in der vierten Strophe, die ja klanglich deutlich abgesetzt wirkt, erst diese eigentümlich fallenden und in Oktaven mündenden Achtel an ihre Stelle treten und sich schließlich, bei den letzten beiden Versen, das Ganze pianissimo in einem permanenten Tremolo langsam verflüchtigt. Am Ende steht nichts anderes mehr als eine dreistimmiger, in tiefste Basslage ausgreifender und mit einer Fermate versehener dreistimmiger Akkord, der nach diesen Tremoli wirkt, als sei der Musik buchstäblich der Atem ausgegangen.


    Aber es ist nicht nur der Klaviersatz, aus dem dieses Lied seinen ganz spezifischen klanglichen Charakter bezieht, mit dem es so beeindruckt. Es ist die eigentümliche Binnenspannung, die sich zwischen diesem und der spezifischen Struktur der melodischen Linie der Singstimme von Anfang an aufbaut und immer weiter steigert. Denn diese ist stark rezitativisch geprägt und wirkt in der Art, wie sie sich bewegt, regelrecht kontrastiv zur rasanten Dynamik des Klaviersatzes. Dies deshalb, weil von ihr etwas klanglich Insistierendes, Beharrliches, ja Bohrendes ausgeht. Seine Ursache hat es in den häufigen Tonrepetitionen. Sie kehren immer wieder und wirken deshalb melodisch so beeindruckend, weil sie am Ende meist in eine melodische Dehnung münden. Beispielhaft sei auf die Verse „Schlaf droben, mein Kind, bis der Tag erscheint“ und „Ihr Hemdlein flattert im Wind“ verwiesen.


    Die letzte Strophe dieses Liedes hebt sich nicht nur durch die markanten Veränderungen in der Struktur des Klaviersatzes von den vorangehenden Strophen ab, sondern auch durch ihre auffällige harmonische Instabilität. Unablässig folgen, ohne jegliche Modulation, harmonische Rückungen in terzverwandten Tonarten aufeinander. Man darf wohl annehmen, dass Pfitzner auf diese Weise das lyrische Bild vom „verworrenen Streit“ zwischen Tag und Nacht musikalisch aufgegriffen und zum Ausdruck gebracht hat, von dem der erste Vers spricht. Das ist ein durchaus beeindruckendes Beispiel dafür, wie er mit klanglichen Mitteln den Stimmungsgehalt eines lyrischen Bildes zu fassen vermag.

  • Hörst du nicht die Bäume rauschen
    Draußen durch die stille Rund?
    Lockts dich nicht, hinabzulauschen
    Von dem Söller in den Grund,
    Wo die vielen Bäche gehen
    Wunderbar im Mondenschein
    Und die stillen Schlösser sehen
    In den Fluß vom hohen Stein?


    Kennst du noch die irren Lieder
    Aus der alten, schönen Zeit?
    Sie erwachen alle wieder
    Nachts in Waldeseinsamkeit,
    Wenn die Bäume träumend lauschen
    Und der Flieder duftet schwül
    Und im Fluß die Nixen rauschen –
    Komm herab, hier ists so kühl.


    Mit den Worten „Hörst du nicht…“ wird dieses Gedicht eingeleitet, das das Thema „Lockung“ zum Inhalt hat. Und wenn man seinen Bildern folgt, dann ist man, ohne dass einem so recht bewusst wird, alsbald in Bann geschlagen von dem, was das Ohr wahrnimmt, - nicht das Auge. Eigentlich blickt man doch von dem „Söller“ hinab in den „Grund“. Eichendorff aber möchte, dass man „hinablauscht“. Und die zweite Strophe ist ganz und gar eine des Lauschens: Auf die „irren Lieder“ und das „Rauschen der Nixen“. „Lockung“, - das ich eine Sache, die mehr mit dem Ohr als mit dem Auge erfahren wird.


    Nicht das Auge, das – nach Goethe – „sonnenhaft“ ist, sondern das Ohr ist die Tür zur all dem, was auf den Menschen „verlockend“ wirkt. Und dessen Ort ist die Nacht, die sich auch hier wieder einmal im spezifisch Eichendorffschen Sinne als ambivalent erweist. In ihr erwachen die „irren Lieder“ aus der „alten schönen Zeit“. Dort duftet Flieder schwül und verführerisch, und dort sind die Nixen zu Hause, die der Unterwelt des Wassers und der Tiefe angehören.


    Es ist das Unbewusste, die untergründige Welt der Seele, die hier lyrisch evoziert wird. Die „alte, schöne Zeit“, - das ist Heimat. Und der nächtliche Wald, indem die Bäume träumend auf eben diese Melodie der Heimat lauschen, lockt mit der Kühle, in der das in der gleißenden Helle des Tages sich verloren vorkommende Ich Geborgenheit finden kann. Nein, - finden könne. Denn es ist eine „Lockung“, die durchaus ambivalent ist. Es kann Verlust der Individualität mit sich bringen, wenn man ihr folgt.


    Die Lieder der „alten schönen Zeit“ sind „irre“. Sie sind Inbegriff reiner, gleichsam chaotischer Klanglichkeit. Ohne strukturelle Ordnung, ohne jegliche Rationalität, - reine Sinnlichkeit also. Hierin wurzelt die „Lockung“. Und deshalb hat das Ohr in diesem Gedicht das Sagen. Alle seine Verse stehen unter der Vorgabe des anfänglichen „Hörst du nicht?“ Dieser „Lockung“ zu folgen kann den Verlust des eigenen Selbst bedeuten, aber auch den Gewinn. Eichendorff will das in der Offenheit halten.

  • „Nicht schnell“ lautet die Vortragsanweisung für dieses Lied. Es steht im Sechsachteltakt, und dieser ist die rhythmische Grundlage für den Eindruck des Schwebend-Tänzerischen, den das Lied durchgehend macht. Er fängt den vagen und unbestimmten Charakter der lyrischen Bilder ein. Die bedrohliche „Lockung“, die von ihnen ausgeht, bringen die arpeggienhaften Sechzehntel-Figuren im Klaviersatz zum Ausdruck, die in der ersten Strophe schon aufklingen, die zweite aber ganz und gar dominieren.


    Die melodische Figur, die das Lied wie ein klanglich „roter Faden“ durchzieht und den „Einfall“ im Pfitznerschen Sinne verkörpert, ist gleich am Anfang zu vernehmen, - bei der melodischen Linie, die auf dem ersten Vers der ersten Strophe liegt. Sie besteht aus einer Aufeinanderfolge von je einer im Sekundschritt ansteigenden Achtel-, Viertel- und wieder Achtel-Note, der ein Terzfall folgt. Man vernimmt sie – in leicht modifizierter Form – immer wieder, und vor allem den Grundrhythmus, der ihr zugrundeliegt. Er bestimmt nicht nur die Bewegung der melodischen Linie der Singstimme, sondern auch den Klaviersatz und verleiht dem Lied damit diesen klanglich Eindruck des tänzerischen Schwebens.


    Den Piano-Bereich verlässt die Musik an keiner Stelle. Eher neigt sie dazu, sich ins Pianissimo zurückzuziehen, und am Ende verklingt sie ja auch dort. Die „Lockungen“, die der lyrische Text in seinen Bildern evoziert, sind solche der geheimnisvollen Stille. Pfitzner greift dies mit einer melodischen Linie auf, die man als Ausdruck dieses „Hörst du…?“ empfindet, mit dem das Gedicht eingeleitet wird und das die anderen Fragen, die mit den folgenden Versen nachfolgen, gleichsam eröffnet. Die Struktur der Vokallinie ist in ihren einzelnen Melodiezeilen aufwärts gerichtet, und sie reflektiert damit musikalisch eben diesen Fragecharakter des lyrischen Textes. Bei den Worten „Rund“, „Grund“, „Lieder“ und „Zeit“, die jeweils am Ende jener Verse mit Fragecharakter stehen, erreicht die Melodiezeile jeweils ihren Höhepunkt.


    Durchweg bewegt sich die melodische Linie der Singstimme in Einheit und in Einklang mit dem Klaviersatz. Ein dialektisches Spannungsverhältnis, wie es für Hugo Wolf wichtiges musikalisches Ausdrucksmittel ist, gibt es in diesem Lied nicht, - was nicht heißt, dass man dieses in anderen Liedern Pfitzners nicht findet. Hier will er die Einheit von Singstimme und Klavier, weil dies für ihn am ehesten dem lyrischen Geist der Verse Eichendorffs gemäß ist. Die Vokallinie entfaltet ihre musikalische Aussagekraft erst voll durch die Einbettung in einen gleichsam orchestral konzipierten Klaviersatz mit all seinen harmonischen Modulationen und klanglichen Wirkungselementen.


    Man kann dies auf eine beeindruckende Weise schon am Liedanfang erleben. Die melodische Linie bewegt sich in syllabisch exakter Deklamation langsam nach oben, wobei das Klavier dieser Bewegung getreu der Skandierung der Singstimme mit Akkorden folgt. Bei den Worten „stille Rund“ erfolgt eine harmonische Modulation, und in der anderthalbtaktigen Pause der Singstimme rauschen dann die auf- und absteigenden Arpeggien auf. Im Piano-Pianissimo tun sie das und suggerieren damit klanglich eben jene „Lockung“, die von dem lyrischen Bild ausgeht und zugleich etwas bedenklich Verführerisches an sich hat.


    Mit der zweiten Strophe nimmt diese von den Arpeggien ausgehende klangliche Verlockung deutlich zu. Bis zum Ende der melodischen Linie ist der Klaviersatz ganz und gar von ihr beherrscht. Die Anweisung lautet: „linke Hand immer ppp und viel Pedal“. Die ersten beiden Melodiezeilen bewegen sich – durch Pausen voneinander getrennt – wieder in ihrem Frageton nach oben, wobei ihnen die Akkorde im Diskant folgen. Bei den Worten „Sie erwachen alle wieder“ steigt die Vokallinie in große Höhe auf, um sich dann aber, wenn es um das träumende Lauschen der Bäume geht, in tiefer Lage ruhig dahinzubewegen. Immer wieder treten Pausen in die Bewegung der melodischen Linie, - als solle dem Flieder klanglicher Raum gelassen werden, seinen Duft zu entfalten, und als solle man Gelegenheit haben, sich das Rauschen der Nixen im Fluss zu imaginieren.


    Das ist ganz offensichtlich kompositorisch so gewollt, denn beim letzten Vers wird dieser klangliche Effekt sogar noch gesteigert. Die melodische Linie wird durch eine Dreiachtel-Pause und lange Dehnungen untergliedert. Die einzelnen Worte – „herab“, „hier“, „ist´s“ und „so“ – erhalten auf diese Weise einen starken musikalischen Akzent und entfalten, auch weil sie auf einem Ton deklamiert werden, eine hohe suggestive Wirkung. In großartiger Weise wird hier die lockende Aufforderung „komm herab“ in klanglich beschwörende und verlockende Musik umgesetzt.


    Im Nachspiel sind die Arpeggien erloschen. Hat die Verlockung ihr Ziel erreicht? Die Klänge lassen es vermuten. Im Piano-Pianissimo erklingt im Diskant die melodische Linie der Singstimme. Dies aber in langsam zerfallenden und klanglich erlöschenden Akkorden.

  • In diesem Lied ist Pfitzners Eichendorff-Liedsprache in voll entwickelter Form zu vernehmen und vermag klanglich in Bann zu schlagen. Es ist vor allem die vollkommene Einheit zwischen lyrischer Sprache und Musik, die die klangliche Faszination bewirkt, die von diesem Lied ausgeht: Der Wechsel von Viertel- und Achtelnoten in der Bewegung der melodischen Linie greift den trochäischen Versfuß des lyrischen Textes auf, und ihre Aufwärtsbewegung bringt seinen suggestiven Fragecharakter auf eindringliche Weise zum Ausdruck: „Hörst du nicht…?“, „Lockts dich nicht…?“ Zugleich aber bekommt die Vokallinie dabei etwas tänzerisch Schwebendes, da ihr ein Sechsachteltakt zugrundliegt, der gleichsam ein rhythmischer Gegenspieler zum Trochäus ist.


    Wie ist das Lied zu hören und zu verstehen? Nacht ist ja bei Eichendorff etwas durchaus Ambivalentes, - Verheißung des Geborgen-Seins und Gefährdung zugleich, weil Verlust der Identität droht. Es ist von „irren Liedern“ die Rede, und am Ende locken die Nixen in eine Welt, in der sich der Mensch verlieren kann. Wie hat Pfitzner dieses Gedicht gelesen? Hat er deutlichere Akzente hinsichtlich dieser Ambivalenz gesetzt, als Eichendorff dies lyrisch tat?


    Auch das Lied bleibt diesbezüglich in seiner Aussage letzten Endes offen. Aber es gibt einige durchaus bemerkenswerte strukturelle Indizien. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass die melodische Linie sich – im Unterschied zu dem Lied „Nachtwanderer“ - in Einheit mit dem Klaviersatz entfaltet, so dass das Klavier nicht nur ihren Bewegungen folgt, sondern diese da und dort sogar weiterführt. Auf der anderen Seite fällt es der Vokallinie immer wieder ins Wort: Mit einer Fülle von Arpeggio-Figuren, die unüberhörbar eine klangliche Evokation jener „Lockung“ darstellen, um die es in diesem Gedicht geht. Und hört man genau hin, so klingen diese zwar einerseits durchaus lieblich, aber andererseits drängen sich immer mehr Modulationen in den Moll Bereich und in wechselnde Tonarten in sie. Schon nach dem vierten Vers der ersten Strophe ist das der Fall, aber noch auffälliger bei den Worten „irre Lieder“ und „der Flieder duftet schwül“.


    Darf man das als musikalischen Ausdruck eben jener Ambivalenz der „Lockung“ verstehen? Und zwar im Sinne einer deutlicheren Akzentuierung, als sie bei Eichendorff vorliegt? Ich denke schon. Das, was da aus dem „Grund“ hoch zum lyrischen Ich dringt, besitzt zwar einen märchenhaften Zauber, wird lyrisch ausdrücklich mit dem adverbialen Zusatz „wunderbar“ versehen. Aber diesem Zauber wohnt eine Gefahr inne, und die Musik scheint das sehr wohl sagen zu wollen.


    Und dann ist da noch dieser klanglich so vielsagende Schluss des Liedes. Die melodische Linie der Singstimme gibt den verlockenden Gesang der Nixen wieder, dieses „Komm herab, hier ists so kühl“. Er wird auf nur einem Ton deklamiert, einem „h“ in mittlerer Lage, das auf jeder Silbe erklingt, einmal von einer Pause unterbrochen. Dem wohnt klanglich etwas Eindringliches inne, etwas, das einen mit seiner Verlockung fast bedrängt. Und prompt erklingt im Nachspiel das Urmotiv des Liedes, nun aber wie zerstückt, - und dieses klangliche Zerbrechen setzt sich immer weiter fort, bis am Ende pro Takt nur noch ein zweistimmiger Akkord zu vernehmen ist und im letzten Takt ein Sextakkord, der harmonisch keinen Schluss darstellt. Das Lied bricht einfach ab, endet klanglich offen.
    Es wird der Phantasie des Hörers überlassen, welche Bilder sich jetzt bei ihm einstellen.

  • Wohin ich geh und schaue,
    In Feld und Wald und Tal,
    Vom Berg hinab in die Aue:
    Viel schöne, hohe Fraue,
    Grüß ich dich tausendmal.


    In meinem Garten find ich
    Viel Blumen, schön und fein,
    Viel Kränze wohl draus wind ich
    Und tausend Gedanken bind ich
    Und Grüße mit darein.


    Ihr darf ich keinen reichen,
    Sie ist zu hoch und schön,
    Die müssen alle verbleichen,
    Die Liebe nur ohnegleichen
    Bleibt ewig im Herzen stehn.


    Ich schein wohl froher Dinge
    Und schaffe auf und ab,
    Und, ob das Herz zerspringe,
    Ich grabe fort und singe
    Und grab mir bald mein Grab.


    „Garten“, - das ist die kultivierte, die gehegte und gepflegte, dem Raum des Hauses zugehörige Natur. Ihr geht das ab, was „Natur“ im genuinen Sinne ausmacht: Die Macht des Urtümlichen, das das Ich sowohl bergen, als auch in sich aufnehmen und auslöschen kann. Das, was der Garten hervorbringt, sind „Blumen, schön und fein“. Das lyrische Ich will sie als Boten seiner Liebe einsetzen, die es zu einem weiblichen Wesen empfindet, das in die Aura der Unerreichbarkeit getaucht ist: Es ist die „viel schöne, hohe Fraue“.


    Ein wenig erinnert das an die Grundkonstellation des Minnesangs, - mit seiner „frouwe“, die vom dichtend-singenden Ministerialen zu mariologischer Höhe gesteigert wird. Aber Eichenorff ist ein Lyriker der Spätromantik. Und das ist an der Bewegung zu erkennen, die die Verse dieses Gedichts in ihrer Perspektive nehmen. Die geht nämlich Strophe für Strophe von der Weite der landschaftlichen Natur über den häuslichen Raum des Gartens am Ende in den Innenraum der Seele. Und dort wird das „Singen“ erfahren als ein Weg zum Grab hin. Auffällig ist die ständige Wiederkehr der Konjunktion „und“. Sie wirken wie eine syntaktische Leitlinie, die all die Gedanken und Empfindungen des lyrischen Ichs zum letzten Verspaar hinführt.


    Das ist kein Minnesang mehr, das ist der lyrische Anklang von Moderne: Das Ich in der Einsamkeit des Auf-sich-selbst-Zurückgeworfen-Seins. Die geliebte Frau ist ein kommunikativ nicht erreichbares Wesen. Es bleiben nur Zeichen, die existenzielle Gemeinsamkeit – und damit Erfüllung – ermöglichen könnten. Aber die tragen das Stigma des Ungewissen: Entlassen aus dem Raum des Ichs, sind sie alle dazu verdammt, zu „verbleichen“, ihren Auftrag nicht erfüllen zu können. Kann man Einsamkeit auf noch eindringlichere Weise lyrisch zum Ausdruck bringen?


    Die Verengung und Verdichtung der Perspektive auf den seelischen Innenraum des lyrischen Ichs ist in diesem Gedicht eine doppelte. Sie ereignet sich nicht nur in der Abfolge der Strophen, sondern sogar innerhalb derselben. Vom Reimschema her läuft dort in der lyrischen Aussage alles auf den jeweils letzten Vers hinaus. Dort findet sich jeweils die Quintessenz dessen, was das lyrisch Ich zu sagen hat. Und am Ende steht jenes Bild vom „eigenen Grab“.


    Das ist eine Öffnung der lyrischen Perspektive in die Zukunft, die freilich in der Schwebe bleibt. Der Tod ist noch nicht unausweichlich. Denn das lyrische Ich singt weiter. Es singt sein Lied von der Liebe, die „ewig im Herzen stehn bleibt“. In der Musik, die Liebe zu beschwören vermag, liegt die Quelle von Hoffnung auf Dauer und Unvergänglichkeit. In diesem Gedanken erweist sich Eichendorff als der „Noch-Romantiker“, - und der noch nicht wirklich und radikal „moderne“ Lyriker.

  • Das Lied weist einen Viervierteltakt auf und ist mit der Vortragsanweisung „Langsam“ versehen. Seinen klanglichen Zauber bezieht es vor allem aus der weiträumig phrasierten, ruhig sich entfaltenden und in ihrer Struktur dem Volkslied angenäherten Melodik. Das Klavier folgt ihr in ihren Bewegungen, unterstützt und akzentuiert sie darin und ist – mehr als die Singstimme – der eigentliche musikalische Interpret des lyrischen Textes.


    Bei der ersten Strophe liegt auf jedem Vers eine Melodiezeile. Allerdings greifen diese fünf Zeilen so ineinander, dass sich eine die ganze Strophe übergreifende melodische Einheit bildet, bei der die Vokallinie am Ende auf dem Grundton, einem tiefen „es“ landet. Diese musikalische Einheit der Strophe konstituiert sich auch darin, dass das zentrale musikalische Thema, das mit dem ersten Vers angeschlagen wird, die Bewegung der Vokallinie in allen Versen zu prägen scheint: Es klingt in variierter Form immer wieder auf.


    Hierbei reflektiert die melodische Linie durchaus die Aussage des lyrischen Textes. Bei den Worten „schöne hohe Fraue“ steigt sie in hohe Lage auf und verharrt dort den ganzen Takt über, um diesem Bild Nachdruck zu verleihen. Die Worte „grüß ich dich tausendmal“ werden wiederholt, wobei die Vokallinie auf eindrucksvolle Weise aus hoher Lage langsam herabsteigt und bei der Wiederholung sich in Gestalt von Dehnungen melodisch streckt.


    Die zweite Strophe unterscheidet sich klanglich deutlich von der ersten. Die melodische Linie wirkt in ihren Bewegungen leicht verdichtet, weist weniger Dehnungen auf und nimmt auf diese Weise einen narrativen Ton an. Außerdem durchläuft sie jetzt mehrere harmonische Modulationen. So wird das Bild von den „Blumen schön und fein“ dadurch musikalisch hervorgehoben, dass die melodische Linie einen Quartsprung macht und der Klaviersatz nach F-Dur hin moduliert. Bei „tausend Gedanken bind ich“ erfolgt hingegen eine überraschende Rückung nach f-Moll. Das soll wohl heißen: „Die „Grüße“ und die „Gedanken“, die in die Kränze eingebunden werden, kommen bei der „hohen Frau“ gar nicht an.


    Und die dritte Strophe bestätigt dies ja. Die Melodiezeilen auf den ersten beiden Versen („Ich darf ich keinen reichen…“) haben beide eine fallende Tendenz, und ihr klanglich-resignativer Charakter wird noch dadurch verstärkt, dass die erste Melodiezeile bei ihrem Herabsteigen in tiefe Lage ganz in einem lang gehaltenen Moll-Akkord versinkt, während die zweite, die nach einer Pause folgt, in höherer Lage ansetzt, sich daraus wieder nach unten bewegt, jetzt aber in einen Dur-Akkord mündet. Die hohe Frau ist schön, aber unerreichbar.


    Die Worte „Sie müssen alle verbleichen“ werden auf einer tonalen Ebene in mittlerer Lage deklamiert und wirken nicht nur dadurch, sondern auch weil eine harmonische Rückung nach es-Moll erfolgt, klanglich bedrückend. Der Lobpreis der Liebe in den beiden letzten Versen ist auf eine höchst beeindruckende Weise kompositorisch gestaltet. Die melodische Linie setzt mit einem Quintsprung in hohe Lage ein und bewegt sich von dort aus in gewichtigen Schritten nach unten. Das Ces-Dur, in dem sie sich dabei zunächst bewegt, verleiht ihr etwas entrückt Strahlendes. Und die nachfolgende harmonisch kühne Rückung nach E-Dur lässt das Wort „ewig“ auf klanglich faszinierende Weise aufleuchten.


    In sich gekehrt wirkt die melodische Linie am Beginn der vierten Strophe. Bei den Melodiezeilen auf den beiden ersten Versen („Ich schein wohl froher Dinge…“), die durch Pausen voneinander getrennt sind, bewegt sich die Vokallinie in tonal engen Räumen, erhebt sich nur kurz und fällt wieder ab. Dann aber, wenn es um das „zerspringende Herz“ geht, kommt große Expressivität in sie. Die Intervalle in ihrem Auf und Ab werden immer größer, die Dynamik steigert sich ins Fortissimo, und im Klavierdiskant steigen immerzu Terzen nach oben, um dem, was da melodisch zum Ausdruck gebracht wird, musikalischen Nachdruck zu verleihen. Die Worte „Und grab mir bald mein Grab“ werden höchst eindringlich deklamiert. Drei Wortpaare werden daraus. In jedem ereignet sich ein kleiner Sekundfall oder Sekundsprung, der in eine Dehnung mündet. Die Worte wirken wie aus tiefem Schmerz herausgestoßen.


    Das Lied weist eine Art „Coda“ auf. Die Worte „viel schöne edle Fraue, ich grüß dich viel tausendmal, tausendmal, tausendmal“ bilden eine eigene, angehängte Liedstrophe mit abschließendem Charakter. Ein sechstaktiges Klaviervorspiel geht voraus, in dem in akkordischer Gestalt die melodische Linie des Liedanfangs erklingt. Die Singstimme setzt dann zunächst in hoher Lage, auf einem Ton deklamierend (einem „es“), ein, fällt bei den Worten „grüß dich“ kurz ab, um dann mit einem Quintsprung zur emphatischen Deklamation des Wortes „tausendmal“ anzusetzen, wobei sie sich beim zweiten Mal zum höchsten Ton des ganzen Liedes aufschwingt.
    In höchst eindrucksvoller Weise steigt sie dann von dort langsam über mehr als eine Oktave zum Grundton herab.

  • Sehr schön! Sehr suptil, wie in der zweiten Strophe das Klavier eine andere Stimmung reinbringt in das ansetzende Strophenlied.


    Hier mit Hans Hermann Nissen:


    http://www.youtube.com/watch?v=XgLTSmPKRC0


    Beim Gedicht hast Du Dich verschrieben, lieber Helmut, nicht: "Die müssen alle verbleichen..." sondern "Sie...." (in Deiner Erläuterung ist es dann richtig!)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nein, ich habe ich nicht verschrieben, lieber Holger. Aber ich hätte darauf hinweisen müssen, dass Pfitzner an dieser Stelle vom Eichendorffschen Original abweicht. Er macht aus dem "die" bei "Eichendorf" ("Die müssen alle verbleichen") ein "sie". Insofern habe ich dann bei meiner Besprechung aus dem Notentext zitiert.


    Pfitzner ändert nur sehr wenig am originalen lyrischen Text. Aber hie und da geschieht das doch, und ich müsste vielleicht dann, wenn es der Fall ist, darauf hinweisen. Das tue ich in der Regel auch, - aber immer nur dann, wenn die Änderung aus meiner Sicht für die musikalische Aussage relevant ist.


    Vielen Dank aber für Deine Stellungnahme. Ich hatte darauf gehofft, denn ich wusste, dass dieses Lied "Der Gärtner" und das großartig von D. Fischer-Dieskau gesungene Lied "In Danzig" auf Youtube zu hören sind. Das ist es aber dann auch. Die übrigen siebzehn Eichendorff-Lieder sind zurzeit in nur jeweils zwei Interpretationen zugänglich, - auf den von mir oben erwähnten Ausgaben der Pfitzner-Lieder.


    Wenn ich richtig recherchiert habe, sind bei Youtube insgesamt acht Pfitzner-Lieder zu hören. Auf einige davon werde ich später (nach den Eichendorff-Vertonungen) noch eingehen, - in der Hoffnung, dass dann wieder einmal eine Rückmeldung in diese Stille hier kommt.

  • Lieber Helmut,


    es ist wirklich mißlich, daß meine Lieder-Sammlung (CDs) so lückenhaft ist. Leider ist Pfitzner so wenig bekannt, daß man die Lücken auch mit youtube nicht füllen kann. Hilft also nur, die Lücken der Sammlung zu schließen ... :)


    Schöne Grüße
    Holger

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