(K)ein Herz und (k)eine Seele? - Zum Verhältnis zwischen Komponisten und Librettisten

  • Es könnte so einfach sein: Ein Librettist verfasst einen Text und der Komponist vertont ihn. Jeder tut, wozu ihn seine Profession beruft. Im Idealfall entsteht so aus der Einzelleistung zweier Individuen ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Doch der hier angedeudeten Linearität von fertigem Libretto und anschließender Vertonung steht häufig ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit gegenüber, bei dem der Komponist Ansprüche und Forderungen an den Librettisten stellt und vice versa. Diese Wechselseitigkeit kann zur harmonischen "Befruchtung" führen, insofern auf gleicher Wellenlänge gefunkt wird, kann aber andernfalls Diskrepanzen nach sich ziehen.


    In diesem Thread sollen die Verhältnisse konkreter Komponisten zu konkreten Librettisten thematisiert werden. Waren die Herrschaften eher dynamische Duos, ein Herz und eine Seele, oder war vielleicht nicht minder häufig gegenseitiger Argwohn und Missverständnis Quelle mancher Produktivität?

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Hallo, Lynkeus, danke für die Eröffnung dieses Threads! Dann würde ich gern mit Francesco Maria Piave (1810-1876) beginnen. Der aus Venedig stammende Librettist und Regisseur hat die Libretti für ingesamt 9 Verdi-Opern geliefert - Ernani, I due Foscari, Macbeth (zusammen mit Andrea Maffei), Il corsaro, Stiffelio (später als Aroldo überarbeitet), Rigoletto, La traviata, Simon Boccanegra und La forza del destino. Er war zunächst am Teatro La Fenice tätig, wechselte dann später auf Verdis Empfehlung an die Scala. Dass die beiden neben der beruflichen Zusammenarbeit auch eine Freundschaft verband, wird in dem sehr vertrauten Ton deutlich, den Verdi z.B. in diesem Brief anschlägt:


    "Inmitten dieser Erschütterungen in aller Welt habe ich weder Kopf noch Lust, mich um meinen Kram zu kümmern, aber ich bin verpflichtet, daran zu denken und ernsthaft daran zu denken. Sag mir also, ob du mir eine Libretto machen würdest, wenn ich dir's vorschlüge? Das Sujet müßte ein italienisches und freiheitliches sein; und wenn du kein besseres findest, schlage ich dir Ferruccio, eine gigantische Persönlichkeit, vor, einen der größten Märtyrer für die italienische Freiheit. Die Belagerung von Florenz von Guerrazzi könnte dir große Szenen verschaffen, aber ich möchte, daß du dich an die Geschichte hältst.[...] Erinnere dich, daß ich ein ausführliches Szenarium liebe, weil ich meine Bemerkungen zu machen habe; nicht, daß ich mich für imstande hielte, so eine Arbeit zu beurteilen, sondern weil es mir unmöglich ist, gute Musik zu machen, wenn ich das Drama nicht gut verstanden habe."


    (Mit Ferruccio ist hier der italienische Heeführer Francesco Ferrucci (1489-1530) gemeint, der auch in der Hymne "Fratelli d'Italia" erwähnt wird.)

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Ich glaube, es war immer eine gemeinsame Arbeit. Mag sein, daß ein Libretto bereits "fertig" war, so gabe es doch stets eine Mengen an Änderungswünschen. Diese kamen natürlich in erster Linie vom Komponisten - jedoch war es damals üblich daß Primadonnen mit dem ihnen zugedachten Part nicht zufrieden waren. Weitere Arien mussten eingeschoben werden - aber so, daß der Fluß der Handlung möglichst nicht beeinflusst wurde. Es gab (beispielsweise bei Cosi fan tutte) zahlreiche "Alternativarien", welche je nach Anforderungen andere Arien ersetzten.
    Schon Mozart klagt, daß es fast nur "schlechte" Libretti gäbe. Lorenzo Da Pontes Libretti indes waren gesucht. Mozart und Salieri stritten sich geradezu darum, wer welches vertonen durfte. Der listige und geschickte Da Ponte vermochte es fast immer, BEIDEN einzureden, daß er das bessere und interessantere Libretto erhalten habe.
    "Die herausragendste Eigenschaft da Pontes war seine Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse des jeweiligen Komponisten" - so schreibt Wikipedia in ihrem Artikel über Da Ponte. Und das dürfte auch stimmen. Daponte war einer der bedeutendsten Librettisten seiner Zeit. Er arbeitete für Mozart, Salieri, Righini, Weigl, Soler, Gazzaniga , von Winter......und andere.
    Insgesamt beläuft sich die Anzahl seiner Libretti etwa auf 40.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Wiewohl die Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal großartige Werke zur Folge hatte, erkennt man aus deren Briefwechsel, wie hart sich die beiden zusammenstreiten mußten, um formvollendete Werke der Welt zu schenken.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Wiewohl die Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal


    Ja, lieber Milletre, diese beiden haben sich sehr erfolgreich gestritten, denn was dabei herauskam, ist in der Welt der Opernlibrettos wohl einmalig. Jeder Text von Hofmannsthal könnte auch als Schauspiel bestehen. Ein Beweis dafür, wie anspruchsvoll Opertexte sein können, wenn beide Seiten auch extrem hohe Vorstellungen haben und sich beide dann doch einigen können!


    Strauß hat ja ähnliche Anforderungen auch nach Hofmannthals Tod gestellt. Nicht nur Clemens Krauß in Capriccio oder der eher nicht so bekannte Joseph Gregor (Friedenstag, Daphne und Die Liebe der Danae) haben gemeinsam mit Strauß tolle Texte gemacht. Besonders hinweisen möchte ich auf Die schweigsame Frau, deren Text Stefan Zweig erstellte. Was dieser da mit Strauß gemeinsam zu Papier gebracht hat, das ist Spitze. Oder was ist dieser Text sonst (Sir Morosus im 1. Akt, seine innersten Gedanken darlegend, ganz im Gegensatz zu seinem Auftreten als Frauengegner):


    Ja, das wär schön!


    Nicht so bang, nicht so leer, nicht so sterbensallein
    jeden Tag, jede Nacht mit sich selber zu sein
    Kein Sohn, keine Erbe, kein Neffe, kein Freund,
    kein Mensch uaf der Welt, der es herzlich meint.


    Ja, das wär schön!


    Irgendwen zu wissen, für den man da ist,
    der einem gut, der einem nah ist,
    mit dem man atmet, mit dem man denkt,
    wenn einem die Angst in die Kehle drängt.
    Irgendwen, für den man lebt und mit dem man stirbt,
    und daß einer da ist, wenn man erkaltet,
    der einem die Augen zudrückt und die Hände faltet.


    Ja, das wäre schön.


    Ein herrlicher Text. Übrigens wird diese Oper in einer traumhaften Bühnendekoration in der kommenden Spielzeit im Opernhaus Chemnitz wieder aufgenommen, mit einem phantastischen Franz Hawlata!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.