Torschlußpanik - oder Beginn des Goldenen Zeitalters ?

  • Was ist los in der klassischen Tonträgerszene? Faktisch jede Firma, die sich das leisten kann - und wahrscheinlich auch einige, die sich das nicht leisten können - verscherbelt ihre Schätze zum Billigstpreis - meist in Megaboxen verpackt und gedankenlos zusammengestellt. Wie Fallobst oder verderbliche Fleisch- oder Wurstwaren - alles muß noch rasch raus ?
    Parallel dazu gibt es aber jede Menge an Wiederveröffentlichungen und sogar - man höre und staune - echte Neuerscheinungen, wovon sich manche schon nach einem Jahr im Budget Segment wiederfinden.
    Im Augenblick weiß man gar nicht woher man das Geld nehmen soll, all die Billigangebote wahrnehmen zu können, die es derzeit gibt.
    Es wäre ja kein Unglück, wenn nach einer Billigphase die Sachen wieder zum Normalpreis zurückkehrten - aber die traurige Erfahrung lehrt, daß solche Aufnahmen dann zumeist für Jahre in den Archiven verschwinden.
    Auffällig aber auch die Geschwindigkeit in der derzeit Neuaufnahmen produziert werden , neue Label gegründet werden oder sich plötzlich am Markt zu positionieren versuchen.....
    ich war schon erstaund was jpc gestern alle an mir unbekannten im Katalog hatte - und das meiste ist soeben erschienen - oder wird in den nächsten Tagen erscheinen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Also, mir geht diese Billigboxenschwemme ziemlich auf den Geist. Erstens, weil ich die Erfahrung gemacht habe, je dicker, umso unwahrscheinlicher, dass der Inhalt wenigstens einmal komplett gehört wird. Das war auch schon zu Vinyl-Zeiten so, deshalb kann man noch heute schöne Gesamtaufnahmen von xyz beim second-hand Händler, ebay etc für'n Appel und'n Ei ergattern, deren Inhalt praktisch MINT ist. Ich habe z.B. auf 170 CDs die Gesamtaufnahme von Bach (Hänssler Edition, gab es mal als Tschechische Lizenz kurz sehr günstig) und ich habe noch nicht mal 10% des Inhalts gehört. Alle anderen Bach CDs, die ich besitze, habe ich mindestens einmal komplett gehört. Außerdem entwerten diese ganzen billigen Boxen zukünftige Aufnahmen. Wer schon drei sehr gute Mahler-Totale für je 30 € im Regal stehen hat, tut sich schwer, für eine Einzelaufnahme noch einmal € 25 hinzulegen. Letztendlich macht das den Markt endgültig kaputt, auch den second hand Markt, denn wenn es die Box mit allen Symphonien von Beethoven für 9,99 gibt, kann ich eine einzelne CD aus dem Zyklus praktisch nicht mehr anbieten. Wahrscheinlich wird man in wenigen Jahren für ein paar Euro Zugang zum Gesamtbestand eines der Major Labels bekommen und ihn dann komplett runterladen können. Und Neuaufnahmen können die Künstler im Selbstvertrieb unter die Fans bringen, vielleicht ähnlich wie das viele Popstars machen, die live CDs vom Event nachliefern.
    Was mir bei vielen Boxen auch sauer aufstösst, ist die lieblose Verpackung. Also, das Minimum ist für mich eine bebilderte Papphülle z.B. mit dem Design der Originalhülle. Einfach nur weiße Heftchen mit Fenster geht für mich gar nicht, wie soll ich da unter 50 CDs die finden, die ich gerade hören will.
    Die einzige Megabox, die ich mir in den letzten Jahren geleistet habe, ist die erste mit den Mecury Living Presence Aufnahmen.

    Die höre ich aber sicher alle durch und die wären einzeln auch kaum zusammenzubekommen. Die zweite kauf ich nicht, da habe ich jetzt schon zuviel von.
    Also, ich lass die Boxen stehen und konzentriere mich aufs Nischenrepertoire, da stellt die Einzel-CD noch einen zumindest ideellen Wert dar.

  • Ich verstehe es ja auch nicht wirklich, aber es hat wohl etwas mit der Ablösung der CD durch den Download zu tun. Momentan ist alles sehr billig, bald wird alles wieder teurer sein und wahrscheinlich das CD-Angebot wesentlich kleiner. Das Ziel ist wohl, Downloads künftig teuer anzubieten, viel Geld für wenig Leistung, und damit das funktioniert, will man vorher die CD umbringen, damit es keine Konkurrenz gibt. Klingt das logisch?
    ?(

  • Das Ziel ist wohl, Downloads künftig teuer anzubieten, viel Geld für wenig Leistung, und damit das funktioniert, will man vorher die CD umbringen, damit es keine Konkurrenz gibt. Klingt das logisch?


    Klingt sehr logisch. (Einschränkung: funktioniert bei Oligopol-Situation)

  • Zitat

    Das Ziel ist wohl, Downloads künftig teuer anzubieten, viel Geld für wenig Leistung, und damit das funktioniert, will man vorher die CD umbringen, damit es keine Konkurrenz gibt. Klingt das logisch?


    Nicht unbedingt.
    Ist eine Altersfrage und eine Frage der Käuferstruktur.
    Allerdings hat man davon sowieso keine Ahnung - wird also darauf keine Rücksicht nehmen - und dann wie ein begossener Pudel dasitzen, wenn alles schiefgegangen ist.


    Die Schicht der regelmäßigen Klassikkäufer ist eher nicht in der absoluten Jugend zu suchen. Das spüren wir ganz deutlich bei Tamino, denn ein Gutteil unserer "Wunschklientel" - die an Klassik interessierten und Informierten - ist eher Computerfeindlich - und wenn schon das nicht - so wenigstens Internetfeindlich eingestellt. Beim Internet-Versandhandel addieren wir noch jene Gruppe dazu, die Telebanking etc gegenüber feindlich eingestellt ist - und so "rationalisiert" man sich ein Gutteil seiner Kunden weg.
    Ich werde beispielsweise NIE für einen Download etwas bezahlen - sprich - ich werde meine Sammlung einfrieren. Mit einem Archiv von einigen tausend CDs - und einem gesunden Desinteresse an Leuten wir Lang-Lang, Garrett oder ... ach mir fallen im Moment keine weiteren Namen ein - ich habe sie vermutlich verdrängt - kann ich mir das leisten.
    Ich will nämlich weder ein "durchorganisiertes virtuelles" System auf Festplatte oder Speicher, wo ich jede Weile Sicherungskopien herstellen muß - noch selbstgebrannte Cds von Internet -Downloads, wo die Haltbarkeit zweifelhaft ist und dann muß ich noch - die Hüllen drucken und die Jewel-Cases aus eigener Tasche bezahlen.
    Die meisten SAMMLER - wollen Musik nicht nur hören - da könnte ich ins Konzert gehen - nein sie wollen sie BESITZEN - und das optisch möglicht eindrucksvoll.
    Früher hat man das gewusst - heute setzt man sich über Kundenmentalität zynisch lächelnd hinweg - mit der Bemerkung, der Kunde werde schon kaufen, wenn er keine andere Alternative hat. Meist vergeht den Firmeninhabern das Lachen wenn sie auf die Umsatzentwicklung sehen - aber zum einen ist es dann meist zu spät - zum anderen werden sie von den verantwortlichen Managern beschwichtigt. Ich erinnere mich, als EMI bei Klassik CDs "Copy Control" einführte, eine qualitätsverschlechternede Maßnahme die Tonqualität und Abtastsicherheit der CDs verschlechterte. Da gab es böse Briefe im Internet, auf die ein EMI Mangager sinngemäß antwortete: "Es ist sinnlos etwas dagegen zu schreiben - wir haben das so entschieden - der Zug ist abgefahren"! Ich erinner mich nicht, ob ich öffentlich oder direkt an die Adresse dieses Managers geschrieben habe. Sinngemäß war der Kernsatz in etwa der. "Ich werde, solange diese qualitätsverschlechternde Maßnahme beibehalten wird, keine Aufnahme Ihres Labels kaufen. Und ich halte das länger durch als Sie ihren Arbeitsplatz behalten." - Eine Prognose, welche sich erfüllt hat. EMI hat die Neuauflagen wieder ohne den Schutz gemacht - Wer heute noch von den damaligen Entscheidungsträgern im Amt ist - das kann ich nur erahnen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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