Hallo Taminos!
Ich möchte diesen Thread einem Werk widmen, dass noch immer kaum beachtet wird und Vorurteile seine wahre Bedeutung überschatten.
Ich möchte gleich vorne weg sagen, dass ich ein grosser Bewunderer dieses Werkes bin und ich es eigentlich nicht satt hören kann.
Das Violinkonzert d-moll von Robert Schumann stand von Anfang an irgendwie unter keinem guten Stern:
Joseph Joachim, der Widmungsträger, lehnte es ab mit der Begründung, es sei "kaum spielbar". Clara Schumann war bestürzt über die Schwächen des Konzerts und sorgte dafür, dass es verborgen blieb. Bis es 83 (!!!) Jahre 1937 nach seinem Entstehen von Georg Kulenkampff in einer leicht bearbeiteten Fassung von Schünemann und Hindemith uraufgeführt wurde. Im Auftrag der Nazis, die einen Gegenpol zum "jüdischen Konzert" von Mendelssohn suchten.
Schumann komponierte das Werk zu einer Zeit, wo er dem Wahnsinn schon sehr nahe stand. Dieser Kampf um Existenz und Vernunft ist dem Stück von der ersten Note an immanent.
Der erste Satz steht in strengster Sonatenform und besteht aus einem der widerborstigsten Themen aus Schumanns Händen und einem äusserst kurzatmigen elegischen Motiv. Aus diesen zwei Gegensätzen entwickelt sich der ganze Satz. Viel mehr kommt nicht mehr. Schumann bleibt fast durchgehend in d-moll und F-Dur und die Musik erhält dadurch etwas Unerbittliches und Zielgerichtetes. Manchmal möchte man fast aufstehen und ausschalten, weil die Musik einen so aufwühlt.
Der zweite Satz gehört zum Intimsten, was Schumann für Orchester schrieb. Ein verinnerlichter, fast schon meditativer Dialog zwischen Bratschen, Celli und der Solo-Violine, von einem unvergleichlichen Teppich des Orchesters unterlegt. Direkt im Anschluss folgt der
Dritte Satz. Eine Polonaise wird zu Beginn von der Violine vorgestellt, die sich ständig wiederholt und nur geringfügig variiert wird. Dieser Satz gehört zum sperrigsten in der Romantik. Der entscheidende Moment ist, wo das Cello ziemlich zu Beginn das Thema des zweiten Satzes anschlägt, aber klar wird, dass diese Zeiten vorbei sind.
Ein Drehtanz in den Wahnsinn!
Es gab immer wieder grosse Geiger, die sich des Werkes annahmen. Genannt seien hier Menuhin, Szeryng, Kremer, J. Bell, T. Zehetmair und R. Capucon. Aber durchsetzen konnte es sich nie.
Ein mit mir befreundeter Geiger, der schon die meisten der grossen Violinkonzerte der Klassik und Romantik "draufhat" und das Werk jetzt auf meine Empfehlung hin einstudiert, sagte dieses Wochenende zu mir, er liebt dieses Stück und er kennt nichts vergleichbares, aber das ist das Schwierigste und Undankbarste, das jemals auf seinem Pult landete. Es gibt keinen Takt, wo nicht irgend etwas Unangenehmes oder "Ungeigerisches" auf einen wartet. Und der Rest klingt nicht gut...
Eine kleine Statistik am Rande: Im aktuellen Bielefelder Katalog scheinen 7 (!) Aufnahmen des Stückes auf. Vom Klavierkonzert sind es 65. Das verhältnismässig stiefmütterlich behandelt Konzert von Dvorak schafft es immerhin, genauso wie das Berg-Konzert, auf 21. Selbst ein so undankbarer Schinken wie Elgars Konzert kommt mit 12 Aufnahmen fast auf die doppelte Anzahl!
Was mich jetzt interessiert ist
1. Warum, glaubt ihr, steht das Stück so sehr im Schatten sowohl anderer Violinkonzerte der Romantik als auch anderer Werke Schumanns?
2. Was denkt ihr über die Qualitäten des Stückes?
3. Welche Aufnahmen besitzt ihr bzw. schätzt ihr besonders?
Meine persönlichen Lieblingsaufnahmen (ich besitze fast alle, die je am Markt erhältlich waren) werde ich später vorstellen.
Viel Spass beim Schreiben und Diskutieren wünscht
Raphael