Schumann, Robert: Violinkonzert

  • Hallo Taminos!


    Ich möchte diesen Thread einem Werk widmen, dass noch immer kaum beachtet wird und Vorurteile seine wahre Bedeutung überschatten.
    Ich möchte gleich vorne weg sagen, dass ich ein grosser Bewunderer dieses Werkes bin und ich es eigentlich nicht satt hören kann.


    Das Violinkonzert d-moll von Robert Schumann stand von Anfang an irgendwie unter keinem guten Stern:
    Joseph Joachim, der Widmungsträger, lehnte es ab mit der Begründung, es sei "kaum spielbar". Clara Schumann war bestürzt über die Schwächen des Konzerts und sorgte dafür, dass es verborgen blieb. Bis es 83 (!!!) Jahre 1937 nach seinem Entstehen von Georg Kulenkampff in einer leicht bearbeiteten Fassung von Schünemann und Hindemith uraufgeführt wurde. Im Auftrag der Nazis, die einen Gegenpol zum "jüdischen Konzert" von Mendelssohn suchten.
    Schumann komponierte das Werk zu einer Zeit, wo er dem Wahnsinn schon sehr nahe stand. Dieser Kampf um Existenz und Vernunft ist dem Stück von der ersten Note an immanent.


    Der erste Satz steht in strengster Sonatenform und besteht aus einem der widerborstigsten Themen aus Schumanns Händen und einem äusserst kurzatmigen elegischen Motiv. Aus diesen zwei Gegensätzen entwickelt sich der ganze Satz. Viel mehr kommt nicht mehr. Schumann bleibt fast durchgehend in d-moll und F-Dur und die Musik erhält dadurch etwas Unerbittliches und Zielgerichtetes. Manchmal möchte man fast aufstehen und ausschalten, weil die Musik einen so aufwühlt.


    Der zweite Satz gehört zum Intimsten, was Schumann für Orchester schrieb. Ein verinnerlichter, fast schon meditativer Dialog zwischen Bratschen, Celli und der Solo-Violine, von einem unvergleichlichen Teppich des Orchesters unterlegt. Direkt im Anschluss folgt der


    Dritte Satz. Eine Polonaise wird zu Beginn von der Violine vorgestellt, die sich ständig wiederholt und nur geringfügig variiert wird. Dieser Satz gehört zum sperrigsten in der Romantik. Der entscheidende Moment ist, wo das Cello ziemlich zu Beginn das Thema des zweiten Satzes anschlägt, aber klar wird, dass diese Zeiten vorbei sind.
    Ein Drehtanz in den Wahnsinn!


    Es gab immer wieder grosse Geiger, die sich des Werkes annahmen. Genannt seien hier Menuhin, Szeryng, Kremer, J. Bell, T. Zehetmair und R. Capucon. Aber durchsetzen konnte es sich nie.
    Ein mit mir befreundeter Geiger, der schon die meisten der grossen Violinkonzerte der Klassik und Romantik "draufhat" und das Werk jetzt auf meine Empfehlung hin einstudiert, sagte dieses Wochenende zu mir, er liebt dieses Stück und er kennt nichts vergleichbares, aber das ist das Schwierigste und Undankbarste, das jemals auf seinem Pult landete. Es gibt keinen Takt, wo nicht irgend etwas Unangenehmes oder "Ungeigerisches" auf einen wartet. Und der Rest klingt nicht gut...


    Eine kleine Statistik am Rande: Im aktuellen Bielefelder Katalog scheinen 7 (!) Aufnahmen des Stückes auf. Vom Klavierkonzert sind es 65. Das verhältnismässig stiefmütterlich behandelt Konzert von Dvorak schafft es immerhin, genauso wie das Berg-Konzert, auf 21. Selbst ein so undankbarer Schinken wie Elgars Konzert kommt mit 12 Aufnahmen fast auf die doppelte Anzahl!


    Was mich jetzt interessiert ist
    1. Warum, glaubt ihr, steht das Stück so sehr im Schatten sowohl anderer Violinkonzerte der Romantik als auch anderer Werke Schumanns?
    2. Was denkt ihr über die Qualitäten des Stückes?
    3. Welche Aufnahmen besitzt ihr bzw. schätzt ihr besonders?


    Meine persönlichen Lieblingsaufnahmen (ich besitze fast alle, die je am Markt erhältlich waren) werde ich später vorstellen.


    Viel Spass beim Schreiben und Diskutieren wünscht
    Raphael

  • Vielleicht kann man das generell mit dem anscheinend "problematischen" Schumann (seiner tragischen Biographie wegen) begründen:


    Irgendwie gibt es nicht nur beim Violinkonzert in der Rezeption seiner Werke ganz merkwürdige Lücken.


    Das mit den so zahlreichen Aufnahmen z. B. seines Klavierkonzerts oder auch seiner "Frühlingssymphonie" ist ja schön und zeugt von der Beliebtheit diese Werke - aber neben diesen "schlummert" ja nicht nur das Violinkonzert und fristet eher ein Nischendasein.
    Das "Requiem" ist ja z. B. auch so ein Kandidat - wer weiß schon, dass Schumann überhaupt eins geschrieben hat? Oder seine einzige Oper "Genoveva" - ich erkenne, genau wie beim Violinkonzert, an diesen Werken keinen "Makel", der rechtfertigen würde, dass man diese Werke so sträflich links liegen lässt.


    Daher vermute ich mal, dass es was mit Schumann an sich zu tun haben muss?!?! Evtl. ist Claras gezielt gesteuerte "Nachlassverwaltung" hier immer noch zu spüren und verantwortlich dafür, dass sich manche Werke von Schumann einfach nicht durchgesetzt haben?
    Gerade sein berühmter Name hätte doch eigentlich vermeintlich "schwächeren" Werken wie seinem Violinkonzert trotzdem zu einem Durchbruch verhelfen müssen? Daher kann eigentlich nur ein äußerer Einfluss vermutet werden.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo!
    Also ich kann mit diesem Konzert nicht recht warm werden. Das liegt sicher nicht an der Aufnahme:

    Das geht mir aber beim Dvorak-Konzert genauso.
    Daß das Schumann-Violinkonzert derart unpopulär ist wie von Raphael beschrieben, wundert mich dann aber doch.
    Allerdings: Schumanns Klavierkonzert oder Brahms' Violinkonzert finde ich schon deutlich besser.
    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Also ich kann mit diesem Konzert nicht recht warm werden. Das liegt sicher nicht an der Aufnahme


    Hallo Pius!


    Das kann durchaus sein. Nach oberflächlichen Parametern ist dies sicher die "richtigste" Aufnahme. Warm werden kann ich damit allerdings auch nicht. Irgendwie klingt alles so ausgewaltzt und dem Klischee, dass Schumann ein schlechter Instrumentator war, nur allzu gerecht. Eigentlich liebe ich Harnoncourts Schumann sehr (vergleich den Thread zu Schumanns Sinfonien), aber hier stimmt irgendwas nicht. Wahrscheinlich wars doch zu gut gemeint.


    Wenn du dich für die Originalversion interessierst, möchte ich dir und allen anderen sehr die Einspielung von Thomas Zehetmair und dem Philharmonia Orcheatra unter Christoph Eschenbach ans Herz legen, die zur Zeit sehr günstig auf Apex (die billige Warner-Tochter) zu haben ist. Zehetmair spielt es im Grunde, genau wie Kremer, so, wie Schumann es geschrieben hat ohne Retouchen (ausser bei zwei, drei Stellen, die rein physikalisch einfach nicht spielbar sind!).
    Alle anderen Aufnahmen greifen mehr oder weniger zu Schünemann zurück.
    Also nicht von Harnoncourt/Kremer abschrecken lassen. Diese Aufnahme ist mehr ein Argument gegen, als für das Stück!


    mfg Raphael

  • Hallo Raphael,


    ich will auf Deine erste Frage zurückkommen. Das ist eine wahrhaft spannende Geschichte, die weiteres Licht auf die Leidensphase von Schumann wie auch die nationalsozialistische Musikpolitik wirft, und mir daher wert für einen längeren Beitrag scheint.


    Langer Weg bis zur Uraufführung 1937


    Schumann plante das Violinkonzert in seinem Projektebuch seit 1849-50. Der entscheidende Anstoß kam allerdings erst mit dem jungen Joseph Joachim (1831 – 1907), der im Mai 1853 in Düsseldorf Beethovens Violinkonzert spielte. Robert und Clara waren begeistert und freundeten sich mit ihm an. Schumann schrieb das Konzert vom 21. Sept. - 3. Okt. 1853, also in den Wochen, als auf Vermittlung durch Joachim am 30. Sept. 1853 erstmals Brahms zu Besuch kam.


    Clara, Brahms und Joachim waren anfangs vom Werk durchaus angetan. Als Clara 1854 – Schumann war bereits in Endenich – die Noten an Joachim schickte, antwortete der ihr am 22. Okt. 1854 überschwänglich: „Wie danke ich Ihnen für das Concert von Schumann, und dass sie sich meiner damit in dem bewegten Leipzig erinnert haben! Gewiß, es kann mir nichts schöner die Zeit Ihres Hierseins zurückrufen und die herrlichen Musik-Stunden mit Ihnen und Brahms, als die überschickten Noten.“ Schon 1853 war eine Uraufführung geplant, die jedoch auf Drängen der Düsseldorfer Musikdirektion ausfiel, die nicht mehr so viel Musik von Schumann auf den Programmen sehen wollte. Eine Wiederholung gab es dann nicht mehr.


    Das Thema des Violinsolo im zweiten Satz kehrt verwandelt wieder als "Geister-Thema" in Es-Dur, welches Schumann unmittelbar vor seinem Selbstmord-Versuch aufschrieb. Brahms hat 1862 in seinem op. 23 Variationen darüber geschrieben.


    Das Original blieb jedoch unveröffentlicht, weil Clara, Brahms und Joachim nach Schumanns Tod radikal ihre Meinung über das Violinkonzert änderten. Michael Struck weist in seinem Buch „Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns“ anhand von Brief-Auszügen minutiös die Veränderung nach. Offiziell hieß es später, sie wollten nicht nachträglich den Ruhm Schumanns durch Herausgabe von Werken beschädigen, die schon die Zeichen seiner Krankheit trügen. Angesichts der Qualitäten dieses Werks liegt es näher, dass es nicht mehr in Claras Bild von Schumann passte und wie sie die Ereignisse der Jahre 1853 – 56 sehen wollte.


    Nach dem Tod von Joseph Joachim verkaufte 1907 dessen Sohn Johannes den Autograph als Teil des Nachlasses an die Preußische Staatsbibliothek Berlin mit der Auflage, es frühestens 100 Jahre nach Schumanns Tod zu veröffentlichen. Der Geiger Adolf Busch (und möglicherweise auch Georg Kreisler) erkundigten sich nach einer Veröffentlichung. 1930 wurde erstmals der Klavierauszug gespielt, der im Städtischen Museum Zwickau vorlag.


    Schließlich konnte es unter etwas mysteriösen Begleitumständen vom Schott-Verlag in Mainz veröffentlicht werden. (Joachims Nichten, die Geigerinnen Jelly d'Aranyi und Adili Fachiri, und der schwedische Gesandte Palmstierna klagten über die Heimsuchung durch den Geist Schumanns, sie sollten das Werk aufspüren und veröffentlichen. Spukten da die Geister von 1854 weiter oder war das als geschickter Werbegag gedacht?).


    Der mit Johannes Joachim befreundete Verleger Hermann Strecker vom Schott-Verlag sandte das Werk aber Yehudi Menuhin und bot ihm die Uraufführung an. Inzwischen spielte Schumann jedoch eine wichtige Rolle für die nationalsozialistische Kulturpolitik. Daher wurde dem Schott-Verlag unter Androhung der Verlagsschließung verboten, das Werk durch Menuhin in den USA uraufführen zu lassen. Stattdessen kam es zur Uraufführung am 26. Nov. 1937 in Berlin. Hindemith hatte auf Wunsch des ihm befreundeten Geigers Kulenkampff den Violinpart verändert, was jedoch öffentlich nicht gesagt werden durfte, da Hindemith den Nazis nicht mehr genehm war.


    Ein Programm im Jahre 1937 in Berlin


    Die Uraufführung durch Georg Kulenkampf und Karl Böhm wurde als Festakt im Rahmen der Jahrestagung der Reichskulturkammer und der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" begangen. Das Programm war als "Festfolge" gestaltet:


    Wagner: Vorspiel zum 3. Akt des Lohengrin
    Goethe: Prometheus-Hymne (gesprochen durch den Staatsschauspieler Kayssler)
    Ansprache durch Robert Ley (Leiter der Deutschen Arbeitsfront)
    Ansprache durch Joseph Goebbels
    Uraufführung
    Nationalhymnen


    Am 6. Dez. 1937 folgte durch Menuhin die Aufführung in der New Yorker Carnegie-Hall mit Klavierbegleitung und am 23. Dez. 1937 in St. Louis mit Vladimir Golschmann. Er spielte die unveränderte Fassung des Urtextes. Joachims Nichte Jelly d'Aranyi spielte das Konzert am 16. Feb. 1938 in London mit Adrian Boult.


    Die letzte noch lebende Tochter von Schumann, Eugenie (1852 - 1938 ), hatte erfolglos versucht, im Interesse ihrer Mutter die Veröffentlichung zu verhindern. Auch das ist eine Frage wert, welchen Beitrag die Töchter Marie und Eugenie zur Legendenbildung um ihre Eltern geliefert haben. Sie hatten auf einen eigenen Beruf und eine eigene Familie verzichtet und ihr Leben ganz der Mutter gewidmet.


    In der damals nationalsozialistisch geführten Neuen Zeitschrift für Musik antwortete ihr 1938 in Heft 105 Robert Pessenlehner, Clara habe sich nicht gegen Joachim durchsetzen können, dem "im übrigen die Erkenntnis eines deutschen Werkes durch seine rassische Herkunft sowieso versagt bleiben musste". Pessenlehner sah die Herausgabe des Violinkonzerts in einer Linie mit der Herausgabe der Urtexte von Bruckner, Hugo Wolf und Bach, deren Werke ebenfalls durch eine Musikkritik verfälscht worden war, die kein Verständnis für deutsche Musik hatte. (Er selbst veröffentlichte 1937 ein Buch "Vom Wesen deutscher Musik").


    Yehudi Menuhins Urteil


    Menuhin war von Anfang an begeistert von dem Werk. Er antwortete dem Schott-Verlag: "Wenn Schumann dieses Konzert im Wahnsinn geschrieben hat, so möchte ich ebenfalls wahnsinnig sein."


    An Vladimir Golschmann schrieb er Juli 1937: "This concerto is the historically missing link of the violin literature; it is the bridge between the Beethoven and the Brahms concertos, though leaning more towards Brahms. Indeed, one finds in both the same human warmth, caressing softness, bold manly rythms, the same lovely arabesque harmonies. There is also a great thematic resemblance. One is struck with the fact that Brahms could never have been what he was without Schumann's influence!"


    Auch diese Fürsprache hat dem Werk jedoch keinen festen Platz im Konzertleben verschaffen können, wie Du überzeugend dokumentiert hast.


    Dem Wahnsinn nahe?


    Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob Schumann wirklich 1853 dem Wahnsinn nahe war. Tiefe seelische Konflikte hat er immer in seiner Musik dargestellt, und es zeichnete sich eine schwere persönliche und Ehekrise ab. Aber gerade im Sept. – Okt 1853 ging es ihm sehr gut, als Joachim und Brahms in Düsseldorf erschienen und ihm völlig neue Inspirationen gaben. Wenn es Dich interessiert, lies im Klavierforum über Schumanns „Gesänge der Frühe“ weiter. Dies Werk ist nach dem Violinkonzert entstanden.


    Viele Grüße,
    Walter

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Wir danken Raphael und Walter für die ausgezeichneten Beiträge zum Violinkonzert Schumanns. :jubel:


    Wir haben in folgende Aufnahmen hineingehört und möchten die einzelnen Interpretationen kurz vorstellen;


    Die Aufnahmen


    Aufnahme 1
    Thomas Zehetmair, Philharmonia Orchestra, Christoph Eschenbach
    Teldec 244 190-2 (1989).
    Relativ schnell gespielt, sehr dynamisch und expressiv, geigerisch sehr überzeugend und toll , mit starker Akzentuierung und flexibel , das Orchester leider etwas flach


    Aufnahme 2
    Gidon Kremer, Chamber Orchestra of Europe, Nikolaus Harnoncourt
    Teldec 4509-90696-2 (1994).
    Langsamer als die Zehetmayer-Einspielung, etwas pömpös und buchstabierend von der Geige vorgetragen aber gute Hell-Dunkel Changierung, solistisch geprägte Aufnahme mit schönem Orchester und schönen Streicherakzenten.


    Aufnahme 3
    Joshua Bell, The Cleveland Orchestra, Christoph von Dohnanyi
    Decca 444 811-2 (1996).
    Sehr schnell vorgetragen mit schlechter Oboenintonation und deplatzierter Flöte. Bell spielt sehr virtuos und sehr, verkommt beinahe zum Selbstzweck. Daher wohl auch einige Abweichungen zum Notentext.


    Aufnahme 4
    Renaud Capuçon, Mahler Chamber Orchestra, Daniel Harding
    Virgin Classics 7243 5 45663 2 5 (2004).
    Capucon hat einem wunderbaren Dialog mit dem Orchester und trägt sehr berührend vor, manchmal etwas rhetorisch. Schöner Rhythmus sowie auch guter dynamischer und farbliche Orchesterwechsel mit grosser Gewichtung der Trompeten.


    Aufnahme 5
    Georg Kulenkampff, Berliner Philharmoniker, Hans Schmidt- Isserstedt
    Teldec 4509-93672-2 (1937/1994).
    Alte Einspielung mit dementsprechendem Klang. Geiger hält sich nicht an den Notentext, grosse Oktavierung und seltsamen Verzierungen. Zusammenspiel etwas ungenau und vordergründig.


    Wir geben den Einspielungen von Capucon und Zehetmair den Vorrang.




    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo romeo&julia!


    Zitat

    Aufnahme 1
    Thomas Zehetmair, Philharmonia Orchestra, Christoph Eschenbach
    Teldec 244 190-2 (1989).
    Relativ schnell gespielt, sehr dynamisch und expressiv, geigerisch sehr überzeugend und toll , mit starker Akzentuierung und flexibel , das Orchester leider etwas flach


    Ich stimme euch zu, dass es ein sehr dynamisches und geigerisch überzeugendes Spiel ist.
    Ob es nun schnell ist, kann ich nicht sagen, da mir der Vergleich fehlt, aber mich würde interessieren, wie ihr eure letzte Aussage meint.
    Gibt es Verspieler, die mir bisher entgangen sind oder meint ihr, dass interpretatorische Differenzen zwischen Orchester und Solist bestehen???



    Mit etwas lückenhaften Erinnerungen denke ich an einen Konzerabend im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt zurück.
    Eine unglaublich intensive Spannung wurde erzeugt - leider kam es nicht zum ersehnten erlösenden Schluss (natürlich gab es einen Schluss, aber eben nicht so, wie ich ihn gebraucht hätte...).
    Daniel Hope war ein fantastischer Solist...da gab es wirklich nichts zu meckern.
    Wenn ich jetzt zu Hause die Zehetmair Aufnahme höre, empfinde ich fast gar nichts. Musikalisch gesehen gefällt es mir - es gibt tolle Facetten und Motive, aber innerlich lässt es mich irgendwie kalt.
    Vielleicht wiegt das Live-Erlebnis zu schwer oder die Interpretation ist nicht so doll...
    Ich weiß es nicht, aber vielleicht kommt irgendwann mal eine andere Aufnahme, die mich zu begeistern vermag.



    Viele Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Ich habe neulich festgestellt, dass ich noch gar keine Aufnahme dieses Konzerts habe, worauf mir kurze Zeit später auch schon die schöne Aufnahme von Henryk Szeryng und dem LSO unter Antal Dorati in die Hand fiel. (Aufnahme 1964, Tonqualität sehr gut). Ein Kennenlernen ist dieses gar nicht so spröde Werk auf jeden Fall wert, zumal man auch noch mit einer schönen Aufnahme des Mendelssohn-Konzerts und weiterer, ganz verschiedener Zugaben belohnt wird! Meine Empfehlung.
    Zu Schumanns Violinkonzert an sich vermag ich momentan noch nicht viel sagen zu können. Auch bin ich skeptisch, wenn Schumanns spätes Schaffen zu direkt in einen Zusammenhang mit seiner Erkrankung gestellt wird.


  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Auch bin ich skeptisch, wenn Schumanns spätes Schaffen zu direkt in einen Zusammenhang mit seiner Erkrankung gestellt wird.


    Diese Skepsis teile ich: Manches vom Spätwerk Schumanns (z. B. die Violinsonaten) hört sich für mich teilweise wie ein Aufbruch an, dem noch viel hätte folgen können. Was das Violinkonzert angeht, so präferiere ich heftig die von Pius bereits erwähnte Einspielung mit Kremer und Harnoncourt, die das Werk sehr überzeugend als ein "Anti-Virtuosenstück" interpretieren, etwa in der provozierenden Langsamkeit des letzten Satzes.

  • Zitat

    Original von Maik


    Ich stimme euch zu, dass es ein sehr dynamisches und geigerisch überzeugendes Spiel ist.
    Ob es nun schnell ist, kann ich nicht sagen, da mir der Vergleich fehlt, aber mich würde interessieren, wie ihr eure letzte Aussage meint.


    Zehetmair hat die gedruckte Notenausgabe mit Schumanns in Wien aufbewahrtem Autograph verglichen und dabei einiges korrigieren müssen - ich gehe davon aus, daß er sich genau an Schumanns ausführliche Angaben hält. Zu schnell finde ich seine Interpretation auf keinen Fall.
    Das "flach" könnte sich auf die aufnahmentechnische Darstellung des Orchesters beziehen, die Aufnahme strotzt nicht gerade vor räumlicher Tiefe. Andererseits ist es eine direkte Abbildung des Orchesters fast ohne Hall, die viel Transparenz schafft, zumal es auch nicht allzu groß besetzt scheint - ich bin mit der Aufnahme eigentlich zufrieden.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner

  • Joseph Joachim hat sich auch an der etwas schiefen Einschätzung von Schumanns späten Werken beteiligt, fand vieles an dessen Schreibweise für Violine "unspielbar" ... Wir werden es nie genau wissen, weil zuviele Noten, Dokumente und Briefe vernichtet wurden, weil Brahms, Joachim und Clara Schumann etwas verbergen wollten - was, bleibt Spekulation. Aber zu viele Autoren haben die schiefe Sicht auf Schumanns Krankheit einfach abgeschrieben. Schumann zu spielen und zu hören, ohne das alles im Hinterkopf zu haben, ist wahrscheinlich unmöglich.


    Ich sehe es auch so, daß Schumann (wie z.B. Tobias Koch anhand seiner Einspielungen der späten Klavierstücke und Kammermusik mit Violine und Klavier sehr überzeugend dargestellt hat) auf der Suche nach neuen musikalischen Wegen war, u.a. eine neuartige Balance zwischen Solist und Orchester und den verschiedenen Instrumenten in der Kammermusik suchte, die sehr zerbrechlich ist - z.B. wenn die Violine in der tiefen Lage spielt. Das funktioniert in HIP besser, wie man in Kochs/Landgrafs Aufnahmen gut hören kann. Insofern sind Kremer/Harnoncourt auf dem richtigen Weg. Schon Beethoven funktioniert ja besser wenn sich Solist und Orchester als gleichberechtigte Partner verstehen. Bei Schumann ist das noch ausgesprägter. Er war ja den Brilliant-Virtuosen seiner Zeit gegenüber sehr skeptisch eingestellt.


    Aufführunsgpraktisch wie psychologisch wirkt da noch vieles nach ...

  • Man kann auch (wie der Unterzeichnete), das Violinkonzert enttäuschend finden, die Violinsonaten (und das letzte Trio) dagegen ziemlich hoch schätzen... ;)
    Auch wenn man nicht das verheerende Urteil teilt, kann man einräumen, daß es ein sperriges, nicht sehr effektives Stück ist (und da hegt das Publikum eben andere Erwartungen bei Konzerten als bei Kammermusik) und daher die Vernachlässigung kein Wunder.
    Ich würde aber auch vorsichtig sein, daraus allzu weitreichende Schlußfolgerungen ableiten zu wollen. Ich halte auch das Oeuvre des "mittleren" Schumann für stellenweise recht inhomogen, teils innerhalb eines Werks (wie bei der 3. Sinfonie)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Auch wenn man mit der Aussage "Refernzaufnahme" eher vorsichtig sein sollte , so ist diese Empfehlung von Thomas Bernhard auch die meine . Eine geigerisch hervorragende Interpretation . Das LSO at its best und Dorati dirgiert souverän .



    Einen Zusammenhnag zwisch obert Schumanns diskutierten Erkrankungen und derm "wert" diese Violinkozertes kann ich nicht hören . Objektib gibt es in der Schumann - Literatur auch keine "Beweise" dafür .



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Diesen alten Thread wieder hervorzuholen, sei mir im Schumannjahr 2010 erlaubt.
    Angeregt durch eine entsprechende Diskussion hier im Forum habe ich vor ein paar Wochen die Schumann Box von Deutsche Grammophon erworben.
    Sie enthält neben vielem anderen auch die in diesem Thread bereits 2009 von Frank Georg Bechyna als Referenzaufnahme gewertete Einspielung des Violinkonzerts mit Szeryng und dem LSO unter Dorati.
    Das Violinkonzert war mir bisher unbekannt. Unvoreingenommen und ohne grosse Erwartungen hatte ich die entsprechende CD eingelegt und nun kann ich mich gar nicht mehr satt hören an diesem Konzert.
    Um so verwunderlich für mich, dass das Stück insgesamt so wenig bekannt ist, dass es es erst 1937 uraufgeführt wurde, dass dies die damals noch lebende Tochter (1852 - 1938 ) von R. Schumann verhindern wollte, dass aber die Nazis aus Propaganda-Zwecken daran interessiert waren und sogar aktiv verhinderten, dass Menuhin ihnen in den USA zuvor kam.
    Dies alles ist in diesem sehr empfehlenswerten Thread nachzulesen!


    Daniel

    2 Mal editiert, zuletzt von dnet ()

  • Lieber Daniel :



    Danke, dass Du den Thread wieder aufgenommen hast .


    Hier im Tamino-Klassikforum.at hat sich wie auch in persönliche Gesprächen mit mir Walter.T ( D - Bensheim ) grosse Verdienste
    erworben, um das Schumannsche Violinkozert angemssen zu würdigen .


    Ausführlicheres findest Du im " Schumann - Handbuch " ( 2206 , Bärenreiter - Verlag ) .


    Das Buch gibt es sicherlich in der Zürcher Uni-Biblitothek oder bei Musik Hug .



    Inzwische gibt es mehrere gute Aufnamen der Komposition ( unter anderem via amazon.com ) .


    Das Konzert wird in den letzten 20 Jahren auch vermehrt in Konzerten gespielt .


    Beste Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Lieber Frank,


    vielen Dank, im speziellen für obigen Hinweis und im allgemeinen für Deine zahlreichen fundierten Beiträge zum Thema Robert Schumann, die ich hier im Forum aufmerksam gelesen habe. Bisher kannte ich Schumann kaum. Langsam komme ich nun auf den Geschmack, so habe ich mir heute die 4. Sinfonie mit Furtwängler (DG) bestellt. Auch dazu inspirierte mich einer Deiner Beiträge...


    Herzliche Grüsse aus Zürich
    Daniel

  • Lieber Daniel :



    Mit der Etikettierung " referenzaufnahme " bin ich sehr zurückhaltend .


    Aber die von Dir hier erwähnte 4. Symphnoie von Robert Schumann in d - moll durch Wilhelm Furtwängler kann wohl unangefochten als
    d i e überragende Interpretation des Werkes angesehen werden !


    Furtwängler widerlegt hier auch beeindruckend , dass Schumann Schwächen bei der Orchestrierung gehabt habe .


    Dir sehr viel Freude mit der Erkundung der Werke robert Schumanns !


    Herzliche Grüsse Dir und nach Zürich ,


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Ich hörte Schumanns Violinkonzert heute in der Aufnahme mit dem WDR Sinfonieorchester Köln unter Heinz Holliger mit Patricia Kopatchinskaja als Solistin. Ich habe erst kürzlich entdeckt, dass es diese Aufnahme aus dem Februar 2015 mit ihr gibt und mir diese sofort besorgt. Ich kenne das Violinkonzert bisher in der Einspielung von Szeryng unter Antal Dorati und habe es 2014 live gehört mit Julia Fischer an der Violine. Für mich ist diese neue Aufnahme die beste Würdigung von Schumanns späten Werk, die ich bisher hören durfte.


    Frau Kopatchinskaja hat mich schon bei Beethovens Violinkonzert überzeugt. Ich will kein Bilderstürmer sein, aber op. 61 ist für mich nicht ganz frei von Längen. Nicht bei der energetischen Spielweise von P.K.! Ihr gelingt es, Spannung ohne jeden Schwulst zu erzeugen - Drive und Sog entstehen. So auch bei Schumann - hier hat ihr Spiel manchmal etwas herrlich Diabolisches, als ob kreislerianische Geister der Romantik auf den Ungeist der nationalsozialistischen Kulturpolitik trifft (siehe Einleitung dieses Threads) und das Stück die belastete Frage durchkämpft: Was ist deutsche Musik? Und sich davon freikämpft.



    Sehr empfohlen.


    Herzliche Grüße
    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Möchte noch eine Alternativ-Aufnahme vorstellen:



    mit dem


    Orchestre de Chambre de Paris,
    Thomas Zehetmair, Violine und Leitung


    erschienen im März 2016



    Spielzeiten Patkop/Zehetmair:


    1. 16:04 - 15:24
    2. 07:01 - 06:04
    3. 10:35 - 09:55


    Bereits Zehetmair's erste Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra weiß zu gefallen … diese ebenfalls.
    Gefällt mir noch etwas besser als mit Patricia Kop. … :pfeif:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Bereits Zehetmair's erste Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra weiß zu gefallen … diese ebenfalls.
    Gefällt mir noch etwas besser als mit Patricia Kop. …


    Gemass deiner Einschätzung bin ich ja, was das Schumann-VC anbetrifft mit Zehetmair/Eschenbach (APEX) in den besten Händen. Das ist auch meine einzige Aufnahme.
    Ich denke auch was die nicht in die Länge ziehenden Spielzeiten angeht: 14:41 - 6:22 - 9:12.
    Dabei war bei mir nie der Gedanke an eine Alternativaufnahme vorhanden, weil Zehetmairs Philharmonia Aufnahme einfach gut ist und voll zufrieden stellt.



    APEX, 1989, 1991 (Schumann), DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo!


    Am kommenden Dienstag werde ich gemeinsam mit der besten Ehefrau von allen in der Stuttgarter Liederhalle folgendes Konzert erleben:


    Ravel: Le Tombeau de Couperin (Orchesterfassung)
    Schumann Violinkonzert
    Beethoven: Sinfonie Nr. 3 Eroica


    Die Solistin des Violinkonzertes ist Patricia Kopachinskaja


    Als ich in Vorbereitung auf das Konzert entsprechende Einspielungen aus dem CD-Schrank ziehen wollte, musste ich zu meiner Schande erkennen, dass ich keine (es gibt ohnehin nicht allzuviele) Einspielung des Schumannschen Violinkonzertes besaß. Heute war erwartungsgemäß ein braunes kartoniertes Kuvert im Briefkasten, das diese Scheibe enthielt:



    Ausschlaggebend für den Kauf eben dieser Aufnahme war zum Einen der Preis, die Tatsache, dass ich mit Gidon Kremer nie falsch liegen kann und der Umstand, dass ich Martha Argerich, die das Klavierkonzert interpretiert, erst kürzlich live erleben durfte.


    Ich habe das Violinkonzert heute 3 mal gehört und bin mir sicher, dass es Einzug in mein Stammrepertoire finden wird.


    Mittels des Schumann-Handbuches (Bärenreiter Verlag) und diesem Thread habe ich mit der sehr widersprüchlichen Geschichte des Werkes befasst, die ich hinsichtlich der zeitweiligen Ablehnung und Geheimnistuerei nur sehr schwer nachvollziehen kann.


    Ich freue mich vor allem natürlich auch auf die Dame an der Violine, hat mich doch ihr Tschaikowsky-Konzert schon vom Hocker gehauen. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass sich an ihr die Geister (auch die Tamino-Geister) scheiden.


    Bin sehr gespannt.


    Gruß WoKa


    Kurzer Nachtrag:


    Wie ich kurz an anderer Stelle schon erwähnt habe, teste ich derzeit amazon Streaming Unlimited (und werde es auch abonnieren). Die meisten der einschlägigen und namhaften Aufnahmen sind so direkt abrufbar, u.a. auch die in diesem Thread erwähnte Aufnahme mit Frau Kopachinskaja.

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Walter T. hat in Beitrag 5 darauf hingewiesen, dass das Thema des 2. Satz des Violinkonzertes das "Geister"-Thema ist, dass Robert Schumann unmittelbar vor seinem Selbstmord-Versuch notiert hat.


    Wolfgang Kaercher hat die Violonistin Patricia Kopatchinskaja im vorangehenden Beitrag erwähnt. Sie interpretiert mit dem Dirigenten Christoph Eschenbach und den Musikern des SWR Symphonieorchester Schumanns Violinkonzert unter Corona-Bedingungen ohne Publikum.


    Ein Gänsehaut Moment beginnt bei 15 min 36 s: Vor dem 2. Satz spielt Christoph Eschenbach das erwähnte Thema Leise innig am Klavier, das Robert Schumann in seinen Geistervariationen Es-Dur verwendet hatte.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Isabelle Faust hat das schumannsche Violinkonzert d-Moll WoO 23 mit dem Freiburger Barockorchester und dem Dirigenten Pablo Heras-Casado beim Label Harmonia mundi herausgegeben. Die Musiker spielen auf Originalinstrumenten. (Einzig der Umstand, dass die Uraufführung des im Jahr 1853 erst im Jahr 1937 erfolgte, ist ein Widerspruch. Es könnte klanglich so den Intentionen des Komponisten entsprochen haben.)


    Man erhält zusätzlich eine DVD mit dem Mitschnitt eines Konzertes in der Berliner Philharmonie aus dem Jahr 2014.


    Das Klaviertrio Nr. 3 h-moll op. 110 ist neben dem Konzert auch auf der CD. Isabelle Faust spielt mit Jean-Guihen Queyras am Cello und Alexander Melnikov am Hammerflügel (1820).


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Erwähnt wurde diese CD noch nicht:


    Christian Tetzlaff hat das Violinkonzert d-Moll WoO beim Label Online 2011 veröffentlicht. Musikalische Mitstreiter sind das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt und der Dirigent Paavo Järvi.

    Die Scheibe wird mit der Fantasie C-Dur Op. 131 eröffnet, die wenig bekannt ist. Das Violinkonzert Mendelsohns e-Moll op. 64. ist der bekannte Hit. Schumanns Werk hat nicht diese Bekanntheit erlangt. Schade, denn es lohnt sich mit ihm zu beschäftigen.



    Sie ist in meinem Regal mit originalem Cover vertreten. Es gib sie preiswert in einer Ausgabe mit Katalog des finnischen Labels Online. Beim Werbepartner ist es die letzte Scheibe. ;)


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Für den Hinweis auf die Kombination Kopatchinskaja/Holliger bin ich Dir sehr dankbar, geschätzter Christian Hasiewicz. Im Zuge einer unverhofften Beschäftigung mit dem Schumann'schen Violinkonzert d-Moll WoO 23 (neuerdings teils auch WoO 1 genannt) habe ich mich auch mit der diskographischen Situation auseinandergesetzt. Die späte Wiederentdeckung in den 1930er Jahren ist ein kurioses Kapitel für sich. Die Großnichten Joseph Joachims, Jelly d'Arányi und Adila Fachiri, selbst Violinistinnen und beide dem Okkultismus zugeneigt, meinten, der Geist Schumanns und jener ihres Großonkels Joachim sei ihnen im Zuge einer spiritistischen Sitzung erschienen und habe ihnen aufgetragen, das Violinkonzert aufzuspüren und zur Aufführung zu bringen. 1933 schrieben sie an den Schott-Verlag und brachten die Sache ins Rollen. Schott machte die Partitur dann tatsächlich in der Preußischen Staatsbibliothek ausfindig. Die jüngste Schumann-Tochter Eugenie suchte diese Veröffentlichungspläne von der Schweiz aus erfolglos zu hintertreiben; sie starb weniger als ein Jahr nach der Uraufführung 1938 in Bern. So gelangte das Werk bereits bald zwei Jahrzehnte vor dem veranschlagten 100. Todesjahr Schumanns 1956 zu Gehör, denn eigentlich hatte Johannes Joachim, der Sohn, das Notenmaterial nach dem Tode seines Vaters 1907 nur unter dieser Auflage an die Preußische Staatsbibliothek gegeben. Dies widerrief er 1936 - vielleicht unter dem Eindruck der "nationalen Erwartungshaltung" - und gab die Publikationsrechte vorzeitig, gleichsam zum 80. Todestag Schumanns frei. Nach einer anfänglichen Euphorie, die sich in den ersten Schallplattenaufnahmen widerspiegelt (Georg Kulenkampff/Hans Schmidt-Isserstedt auf Telefunken 1937, Yehudi Menuhin/John Barbirolli auf HMV 1938), ist das Werk abermals in einen gewissen Dornröschenschlaf gefallen und wurde erst ab den 1960er Jahren schrittweise wiederentdeckt (erste Stereoeinspielung mit Henryk Szeryng/Antal Doráti auf Mercury 1964). Die Gründe wurden vielfach diskutiert und es dürften mehrere Faktoren eine Rolle spielen, also kein monokausaler Zusammenhang. Zunächst schufen Clara Schumann und Joseph Joachim mit ihrer Entscheidung für eine Nichtveröffentlichung des Violinkonzerts nach dem Tode Schumanns bereits die ungünstigen Voraussetzungen. Das Werk wurde mehr oder weniger als "eines Schumann nicht würdig" betrachtet (wobei sich ihre Hauptkritik offenbar auf den Finalsatz bezog). Ein zweiter Faktor scheinen die sehr hohen Anforderungen an den Solisten zu sein. Soweit ich der Literatur entnehmen konnte, gilt das Schumann-Violinkonzert als eines der schwierigsten des gesamten Repertoires. Daraus mag man dann für sich eine gewisse nicht ganz uneigennützige Ablehnung mancher Violinisten, vorgeblich allein aus qualitativen Erwägungen ("später Schumann" gleich "das Werk eines Wahnsinnigen"), zumindest nicht ganz ausschließen. Dass es keine Solokadenzen gibt, macht es auf eine Weise zum "Anti-Virtuosenstück". Und es tritt mindestens noch ein dritter Punkt hinzu, denn dass die NS-Größen Joseph Goebbels und Robert Ley der Uraufführung beiwohnten und das Werk insofern instrumentalisiert wurde, als dass es als "deutsches Violinkonzert" dasjenige Mendelssohns ersetzen und die Lücke zwischen Beethoven und Brahms schließen sollte, gab dem Ganzen zumindest einen fahlen Beigeschmack.

    Jedenfalls scheint auch mir Kopatchinskaja den Nerv des Werkes besonders gut zu treffen. Das "diabolische" Element ihres Spiels ist auch mir aufgefallen und es wird für meine Begriffe dem Werkcharakter vorzüglich gerecht. Dagegen wirkt der aufgrund seiner Bemühungen um das Werk nach wie vor eminente Szeryng zumindest in seiner "offiziellen" Einspielung vergleichsweise etwas "glatt", was aber auch von einem eher groben Dirigat unterstützt wird. Sehr imponierend dagegen die Aufnahme mit Baiba Skride/John Storgards auf Orfeo, die ein phänomenales Klangbild vorweist. Diese gefiel mir neben Kopatchinskaja/Holliger von den bisherigen am besten.



    Dass ein gesundheitlich bereits stark angeschlagener Komponist überhaupt noch imstande war, dergleichen zu Papier zu bringen, finde ich erstaunlich. Die Spätfolgen der Syphilis ereilten Schumann nach heutiger wissenschaftlicher Einschätzung in den frühen 1850er Jahren tragischerweise in zunehmendem Ausmaß. Der Kopfsatz des Violinkonzerts scheint mir durch seinen monumentalen Orchesterpart, der wenig Verschränkung mit dem solistischen Geigenpart aufweist, in die Zukunft zu deuten. Der langsame zweite Satz ist tatsächlich mit das Anrührendste aus Schumanns Feder. Der enge Bezug zu den "Geistervariationen" WoO 24, seinem letzten Werk, wurde mir auch jetzt bei der genaueren Beschäftigung deutlich. Am Rande bemerkt, soll Schumann die abschließende fünfte Variation sogar erst unmittelbar nach seinem in Suizidabsicht erfolgten Sprung in den Rhein niedergeschrieben haben. Der auffallend frohgemute Schlusssatz des Violinkonzerts ist auf seine Art ebenfalls meisterhaft. Er wurde in der Vergangenheit tendenziell eher zu schnell gespielt, was in den neuesten Interpretationen zunehmend Berücksichtigung findet und man versucht, den Intentionen Schumanns zu folgen. Noch ein kleines Kuriosum am Rande: In sehr vielen Veröffentlichungen und auf den meisten Aufnahmen wird der erste Satz des Konzerts mit "In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo" bezeichnet. Blickt man in das Autograph, so schreibt Schumann dort allerdings "Im kräftigen, nicht zu schnellem Tempo". Korrekt wiedergegeben in der von Christian Rudolf Riedel herausgegebenen Partitur bei Breitkopf & Härtel.


    autograph.jpg

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II,


    vielen Dank für deinen überaus substanziellen Beitrag! Da gibt es gleich mehrere Aspekte, auf die ich gerne näher eingehen würde, aber aus Zeitgründen möchte ich zunächst nur nachfragen, wo Du auf diese spiritistische Sitzung gestoßen bist - so etwas kann man sich ja wirklich nicht ausdenken und es erinnert mich fast ein wenig an eine der alten Legenden, in denen erzählt wird, wie die verschollenen Gebeine eines Apostels durch ein Wunder wiedergefunden wurden.

    Viele Grüße, Christian

  • Lieber Christian,


    die entsprechende Passage wird zwar auch bei Wikipedia zitiert, da dies aber zugegebenermaßen eine unzureichende Quelle ist, zitiere ich den von James Lyons verfassten Text von der Rückseite der 1965 erschienenen Mercury-LP mit Szeryng/Doráti (SR90406), deren Details man hier problemlos einsehen kann. Besagte Textpassage nochmal gesondert:


    mercurytext.jpg

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was für eine Geschichte! War mir unbekannt. Ganz wunderbar.


    Ich schätze das Konzert sehr und wollte mich immer schon mal näher damit befassen. Die Komposition hat für mich - auch schon im ersten Satz - manische Züge, das Werk kreist motivisch um weniger Themen als sonst bei Schumann üblich. Es findet eine Verengung statt, aber ich nehme sie nicht als Reduktion wahr, sondern eher als eine Intensivierung, die mit einer gewissen Besessenheit verfolgt wird. Das ist für mich die Qualität dieses Werks.


    Nochmals Danke für deinen schönen Beitrag!


    Viele Grüße, Christian

  • Aufgrund des Appetit machenden tollen Beitrages von Josef werde ich mich dem Schumann-VC auch wieder einmal widmen.


    Ich habe dem Schumann-VC nie so grosse Bedeutung beigemessen und besitze auch nur die Zehetmeier/Eschenbach-Aufnahme (APEX). :!:Ich werde mich aber auch mit Kopatchinskaja-Aufnahme zuwenden, die auch bereits das Beethoven-VC (voll nach meinem Geschmack) aus dem altmodischen Dornröschenschlaf geholt hatte. Die Aufnahme mit dem Hr-Sinfonieorchester (Frankfurt Radio Symphony Orchestra) ∙ Patricia Kopatchinskaja, Violine ∙ Philippe Herreweghe, Dirigent ∙ Alte Oper Frankfurt, 31. Oktober 2014 finde ich einfach fabelhaft, im Vergleich zu dem altmododischen "Kreissler-Kram" alter Zeiten. Ich denke, dass sich Kopatchinskaja gegenüber den anderen Aufnahmen genau so deutlich gegenüber den Anderen positiv absetzt, wie man zwischen den Zeilen in den vorigen Beiträgen bisher bereits entnehmen kann.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose