Deutsche Orchester und ihre Aufnahmen

  • Liebe Musikfreunde


    Die Idee zu diesem Thread kam mir vor knapp einer Stunde im Rahmen der Archivierung vieler Aufnahmen von "Nischenrepertoire", veröffentlicht beispielsweise bei cpo, NAXOS oder anderen unabhängigen Labeln.
    Da finden sich dann gerne englische Übersetzungen für deutsche Orchester, die noch dazu oft ziemlich freizügig gestaltet sind, wobei der eigentliche Name des Orchesters diskret verschwiegen wird - eine Unart zwar, aber eine mit der wir vermutlich auch in Zukunft leben werden müssen. Es war beispielsweise nicht ganz einfach festzustellen, ob "New Brandenburg Philharmonic Orchestra" mit "Neubrandenburger Philharmonie " identisch ist - vor allem dann wenn man als Ausländer die korrekten Namen der viele deutschen "Provinz- und Rundfunkorchester" gar nicht kennt - notabene weil sie oftmals den Namen wechseln, aufgelassen oder zusammengelegt werden - was der Übersichtlichkeit auch nicht gerade dienlich ist. Theoretisch kann man mittels Eingabe des Dirigenten auf der CD das Orchester , beziehungsweise seine reale Bezeichnung im Internet finden - allerdings nur theoretisch, denn oft ist der Dirigent der Aufnahme ein Gastdirigent, und ausserdem wechseln manche Orchester die Chefdirigenten wie die Hemden.
    All das hat mich zur Überzeugung geführt, daß es einerseits eine interessante Aufgabe unserer Community wäre all diese oft recht verdienstvollen und regional bedeutenden Orchester etwas mehr ins Rampenlicht zu stellen - und ihre spezielle Eigenart , ihre Chefdirigenten und vielleicht auch mit ihnen verbundenen Solisten vorzustellen. Idealerweise gekrönt durch Hinweise auf einige wenige signifikante Aufnahmen UND einen Link auf die Homepage des Orchesters.


    Ein paar Wünsche zur Gestaltung:
    1. Pro Beitrag nur EIN Orchester
    2. Der aktuelle Titel des Orchesters sollte in der Kopfzeile des Beitrags aufscheinen
    3. Ideal - aber nicht Bedingung - wäre es, wenn die Orchester von jenen Mitgliedern beschrieben würden, die diese Orchester aus irgendwelchen Gründen gelegentlich schon LIVE gehört haben


    Ich hoffe auf zahlreiche Beteiligung und Interesse
    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Na dann mal los!


    In meiner Heimat Ostthüringen gab es bis Mitte der 90-er Jahre ein Theater in Gera und im 30 km entfernten Altenburg ein Theater. Jedes hatte ein eigenes Orchester. Gera das mit dem sehr poetischen Namen "Orchester der Bühnen der Stadt Gera" und Altenburg die "Landeskapelle Altenburg". Beide Orchester verfügten über eine große Tradition. So hat das Geraer Orchester in den Jahren 1917-1922 unter dem Kapellmeister Prof. Heinrich Laber sogar in der Leipziger Albert-Halle stets ausverkaufte Abonnement-Konzerte als Konkurrent zum Gewandhausorchester unter Nikisch gegeben. Seine Ursprünge reichen als Orchester am Reussischen Hof bis 1630 zurück, als Geraer Hofkapelle. 1888 wurde sie zur Reussischen Hofkapelle mit 30 Musikern.


    Das Altenburger Orchester existiert mindestens seit 1654, aber schon 1474 wird von öffentlichen Konzerten auf dem Altenburger Markt berichtet.


    Aber den Thüringer Landesfürsten war das zuviel Kultur. Es folgte an beiden Orchestern ein massiver Stellenabbau und ein neuer Beschluß: Beide Theater und damit beide Orchester fusionieren. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen, aber die (finanzielle) Macht der Politik war stärker. Der Beschluß wurde umgesetzt. Mit der Spielzeit 2000/2001 waren beide Theater fusioniert, aus 2 Orchestern mit insgesamt über 150 Musikern wurde ein Orchester, das "Philharmonische Orchester Altenburg/Gera" mit jetzt ca. 70 Musikern.


    Es hat längere Zeit gedauert, bis aus 2 Orchestern mit durchaus auch Vorurteilen gegeneinander ein Klangkörper wurde, der in Ostthüringen beide Theater bespielt, dazu jährlich 9 Sinfoniekonzerte (mit jeweils 2 Konzerten in Gera und einem in Altenburg) sowie div. Sonderkonzerte für sein Publikum bringt. Der gute Ruf unseres Orchesters geht so weit, daß es jährlich mehrere Anrechtskonzerte in der Dresdener Frauenkirche spielen darf.


    Besondere Verdienste um die Orchesterfusion haben sich die GMD Russell Harris und Gabriel Feltz gemacht.


    Um überregional bekannter zu werden, hat das Orchester in Zusammenarbeit mit Radio Bremen mehrere CD herausgebracht, so z.B.


    - Respighi - Fontana di Roma und Feste Romane sowie Suk - Scherzo Fantastique (Leitung Gabriel Feltz)


    - Richard Strauß - Eine Alpensinfonie und Ciurlionis - im Walde (Leitung Gabriel Feltz)



    - Richard Strauß - Don Juan und Don Quixote (Leitung Gabriel Feltz)




    - Brahms - Sinfonie Nr. 2 und Villa-Lobos - Großes Konzert für Violoncello und Orchester op. 50 (Solist Lukas Dreyer, Dirigent Eric Solen)


    Daß sich unser Orchester an so einen Riesen wie die Alpensinfonie gewagt und diese auch durchaus bravourös dargeboten hat, das erfüllt uns mit einem gewissen Lokalstolz. Das wäre jetzt kaum noch möglich ohne Gäste, denn 70 Mann reichen für die Straußschen Werke nicht. Zur Zeit der Aufnahme waren es noch fast 100 (einige Gäste mußten aber auch verpflichtet werden, um die Strauß´sche Originalbesetzung einzuhalten)


    Zur Zeit wird seit 2 Spielzeiten ein neuer GMD gesucht, nachdem Feltz nach Stuttgart und nun nach Dortmund ging. Sein Nachfolger Eric Solen konnte die Qualität des Orchesters halten, aber nicht ausbauen. Dessen hochkarätiger Nachfolger Howard Arman (immerhin 2-facher Echo-Klassik-Preisträger) konnte leider nur eine Spielzeit gehalten werden, er wirkt jetzt in Luzern.


    Wir hoffen, daß bald ein neuer GMD Kontinuität in unser Orchester bringen wird und von den finanziell Verantwortlichen in den Städten, Kreisen und vor allem vom Land alles getan wird, die Ostthüringer Kulturlandschaft nicht noch weiter zu zerstören.


    Ich möchte nur noch erwähnen, daß Gera einen der schönsten neoklassischen Konzertsaal in ganz Thüringen, wenn nicht in ganz Ostdeutschland hat.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Auch den deutschen Orchestern zuzuordnen ...


    In allerbester Erinnerung geblieben ist mir das Georgische Kammerorchester Ingolstadt (Bayern), das aus dem Staatlichen Georgischen Kammerorchester hervorgegangen war und 1964 in Tiflis gegründet wurde. 1990 ging das Orchester ins westliche Exil und siedelte sich in Ingolstadt an. Künstler wie David Oistrach, Svjatoslav Richter, Bruno Weil, Barbara Hendricks, Daniil Schafran, Gidon Kremer, Edita Gruberova, Giora Feidman, Lynn Harrell, Mstislav Rostropowitsch, Sergei Nakarjakow, Rudolf Buchbinder, Christian Zacharias, Baiba Skride, Natalia Gutman, Ulrich Nicolai, Sharon Kam und Gilles Apap haben mit dem Orchester gearbeitet. Auch heute noch spielen fast ausschließlich georgische Musiker in diesem Orchester. Zwischen 2000 und 2006 leitete Markus Poschner als Chefdirigent das Orchester, seit Januar 2007 ist Ariel Zuckermann der künstlerische Leiter.


    2010 wurde das Ensemble in die Liste der staatlich geförderten Kulturorchester des Freistaat Bayern aufgenommen.


    Ich hörte dieses Orchester vor ca 15 Jahren während eines open-air-Konzertes an der Donau in Ingolstadt. An das Programm kann ich mich leider nicht mehr erinnern … aber doch an das letzte Stück, das gegeben wurde: Der Bolero von Maurice Ravel. Was diese Darbietung für mich so interessant und erinnerungswürdig macht, war die Tatsache, dass während der Aufführung ein Gewitter mit pechschwarzen Wolken und unheilvollen Blitzen hinter dem Podium aufzog und der Dirigent (auch seinen Namen hab ich leider nicht mehr auf dem Schirm) richtiggehend „Gas“ gegeben hat, um das Stück noch vor dem Unwetter zu Ende zu retten. Ein Parforceritt der besonderen Art, was dem Bolero aber unendlich gutgetan hat; man spürte, dass dieses Stück aus einem Tanz hervorgegangen war. Einen "besseren" Bolero hab nicht gehört; ein einzigartiges Erlebnis und ein besonderes Orchester.
    :)