Interpretenkarrieren - Liveauftritt oder Tonträgerpräsenz

  • Die Idee zu diesem Thread kam mir vor einigen Stunden, als in einem anderen Thread unter anderem die Frage aufgeworfen wurde, ob ein Komponist den Weg zum Mainstream hauptsächlich über öffentliche Aufführungen oder über Tonaufnahmen mit Veröffentlichungen auf CD schafft. Das war dort allerdings nur ein kurz hingestreuter Gedanke, nicht der Hauptstrang des Threads.
    Hier jedoch ist genau das die Frage - allerdings auf Interpreten bezogen.
    Es ist schon klar, daß ein ausgewogener Mix den Idealfall darstellt.
    Aber prinzipiell kann man den geplanten Verlauf einer Interpretenkarriere von zwei Standpunkten betrachten:


    1) Ich reise mein Leben von Konzertsaal zu Konzertsaal und versuche auf diese Weise das Publikum zu erobern.
    Tonaufnahmen stellen eine willkommene unterstützende PR Maßnahme dar.


    2) Gelegentlich trete ich live auf, damit ich nicht in Vergessenheit gerate, quasi als PR für meine CDs
    Aber meine eigentliche Einkommensquelle sehe ich in Tonaufnahmen.
    Einmal gemacht, fliessen die Tantiemen lebenslang, die Aufnahmen vermitteln ein positives Bild von mir -
    und wenn ich will setze ich mich mit 40 zur Ruhe.......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • 1)Ich reise mein Leben von Konzertsaal zu Konzertsaal und versuche auf diese Weise das Publikum zu erobern.
    Tonaufnahmen stellen eine willkommene unterstützende PR Maßnahme dar.


    2)Gelegentlich trete ich live auf, damit ich nicht in Vergessenheit gerate, quasi als PR für meine CDs
    Aber meine eigentliche Einkommensquelle sehe ich in Tonaufnahmen.
    Einmal gemacht, fliessen die Tantiemen lebenslang, die Aufnahmen vermitteln ein positives Bild von mir -
    und wenn ich will setze ich mich mit 40 zur Ruhe.......


    Ich denke, beide Standpunkten hinken! Gehen sie doch davon aus, dass ich mich als Interpret für einen der beiden entscheiden könnte. Im Normalfall wird dies kaum so sein; z.B.


    - Bin ich noch unbekannt, werden die meisten Konzertsäle und Tonstudios für mich verschlossen bleiben, sofern ich keinen brauchbaren Agenten habe.
    - Zumindest im Rock/Pop-Bereich wird schon lange kein Geld mehr mit Tantiemen an Aufnahmen, sondern Live-Auftritten verdient. Und ich meine gelesen zu haben, dass die inzwischen auch für den Klassik-Bereich gilt.


    Und wenn ich tatsächlich soweit gekommen bin, mich zwischen 1) oder 2) entscheiden zu können, habe ich es vermutlich nicht mehr nötig, noch Karriere zu machen ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Einmal gemacht, fliessen die Tantiemen lebenslang, die Aufnahmen vermitteln ein positives Bild von mir -
    und wenn ich will setze ich mich mit 40 zur Ruhe.......


    Reines Wunschdenken!


    - In den meisten Fällen gibt es für eine Plattenaufnahme ein einmaliges Honorar. Längerfristige Einnahmen gehen zu Gunsten der Plattenfirma, die das alleinige Risiko bei der Produktion übernahm.


    - Nur Stars mit außergewöhnlich hohen zu erwartenden Auflagen können prozentuale Anteile am Verkaufserlös aushandeln. Und das nur für die Originalausgabe (nicht für spätere Ausgaben in anderer Form). Sie haben aber ein Problem, das im nächsten Punkt abgehandelt wird.


    - Nur ein ganz kleiner Teil von Klassik-CDs bringt für längere Zeit Geld ein. Die Künstler, die auf dieser Basis leben könnten, wären schnell abgezählt. Mir fällt im Moment nur Glenn Gould ein, der dies tatsächlich praktiziert hat.


    - Man denke an Markus Schirmers Aussage, dass der typische Klassikkünstler mit CDs kein Geld verdienen kann. Sie dienen in erster Linie als (immerhin bezahltes) PR-Material für die Karriere. Ohne ständiges Auftreten ist man praktisch kein Künstler...


    - Es gibt aber Künstler, die teilweise nach dem obigen Prinzip arbeiten können. Die kommen aber aus dem Pop-Bereich. Dort gibt es Stückzahlen, wo ein prozentueller Anteil am Gewinn sehr schnell enorme Beträge ergibt. Ich habe einmal einen Artikel über die Verkaufszahlen eines bekannten österreichischen Pop-Künstlers gelesen. Der verkauft seit ca. 15 Jahren CDs in Mengen, die Anna Netrebko sicherlich vor Neid erblassen lassen würden. So hat er vor einigen Jahren eine Cover-Version eines Welthits aufgenommen, die in Österreich gar nicht sonderlich aufgefallen ist. Aber alleine in Frankreich hat sich die Scheibe ca. 800.000 Mal verkauft! DAS sind Stückzahlen, die den Rubel rollen lassen. Die gesamte Klassikwelt produziert vielleicht eine Hand voll Scheiben pro Jahr, die sechsstellige Produktionsziffern erreichen, in der Pop-Branche gibt es unzählige Künstler mit siebenstelligen Verkaufszahlen! Da sind klassische Musiker vergleichsweise arme Würstel.


    - Die lebenslangen Tantiemen sind auch eine Domäne des Pop-Bereichs. Wenn z.B. Opus 1985 einen weltweiten Nummer 1 Hit landen, der noch ein Vierteljahrhundert später auf der ganzen Welt regelmäßig gespielt wird, dann ist das wirklich eine nur langsam versiegende Geldquelle. Aber das Geld bekommen nicht die Musiker von Opus, sondern die Rechteinhaber am Song (ebenfalls Opus!). Es ist der Song, der das Geld langfristig verdient, nicht der Interpret! In der Pop-Branche sind aber die Interpreten sehr oft auch die (Mit-)Creatoren. Und damit ist die Lage der meisten Klassikinterpreten geklärt. Sie werden nur in wenigen Fällen längerfristig etwas von einer Aufnahme haben (aber ein Keith Jarrett wird wahrscheinlich heute noch am Köln Concert verdienen...)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Mein Eindruck ist, der Thread mit seiner durchaus nicht uninteressanten Fragestellung kommt Jahrzehnte zu spät. Gould oder Celibidache, in Teilen auch Knappertsbusch, die konnten sich noch in diese oder jene Richtung entscheiden, wenngleich sie auch nicht in das von Alfred vorgegebene Schema dieses Entweder/Oder passen würden. Es gibt auch in der Oper einige passende Namen. Auf Anhieb fallen mir die Olivero und die Gencer ein, die große Karrieren hatten, doch so gut wie keine Platten aufgenommen haben. Oft war die Abstinenz im Plattenstudio aber keine persönliche Entscheidung. Viele Künstler wurden aus marktpolitischem Kalkül einfach ausgegrenzt oder unter der Decke gehalten. Und zu Schelllackzeiten gab es bei vielen Sängern noch die grundsätzlichen Vorbehalte gegen das neue Medium. Sie haben deshalb keine Dokumente hinterlassen.


    Zudem teile ich die Äußerungen von Theophilus, dass Klassik den Firmen nie das ganz große Geld einbrachte, allenfalls haben sich Produktionen erst nach vielen Jahren Gewinn bringend amortisiert. Die Callas würde ich in dieser Reihe sehen, auch die Schwarzkopf, die noch im hohen Alter vertragsgebundenen Einfluss auf Wiederauflagen ihrer Platten hatte, Karajan allemal. Wichtig halte ich in diesem Zusammenhang auch die Verweise von Theophilus und Michael auf den Pop-Bereich. Ja, man kann die Klassik nicht losgelöst sehen, zumal Labels nicht selten mit den Einkünften aus diesem Sektor Klassik finanzierten.


    Heute ist es wieder ein bisschen anders. Und es ist ein neuer Aspekt hinzugekommen. Künstler müssen nämlich nicht selten die eigenen Aufnahmen bezahlen oder bekommen für Produktionen - oft Mitschnitte - keinen Cent. Sie haben nicht Alfreds Wahl, sie können froh sein, überhaupt auf Tonträger zu gelangen.


    Das sind einige Gedanken, die mir zum Thema einfallen.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Künstler müssen nämlich nicht selten die eigenen Aufnahmen bezahlen oder bekommen für Produktionen - oft Mitschnitte - keinen Cent.


    Immer spannender könnte in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Selbst-Vermarktung via Internet werden. Was im Pop/Rock-Bereich noch relativ zaghaft beginnt, wird sich mittelfristig wohl auch auf den Klassik-Markt auswirken. Ich kann mir gut vorstellen, dass vor allem junge Künstler, die mit diesem Medium aufgewachsen sind, mehr und mehr dazu übergehen, via Download, youtube o.ä. zu veröffentlichen. Hat nicht erst vor kurzem eine Pianistin einen Preis bekommen, die hauptsächlich Mitschnitte auf youtube eingestellt hat? - Insofern haben wir es hier mit einem dritten Standpunkt zu tun, der zukünftig kaum wegzudiskutieren sein wird.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Immer spannender könnte in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Selbst-Vermarktung via Internet werden.


    Dem würde ich auch voll zustimmen. Es drängen aber auch Menschen ins Netz mit Darbietungen, die den Namen Kunst nicht verdienen. Bei youtube gibt es da Beispiele ohne Ende. Wenn ich Lust hätte, könnte ich mich dort auch mit der "Winterreise" präsentieren oder als Tristan, was Gott verhüten möge. Das spricht aber noch lange nicht gegen das Netz. Eine der besten Seiten des Internets besteht für mich darin, dass man sich immer entscheiden muss, ob ich etwas sehen, hören oder lesen möchte oder eben nicht. Das Netz schult ständig das eigenen Urteilsvermögen und den eigenen Sachverstand - wenn man es denn zulässt. Es ist auf eine neue, atemberaubende Weise demokratisch und wird den Kunstbetrieb und Kunstmarkt noch viel stärker beherrschen sowie prägen als jetzt absehbar ist. Nur gut, dass unser aller Einfluss auch gegeben ist, indem wir hier eine Debatte um Musikdinge führen. Das stimmt mich hoffnungsfroh.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Das Wesentliche ist m.E. bei dieser Fragestellung bereits herausgearbeitet worden. Ich glaube Live-Auftritt und Tonträgerproduktion waren in keiner Zeit wirkliche Gegensätze. Für die Großen der Branche war es wichtig, dass sie bei den großen Opernhäusern und Festivals in tragenden Partien eingesetzt wurden. Dann wurden die Tonträgerproduzenten auf diese Sänger aufmerksam, verpflichteten sie wenn möglich mit einem Exklusivvertrag und versuchten dann diese prominenten Namen möglichst häufig zu vermarkten: Wie wären sonst die zahllosen Aufnahmen mit Sängerinnen und Sängern, wie Schwarzkopf, Jurinac, Mödl, Nilsson, Schock, Prey, Metternich, Fischer-Dieskau, Frick - um nur einige der ehemaligen Tonträgerfavoriten zu nennen - zustande gekommen? Heute kommt dazu, dass im klassischen Bereich kaum mehr Studioaufnahmen gemacht werden. Welche Firma hat den Mut und das Kapital z. B. einen neuen "Fidelio" oder eine "Zauberflöte" zu produzieren. Von beiden Opern gibt es hervorragende Einspielungen en masse.
    Auch das Internet hat die Hör- und Kaufgewohnheiten der Klassik-Freunde entscheidend beeinflusst und verändert und wird dies in zunehmenden Maße weiterhin tun.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Mein lieber Hans!


    Ich kann das von dir Gesagte bedenkenlos unterstreichen. Es ist für Plattenfirmen in der heutigen Zeit ein großes Risiko, eine Neuaufnahme einer bekannten Oper mit Solisten, die sich auf den großen Bühnen noch keinen Namen gemacht haben, zu produzieren. Da ist es wesentlich einfacher, eine Life-Aufnahme zu übernehmen auch auf Kosten der meist schlechteren Tonqualität, die ich beim kopieren aus dem Internet niemals akzeptieren würde.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Lieber Wolfgang,


    ich habe in München vor Kurzem beim Opernclub ein für mich außergewöhnlich befriedigendes Künstlergespräch mit dem wahrscheinlich aktuell führenden basso seriorso Hans-Peter König machen dürfen. Außergewöhnlich deshalb, weil es gelang, den eher sympathisch zurückhaltenden Sänger aufzuschließen und zu öffnen. Als dies gelungen war, kamen viele bedenkenswerte, durch weltweite Erfahrung fundierte Aussagen. Nach Feedbacks der Münchner Opern-Freunde eine Begegnung mit einem Künstler, die im Gedächtnis bleibt. Bei der Frage, ob sich Hans-Peter König Aufnahmen von anderen Sängern anhört kam ohne zögern die Anwort: "Selbstverständlich, aber fast ausschließlich Live-Aufnahmen." Nur in diesen könne er wirklich die Feinheiten der Gestaltung und Interpretation erleben. Live ist Bühnenleben wie es ist - Studioaufnahmen sind perfekte Kunstprodukte. Ich genieße beides, wende mich in den letzten Jahren aber immer mehr zur Liveaufnahme hin, weil auch ich diese authentischer und lebendiger empfinde. Dazu kommt, dass es immer weniger aktuelle Studioaufnahmen gibt. Deshalb kann die zur Zeit führende Sängerriege häufig nur in Live-Aufnahmen erlebt werden. Dafür nehme ich Abstriche in der Klangqualität in Kauf.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Mein lieber Hans!


    Ich hatte schon befürchtet, daß hier meine Aussage in diesem Thread falsch rübergekommen ist. Ich bezog diese auf professionelle Produktionen der großen Plattenindustrie. Dies habe ich auch in dem Thread von Chrissy über die Aufführung der "Traviata" in Görlitz kundgetan.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

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  • Zitat

    Oft war die Abstinenz im Plattenstudio aber keine persönliche Entscheidung. Viele Künstler wurden aus marktpolitischem Kalkül einfach ausgegrenzt oder unter der Decke gehalten. Und zu Schelllackzeiten gab es bei vielen Sängern noch die grundsätzlichen Vorbehalte gegen das neue Medium. Sie haben deshalb keine Dokumente hinterlassen.


    Ja - Wir haben hier wieder ZWEI Gründe - warum ein Interpret KEINE oder nur wenige Tonaufnahmen hinterlassen hat - Und da hat sich nicht viel geändert. Die Ausgrenzung findet auch heute noch statt. Sie findet ihr unverhofftes (im wahrsten Sinner der Bedeutung des Wortes) Ende oft dann, wenn ein Sänger (oder Interpret) , den bisher nur wenige kannten, für einen anderen überraschend einspringen musste (oder durfte) - Dann blickt die gesamte Klassikwelt erstaunt auf - und die ersten Schallplattenverträge (gemeint ist hier die CD) lassen zumeist nicht langer auf sich warten.


    Es gab aber immer schon - und es gibt sie noch heute - Interpreten die in der sterilen Umgebung eines Studios ihr Potential nicht entfalten konnten. Diese Künstler brauchen das Publikum und die Bühnen- bzw Podiumsathmosphäre - die hier einfach fehlt. Solche Aufnahmen wirken dann oft blutleer und gekünstelt. Das Gegenstück - der Studio-Interpret, der sich im Studio - von allen Imponderabilien befreit - besser fühlt - ist, so glaube ich wenigstens - weitgehend ausgestorben.
    Das hat technische und kommerzielle Gründe gleichermaßen.


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !