Ist Klassikunterricht in der Schule wünschenswert oder kontraproduktiv?

  • Dieses Thema wurde schon ansatzweise im Thread
    Aufwind in der Klassikszene? - Aufwind in der Klassikszene!
    behandelt, der aber inzwischen ins allgemein politisch-weltanschauliche gerutscht ist, aber immer nah am Thema, sodass ich dort keinen weiteren Subthread eröffnen möchte, sondern einen Sonderaspekt hier speziell abhandeln möchte


    Dennoch werde ich einige Sätze aus diesem thematisch verwandten Thread entlehnen.
    (Eigentlich wurde er ja auch thematisch umgeleitet von:
    "Ist die Klassik wieder im Kommen ?"
    zu
    "Wer ist schuld dass so wenig Klassik gehört wird - die Politik ?")


    Hier hingegen geht es um die Frage ob "Klassische Musik" überhaupt einer Förderung bedarf, ja mehr noch, ob nicht gewisse Arten der Förderung (hier im Sinne von "forcieren" oder "Schulunterricht" gemeint) kontraproduktiv sind. Dazu später mehr.


    Ich schrieb an anderer Stelle:

    Zitat

    Persönlich halte ich "Klassik" nicht für etwas, das man den Leuten in der Schule vermitteln sollte, weil sie sie dann meiden werden, wie ich einst den Turnunterricht. Es sollte eher vermittelt werden, welches VERGNÜGEN damit verbunden ist.


    und MSchenk antwortete:

    Zitat

    Jetzt bin ich verwirrt! - Vermitteln oder nicht vermitteln, das ist hier die Frage?


    Wie ich bereits schrieb: Klassische Musik sollte kein Unterrichtsgegenstand sein - dazu mehr später


    Wir lernen ja auch nicht in der Schule, daß Sekt-Sorbet eine Köstlichkeit ist - das findet man in der Regel heraus.
    Ähnliches kann zu Parfüms gesagt werden (wenngleich ich hier manchmal daran zweifle, was da heutzutage angeboten wird), zu Konfekt, zu diversen anderen Luxusgütern. Aber in der Tat ist die Menschheit in vielerlei Hinsicht anspruchsloser geworden. Warum das so ist wird zu hinterfragen sein.


    Es sollte jedoch vermittelt werden, dass klassisches Musik ein Luxusgut ist, das ursprünglich nur wenigen zugänglich war, und daß man die - vielleicht sogar zeitlich begrenzte - Chance nutzen sollte, sich dieses Vergnügen zu leisten - solange es noch leistbar ist....


    Zitat

    Aufgrund des weit gespannten Bogens wurden leider manche Fragen nicht eingehender analysiert und beantwortet. Z.B., die Frage, warum man klassische Musik hören sollte.


    Eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre, dass nirgends postuliert wurde, dass man sie hören SOLLTE.
    Es handelt sich hier um ein Angebot, welches angenommen oder abgelehnt werden kann.


    Dieses Forum zum Beispiel ermuntert zum Klassikhören - missionieren will ICH indes NICHT.
    Wer nicht will, der hat schon gehabt......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    im Gegensatz zu Dir bin ich der Auffasung, dass die klassische Musik natürlich in die Schule gehört. Die Schule hat eine breite Allgemeinbildung zu vermitteln, sie hat die Schüler mit den kulturellen Hochleistungen diverser Epochen und Kunstsparten bekannt zu machen. Es wäre grotesk, gerade die klassische Musik davon auszunehmen. Man wird durch Schulunterricht keinen Klassikliebhaber erzeugen. Nur nebenbei: die weit und breit wohl einzige Ausnahme dieser Regel bin ich. Der im Grunde schlechteste Musikunterricht, den ich in meinem Schülerleben erteilt bekam (es war in den Klassen 5 und 6 im Alter von 11 und 12 Jahren), machte mich zum absolut leidenschaftlichen Anhänger von klassischer Musik. Also, wie ich schon sagte, durch Schulunterricht erzeugt man keine Liebe zur Klassik. Dazu braucht es (wie ich im anderen Thread bereits darlegte) positive erwachsene Vorbilder. Lehrer können, auch wenn sie noch so beliebt bei Schülern sind, diese Vorbildfunktion nur ganz bedingt (wenn überhaupt) einnehmen. Das liegt schlicht an der Zeit und am örtlichen Rahmen, in der und in dem sie den Schülern begegnen. Zwei Stunden Musikunterricht pro Woche in (häufig) muffig-miefenden Klassenräumen, in denen auf zu engem Raum zu viele Menschen sich gegenseitig den wenigen Sauerstoff wegatmen, lässt Leidenschaft für Beethoven dann doch eher im Smog menschlicher Ausdünstungen verpuffen.


    Aber wie ich schon sagte, die Aufgabe der Schule ist hier eine andere: der halbwegs als gebildet gelten wollende Abiturient hat von Beethoven und Co. gehört zu haben. Er sollte mit diesen Namen etwas anfangen können, sollte idealerweise wenigstens einmal ein Konzert oder eine Opernaufführung besucht haben. Einfach, damit er weiß, dass es dies gibt.


    Für die Leidenschaft sind dann eher andere zuständig.


    Grüße,
    Garaguly

  • Zitat

    Aber wie ich schon sagte, die Aufgabe der Schule ist hier eine andere: der halbwegs als gebildet gelten wollende Abiturient hat von Beethoven und Co. gehört zu haben. Er sollte mit diesen Namen etwas anfangen können, sollte idealerweise wenigstens einmal ein Konzert oder eine Opernaufführung besucht haben. Einfach, damit er weiß, dass es dies gibt.


    Für die Leidenschaft sind dann eher andere zuständig.


    Wir sind hier in diesem Punkt nicht nur gar nicht weit auseinander - nein hier herrscht völlige Übereinstimmung.


    So gesehen kann man dann aber auch dem Schulunterricht nicht anlasten, wenn Klassische Musik bei der Mehrheit der Bevölkerung wenig bis gar keinen Anklang findet. Ich pflichte Dir übrigens in einem weiteren Punkt bei, dass die Ablehnung eher ideologische als musikalische Gründe hat. Musikalität -im weitesten Sinne - ist eine Naturbegabung, die kaum intellektuell steuerbar ist, sie sollte also doch einem relativ großen Kreis der Bevölkerung zugänglich sein.
    Du hast im anderen Thread einige gesellschaftlichen Phänomene geradezu schonungslos offen gelegt - ich habe das sehr genossen.
    In einigen Detail bin ich allerdings anderer Meinung wie du. Haydn und Mozart, Beethoven und Schubert brauchte mir niemand nahe zu bringen. Ich hörte sie - und war begeistert. Ich suchte immer weitere Werke, die mir gefallen könnten, blieb aber lange Zeit der Wiener Klassik verpflichtet. Alles was nach Schubert kam - damit konnte man mich jagen. im Gegenzug dazu kannte ich schon in meinen Klassik-Anfängen (Ich war knapp 15 als ich begann Platten zu sammeln) Vivaldi, Boccherini, Joh.Christian Bach, Hummel, Loewe, ...und alles was "Ohrwurmcharakter" besass.


    Und hier sind wir schon bei EINEM Punkt, wo ich vermutlich in Opposition zu den Klassik-Hardlinern stehe
    "Klassikhäppchen" werden gerne verteufelt - und ihre Hörer belächelt.
    Ich sehe hier indes eine "Einstiegsdroge" die Appetit auf "mehr" macht. Es wird hier immer wieder ins Treffen geführt, es bestünde die Gefahr, daß die Leute lebenslang nur die "Rosinen" hören und "schwierigeren Werken" ausweichen.
    Und wenn schon !! Es ist immerhin Klassik, was sie geboten bekommen und kein Crossover.
    Ich kann gut verstehen, daß Leute "schwierigen" oder "sperrigen" Stücken ausweichen (die meisten davon wurden ja erst im 20. Jahrhundert komponiert :P ) weil letztlich darf und soll auch klassische Musik in erster Linie "erfreuen" (ich wähle bewusst dieses heute schon altmodisch anmutende Wort) Was dem einzelnen nun hörenswert erscheint -und was ihn abstösst - das ist natürlich individuell verschieden.
    Interessant ist jedenfalls, dass Werbespots sich oft klassischer Musik bedienen um ein Produkt aufzuwerten. Es zeigt, dass man hier der Wirkung dieser Musik voll vertraut.
    Auch klassische Musik, die in Filmen eingesetzt wurde stiess oft auf hohes Publikumsinteresse - weil die Leute meist nicht wussten, dass dies "klassische Musik" war.
    Ein typischer Fall (wenngleich schon ein paar Jahre her - 1967) war die Verfilmung von "Elvira Madigan" welches als Soundtrack den 2. Satz von Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467 verwendete.


    Die Leute stürmten damals die Klassikläden und verlangten nach "Mozarts Klavierkonzert" Die logische Gegenfrage "welches?" brachte viele in Verlegenheit......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich will hier jetzt keine Diskussion vom Zaune brechen, ob Klassik in der Schule oder nicht, sondern nur erzählen wir es mir ergangen ist. Dazu möchte ich ein kurzes Sprichwort (in Plattdeutsch) meiner münsterländischen Heimat voranstellen: "nich küen- müen!", was soviel bedeutet wie "Nicht reden - sondern machen!"
    Da die Liebe zur klassischen Musik bei mir systematisch durch guten Musikunterricht in meiner eigenen Schullaufbahn grundgelegt wurde, habe ich es hinterher in meiner eigenen Laufbahn als Musiklehrer ohne Musikstudium versucht, mit meinen Mitteln (und einer fünfzehnjährigen Praxis als Chorsänger), meinen Schülern die klassische Musik näher zu bringen. Alle meine Schüler haben in meinem Unterricht die Zauberflöte kennen gelernt. Ich hatte sogar zwei Jahre lang das Glück, eine Klasse zu bekommen, die in der Grundschule Musik gehabt hatte und des Singens einigermaßen kundig geworden war. Mit dieser Gruppe habe ich im 5. Schuljahr aus Schuberts Schöner Müllerin das Eingangslied "Das Wandern" einstudiert und bei der Schulentlassung aufgeführt. Meinen Schülern gefiel Schuberts Fassung besser als die Volksliedversion. Nach zwei Jahren war der Spaß allerdings vorbei, als die Mädchen, die den Chor trugen, in die Pubertät kamen. Ich hatte auch ein Jahr lang eine Wahlpflichtgruppe im 10. Schuljahr, die sich in einer Doppelstunde so konzentrierte, dass ich komplett Bruckners "Achte" über eine achtbare Stereoanlage im Musikraum laufen lassen konnte und in der Woche darauf mit Hörbeispielen besprechen konnte.


    Am meisten hat mich das Statement einer damals knapp 35jährigen Mutter auf einem Elternsprechtag gefreut, als sie mir sagte: "Ich denke immer noch gerne daran zurück, wie wir vor 20 Jahren bei Ihnen die Zauberflöte durchgenommen haben".


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Aber in der Tat ist die Menschheit in vielerlei Hinsicht anspruchsloser geworden.

    Ich glaube nicht, dass diese Behauptung einer genaueren Betrachtung standhält. Das beginnt schon damit, dass die '"Menschheit" eine viel zu heterogene Menge ist, als dass man solche Allgemeinaussagen machen könnte.



    und daß man die - vielleicht sogar zeitlich begrenzte - Chance nutzen sollte, sich dieses Vergnügen zu leisten - solange es noch leistbar ist....

    Klassik war einmal ein relativ teures Vergnügen. Moderne Technik hat den Zugang dazu immer billiger gemacht und das wird sich nicht mehr ändern.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • durch Schulunterricht erzeugt man keine Liebe zur Klassik. Dazu braucht es (wie ich im anderen Thread bereits darlegte) positive erwachsene Vorbilder.


    der halbwegs als gebildet gelten wollende Abiturient hat von Beethoven und Co. gehört zu haben.


    Für die Leidenschaft sind dann eher andere zuständig.


    So sehe ich es auch.


    Für die klassische Musik wünsche ich mir in Schulen im Idealfall jemanden, der diese wunderbare Welt den Kindern schmackhaft anbietet und zugänglich macht, sie dazu verführt. Egal, ob es später "klick" macht, oder nie. Wenn sich auch nur ein paar Kinder mit dem "Bazillus" anstecken ist das doch schon großartig - und die anderen haben zumindest einmal gehört, das es so was überhaupt gibt.

  • Und hier sind wir schon bei EINEM Punkt, wo ich vermutlich in Opposition zu den Klassik-Hardlinern stehe
    "Klassikhäppchen" werden gerne verteufelt - und ihre Hörer belächelt.
    Ich sehe hier indes eine "Einstiegsdroge" die Appetit auf "mehr" macht. Es wird hier immer wieder ins Treffen geführt, es bestünde die Gefahr, daß die Leute lebenslang nur die "Rosinen" hören und "schwierigeren Werken" ausweichen.
    Und wenn schon !! Es ist immerhin Klassik, was sie geboten bekommen und kein Crossover.

    Ein kleiner Einschub meinerseits, sowohl als Bestätigung dessen, was Du geschrieben hast, als auch ein Hinweis darauf, daß diese Methode durchaus nicht neu oder neueren Datums ist: Schon in den "Fünfzigern" gab es Werbeplatten - zumindest von der DGG. Mein Vater bekam immer wieder mal eine 25-cm-Platte von seinem Plattengeschäft eben als ein solches Werbegeschenk. Darauf wurden Sänger, Orchester, Pianisten, Geiger usw. usf. von einem Sprecher, einer Sprecherin oder auch mehreren, als sei man in irgendeiner Wohnung unter Gleichgesinnten, vorgestellt...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Die positiven Wirkungen des eigenen Musizierens auf die Entwicklung von Kindern und entsprechenden Erfolg in "harten" (nichtmusischen) Fächern ist ziemlich gut belegt. Aber abgesehen von solchen "Nutzenüberlegungen" sollte möglichst vielen Kindern die Option zumindest eröffnet werden, Musik zu machen, weil das für viele Menschen eine Quelle der Freude ist. Natürlich würde das idealerweise alles vom Elternhaus übernommen. Wenn wir aber nicht wollen, dass sich unterschiedliche Bedingungen in Elternhäusern für alle Zeiten fortschreiben, ist hier das öffentliche Bildungssystem gefragt.


    Nun geht es aber wohl eher um "theoretischen" Musikunterricht (mein schulischer Musikunterricht war weitgehend eine Mischung aus Singen und "Theorie"). Da Musik wie vieles andere zu unserem Leben gehört und Musikhören für noch viel mehr Menschen wichtig ist als Musizieren, ist nicht einzusehen, warum das in der Schule ausgeklammert werden sollte. Und Musikunterricht ohne Klassik wäre ziemlich seltsam. Denn natürlich sollte ein Basis-Wissen über klassische Musik genauso ein Teil der Schulbildung sein wie eines über Baustile, Geographie usw.
    Kinder, die sonst kaum je Klassik begegnen würden, mit dieser Musik bekannt zu machen, ist da eher ein sekundäres Ziel, aber auch nicht unwichtig. Gerade weil Klassik in der Öffentlichkeit nicht mehr so eine große Rolle spielt (wie zu der Zeit als Prey oder Rothenberger bei "Der große Preis" u. ä. auftraten, was immer man davon halten mag), ist es m.E. wichtig, jungen Menschen zu zeigen, dass es mehr gibt als das, was ihnen tagtäglich vorgedudelt wird.
    (Das gilt natürlich nicht unbedingt nur für Klassik, sondern im Prinzip auch für zB indische Musik, Jazz usw. Aber ich finde es keine Diskriminierung die abendländische Musik in den Vordergrund zu stellen. Wir lernen im Geschichtsunterricht auch mehr über deutsche als über spanische und meist kaum etwas über chinesische Geschichte.)


    Dass es immer jemanden geben wird, der meint, Musik/Lyrik/Bildende Kunst wäre ihm in der Schule "verdorben" worden, weil es dort "zerredet" würde usw., nehme ich nicht mehr ernst. Natürlich kann man schlechte Vermittlung nicht ausschließen. Aber das spricht ja nicht gegen die Inhalte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Auch ich bin der Ansicht, dass klassischen Musik unbedingt in der Schule vermittelt werden sollte. Wie bei allen Fächern kommt es natürlich auf die Art derVermittlung an. Der Schüler merkt sehr schnell, welcher Lehrer in dem Fach engagiert ist und welcher nur seinen Job tut. In der Regel gehört natürlich auch das Elternhaus und der Umgang der Schüler dazu, aber nicht immer, wie ich im weiteren Verlauf noch zeigen werde.



    Zitat von Garaguly

    Nur nebenbei: die weit und breit wohl einzige Ausnahme dieser Regel bin ich. Der im Grunde schlechteste Musikunterricht, den ich in meinem Schülerleben erteilt bekam (es war in den Klassen 5 und 6 im Alter von 11 und 12 Jahren), machte mich zum absolut leidenschaftlichen Anhänger von klassischer Musik. Also, wie ich schon sagte, durch Schulunterricht erzeugt man keine Liebe zur Klassik. Dazu braucht es (wie ich im anderen Thread bereits darlegte) positive erwachsene Vorbilder. Lehrer können, auch wenn sie noch so beliebt bei Schülern sind, diese Vorbildfunktion nur ganz bedingt (wenn überhaupt) einnehmen.

    Lieber Garaguly,


    du bist vielleicht insofern eine Ausnahme, als du von schlechtem Musikunterricht berichtest. Ich hingegen - und das sagte ich ja schon in meiner Vorstellung - habe ganz allein durch guten Schulunterricht zur klassischen Musik gefunden. Vielleicht könnte man noch nennen, dass ich einen Schulfreund (mit dem ich heute noch ständigen Kontakt habe) aus einer Zahnarztfamilie hatte, bei der auch klassische Musik gehört wurde, aber das konnte ich höchst selten genießen, da wir mehr als 10 km voneinander entfernt wohnten und - wenn ich einmal einen der sehr seltenen privaten Besuche bei ihm hatte - ich diesen Weg hin und zurück zu Fuß machen musste. Zuhause konnte ich nichts dergleichen erwerben, denn ich bin als Waise bei Großeltern - zwar sehr liebevoll, aber ohne Beziehung zur Klassik - erzogen worden. Diese waren ganz einfache Leute und hatten dafür kein Verständnis. Dass ich auf einem Gymnasium gelandet bin, war reiner Zufall, weil dies von einem Schulrat nach einer Kontrolle in der Volksschule (wie sie damals hieß) in die Wege geleitet wurde. Wir konnten uns bis etwa zu meinem 30. Lebensjahr keine Schallplatten leisten und selbst das Gymnasium hatte damals so etwas nicht und bekam einen Plattenspieler, ein Radio und 2 Schallplatten erst kurz bevor ich die Schule verließ. Ein Instrument, nach dem ich mich sehr gesehnt hätte, war für mich auch unerschwinglich. Es ist also allein dem Engagement des Musiklehrers, über das ich bereits mehrfach berichtet habe, zu verdanken, dass ich Begeisterung für die klassische Musik entwickelte. Mit Nachhilfestunden habe ich mir dann ein altes Dampfradio erworben, wo ich über Mittelwelle (UKW gab es damals noch nicht) mit viel Störgeräuschen meine Kenntnisse erweitern konnte.
    Ein weiteres Beispiel: Meine Enkelin hatte in der Grundschule, aber auch auf dem besten Gymnasium hier am Ort eine gute Hinführung zur Musik. Auch sie hatte nur wenn sie bei uns war, etwas an klassischer Musik zu erwarten, denn ihre Mutter verabscheut klassische Musik geradezu. Da sie körperbehindert ist und kaum Gelegenheit hatte, sich mit Freunden zu treffen (sie war immer darauf angewiesen, von der Etage mit dem Rollstuhl heruntergebracht zu werden), hat sie sich mit viel Literatur und auch Musik beschäftigt. Heute ist sie Lehrerin an einer Grundschule und macht mit den Kindern des ersten und zweiten Schuljahrs Experimente mit Musik und Literatur. Sie stellt ihnen z. B. musikalische Werke (etwa Vivaldi "Der Frühling") vor und lässt sie, ohne vorher zu der Musik etwas zu sagen, schildern, was sie bei der Musik empfinden. Und die Kinder gehen begeistert mit. Ähnlich lässt sie z. B. die Kinder malen, was sie bei einem Gedicht oder einem Musikstück heraushören oder vor sich sehen. Sie kombiniert also Musik oder Literatur mit anderen Lerninhalten.
    Ich finde - aus eigener Erfahrung und aus dem Geschilderten - dass Musik unbedingt in den Schulunterricht gehört. Dabei spielt meiner Ansicht auch die Umgebung - wie es hier auch angeschnitten wurde - nicht unbedingt eine Rolle: Unser Musikunterricht damals fand in einer alten Baracke mit Kanonenofen statt und, da nicht genügend Bestuhlung vorhanden war, mussten wir auch noch jeweils unsere Stühle aus dem Klassenzimmer mitnehmen.
    Vielleicht aber spielte auch das Manko damals eine besondere Rolle. Musik war etwas Besonderes. Heute gibt es Material in Überfülle, das leicht zu erwerben ist. Es ist vieles alltäglicher geworden und auch die ständige Berieselung mit Fernsehen und Computer hält viele von wertvolleren Dingen ab. Haben wir nicht manchmal selbst heute weit weniger Zeit für Dinge, mit denen wir uns früher intensiv beschäftigt haben?


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wie soll man die Kinder an die klassische Musik heranführen, wenn die Lustlosigkeit schon auf die Lehrer übergegriffen hat. Ich hatte das Glück, dass ich einen Musiklehrer hatte, der von der Musik begeistert war, eine Folk AG ins Leben gerufen hat und uns mit dieser Begeisterung mitreißen konnte. Auch hatte ich das Glück, dass eine Nachbarin meiner Eltern Kirchenorgel gespielt hat und mir darin Unterricht gegen hat. Heutzutage wird doch meistens am Musik- oder Kunst-Unterricht eingespart, weil der ja nicht so wichtig ist. Wenn ich meinen Neffen frage was die in der Schule machen, bekomme ich meistens zur Antwort; Rumsurfen. Das bedeutet das der Lehrer ihnen eine Aufgabe gibt und sie diese selbständig am Rechner recherchieren müssen. Und im Musikunterricht besprechen sie anstatt klassischer Musik deutschen Hip Hop.

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  • Wie soll man die Kinder an die klassische Musik heranführen, wenn die Lustlosigkeit schon auf die Lehrer übergegriffen hat. [...]


    Und im Musikunterricht besprechen sie anstatt klassischer Musik deutschen Hip Hop.


    Zum ersten Teil Deines Zitates: Von der Schule wird heute komischerweise erwartet, dass sie die Welt rettet. Sie soll das aber mit den Mitteln und den Möglichkeiten einer Epoche tun, in der man ihr diese Rolle bei weitem noch nicht zusprach, sondern eher der Auffassung war, dass die Schule sich aus den meisten Aspekten im Leben eines Kindes herauszuhalten hätte.
    Man kann bei einem Musikunterricht, der in der Regel mit nur zwei Unterrichtsstunden pro Woche und Klasse auszukommen hat, keine Wunder erwarten. Das hat nichts mit Lustlosigkeit zu tun, sondern eher mit realistischer Sicht auf die Dinge.


    Zum zweiten Teil Deines Zitates: Ja, das befremdet mich auch gelegentlich. Es ist aber dem Prinzip geschuldet, dem Didaktik und Pädagogik seit Jahren huldigen: nämlich den Schüler da abzuholen, wo er steht. Das führt dann mit fataler Konsequenz dazu, dass es sofort genung Schwätzer gibt, die sagen, mit Klassik dürfe man Schüler nicht zu sehr konfrontieren, davon verstünden sie emotional nichts, mit HipHop aber seien sie ja auch privat konfrontiert, also kann man ihnen das auch in der Schule vorsetzen. Und so beißt sich die Katze in den Schwanz.


    Grüße,
    Garaguly

  • Zitat

    Klassik war einmal ein relativ teures Vergnügen. Moderne Technik hat den Zugang dazu immer billiger gemacht und das wird sich nicht mehr ändern.


    Abwarten - Zumindest aber im Live Bereich wird es davon abhängen ob und wie hoch öffentliche Gelder zur Verfügung stehen.
    Für einige wenige wird es stets Klassische Musik geben - und sei es in Privatkonzerten. Aber durch den Staat subventionierte Häuser sind kein muss.
    Ein weiterer Knackpunkt ist das "selber musizieren" Dies ist in der Tat mit ANSTRENGUNG verbunden - und ich kann gut nachvollziehen, dass hier der Widerstand groß ist. Letztlich ist die Zuneigung zur POP-, Schlager- und sonstiger minderwertiger Musik auch nicht davon abhängig.
    Interessant ist jedoch auch warum gewisse Personengruppen tendenziell eher klassische Musik hören, als andere.
    Es gibt hier einen gewissen "gemeinsamen Nenner" der heute vielleicht weniger auffällig sein mag als früher, da die klassische Musik inzwischen auch keine Einheit mehr darstellt......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat Garaguly:


    Zitat

    Von der Schule wird heute komischerweise erwartet, dass sie die Welt rettet.


    Wer erwartet das? ?(


    Aber zum Thema: Ich hatte in den ersten 3 Klassen der Volksschule einen Musiklehrer, der sehr viel an Klassik unterrichtete. Ich erinnere mich noch gut, daß er über den "Freischütz" mit uns diskutierte und fragte, ob jemand eine Platte mit dem Entre-Akt besäße. Da konnte ich mit einer Schellack-Platte meines Vaters aushelfen. Außerdem bekam ich von ihm noch Blockflöten-Unterricht. 1 Jahr später kam ich in ein Internat. Da sang ich im Schulchor Messen von Palästrina und Joseph Haas. Dieser Unterricht hat mir nicht geschadet, sondern mich zur Klassik und Oper gebracht. So konnte mich mein Vater auch für seine Klassische Musik sehr schnell gewinnen. Und schon früh hatte ich meine Lieblinge auf den Schellackplatten und im Rundfunk. Ich denke mal, auch heute könnte man mit einem guten Musikunterricht auch junge Menschen zur Klassik führen.

    W.S.

  • Der Namen des Threads deckt ja (leider) nur einen Teil des Themas ab.
    Die weitere (implizite) Frage ist ja, wie man das Image der klassischen Musik in der Öffentlichkeit aufpolieren kann. (Dazu später mehr)
    Dieser Frage folgt logischerweise, ob man - und wenn ja warum - das überhaupt tun sollte. Was kümmert mich eigentlich ob künftige Degenerationen Rock, Pop, Heavy Metal, Schlager, Punk-Rock, Crossover, Nu-Metal, Techno House, HipHop, Hardcore, Speedcore, Soul, Funk, Grunge, Acid oder Klassik hören? Ob sie sich dem Junk Food, oder dem Gourmettempel zuwenden? etc etc....
    Diese dritte Frage wird wohl jeder für sich beantworten müssen. Ob man nämlich Menschen mit Musik und Bildung beglücken sollen, die auf ihren mittelmäßigen (und das ist meines Erachtens noch ein Euphemismus) Geschmack und die daraus resultierende Lebensführung auch noch stolz sind und strikte darauf achten, dass niemand in ihrer Umgebung Einfluss gewinnt, dem man auch nur entfernt mit dem Wort "elitär" umschreiben könnte. Denn der Mittelmäßige braucht Mittelmäßige und "einfach gestrickte" um sich um sich wohl zu fühlen und vor allem - um nicht aufzufallen. Immer wieder erinnere ich mich an einen Satz aus einem Sherlock Holmes Krimi (von Sir Arthur Conan Doyle) wo der Autor Seiner Romanfigur folgende Worte in den Mund legt: Eine Stecknadel versteckt sich nicht am Besten im Heuhaufen - sondern in einem STECKNADELKISSEN. :D


    Ich habe hier zwar aus meiner Sicht einige Aspekte der Unbeliebtheit von Klassischer Musik zur Sprache gebracht (es sind längst nicht alle - zudem sind Irrtümer in meinen Betrachtungen nicht ausgeschlossen) - aber bis jetzt noch keine Lösungsvorschläge.
    Es ist ja nicht so, daß es hier keine Versuche gäbe. Die Resultate sind eher durchwachsen - und nicht von allen Klassikliebhabern gern gesehen.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    im Gegensatz zu Dir bin ich der Auffasung, dass die klassische Musik natürlich in die Schule gehört. Die Schule hat eine breite Allgemeinbildung zu vermitteln, sie hat die Schüler mit den kulturellen Hochleistungen diverser Epochen und Kunstsparten bekannt zu machen. Es wäre grotesk, gerade die klassische Musik davon auszunehmen.

    Dieser Einschätzung schließe ich mich voll und ganz an!


    Dieses hingegen,

    Man wird durch Schulunterricht keinen Klassikliebhaber erzeugen.

    vermutlich etwas ähnliches meinend wie Alfred hier:

    Ich schrieb an anderer Stelle:


    Zitat
    Persönlich halte ich "Klassik" nicht für etwas, das man den Leuten in der Schule vermitteln sollte, weil sie sie dann meiden werden, wie ich einst den Turnunterricht.

    halte ich für mitnichten gegeben.


    Natürlich bringt das Wesen der Schule und insbesondere der pubertären Schüler ein gewisses Risiko 'natürlichen' Widerwillens mit sich - ich denke, ich bin nicht der einzige, der da auch aus eigener Erfahrung sprechen kann. Dennoch dürfte ein großer Schritt für den zukünftigen Klassikliebhaber schon damit getan sein, daß er (eben in der Schule) Kenntnis von Komponisten, Epochen, Schlüsselwerken und deren Auslegung erlangt. Wenn er / sie dann das Glück hat, mit ein wenig Grund-Interesse, Neugier und natürlich dem passenden Musikgeschmack gesegnet zu sein, wird er als Nichtmehrschüler schon seinen Weg zur Klassik machen und sich das Vergnügen ganz von selbst erschließen können. So kann ich das jedenfalls von mir selbst behaupten: natürlich bin ich zu meinen Schulzeiten vielem mit mehr oder minder wohlwollendem Desinteresse begegnet, nichtsdestotrotz war der Unterricht aber geeignet, die klassische Musik zumindest in meinem Hinterkopf zu verankern, wo sie bis vor einigen Jahren ihrer - glücklichen - Wiedererweckung harrte.


    Daß kein (Musik-)Unterricht der Welt dazu geeignet ist, aus jedem Schüler einen vielseitig begeisterten Kulturbürger zu zaubern, versteht sich aus vielerlei Gründen selbst. Aber was wäre der Gegenentwurf? Dem Jungvolk nur Dinge vorsetzen, die sie bestimmt nicht meiden? Worauf das hinausliefe und welchen Sinn das machte, sollte klar sein, denke ich.

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  • Dem Jungvolk nur Dinge vorsetzen, die sie bestimmt nicht meiden?

    Natürlich nicht. Ich sagte ja, dass klassische Musik in die Schule gehört. Alleine schon deshalb, weil es zu ihrem Bildungsauftrag gehört, den Schülern ein deutliches Bild der kulturellen Leistungen verschiedenster Epochen angedeihen zu lassen.
    Ich glaube nur, dass gerade in Sachen Musik es neben den Lehrern andere Vorbilder geben muss, die Kinder und Jugendliche zur Musik führen und sie ihnen quasi als positiv vorleben.


    Grüße,
    Garaguly

  • Eine unbedingte Voraussetzung für einen Erfolg ist eine gute Rückendeckung durch Ministerium und Kollegium im Hinblick darauf, dass Kunst im Allgemeinen zum wichtigsten Betätigungsfeld eines Menschen überhaupt gehört. Die Realität zeigt eher das Gegenteil. Musik oder Kunst wird oft nicht ernst genommen. Eine Reaktion, die so mancher Musikkollege zur Genüge kennen wird: "Maria hat eine 2? Kann sie gut singen?" Bitte nehmt es mir nicht übel, aber es schlägt manchmal dem Fass den Boden aus, wieviel Unbedarftheit (oder sollte man sogar von Dummheit sprechen?) diesbezüglich selbst in Akademikerkreisen zu finden ist. In Schulen, die keinen ausgeprägten musikalischen Schwerpunkt haben, zählen außerunterrichtliche musikalische Tätigkeiten der Fachkollegen nur allzu gern als "Selbstverständlichkeit". Wen sollte es da wundern, wenn so mancher Fachkollege eine klare Trennung zwischen dem was "mir" gefällt und "was meine Schüler" wollen? Die eigentliche Katastrophe ist die mangelhafte Wertschätzung dieser Fächer; wobei es allerdings wenigstens in Schleswig-Holstein keine C-Fächer mehr sind, wo einst nach der Note nicht mal ein Goldhähnchen piepte.


    Es scheint -- vor allem in Musik -- nicht leicht zu sein, die Mehrheit der Schüler davon zu überzeugen, dass es gar nicht um "Geschmack" geht, sondern darum, wie etwas gemacht ist. Sicherlich braucht ein guter Lehrer bei der Auswahl für den Zugang ein wenig Fingerspitzengefühl. Um an die Gattung Sinfonie heranzuführen dürfte zum Beispiel Robert Schumanns op. 97 sicherlich hinreißender sein als Haydns 94 oder Bruckners 4. Noch sehr gut habe ich in Erinnerung, wie unser Musiklehrer uns für Mendelssohns Oktett, op. 20 begeisterte. Es stand gar nicht im Zentrum des Halbjahresthemas, sondern wurde nur am Ende eines Halbjahres in der 11. als Abschluss eingestreut -- und immer wieder seine Frage, wir mögen sagen, wenn es uns zu viel würde. Aber nein, wir wollten alles hören.


    Möglicherweise hat die leichtere Begeisterung früherer Zeiten auch sehr viel damit zu tun, dass viel gesungen wurde. Sehr viel. Bei uns zu Hause ebenfalls. So hatte ich früh einen beträchtlichen Liederschatz zusammen. Aber so manches deutsche Liedgut ist einer überzogenen political correctness zum Opfer gefallen (in einigen wenigen Fälle auch berechtigt), so dass das "Liederbuch für Schleswig-Holstein" inzwischen verpönt ist und so manche Musikkollegen sich selbst sogar zu "genieren" scheinen. Stattdessen "Yesterday" bis zum Abwinken, weil es einfach "zu schön" ist, und der genial simple Aufbau eines "The times are a changin" schon die grauen Zellen zu arg strapaziert. So begnügen wir uns im Land der Tugend lediglich damit "auf der Mauer, auf der Lauer" zu liegen, wenn uns Japaner etwas vorsingen.


    Wenn wir danach fragen, ob "Klassik" in die Schule gehört (was auch immer unter diesem Marketing-Begriff verstanden werden soll) dürfen wir bald auch danach fragen, ob Literatur überhaupt noch ein Thema ist. Für einen Verlag wie Suhrkamp ist die Antwort bereits "in den Wind geblasen".


    Gruss Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Zitat

    Zitat von rodolfo: Wie soll man die Kinder an die klassische Musik heranführen, wenn die Lustlosigkeit schon auf die Lehrer übergegriffen hat. Ich hatte das Glück, dass ich einen Musiklehrer hatte, der von der Musik begeistert war

    Auch ich hatte ja - wie schon geschildert - einen Musiklehrer, der von der Musik begeistert war und es mit den damals vorhandenen primitiven Mitteln schaffte, auch und mitzureißen.
    Aus meinem eigenen Empfinden hier ein Gegenbeispiel: Ich habe das Gymnasium zuerst in der damaligen englischen Besatzungszone besucht. Wir wurden aber dann, weil Schleswig Holstein mit Heimatvertriebenen überfüllt war, nach Rheinland-Pfalz - damals französische Besatzungszone - umgesiedelt. Ich hatte bereits zwei Jahre Englischunterricht gehabt, während meine Klassenkameraden inzwischen fast 3 Jahre Französisch, aber kein Englisch hatten. Ich war meinen Kameraden also in Englisch voraus, habe aber deren Französischstoff von 3 Jahren im Selbststudium nachgeholt. Zwar bin ich in der englischen Sprache heute noch sicherer als in der französischen, aber ich hasse diese Sprache und liebe die französische. Warum? Wir hatten sehr gute, lebensnahe Französischlehrer. Die englische Sprache aber hat mir eine sehr langweilige Lehrerin, die wir viele Jahre hatten, verdorben. Sie hat mit uns nie ein Wort Englisch gesprochen und der ganze Unterricht bestand darin, das nur immer dieselben beiden Schüler die Texte aus dem jeweiligen Englischbuch des Jahrgangs vorlesen und übersetzen mussten. Alle anderen durften schweigen. Als ich ihr einmal - schon in der Oberstufe - als Klassensprecher das Anliegen der Klasse vortrug, dass auch alle anderen einmal am Unterricht mitwirken möchten und wir auch gerne ein wenig englische Konversation hätten, habe ich sie schwer beleidigt und sie wollte mich beim Direktor verklagen.
    Ebenso wenig habe ich mich für den Geschichtsunterricht interessiert, den uns ein Lehrer vermittelte, der während der gesamten Unterrichtsstunde nur in der Klasse auf und abging und Texte aus dem Geschichtsbuch vorlas. Das Interesse für Geschichte wurde bei mir erst nach dem Schulabschluss geweckt.
    Ich denke schon, dass auch in der Schule das Interesse für Kunst und Musik geweckt werden kann, wenn der Lehrer eine ähnliche Begeisterung zeigt wie es rodolfos und mein Musiklehrer tat.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zwar bin ich in der englischen Sprache heute noch sicherer als in der französischen, aber ich hasse diese Sprache und liebe die französische. Warum? Wir hatten sehr gute, lebensnahe Französischlehrer. Die englische Sprache aber hat mir eine sehr langweilige Lehrerin, die wir viele Jahre hatten, verdorben.


    Das kann ich nur teilweise nachvollziehen, Gerhard. Auch ich hatte (in der Oberstufe) eine Englischlehrerin, die sehr "langweiligen" Unterricht machte. So etwas kann aber in jedem Fach passieren. Menschlich war sie sympathisch, aber was den Unterricht betraf -- nun, allein wenn es um Songs ging, Leonard Cohen rauf und runter. Immer und immer wieder. Keine Silbe Bob Dylan. Aber ich habe es ihr sozusagen nicht gestattet ;-) mir die Freude an der Sprache zu verderben. Zwar kann ich das verstehen, dass man als Schüler bei einem langweiligen Unterricht die Lust an einer Sache verlieren kann, was aber aus meiner Erfahrung nur möglich ist, wenn man ohnehin nicht voll und ganz dahinter steht. Jedenfalls war das bei mir so. Geschichte lag mir auf der Schule nicht sonderlich. Aber ich kann nicht sagen, dass dies die Schuld eines Lehrers war. Andererseits Musik: Da kam nur höchst selten etwas, was meinen Interessen entsprach. Aber ohne den Unterricht hätte mir dennoch sehr viel gefehlt.


    Gruß Heiko

    Heiko Schröder
    Ahrensburg


    "Wer sich im Ton vergreift, sucht nur in den glücklichsten Fällen nach neuen Harmonien."

  • Interessant ist jedoch auch warum gewisse Personengruppen tendenziell eher klassische Musik hören, als andere.
    Es gibt hier einen gewissen "gemeinsamen Nenner" der heute vielleicht weniger auffällig sein mag als früher, da die klassische Musik inzwischen auch keine Einheit mehr darstellt......


    Da es innerhalb der Klassik ja auch die unterschiedlichsten Geschmäcker und Vorlieben/Abneigungen für bestimmte Epochen/Stilistiken gibt ist es auch gar nicht so einfach da immer einen "gemeinsamen Nenner" auszumachen. Im Regelfall sollte man unabhängig von den Vorlieben innerhalb der Klassik möglichst konzentriert zuhören um die Vorzüge auch bestmöglich zu erfassen, das würde ich jedenfalls als deutlichsten Unterschied zur Popularmusik ausmachen die ja oftmals nur neben irgendeiner anderen Tätigkeit (als Art Hintergrundgeräuschkulisse) genutzt wird. Das mag da vielleicht noch funktionieren da man wohl zum. unterbewußt die eingängige Rhythmik, Melodik mitbekommt, bei der Klassik könnte ich mir das im Regelfall nie vorstellen - da sich in der Klassik viel mehr im Detail abspielt und im Regelfall auch nicht monoton vor sich hinplätschert, ständig Änderungen unterliegt eignet sie sich dafür auch eigentlich nicht. Wahrscheinlich ist die Hürde wohl dann für Viele in der heute oftmals hektischen, reizüberfluteten Zeit sich dafür Zeit zu nehmen und sich nur darauf zu konzentrieren.


    Was die Schule anbelangt kommt es immer darauf an wie die Klassik an die Kinder vermittelt wird. In meiner Schulzeit mußten wir zB den exakten Aufbau einer Sonatenhauptsatzform auswending lernen (nicht mal Praxisbeispiele um sich darunter etwas vorstellen zu können) was ich nur destruktiv finde. Das geht wohl eher nur als gutes Mittel zum vergraulen durch, bestmöglich als reinen Beschäftigungszweck. Besser wäre es anhand von Praxisbeispielen und Erklärungen wie zB in Bernsteins "Young Peoples Concert" (kann man glaub ich auf Youtube sehen) die Besonderheiten zu vermitteln, zum. könnte ich mir diese Art und Weise selbst aus der Perspektive eines Schülers gut vorstellen. Erklärungen warum etwas so klingt und nicht anders, was diese Musik eigentlich besonders und speziell macht sind auf jeden Fall mal nicht schlecht... erreichen kann man damit so wie sicher mit keiner Methode alle, aber die Wahrscheinlichkeit bei Wenigen näheres Interesse zu wecken ist aus meiner Sicht größer als mit trockener Theorie (die dazu noch zu sehr ins Detail geht) ohne konkrete hörbare Beispiele dazu.


    :hello:

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

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  • Für mich war der Musikunterricht früher eine Insel in stürmischer See, ähnlich wie Sport, Religion oder Kunst - man konnte sich vom anstregenden Schwimmen in den anderen Fächern ausruhen; insbesondere Leistungskurse wie Mathe und Physik und ein als großartig empfundener Deutschunterricht sowie die Quälerei in Englisch (z.B. Hamlet) und lange Latein (ab Sexta bis zur Oberstufe) und dem damals falsch eingeschätzten Auswendig-Lern-Fach Chemie haben viel Aufmerksamkeit gebunden.


    Vorbereitet habe ich glaube ich für Musik kaum irgendwas, nachbereitet auch nix, trotzdem habe ich ab und zu auch was mitgenommen (wir haben z.B. auch den Freischütz besprochen), aber allzu viele Impulse hat es auch nicht gegeben - meine Affinität zu Klassik, die ja eigentlich immer eine Affinität zum Barock war, wurde jedenfalls nicht gefördert, aber Beethovens Fünfte fand ich auch nicht sonderlich abschreckend.


    Das ist schon so ungefähr alles, an das ich mich erinnere - ansonsten stand neben den als wichtig empfundenen Kursen "Anbaggern" im Vordergrund, da wir ab der Oberstufe Mädels in der Schule hatten.


    Ich würde also als Fazit aus meinem eigenen Unterricht ziehen, daß der Musikunterricht sicherlich nicht kontraproduktiv war, aber man sollte auch keine Wunder erwarten.


    Der Einfluß des Elternhauses ist sehr viel wichtiger, wie wir an den eigenen Kinder gesehen haben, die inzwischen zu 75% auch gerne Klassik hören, wenn auch bei allen die "minderwertige" (ggg) Musik den größeren Anteil hat.