Robert Schumann: Sinfonie Nr. 2 C-Dur – Musik, Krankheit und Politik

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    das erste große Konzert, das ich erlebte, wurde mit Schumanns 2. Sinfonie eröffnet, gespielt von Celibidache und dem Schwedischen Rundfunksinfonieorchester. (Es folgten Ravels „Rhapsodie Espagnole“ und das „Konzert für Orchester“ von Bartok.) So etwas prägt. Seither beschäftigt mich die Eigenart dieser Sinfonie und überhaupt die Musik von Schumann. Abgesehen von wenigen eingängigen Stücken, etwa aus den „Kreisleriana“, geht von ihr nie etwas aus, woran sich gewöhnen ließe. Schumann ist schwierig, und doch von einer besonderen Anziehungswirkung.



    Clara und Robert Schumann 1847, im Jahr der Uraufführung der 2. Sinfonie


    Die Sinfonie steht am Scheitelpunkt eines sehr bewegten Lebens. Sie wirft so viel interessante Fragen auf, dass dafür ein eigener allgemeinerer Thread besser geeignet ist.


    Schumann (1810 – 1856) hatte 1844-45 eine tiefe Depression durchlitten. Sein bester Freund Mendelssohn war nach Berlin zurückgegangen, er hatte die Herausgabe seiner „Neuen Zeitschrift für Musik“ aufgegeben, war nach Dresden umgezogen und sah sich mit der Tatsache konfrontiert, für den Lebensunterhalt auf die Einnahmen von Claras Konzertreisen angewiesen zu sein. Ende 1845 schien eine Wende in Sicht. Auch die Aufbruchstimmung kurz vor der 1848er Revolution mag dazu beigetragen haben. Schumann hatte mit seiner Zeitschrift erfolgreich an der Vormärz-Bewegung teilgenommen und war bei Mendelssohn, Liszt und Chopin anerkannt.


    Doch schon 1847 verdüsterte sich für Schumann wieder alles, nachdem Fanny und Felix Mendelssohn überraschend gestorben waren. Er sollte nicht mehr zu sich selbst finden. 1850 Umzug nach Düsseldorf. Als dort mit der Freundschaft zu Joseph Joachim und Brahms, den Vertretern einer neuen Generation, ein neuer Lebensanfang möglich schien, stürzte ihn dies nur in eine tiefe Ehekrise, und nach einem Selbstmordversuch 1854 starb er 1856 in der Nerven-Heilanstalt Bonn-Endenich.


    "Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch krank; mir ist´s als müßte man ihr dies anhören" "Ich skizzierte sie, als ich physisch noch sehr leidend war, ja ich kann wohl sagen, es war gleichsam der Widerstand des Geistes, der hier sichtbar influiert hat und durch den ich meinen Zustand zu bekämpfen suchte." "Im letzten Satz fing ich an, mich wieder zu fühlen."


    Clara schreibt anlässlich einer Aufführung 1847: „Mich erwärmt und begeistert dies Werk ganz besonders, weil ein kühner Schwung, eine tiefe Leidenschaft darin ist, wie in keinem anderen von Roberts Werken.“


    Sie mit Celibidache zu hören, bringt für mich besser als die anderen Aufnahmen die Gefühle zum Klingen, die Schumann in einem Moment der Hoffnung und des euphorischen Aufbruchs auszudrücken vermochte. Manchmal stört es mich, wenn Celi in die Musik hineinschreit, aber hier passt es wunderbar und wird dann aufgefangen vom himmlischen Gesang der Streicher im langsamen Satz. Da ist zu spüren, von welchen Halluzinationen Schumann heimgesucht wurde. Und ohne jeden Zwang erschließen sich die Gefühle der anderen Sätze, der unsichere erste, die Ruhelosigkeit des zweiten und schließlich der Triumph des letzten, aus dem doch schon herauszuhören ist, wie er in die nächste Depression umschlagen wird.


    Aber Schumann hörte nicht nur Engel, sondern auch Dämonen. Seine Seele war auch von Feuer geschlagen. Und daher ist als Gegenstück Mitropoulos ein Muss. Hier brennt jeder einzelne Takt und über das Ganze breitet sich eine Angst, die die andere Seite von Schumann hören lässt.


    Viele Grüße,
    Walter

  • Dem lieben Walter sei Dank, dass ich mich an meine Endenicher Zeit - und damit auch an die Schumann's - erinnere!


    :jubel:


    Bei der zweiten Sinfonie habe ich mich schon immer gewundert, was Schumann aus C-Dur machen konnte...


    Hier also das von Walter angesprochene Schumann-[Sterbe]-Haus in Bonn-Endenich, in dem ich meine Jugend verbrachte - zum Glück ist es zu dieser Zeit keine Heilanstalt mehr gewesen, sondern eine grandiose Musikbibliothek:



    Dort befindet sich im übrigen auch Clara Schumanns Flügel:



    Adieu
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Wir haben fünf Aufnahmen der 2. Sinfonie Schumanns verglichen und folgende Eindrücke erhalten;


    Chamber Orchestra of Europe; Ltg: Nikolaus Harnoncourt
    Teldec 0630-12674-2 (1996 (Liveaufnahme))
    Die Aufnahme mit Harnoncourt war am überzeugensten. Das interessante Klangbild, die grosse Virtuosität und das perfekte Zusammenspiel der Streicher im zweiten Satz sowie die grosse Differenziertheit in der Gestaltung begeisterten. Auch sorgfältige Ausarbeitung der ritertando und grosse Sauberkeit im Klang. Allgemein eher schnelle Tempi aber agil umgesetzt.



    Orchestre des Champs Elysées; Ltg: Philippe Herreweghe
    Harmonia Mundi HMC 901555 (1996)
    Bei Herreweghe fiel das starke Legatospiel der Streicher auf mit sehr percussiver Bratsche , leider fehlte der „mistrerioso“ Charakter in der Einleitung der Sinfonie und der Klang wirkte insgesamt zu direkt, zu wenig durchsichtig. Manchmal etwas brucknerischer pastoser Klang.


    Orchestre Révolutionnaire et Romantique; Ltg: John Eliot Gardiner
    Archiv Produktion 457 591-2 (1997)
    Helles durchsichtiges Klangbild, Tremoli in den tiefen Streichern, etwas wackelige Einsätze, so zum Beispiel der Trompete, jedoch in allen Sätzen durchsichtiges Klangbild.


    Staatskapelle Dresden; Ltg: Daniel Barenboim
    Teldec 2564 61179-2 (2003)
    Zeigte die Doppelgesichtigkeit der Sinfonie im ersten Satz – das Accellerando wirkte aber übertrieben und im Scherzo war das Tempo sehr hausbacken und instabil. Nahm sich auch relativ viele Freiheiten gegenüber dem Notentext heraus.


    Tonhalle -Orchester Zürich; Ltg: David Zinman
    BMG 82876 57743 2 (2004)
    Ebenfalls gut gefallen hat die Aufnahme unter David Zinman. Plastisches, sorfgältiges Musizieren, ein schöner Holzbläserklang und überzeugender Gestaltungswille zeichnen diese Interpretation aus. Sehr ausgewogene und überlegte Struktur, sehr plastisch.



    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo Schumann-Freunde,


    der 08/2005 von Walter vorbildlich begonne Thread zu Schumanns Sinfonie Nr.2 war schneller wieder in der Versenkung verschwunden als es dem Werk gebührt.


    Gewiss die Sinfonie Nr.2 ist nicht einfach - das gilt für den Komponisten mit seiner Nervenkrankheit - das gilt für den Hörer - und ganz besonders für den Dirigenten. Da reicht kein "perfektes Zusammenspiel der Streicher im zweiten Satz sowie die grosse Differenziertheit in der Gestaltung" oder " Plastisches, sorfgältiges Musizieren, ein schöner Holzbläserklang und überzeugender Gestaltungswille", wie romeo&Julia schreiben.


    Nein, die Sinfonie Nr.2 ist etwas besonderes - eine Neuaufnahme/Gesamtaufnahme der Schumann-Sinfonien messe ich an diesem Werk.


    Meine Aufnahmen:


    1.) Karajan / Berliner PH auf DG war mein erster Kontakt mit Schumann (wie soll es anders sein ?! :D) Aber bis heute ist diese Interpretation für mich maßtabsetzend, weil Karajan das Werk in seiner Schwere begreift und nichts glättet, wie die Karajan-Gegner so gerne und so unsinnig schreiben.


    2.) Eine weitere Aufnahma auf CD kaufte ich mir 2004 als Vergleich und weil sie Superbillig war: Marriner / AOSMITF auf Brillant. Nein, das war insgesamt kein Schumann, so wie ich ihn mir vorstelle und schon gar nicht so spannend, wie Karajan ihn mir ausgelöst durch meine "Karajan-Prägung" präsentierte.


    3.) Nach Karajan auf CD hörte ich Bernstein / Wiener PH auf DG.
    Das war die Aufnahme, die schon durch die bernsteinsche Emotionalität den Schumann-Ton so trifft, wie es sein soll. Schon die alten CBS-Aufnahmen mit Bernstein hatte ich positiv in Erinnerung (geliehen, selbst aber nie besessen). Diese Aufnahme war für mich fast zwei Jahrzehte bis heute Favorit.


    4.) Im Jahr 2005 kaufte ich durch meine Szell-Begeisterung sehr viele Szell-Aufnahmen. Diese Begeisterung ist noch lange nicht abgeschlossen und ich kaufe weiter was Szell hergibt.


    Die Schumann-Sinfonien mit Szell / Cleveland Orchestra auf SONY sind für mich ein weiterer Meilenstein - und insbesondere die Sinfonie Nr.2 durch Szells straffe Interpretation eine Referenzproduktion.
    Laßt uns jetzt nicht wieder über die minimalen Szell-Bearbeitungen diskutieren, diese spielen sich ohnehin hauptsächlich in der Arbeit mit dem Orchester ab und nicht im Notentext. Keiner kann sagen und hören wo eine offenbare Bearbeitung stattfand.


    Szells Produktion hat jedenfalls eine wunderbare Aufbauarbeit für Schumann und seine Sinfonik in den 60erJahren geleistet, denn Szell hat erkannt und publiziert, dass Schumann kein schlechter Sinfoniker war. Er ist nur ein unbequemer Sinfoniker, weil man als Dirigent das Werk gestalten und interpretieren muß, da geht nichts von selbst - schon gar nicht bei der Sinfonie Nr.2.


    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von teleton
    Laßt uns jetzt nicht wieder über die minimalen Szell-Bearbeitungen diskutieren, diese spielen sich ohnehin hauptsächlich in der Arbeit mit dem Orchester ab und nicht im Notentext. Keiner kann sagen und hören wo eine offenbare Bearbeitung stattfand.


    Du selbst lädst durch Deine Bemerkung geradezu zu einer Entgegnung ein 8) : Natürlich finden sich Szells Retuschierungen im Notentext wieder. Szell selbst gesteht sie offen ein und erklärt, warum er retuschiert hat. Ebenso selbstverständlich kann man diese hören bzw. erkennen, wenn man Szells Notentext mit dem "originalen" vergleicht.


    Man kann zu seinen Änderungen stehen wie man will. An Szells großen Verdiensten um Schumann ändern sie imo nichts, aber man sollte nicht so tun als ob es nicht gäbe oder sie unhörbar seien.


    Der Dirigent selbst hat zu seinen Änderungen getanden. Diese Größe sollten Hörer ebenfalls mitbringen.


    Deinen Worten zu Bernstein hingegen habe ich nichts hinzuzufügen. Er ist bisher der einzige, der es geschafft hat, mir die problematische 2. nahe zu bringen, gerade durch seine Emotionalität und die Spielfreude, die er vermittelt.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    mit dem was Du zu Szells geringen Änderungen im Notentext schreibst hast Du ja Recht.
    Ich wollte durch meine Worte nur diese unsägliche Diskussion über dieses Thema, die Szells gute Absichten und Ergebnisse in einem anderen Thread ins negative umwandelten, nicht wieder aufleben lassen.

    Ich stehe ebenfalls dazu und finde Szell´s Ergebnis voll OK !
    --------------------------------------------------------------------------------


    :hello: Kennst Du die Karajan-Aufnahme der Sinfonie Nr.2 ?
    Das ist die Aufnahme, die mir als Erste die Sinfonie Nr.2 sehr nahe gebracht hat um das Werk aufs höchste zu schätzen.


    Bernstein setzte dann später auf CD "noch einen drauf"; ist aber vom positiven Hörerlebnis her nicht sehr weit von Karajan enfernt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    gut, dann sind wir uns über Szell einig ;) .


    Karajans Schumann ist mir so gut wie unbekannt. Die 2. mit ihm kenne ich gar nicht.Wenn mir irgendwann eine günstige Aufnahme in die Hände fällt, werde ich vielleicht schwach...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich habe jüngst in die folgende Aufnahme hineingehört:


    Schumann: Symphony No. 2/Manfred
    Mit Giuseppe Sinopoli und den Wiener Phalharmoniker



    Ich konnte bisher nur einen ersten Eindruck gewinnen, bin mir aber nicht sicher, ob es zu einem zweiten Eindruck kommen wird. Denn das ist Schumann, wie ich ihn nicht hören will. Für mich ist das ein liebloses wildes Gehacke ohne jegliches Gefühl. Auch das Thema Transparanz wird nicht gerade groß geschrieben. Stichwort Suppe.


    Wie gesagt. Nur ein erster Eindruck. Sollte hier widersprochen werden, dann hör ich nochmal rein, ansonsten wars das.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Servus Gallo,


    Zitat

    Original von GalloNero
    Für mich ist das ein liebloses wildes Gehacke ohne jegliches Gefühl. Auch das Thema Transparanz wird nicht gerade groß geschrieben. Stichwort Suppe.


    Sinopoli hab ich eigentlich gar nicht als so wilden Dirigenten-Rebellen im Kopf ;)


    Könnte es vielleicht sein, dass Du eher flüssigere Interpretationen schätzt und auch mehr romantisieren gut findest?


    Bernstein und Solti hören sich für mich weniger geglättet an als Masur, eher mit kleineren Abgründen und besonders Bernstein bei der 4. auch mal recht dramatisch :D


    Man nannte Masur ja auch schon mal "brav" - bei Mendelssohn gefällt´s mir teilweise, sonst reißt mich´s oft nicht wirklich vom Hocker.


    Aber jeder hat ja seinen eigenen Geschmack :yes:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Barezzi
    Sinopoli hab ich eigentlich gar nicht als so wilden Dirigenten-Rebellen im Kopf ;)


    Könnte es vielleicht sein, dass Du eher flüssigere Interpretationen schätzt und auch mehr romantisieren gut findest?


    Hallo Stefan,


    ich habe ja auch nichts von wild geschrieben. Lieblos und Gehacke waren meine Worte. Hektisch hätte ich vielleicht noch hinufügen können. Brei vielleicht noch. Ich hab nichts gegen Sinopoli, aber diese Aufnahme wiederstrebt mir.


    Ja, mir gefällt Masur besser. Vor allem in der 2ten (und um die geht es ja hier).


    Zitat

    Original von Barezzi
    Könnte es vielleicht sein, dass Du eher flüssigere Interpretationen schätzt und auch mehr romantisieren gut findest?


    Damit liegst Du völlig richtig. Flüssig mag ich sehr und bei wem könnte romantisieren angebrachter sein, als bei Schumann :D Und das tut meiner Meinung nach Masur bei seiner 2ten. Für mich ist das nicht brav. Mit dem Attribut geglättet tu ich mir eh schwer. Ich höre da den Romantiker raus. Abgründe? Ich such sie nicht zwingend bei Schumann.


    Wer nun denkt, ich hätte in der Masurschen Aufnahme die für mich persönlich ideale Einspielung gefunden, der täuscht. Ich habe nur Schumann (ich wiederhole mich) mit Masur für mich wiederentdeckt. Das verbindet ;)


    Zwischenzeitlich weiß ich nun aber auch, was mich an Bernstein stört. Wahrscheinlich kann er gar nix dafür. Vielleicht ist der Tontechniker schuld. Es ist dieser für meine Ohren extrem hohe Orchesterklang, der mich stört. Interpretatorisch habe ich an der Aufnahme nichts auszusetzen und an vielen Stellen ist Bernstein sicherlich auch wesentlich spannender zu hörer. Aber dieser Sound :no:


    Aber ich werde weiterhin Augen und Ohren offen halten. Sinopoli ist für mich allerdings voll daneben.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Gallo,


    Zitat

    Original von GalloNero
    Zwischenzeitlich weiß ich nun aber auch, was mich an Bernstein stört. Wahrscheinlich kann er gar nix dafür. Vielleicht ist der Tontechniker schuld. Es ist dieser für meine Ohren extrem hohe Orchesterklang, der mich stört. Interpretatorisch habe ich an der Aufnahme nichts auszusetzen und an vielen Stellen ist Bernstein sicherlich auch wesentlich spannender zu hörer. Aber dieser Sound :no:


    Vielleicht haben die Wiener auch wieder mal zu hoch gestimmt :rolleyes:


    :hello:
    Stefan,
    der Schumanns 2. gerne mit Abgründen verbindet, aber dem guten Gallo seinen Spaß mit Masur nicht verderben will ;)

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Barezzi
    Vielleicht haben die Wiener auch wieder mal zu hoch gestimmt :rolleyes:


    Ok, ich meinte hell. Nicht hoch. HELL!!! :motz: :baeh01:;)


    Liebe Grüße aus Ulm
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)



  • Ok, ich widerspreche - also musst Du nochmal reinhören ;).


    Im Ernst: Ich habe mir die Aufnahme direkt nach dem Erscheinen 1984 noch auf LP gekauft - sie erhielt damals enthusiastische Rezensionen. Der LP war ein Text von Sinopoli beigelegt, der die Symphonie mit dem physischen (nicht psychischen) Leiden Schumanns in Verbindung brachte - ähnlich wie es im Eröffnungsbeitrag von Walter T. angesprochen wird. Die Interpretation betont sehr stark das Insistierende, geradezu Bohrende in diesem Werk, das durch die ständige Wiederholung relativ kurzer Motive im ersten, zweiten und vierten Satz entsteht (das Scherzo assoziierte Sionopoli nach meiner Erinnerung mit einem "nagelartigen" Schmerz). Diese geschärfte Vortragsart empfindest Du anscheinend als "liebloses wildes Gehacke ohne jegliches Gefühl" - ich verstehe, was Du meinst, würde es aber anders beschreiben und werten.


    Auch ohne Sinopolis interessante, aber z.T. sicherlich anfechtbare Erläuterungen (ist der Text eigentlich auch im CD-Booklet enthalten?) ist das für mich immer noch eine der beeindruckendsten Aufnahmen von Schumanns Zweiter - zumal die hier ungemein engagiert spielenden Wiener Philharmoniker voll überzeugen ("Suppe" kann ich nicht erkennen). Eine "romantische" Interpretation ist das auch - aber romantisch nicht im Sinne einer "weichen" Klanglichkeit, sondern im Aufreißen der Kluft zwischen der mühsam gewahrten C-dur-Fassade und der dahinter lauernden Nachtseite.


    Allerdings muss ich zugeben, dass ich die Einspielung schon länger nicht mehr gehört habe - für das Anhören von LPs muss ich immer erst die ganzen CDs vom Plattenspieler wegräumen :D.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Zwielicht,


    ich bin Dir dankbar für den wiederspuch, obwohl ich auch heute morgen schon ohne Deinen Widerspruch schwach gworden bin. Ich bin mit Sinopoli zu hart ins gericht. War beim ersten Reinhören einfach schei../schlecht drauf. Hab heute auf meiner Hauptanlage nochmal reingehört und werde mir die Aufnahme in kürze noch einmal in Ruhe anhören. Dann werd ich auch das Booklet lesen.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Meine Lieblingssymphonie von Schumann liegt mir in zwei herausragenden Aufnahmen vor:



    Berliner Philharmoniker, Karajan, DG 1971



    Wiener Philharmoniker, Bernstein, DG 1985


    Tempo-Vergleich:


    I. 10'42 (Karajan); 12'59 (Bernstein)
    II. 6'59 (Karajan); 6'59 (Bernstein)
    III. 10'33 (Karajan); 13'47 (Bernstein)
    IV. 7'43 (Karajan); 8'45 (Bernstein)
    Gesamt 35'57 (Karajan); 42'30 (Bernstein)


    Mehr braucht das Herz nicht. Beide sind hervorragend, die von Bernstein ist mir noch ein Fünkchen lieber (den Finalsatz bringt er einfach noch emotionaler).


    Wer glaubt, Schumann wäre ein miserabler Symphoniker gewesen, der hat offenbar die falschen Aufnahmen gehört. Mit den richtigen Dirigenten klingen seine vier Symphonien allesamt sehr ausgefeilt und absolut vollwertig.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Irgendwann habe ich festgestellt, dass bernsteins CBS-Aufnahmen mir durch sein stimmigeres Tempo und die jugendlichere Emotionalität mehr liegen, als seine DG-Aufnahmen.


    Heute befinde ich mich in der glücklichen Lage alle Werke die Bernstein auf DG einspielte, soweit vorhanden, auch in seinen CBS-Aufnahmen (SONY) zu besitzen.


    :yes: Die Schumann - Sinfonien gehören erfreulicherweise zu den wenigen Werkreihen, bei denen Bernstein bei DG im geichen Zeitrahmen bleibt, wie zuvor bei seiner Erstaufnahme auf CBS.


    Zu Josephs favorisierten Schumann-Aufnahmen der Sinfonie Nr.2 mit Karajan (DG) und Bernstein (DG), dem ich mich voll anschließe, möchte ich aber auch wieder seine CBS-Aufnahme von 10/1960 nicht unerwähnt lassen.
    Diese ist genauso emotioal empfunden wie seine DG-Aufnahme und bietet durch die New Yorker PH natürlich ein etwas weniger rundes Timbre.
    Das einzige Manko wäre die etwas hart klingende Klangqualität (mit Rauschen) wegen des betagten Aufnahmedatums 1960. In diesem Punkt ist die wiener Aufgnahme natürlich unerreicht.


    Die Spielzeiten: 12:16 - 6:57 - 12:47 - 8:08



    SONY, 1960, ADD


    Das 20Bit-Remastering holt aber hier in meiner dunkelblauen SONY-Lieblings-Bernstein-Serie (The Royal Edition) alles raus, was für diesen Aufnahmezeitraum möglich ist.


    Die Aufnahme ist klanglich diesesmal genau auf der gleichen Stufe, wie die ebenfalls hervorragende Szell-Aufnahme mit dem Cleveland Orchestra (SONY, 1958, ADD). ((Bernstein hat sonst klanglich bei CBS-Aufnahmen aus gleichem Zeitraum immer die Nase vorne. ))
    Nur Szell bewegt sich in einem atemberaubenden Tempo, das seinerseits auch wieder absolut fastziniert; aber fastzinierend nicht nur durch das Tempo: 10:41 - 6:40 - 11:07 - 7:54.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich gestehe, daß ich über viele Jahre hinweg keinen rechten Zugang zur 2. Sinfonie gefunden habe und wohl auch nicht richtig finden wollte. Im ersten Satz fand ich zu wenig "Melodienmaterial", das mich fesselte, das Scherzo erschien mir ebenfalls melodienmäßig als zu "profan", und nach dem expressiven dritten Satz erschien mir das Finale zu "grotesk-strahlend".


    Umso erstaunter war ich, daß ausgerechnet der "späte Bernstein" in seiner Gesamtaufnahme der Sinfonien die Augen für die Schönheiten, die Brüche dieser Sinfonie öffnete. Ausgerechnet Bernstein, der für mich in vielen anderen Sinfonien den schmalen Grat zwischen Emotionalität und Sentimentalität bzw. gar Larmoyanz überschritt, konnte seine Begeisterung für diese Sinfonie auf mich übertragen.
    Auch heute, nach vielen Jahren, ist Bernstein immer noch mein Favorit, aber auch Harnoncourt, zu dem ich ein ähnliches, aber anders begründetes, Verhältnis zwischen "genial und geht gar nicht" pflege, höre ich in seiner zupackenden, differenziert strukturierten Art ebenfalls sehr gerne.


    Daß Claudio Abbado mit seinen (damals) 79 Jahren zu ähnlichen gefühlsmäßigen Extremen wie Bernstein oder zu einer "konsequenten Entschlackung" wie Harnoncourt neigen würde, war nicht zu erwarten. Im Gegenteil, in seiner ersten für die CD aufgenommenen Schumann-Sinfonie rühmt er, sie sei die "fortschrittlichste von allen", geprägt von einem "unglaublichen Reichtum". Und insbesondere diesen "unglaublichen Reichtum" macht er in seiner Aufnahme sehr deutlich und widmet sich dem Werk mit der gleichen Akribie, mit der er andere, unbekannte Werke von Schumann aufgeführt hat ("Szenen aus Goethes Faust" oder das "Requiem für Mignon").



    Schon in der Einleitung fällt eine besondere Charakteristik dieser Aufnahme auf: Das wunderbare Zusammenspiel der einzelnen Orchestergruppen. Wie auch schon bei seinen Aufnahmen mit dem Luzern Festival Orchester schafft er mit dem von ihm gegründeten Orchester Mozart eine vortreffliche Symbiose aus einer fast solistischen Behandlung der Holzbläser und einem feinsinnigen, homogenen Streicherklang.
    Die Farbigkeit des Orchesterklangs ist schwer zu überbieten, die stets vorhandene Bewahrung des musikalischen Flusses ebenfalls.
    Kein Tempo wirkt verschleppt oder zu schnell, die Hingabe zu dem Werk ist beim Orchester und beim Dirigenten spürbar, wenngleich "Hingabe" bei Abbado nicht verwechselt werden sollte mit "sich verlieren in der Gefühlswelt Schumanns" oder der stellenweise wilden Attacke Harnoncourts.
    Abbado "Spätwerk" ist gekennzeichnet von einer besonderen Warmherzigkeit. Es ist für mich anzunehmen, daß die schwere Krebserkrankung Abbados zu einer "Neubewertung des Lebens" geführt hat, einer "Neubewertung", die aus einer fast heiteren Gelassenheit, aus einer Verneinung der Extreme, besteht.


    Man höre beispielsweise insbesondere Abbados Interpretation von Mahlers 6. Sinfonie und versteht dann vielleicht, was ich meine. Abbado negiert das "Tragische", das Brutale, das "Sterben" in der Sinfonie fast vollständig und sucht schier nach dem "Schönen", dem "Versöhnenden" in Mahlers Werk.


    Schumanns 2. Sinfonie ist zwar anders strukturiert als Mahlers 6. und hat einen anderen musikalischen Aussagegehalt, aber Parallelen finden sich auch hier.
    Abbados Interpretation ist gekennzeichnet von einer gewissen "Weichheit", die sich im schon genannten liebevollen Zusammenspiel zwischen den Orchestergruppen ausdrückt, aber auch in der Vermeidung des überbordenden Überschwangs im Finalsatz. Bernstein ist hier zwar nur fünf Sekunden schneller als Abbado, "lässt das Orchester aber viel mehr los", lässt es ungezügelter spielen, vor Überschwang sprühen. Abbado hingegen agiert viel kontrollierter, spielt zwar einen schnellen Satz, vermeidet aber die Deutung, Schumann könne hier zum Ausdruck gebracht haben, die Depression sei überwunden (Dazu sei auf den vorzüglichen Eröffnungsbeitrag in diesem Thread hingewiesen).


    Auch das Scherzo ist kein "wilder Kehraus", im Gegenteil, durch die feinsinnige, stellenweise zurückhaltende Differenzierung, durch das stellenweise Zurücknehmen des Tempos scheint er "seinem Schumann" sagen zu wollen "Halt Dich zurück, Du hast Deine Krankheit noch nicht überwunden".


    Einzig im dritten Satz gestattet Abbado ein gewisses Maß an Emotion, er betont die lyrisch-friedvollen Stimmungsmomente des Satzes, über den Hans von Bülow gesagt hat, ob der kompositorischen Qualität "anbetend niederknien zu wollen".


    Wer das Werk also insbesondere wegen der Schönheit des dritten Satzes liebt, der wird von Abbados Aufnahme begeistert sein, wer hingegen die Verarbeitung von Schumanns Depression in der Sinfonie, also die psychologische Komponente, sucht, der ist vielleicht besser mit Bernstein oder Sinopoli bedient.


    Für mich ist Abbados "emotionale Vorsicht" legitim. So lernt man die immer noch vernachlässigte Sinfonie aus einem anderen Blickwinkel, quasi "aus sich heraus", kennen.


    Das Orchesterspiel ist großartig, es ist zudem sehr transparent und natürlich eingefangen.
    Als "Zugabe" gibt es zwei hervorragend eingespielte Ouvertüren zu "Manfred" und "Genoveva". Ibs. bei der "Manfred"-Ouvertüre kommt man in den Genuss des Temperaments, das manch einer vielleicht bei der Sinfonie vermissen wird...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich muss gestehen, dass ich mich gerade in Schumanns C-Dur-Sinfonie verliebe. Ich finde, dass der fanfarenhafte Beginn einen hohen Suchtfaktor hat. Das ist, als ob etwas ganz Neues geboren wird, reift, noch nicht ganz weiß, wo es hin will, aber da ist mit all seiner Kraft. Keine andere Sinfonie, die ich gehört habe, hat einen derart zugleich suchenden wie kraftvollen Beginn. Es wundert mich nicht, davon zu lesen, dass Schumann kurz vorher Schuberts Große C-Dur-Sinfonie entdeckt hat.


    Der langsame Satz ist ebenfalls fantastisch, meine Güte...


    Ein wunderbares Werk!


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Danke, lieber Christian, dass Du diesen Thread wiederbelebst.


    Die Zweite ist noch vor der Vierten meine Lieblingssymphonie von Schumann. Gerade gestern (wie es der Zufall will) hörte ich auch mal wieder in das Werk und meinte gegenüber einem Freund, dass er besonders auf die wunderschöne Einleitung im Kopfsatz achten solle. Der typische "Schumann-Ton" durchzieht die Symphonie, wie auch seine anderen. Das Werk führt uns einen zerrissenen Komponisten vor Augen, der zwischen Melancholie und Hoffnung hadert. Am Ende setzt sich doch noch einmal letztere durch, im, so wie ich finde, wohl besten Finalsatz, den Schumann komponiert hat.


    Soweit ich weiß, benannte Leonard Bernstein dieses Werk als seine persönliche Lieblingssymphonie. Er nahm sie öfter auf als die anderen drei. Die "großen Alten" machten oft einen Bogen um dieses "kranke Werk" (Günter Wand). Die einseitige Dominanz der Vierten verwunderte mich von jeher. Knappertsbusch spielte nur diese, Furtwängler auch die Erste. Einzig Klemperer scheint eine engere Beziehung zu dem Werk aufgebaut zu haben, denn er führte sie als m. W. einzige der Schumann-Symphonien noch im hohen Alter von 83 Jahren in London mit seinem New Philharmonia Orchestra am 10. Oktober 1968 auf. Dieser unvergängliche Live-Mitschnitt ist auch mein absoluter Favorit bei den Aufnahmen, unter denen sicher noch viele andere Perlen vorhanden sind (Bernstein, Celibidache, Karajan, Szell, Reiner, Toscanini und einige mehr). Es zeigt sich im direkten Vergleich mit der bekannteren Studioaufnahme (5.—6. Oktober 1968), dass der Dirigent die Studioarbeit eher als Probe für den Live-Auftritt sah, denn unendlich glutvoller und intensiver ist der letztere. Mit über 42 Minuten Spielzeit wurde hier wohl der Rekord erreicht, doch von Langeweile keine Spur. In keiner anderen Aufnahme wird für mich deutlicher, dass der strahlende Triumph am Ende nur erzwungen ist. In der Presse wurde die Aufführung seinerzeit stark bejubelt, da sie die Größe und Erhabenheit der äußeren Sätze hervorhob, die Leichtigkeit des Scherzos betonte sowie im Adagio den poetischsten Eindruck hinterließ.


    14:19 - 7:52 - 9:46 - 11:02
    Royal Festival Hall, London, 10. Oktober 1968


    Die Tonqualität ist durchaus gut, wenngleich Mono. Trotz dieses Mankos treten einige Details wie die Pauken m. E. natürlicher hervor als in der etwas sterilen Studioaufnahme (evtl. wurde die in der neuen Box aber neu remastered).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich finde das Werk nach wie vor etwas ungleichwertig.
    Früher mochte ich das Finale überhaupt nicht, ich finde in den Ecksätzen immer noch stellenweise zu viel "Leerlauf", dazu kann ich hier auch die Vorwürfe einer etwas massigen, farblosen Instrumentation nachvollziehen. Die Mittelsätze gehören für mich aber zu Schumanns besten Orchesterstücken überhaupt, gerade auch, was kontrastreiche Orchestrierung betrifft. Der langsame Satz ist beinahe konkurrenzlos, denn in 3 und 4 sind die ja recht kurz und ungewöhnlich und der der 1. kann hier nicht mithalten.


    Ich habe noch vor 20 Jahren in Konzertführern u.ä. sehr negative Kommentare über das Stück gelesen, habe aber den Eindruck, dass die Sinfonie inzwischen nicht mehr zurückgesetzt und auch vergleichbar häufig gespielt und aufgenommen wird, selbst wenn die 4. vermutlich immer noch die populärste ist (was ich auch ziemlich gut verstehen kann).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Danke, lieber Christian, dass Du diesen Thread wiederbelebst.


    Und ich danke dir für den Hinweis auf Klemperer. Dessen Schumann-Aufnahmen kenne ich noch nicht, ich freue mich aber, mir diese anhand der gerade erstandenen Box zu erschließen.


    Meine aufflammende Leidenschaft für "Schumann 2" hat sich übrigens gestern an der Szell-Aufnahme entzündet.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Meine aufflammende Leidenschaft für "Schumann 2" hat sich übrigens gestern an der Szell-Aufnahme entzündet.


    Lieber Christian,


    da hast Du für den Einstieg mit :thumbsup: Szell (SONY, 1958, ADD) eine TOP-Auswahl getroffen, bei der man um absolute Begeisterung gar nicht mehr vorbei kommen kann. Szell´s Schumann-Aufnahmen gehören zu den zügigsten und straffsten der gesamten Discographie.
    Ich poste hier mal die Spielzeiten von Szell, damit man diese den ungewöhnlichen Längen von Klemperer (siehe Beitrag 19 von Josef) tendenziell vergleichen kann: 10:41 - 6:40 - 11:07 - 7:54


    Wenn Du jetzt den geschätzten Klemperer dagegen anhörst, wirst Du wegen der ganz anders gearteten Tempopvorstellungen überrascht sein. Klemperers Tendenz in seinen späten Aufnahmen besonders langsame Tepi zu wählen, scheint mir hier ganz besonders ausgeprägt zu sein.
    * Ich bin jedenfalls gespannt auf deine Eindrücke auch zu Klemperer.


    ;) Ich weis nicht, ob ich mich, der Szell, Bernstein, Karajan, Solti und Levine bei Schumann schätzt und davon geprägt ist, noch mit solchen Längen a´la Klemperer anfreunden könnte ?? Ich glaube erfahrungsgemäss eher nicht !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich weis nicht, ob ich mich, der Szell, Bernstein, Karajan, Solti und Levine bei Schumann schätzt und davon geprägt ist, noch mit solchen Längen a´la Klemperer anfreunden könnte ?? Ich glaube erfahrungsgemäss eher nicht !


    Lieber Wolfgang


    in der Tat fällt mein erster Höreindruck bei Klemperer (ich habe heute die erste und Teile der zweiten Sinfonie von ihm gehört) gegenüber Szell erst einmal ab. Der Vorwärtsdrang ist deutlich zurückgenommen, ohne dass man wegen des langsameren Tempos "mehr Musik" würde hören können. Ich lasse diesen ersten Eindruck erst einmal ruhen und werde mir sicher die zweite unter Klemperer noch einmal ganz anhören.


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."




  • ;) Ich weis nicht, ob ich mich, der Szell, Bernstein, Karajan, Solti und Levine bei Schumann schätzt und davon geprägt ist, noch mit solchen Längen a´la Klemperer anfreunden könnte ?? Ich glaube erfahrungsgemäss eher nicht !


    Lieber Wolfgang,


    ich glaube auch nicht.
    Die breiten Tempi bei Schumann (abgesehen von der 4. Sinfonie) sind noch nicht einmal mein "Hauptproblem" in Klemperers Interpretationen. Es ist vielmehr der Gesamteindruck des "bleischweren", der -eben bis auf die 4. Sinfonie- sich bei mir vermittelt, wenn ich Klemperers Schumann höre.


    Zur Information: Die 4. wurde 1960 aufgenommen, die 1. 1965, die 2. 1968 und die 3. 1969.
    Bis auf wenige Ausnahmen gilt, daß die Tempi bei Klemperer zum Lebensende hin immer breiter wurden und viele Aufnahmen im Gesamtausdruck "schwermütiger". Klemperers schwindende Gesundheit mag sicherlich ein Auslöser dafür gewesen sein.


    Eine gewisse Parallele zum "späten Bernstein" (bei dem einige Aufnahmen in den Tempi ja auch sehr breit angelegt waren, siehe Dvoraks 9., Tschaikowskys 6. oder seine Sibelius-Sinfonien) liegt darin, daß nicht jeder Hörer etwas mit den "extremen Ansichten" etwas anfangen kann, weil sie durchaus polarisieren.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Die Tonqualität ist durchaus gut, wenngleich Mono. Trotz dieses Mankos treten einige Details wie die Pauken m. E. natürlicher hervor als in der etwas sterilen Studioaufnahme (evtl. wurde die in der neuen Box aber neu remastered).


    Nein, als einzige der Schumann Sinfonien erhielt die 2. Sinfonie nach Herausgabe der "alten Schumann Box" keine neue digitale Aufbereitung.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Robert Schumann: Symphonie Nr. 2 C-dur op. 61
    Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
    Dirigent: Paavo Järvi
    AD: 2012
    Spielzeiten: 11:56-7:28-9:41-8:15 -- 37:20 min.;


    Ich habe nun eine Weile die zweite Schumann nicht mehr gehört und nun zum ersten Mal mit Järvi. Natürlich spuken mir auch noch die "niedermachenden" Kritiken aus Reclams Konzertführer im Kopf herum. Aber das kann ich nach Anhören und Anschauen dieser Aufnahme beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen.
    Schon der Kopfsatz ist der Hammer. Wie bei Beethoven schon gewohnt, wie in der Frühlingssymphonie bestätigt, treibt Järvi sein Orchester unaufhörlich an, das sich aber auch gerne antreiben lässt und so zu einem fulminanten Vortrag gelangt. Natürlich ist das nicht Beethoven, Mozart oder Haydn, wo eines automatisch ins andere mündet. Natürlich steht hier einer, der nicht "als Sinfoniker auf die Welt gekommen ist", wie man das bei den vorgenannten drei konstatieren möchte. Aber das Ergebnis, besonders des Bremer Orchesters, ist spektakulär, mit dem Paukisten Stefan Rapp an der Spitze. Gegenüber der Frühlingssymphonie ist die Besetzung wieder um 2 Hörner geschrumpft, aber sonst scheint alles beim Alten geblieben zu sein. Die gewiss nicht einfache rhythmische Gestaltung Schumanns hat m. E. das Bremer Orchester hervorragend gelöst.
    Sehr schön ist auch der langsame Satz gestaltet, und der attacca folgende Finalsatz schließt den Kreis zum Kopfsatz auf das Trefflichste. Järvi und den Bremer ist hier sicherlich eine hervorragende Interpretation gelungen. leider habe ich nicht die Zeit, mal die ganze Aufnahme mit der GA Szell zu vergleichen, da ich durch die Beethoven-Sonaten gebunden bin, aber es sind ja in den Schumann-Sinfonien-Threads auch einige veritable Experten unterwegs.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nein, als einzige der Schumann Sinfonien erhielt die 2. Sinfonie nach Herausgabe der "alten Schumann Box" keine neue digitale Aufbereitung.


    Die besagte Box "Romantic Symphonies & Overtures" habe ich mittlerweile und kann diesen Makel nun selbst nachvollziehen. Es ist schon merkwürdig, dass von Klemperers Schumann-Zyklus die beiden früher eingespielten Symphonien (Nr. 4 von 1960 und Nr. 1 von 1965) klanglich besser herüberkommen als die späteren (Nr. 2 von 1968 und Nr. 3 von 1969). Da die Dritte anders als die Zweite 2011 neu remastered wurde, scheint es auch nicht allein daran zu liegen. Das Remastering der Ersten ist sogar schon von 1998 und trotzdem kommt mir der Klang natürlicher und voller vor.


    Jedenfalls: Klemperers Interpretationen der 2. von Schumann sind natürlich extrem. Die oben erwähnte Live-Aufnahme auf Testament ist überzeugender als die wenige Tage zuvor im Studio entstandene für EMI, obwohl sie nur in Mono vorliegt (ein typisches Ärgernis, da die BBC bis Anfang der 70er Jahre nur partiell in Stereo mitschnitt). Einem Einsteiger würde ich von beiden eher abraten, weil sie schwerlich der Intention Schumanns entsprechen dürften, auch wenn sie gehaltvoller sind als die meisten anderen Aufnahmen.


    Nachdem ich nun auch Bernsteins frühere CBS/Sony-Aufnahme von 1960 mit dem New York Philharmonic kenne, verstärkt sich mein Eindruck, dass er der ideale Interpret für dieses Werk war. Er benannte sie ja auch mal als seine Lieblingssymphonie. In wirklich keiner mir bekannten Aufnahme gelingt der schwierige Schlusssatz besser, der unter einem mittelmäßigen Dirigenten leicht ein wenig repetitiv wirken kann. Die unüberhörbare Emotionalität bekommt der Musik eines solch tragischen Komponisten wie Schumann in Bernsteins Lesart m. E. auch mit am überzeugendsten. Die Zurücknahme des Tempos in den allerletzten Takten erscheint mir bei Bernstein sehr schlüssig und setzt dem Ganzen zum Abschluss noch das i-Tüpfelchen auf. Die 25 Jahre später entstandene Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern ist klanglich und auch hinsichtlich des Orchesterspiels nochmal überlegen, auch wenn mir die New Yorker Einspielung trotz der Einschränkungen genauso erstklassig vorkommt.


    Ein Klasse-Schumann-Dirigent war auch der oft übersehene Erich Leinsdorf. Auf Platte hat er nur die 4. eingespielt, aber wenn man seine Konzertprogramme durchgeht, dann erscheint Schumann ganz häufig. Nicht nur die vier Symphonien, sondern auch wenig gespielte Werke wie Ouvertüre, Scherzo und Finale sowie einige selten gehörte Ouvertüren. Dass Leinsdorf bei den Symphonien stets auf die Mahler-Retuschen setzte, finde ich weniger dramatisch, weil das Ergebnis überzeugt. Die 2. Symphonie jedenfalls war auch ein persönlicher Favorit Leinsdorfs. Glutvoller kann man die kaum bringen. Würde ich klar der Chailly-Studioaufnahme in der Mahler-Bearbeitung vorziehen.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Zweite Schumann ist und bleibt eine heikle Sache. Es ist nicht einfach, bei ihr den richtigen Tonfall und vor allem die richtigen Tempi zu treffen. Ich bin mit vielen Aufnahmen unzufrieden. Entweder sind sie verhetzt oder zu langsam. Es ist nicht einfach.


    Zwei Aufnahmen, die sich bei mir bewährt haben, sind diese:


    1.) Wiener Philharmoniker, Giuseppe Sinopoli (DG, 1983):


    2.) Orchestre des Champs Élysées, Philippe Herreweghe (HM, 1995):

  • Zwei Aufnahmen, die sich bei mir bewährt haben, sind diese:
    Wiener Philharmoniker, Giuseppe Sinopoli (DG, 1983)


    Im Prinzip bin ich nicht so direkt der Sinopoli-Freund. Aber Dein Beitrag und auch was hier in Beitrag 8 steht, macht mich erst recht neugierig. :?: Eine Ausnahmeaufnahme !??!
    Jedenfalls habe ich mir die CD mit der Sinfonie Nr.2 und Manfred-Ouv (DG, 83) gerade für wenige Cent bestellt -- Abb Beitrag 8. Bin gespannt !


    :?: Weist Du oder ein Anderer welche der Sinopoli-Aufnahmen der Zweiten vor zu ziehen sind: Diese mit den WPO (DG) oder die aus seiner Schumann-Sinfonien-GA mit der Staatskapelle Dresden ?



    Zitat

    Zitat von Josef:
    Nachdem ich nun auch Bernsteins frühere CBS/Sony-Aufnahme von 1960 mit dem New York Philharmonic kenne, verstärkt sich mein Eindruck, dass er der ideale Interpret für dieses Werk war.


    Ja, das kann ich gut nachvollziehen.
    Was mir besonders gut gefällt sind die straffen Spielzeiten in Bernsteins SONY - Aufnahme; und dass Bernstein in seiner Spätaufnahme mit den Wiener PH (DG) nicht dem Hang nachgibt alles unendlich auszuzelebrieren, denn die liegt in ähnlichem Zeitrahmen. Von der Klangtechnik her ist die DG-Aufnahme für einen höheren Hörspass vorzuziehen.



    *** Ein frohes Weihnachtsfest wüunsche ich Euch und natürlich allen Taminos !




    *** Meine Favoriten für die Zweite sind nach wie vor meine drei Lieblinge Solti (Decca), Karajan (DG) und Bernstein (SONY +DG).

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Als erster CD-Neuzugang 2018 ist die Aufnahme mit Sinopoli / Wiener PH (DG) bei mir eingegangen.



    DG, 1984, DDD


    Kurz meine Eindrücke:
    Eine gespannte Int, die ohne Vergleich voll bestehen würde. Auch vom straffen Tempo her absolut stimmig. Kurzum -- gut ! Weniger gefällt mir der Klang der Pauken, die mir viel zu sehr in den Orchesterklang integriert sind. Gerade bei den WPH doch eigentlich ungewöhnlich ? Nur beim Finale sind sie präsent, wo es ohnehin nicht mehr anders geht.
    Es fehlt mir zudem bei Sinopolis Int letztendlich auch das, was mich tief bewegen könnte.


    Ich habe drei Aufnahmen mit den WPH: Solti (Decca), Bernstein (DG) ... diese gefallen mir schonmal deutlich besser.
    Als ich nach Sino heute Solti´s TOP-Aufnahme hörte, war mein gedankliches Fazit: Diese Sinopoli CD brauche ich eigentlich nicht in meine Sammlung zu integrieren ... von Bernstein (SONY und DG) und ja auch Karajan (DG) ganz zu schweigen ... mal sehen.


    Die Manfred-Ouvertüre habe ich mit Bernstein (SONY), Levine (DG), Szell (SONY) auch spannender und dramatischer in Erinnerung .......

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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