2013 - Wer war denn eigentlich dieser Richard Wagner?

  • Kaum ein Komponist ist umstrittener als Richard Wagner. Einerseits fast göttergleich verehrt, andrerseits gehasst - und sogar lächerlich gemacht, bzw die Texte seiner Opern. Ein Monolith im Bereich der Deutschen Oper fast unzerstörbar - abgesehen vom Regietheater natürlich. Zahlreiche Legenden ranken sich um Wagner - und seine Opern finden sich permanent auf den Spielplänen wie eh und je. Dieses Jahr jährt sich der Geburtstag des Meisters zum 200. Mal. Grund genug um mal hinter die Kulissen zu blicken und sich zu fragen : Wer war denn eigentlich dieser Richard Wagner ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • In einer Aufführung einer Dramatisierung von Puschkins Versroman "Eugen Onegin" an der Berliner Schaubühne fiel über diesen russischen Dichter folgender Satz:


    "Er lebte seine Genialität wie seine Laster kompromisslos aus."

    Ich glaube, dass dieser Satz ebenso gut auf Richard Wagner zutreffen könnte.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ein Großer über einen genauso Großen:


    Friedrich Nietzsche: Ecce Homo


    Zitat

    Es giebt einen einzigen Fall, wo ich meines Gleichen anerkenne — ich bekenne es mit tiefer Dankbarkeit. Frau Cosima Wagner ist bei Weitem die vornehmste Natur; und, damit ich kein Wort zu wenig sage, sage ich, dass
    Richard Wagner der mir bei Weitem verwandteste Mann war… Der Rest ist Schweigen…

    Zitat

    Hier, wo ich von den Erholungen meines Lebens rede, habe ich ein Wort nöthig, um meine Dankbarkeit für das auszudrücken, was mich in ihm bei weitem am Tiefsten und Herzlichsten erholt hat. Dies ist ohne allen Zweifel der intimere Verkehr mit Richard Wagner gewesen. Ich lasse den Rest meiner menschlichen Beziehungen billig; ich möchte um keinen Preis die Tage von Tribschen aus meinem Leben weggeben, Tage des Vertrauens, der Heiterkeit, der sublimen Zufälle — der tiefen Augenblicke… Ich weiss nicht, was Andre mit Wagner erlebt haben: über unsern Himmel ist nie eine Wolke hinweggegangen. — Und hiermit komme ich nochmals auf Frankreich zurück, — ich habe keine Gründe, ich habe bloss einen verachtenden Mundwinkel gegen Wagnerianer et hoc genus omne übrig, welche Wagner damit zu ehren glauben, dass sie ihn sich ähnlich finden… So wie ich bin, in meinen tiefsten Instinkten Allem, was deutsch ist, fremd, so dass schon die Nähe eines Deutschen meine Verdauung verzögert, war die erste Berührung mit Wagner auch das erste Aufathmen in meinem Leben: ich empfand, ich verehrte ihn als Ausland,
    als Gegensatz, als leibhaften Protest gegen alle „deutschen Tugenden“ — Wir, die wir in der Sumpfluft der Fünfziger Jahre Kinder gewesen sind, sind mit Nothwendigkeit Pessimisten für den Begriff „deutsch“; wir können gar nichts Anderes sein als Revolutionäre, — wir werden keinen Zustand der Dinge zugeben, wo der Mucker obenauf ist. Es ist mir vollkommen gleichgültig, ob er heute in andren Farben spielt, ob er sich in Scharlach kleidet und Husaren-Uniformen anzieht… Wohlan! Wagner war ein Revolutionär — er lief vor den Deutschen davon… Als Artist hat man keine Heimat in Europa ausser in Paris; die délicatesse in allen fünf Kunstsinnen, die Wagner’s Kunst voraussetzt, die Finger für nuances, die psychologische Morbidität, findet sich nur in Paris. Man hat nirgendswo sonst diese Leidenschaft in Fragen der Form, diesen Ernst in der mise en scène — es ist der Pariser Ernst par excellence. Man hat in Deutschland gar keinen Begriff von der ungeheuren Ambition, die in der Seele eines Pariser Künstlers lebt. Der Deutsche ist gutmüthig — Wagner war durchaus nicht gutmüthig… Aber ich habe schon zur Genüge ausgesprochen (in „Jenseits von Gut und Böse“ S. 256 f.), wohin Wagner gehört, in wem er seine Nächstverwandten hat: es ist die französische Spät-Romantik, jene hochfliegende und hoch emporreissende Art von Künstlern wie Delacroix, wie Berlioz, mit einem fond von Krankheit, von Unheilbarkeit im Wesen, lauter Fanatiker des Ausdrucks, Virtuosen durch und durch… Wer war der erste intelligente Anhänger Wagner’s überhaupt? Charles Baudelaire, derselbe, der zuerst Delacroix verstand, jener typische décadent, in dem sich ein ganzes Geschlecht von Artisten wiedererkannt hat — er war vielleicht auch der letzte… Was ich Wagnern nie vergeben habe? Dass er zu den Deutschen condescendirte, — dass er reichsdeutsch wurde… Soweit Deutschland reicht, verdirbt es die Cultur. —


    Zitation wird fortgesetzt!

  • Wer war denn eigentlich dieser Richard Wagner ?

    Der neben Bach, Mozart, Beethoven größte Komponist der Weltgeschichte; neben letzterem der größte Revolutionär in seinem Fach, der wohl einflussreichste Opernkomponist aller Zeiten! Nach ihm war nichts mehr, wie es vor ihm war. Niemand nach ihm konnte ihn einfach ignorieren, keiner kam an ihm vorbei. Der Mann selbst janusgesichtig wie nur je ein künstlerisches Genie, ein Faust und Mephisto in einem, schon rein äußerlich. Menschlich zart und ein Vieh, egomanisch bis zum Krankhaften, Wahnhaften; in seiner Musik unsterblich. Im Leben gebeutelt, aber auch reich beschenkt, ohne Cosima und ohne Ludwig wäre er heute nicht der, der er für alle Welt ist. Ich wünsche mir, dass wie bei seinem langjährigen Freund Nietzsche endlich einmal Vernunft und Kenntnisse bei den Massen einziehen und man aufhört, mit spitzfindigen ideologischen Urteilen einen Mann und ein Werk zu beschädigen, das in der Welt des Geistes und der Kunst seinesgleichen sucht.

  • [ ... ]


    Wagner war ein fantastischer Komponist und zugleich ein übler Antisemit. Das erste reinigt ihn nicht vom Letzteren, das Letztere ändert nichts am ersten.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo Yorick,


    gratuliere zu diesen treffenden Worten, die ich gerne ganz unterschreiben möchte, wenn ich denn noch Brahms (den ja- eigentlich aus heutigerm entspannter Sicht unsinnigerweise- ein gewisser Hanslick als konservativen Gegenkomponisten zu Wagner und Bruckner hinstellte), den Wagnerbewunderer Bruckner und auch Schubert hinzunehmen darf.


    Allein schon die Vorspiele zu Tristan, Tannhäuser, Meistersinger....., die Grals-Enthüllung beim "Parisfal" oder "Isoldes Liebestod" machen Wagner zu genau jenem singulärem Phänomen, von dem Du schreibst. Letzteres (Isoldes Liebestod) hörte ich vor einigen Tagen und konnte an diesem Abend erst einmal gar nichts danach hören. Dafür war der innere Nachklang viel zu wundervoll. Eine herrliche, bedeutsame, berührende und wirklich grossartige Musik!


    Wenn Yorick den Wagner als "menschlich zart und Vieh" als "egomanisch bis zum Krankhaften" aber gleichzeitig als "unsterblich in seiner Musik" bezeichnet, wird m.E. jedem gutwilligen, aufmerksamen Leser deutlich, dass er sehr wohl verstanden hat, dass Wagner zwar eine ambivalente Persönlichkeit war, die man durchaus auch kritisch sehen kann und muss, deren Musik jedoch überragend und unsterblich ist.


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ja, wer war denn eigentlich dieser Richard Wagner?


    Objektiv: Der größte deutsche Opernkomponist zumindest des 19. Jahrhunderts.


    Subjektiv (= meine Meinung): Der größte Komponist aller Zeiten.


    :angel:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • oder "Isoldes Liebestod" machen Wagner zu genau jenem singulärem Phänomen, von dem Du schreibst. Letzteres (Isoldes Liebestod) hörte ich vor einigen Tagen und konnte an diesem Abend erst einmal gar nichts danach hören. Dafür war der innere Nachklang viel zu wundervoll. Eine herrliche, bedeutsame, berührende und wirklich grossartige Musik!


    Lieber teurer Freund, sei vorsichtig mit "Tristan"; du weißt, er ist tödlich! Der erste starb kaum 30jährig; Keilberth ereilte beim Dirigat der Herzinfarkt. Nicht umsonst musste Wagner selbst die "Meistersinger" als Satyrspiel nachsenden, reiner Selbstschutz. Der "Tristan" ist reines Gift und tödlich für diejenigen, die nicht dosieren. Siehe auch Thomas Manns gleichnamige Novelle, verwandt auch "Wälsungenblut" ... :)

  • Ich wünsche mir, dass wie bei seinem langjährigen Freund Nietzsche endlich einmal Vernunft und Kenntnisse bei den Massen einziehen und man aufhört, mit spitzfindigen ideologischen Urteilen einen Mann und ein Werk zu beschädigen, das in der Welt des Geistes und der Kunst seinesgleichen sucht.


    Das, lieber Yorick, möge bitte niemals eintreten. Es wäre schrecklich, wenn plötzlich die Massen Nietzsche und Wagner für sich entdeckten in dem von Dir gewünschten Sinne. Das können diese Massen nämlich gar nicht.


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hier möchte ich mich Joseph II. anschliessen.


    Für mich ist Wagner der grösste Komponist aller Zeiten.


    :hello:


    Gruss
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Wenn ich persönlich Wagner auch nicht als den größten Komponisten aller Zeiten ansehe, so ist er jedoch ohne Zweifel einer der ganz Großen der Musik und sitzt insofern auch völlig zu Recht im Musiker-Olymp.


    Warum fällt mir nur gerade jenes Barenboim-Konzert aus Israel (mit der Wagner-Zugabe) ein... ;(

    .


    MUSIKWANDERER


  • Das, lieber Yorick, möge bitte niemals eintreten. Es wäre schrecklich, wenn plötzlich die Massen Nietzsche und Wagner für sich entdeckten in dem von Dir gewünschten Sinne. Das können diese Massen nämlich gar nicht.


    Das meinte ich auch nicht; die Massen fressen, saufen, ficken und lassen sich unterhalten, mit Fußball oder Fernsehen! Das ist nicht unser Problem! :) Was ich meinte, ist, dass man die beiden auch in unserem 32stel gebildeten Bürgertum nach wie vor nicht nach ihren gewaltigen Leistungen beurteilt, sondern nach platten politischen und ideologischen Vorgaben, die per se ahistorisch sind und völlig ungerecht. Bestes Beispiel der wie bei Luther schon automatisierte Vorwurf des Antisemitismus, der, wenn man sich die Zeitläufte ansieht, einfach nur albern ist. Was immer WIR auch HEUTE dazu sagen und also unahbhängig davon, dass wir DERZEIT eine ganz andere Position dazu haben: Judenfeindlichkeit gibt es seit 2500 Jahren, in allen Teilen der Welt, besonders aber in Alteuropa, wo der permanente Antijudaismus in den Antisemitismus umschlug; wobei man sogar sagen muss, dass die zentralen Schriften des hetzenden Judenhasses der Wagnerzeit aus Frankreich und Russland stammen und überhaupt die Beargwöhnung der Juden nie ein rein deutsches Problem war, sondern etwa in Polen oder der Ukraine wesentlich schärfer zu beobachten war. Gerade im 19. Jahrhundert hingen weite Teile des Bildungsbürgertums antijüdischen Vorstellungen an, meist aus Vorbehalten, die eigentlich der beginnenden kapitalistischen Ordnung zuzuschlagen sind. Wagner schreibt also, was viele - auch große Geister - in seiner Zeit auch denken; es ist also zum einen der Zeitgeist, der aus ihm spricht, zum anderen persönlich motivierter Hass auf Mendelssohn - das Glückskind, dem alles in die Wiege fiel - und Meyerbeer, der ihm in Paris so bitter aufstieß. Malte Fischer hat das in seinem Buch sehr genau untersucht und herausgefiltert, wie wenig Wagners Schrift wirklich mit Antisemitismus zu tun hatte. Ohne also irgendetwas zu entschuldigen muss man den reflexartigen Vorwurf des Antisemitismus als entscheidendes Wertungskriterium entschieden zurückweisen. Davon ganz unabhängig: Das Kunstwerk ist autonom! Das genialste Musikwerk eines der perversesten und mörderischsten Komponisten wäre immer noch genial, so sehr wir auch den Schöpfer verachten würden.

  • Das meinte ich auch nicht; die Massen fressen, saufen, ficken und lassen sich unterhalten, mit Fußball oder Fernsehen! Das ist nicht unser Problem!


    Nein, "wir" sind viel besser!!! Wir "fressen" und "saufen" nicht, ficken nicht und lassen uns nicht unterhalten, weder mit Fußball noch mit Fernsehen oder sonstwas...


    Oper oder auch ein Sinfoniekonzert ist IMMER auch Unterhaltung!!! - vielleicht auf höherem Niveau, vielleicht anspruchsvoller als manch anderes (Hast du hier nicht mal ein Video von dir beim Fußballgrölgesang eingestellt?).


    Dieses sich-besser-Fühlen als die "Masse" finde ich eigentlich nur peinlich - zumindest fehlt mir die plausible Begründung für diese elitäre Einstellung, gerade aus diesem Munde.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Judenfeindlichkeit gibt es seit 2500 Jahren, in allen Teilen der Welt, besonders aber in Alteuropa, wo der permanente Antijudaismus in den Antisemitismus umschlug; wobei man sogar sagen muss, dass die zentralen Schriften des hetzenden Judenhasses der Wagnerzeit aus Frankreich und Russland stammen und überhaupt die Beargwöhnung der Juden nie ein rein deutsches Problem war, sondern etwa in Polen oder der Ukraine wesentlich schärfer zu beobachten war.

    Macht es das wirklich besser??? Wenn wir jetzt 1920 hätten, dann könnte ich diese Argumentation noch irgendwie nachvollziehen, aber wir haben inzwischen 2013 - und in den letzten Jahren ist viel passiert, vor allem 1933 bis 1945!


    Und natürlich beurteilt man Geschichte wie auch Kunst IMMER vom heutigen Standpunkt aus - von wo denn sonst? Man kann doch nicht so tun, als wenn wir noch 1920 leben würden!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Gerade im 19. Jahrhundert hingen weite Teile des Bildungsbürgertums antijüdischen Vorstellungen an, meist aus Vorbehalten, die eigentlich der beginnenden kapitalistischen Ordnung zuzuschlagen sind. Wagner schreibt also, was viele - auch große Geister - in seiner Zeit auch denken; es ist also zum einen der Zeitgeist, der aus ihm spricht, zum anderen persönlich motivierter Hass auf Mendelssohn - das Glückskind, dem alles in die Wiege fiel - und Meyerbeer, der ihm in Paris so bitter aufstieß.


    Dass damals viele so dachten, macht es heute auch nicht besser, denn viele dachten auch damals nicht so und heute sollte eigentlich niemand mehr so denken, der noch eingermaßen bei Sinnen ist.


    Klar, Mendelssohn fiel immer alles in die Wiege - deshalb ist er ja auch Nachfolger Zelters als Leiter der Berliner Singakademie geworden, stimmt's? :no:



    Und Meyerbeer hat Wagner so häufig finanziel unterstützt und mit Empfehlungsschreiben für Dresden ("Rienzi") und Berlin ("Holländer") ausgestattet, dass Wagners von Neid und Missgunst dem erfolgreicheren Kollegen gegenüber geprägtest Verhalten gegenüber Meyerbeer eine der widerlichsten Aspekte seiner Persönlichkeit war.


    Mendelssohn und Meyerbeer mögen aus Wagners subjektiver Sicht ein Anlass für das gewesen sein, was er dann an antisemitischem "Schriffttum" verzapft hat, eine Rechtfertigung war deren tatsächliches Verhalten aber ganz sicher nicht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Malte Fischer hat das in seinem Buch sehr genau untersucht und herausgefiltert, wie wenig Wagners Schrift wirklich mit Antisemitismus zu tun hatte. Ohne also irgendetwas zu entschuldigen muss man den reflexartigen Vorwurf des Antisemitismus als entscheidendes Wertungskriterium entschieden zurückweisen. Davon ganz unabhängig: Das Kunstwerk ist autonom! Das genialste Musikwerk eines der perversesten und mörderischsten Komponisten wäre immer noch genial, so sehr wir auch den Schöpfer verachten würden.


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein seriöser Autor wie Jens Malte Fischer tatsächlich zu dem Ergebnis kommt, Wagners Schriften seien frei von Antisemitismus.


    Es ist ein mitentscheidendes Kriterium zur Bewertung des Menschen Wagner.


    Und zur Bewertung seiner Musikdramen muss man untersuchen, wie "autonom" sie wirklich davon sind - oder wie viel Antisemitismus doch in sie eingedrungen ist: Wagner bezeichnete das Duett Alberich - Mime im 2. Akt "Siegfried" selbst als sein "Juden-Duett" und charakterisierte die "Zwerge" Alberich und Mime so, wie du es mit einem deiner Lieblingswörter auf den Punkt bringen könntest: "geifernd"! Beckmesser wird von Stolzing als "Jude im Dorn" gebrandmarkt ("In einer Dornenhecke") und am Ende vom Volk, das ihn auslacht, erniedrigt und gedemütigt. Kundry ist die schuldhafte Sünderin, die den Herr verlachte und nun ihre große Schuld abtragen muss - Erlösung findet sie nur in ihrem physischen Untergang (was "wunderbar" mit Wagners theoritischen Schriften zur Judenfrage gerade jener Jahre korrespondiert).


    Die Reinwaschung des Werkes ist ebensowenig möglich wie die Reinwaschung des Menschen. Der Unterschied ist: Das musikalische Werk verfügt über derart hervorragende und umwerfende Qualitäten, dass dessen Existenzberechtigung nicht in Zweifel stehen kann. Man soll Wagner spielen, hören und sich daran erfreuen - aber man sollte auch kritisch und wachsam bleiben und sein Gehirn nicht an der Garderobe abgeben.


    Ich glaube, dass, wenn das Konsens wäre, bestimmte Regisseure uns nicht immer wieder darauf stoßen müssten, dann mit dieser Einsicht und dieser kritischen Distanz zu Wagner ein Genuss seiner Musik viel eher möglich ist als ohne diese.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • die Massen fressen, saufen, ficken und lassen sich unterhalten, mit Fußball oder Fernsehen!


    Ganz ehrlich: Dieses wohlfeile und doch vollkommen undifferenzierte Sichtweise habe ich irgendwann nach der Pubertät abgelegt. - Selbst, wenn es denn so wahr und einfach wäre, stellt sich doch die Frage, inwieweit die "geistige Elite" (deren Teil wir hier fraglos auch sind) eine Verantwortung für die hier verbildlichte "Verdummung der Masse" trägt ... ?(

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wie dieser Thread einmal mehr zeigt, sind überschwängliche Wertungen wie "der größte Komponist aller Zeiten" völlig verzichtbar und in keiner Weise hilfreich - außer daß sie die ganz private Bewunderung einer individuellen Rezeption zum Ausdruck bringen. Statt dessen wäre es angemessener, die Qualitäten von Wagners Musik und Wagner als Schriftsteller und Ästhetiker zu beschreiben oder auch zu würdigen, die ihn in der Tat unvergleichlich machen. Wagners Antisemitismus ist peinlich - ich gehöre übrigens zu denen, die seine Schrift über das Judentum in der Musik gelesen haben. Bestürzend daran sind nicht etwa Tiraden - die gibt es nicht - sondern es ist die kühle Sachlichkeit und pseudowissenschaftliche Gründlichkeit, der sich Wagner da befleißigt im Stile einer vermeintlich objektiven musiksoziologischen Untersuchung. Wagners Antisemitismus war pures Ressentiment - wie sein Briefwechsel mit Franz Liszt zeigt. Liszt nahm ihm diese Schrift sehr übel - sie richtet sich ja gegen Mendelssohn vor allem. Auf den bösen Brief seines Freundes Liszt antwortet Wagner "entschuldigend" - und wirklich entlarvend: "Ich meinte ja auch nicht eigentlich den Mendelssohn, sondern den Meyerbeer!" Unglaublich: Meyerbeer hatte Erfolg und war Jude, Wagner dagegen keinen. Um dieses Ressentiment zu befriedigen, bemüht er in dieser Schrift ein ästhetisches Argument gegen Mendelssohn, was er später dann gegen Eduard Hanslick verwenden wird. Es wird also ein Gedanke, der an sich gar nichts mit dem "Judentum in der Musik" zu tun hat, funktionalisiert im antisemitischen Sinne. Das ist wahrlich übel und hat eine verheerende Wirkung gehabt, die Mendelssohn-Rezeption in der Musikwissenschaft bis ins 20. Jhd. hinein vergiftet (ich habe über dieses Thema in meiner Studienzeit mal ein hochinteressantes musikwissenschaftliches Seminar besucht). Seit Wagners Schrift klebt Mendelssohn der Vorwurf der Oberflächlichkeit an, und dieses fragwürdige Erbe Wagners ist auch bei "kritischen" Autoren kaum auszurotten. Der Antisemitismus in Bayreuth ist damals schon Nietzsche übel aufgestoßen. Antisemiten konnte Nietzsche nämlich auf den Tod nicht ausstehen - seine unsäglich dumme Schwester Elisabeth war ja mit dem Antisemiten-Führer Foerster verheiratet. (Er selbst nennt die Antisemiten die "verlogenste Bande in Deutschland" und sich selbst in Briefen an seine Schwester einen "unverbesserlichen Europäer und "Anti-Anti-Semiten".) Abgesehen davon ist Wagner natürlich ein hoch bedeutender Ästhetiker - aus der Geschichte der Musikästhetik nicht wegzudenken. Und daß große Komponisten jüdischen Glaubens wie Gustav Mahler oder Arnold Schönberg alle glühende Wagner-Verehrer waren, spricht für sich.


    Beste Grüße
    Holger

  • Ganz ehrlich: Dieses wohlfeile und doch vollkommen undifferenzierte Sichtweise habe ich irgendwann nach der Pubertät abgelegt. - Selbst, wenn es denn so wahr und einfach wäre, stellt sich doch die Frage, inwieweit die "geistige Elite" (deren Teil wir hier fraglos auch sind) eine Verantwortung für die hier verbildlichte "Verdummung der Masse" trägt ... ?(

    Nun hatte ich eigentlich gehofft, dass neben Farinelli wenigstens auch du verstehst, was gemeint ist. :) Wenn man jedes Mal erklären muss, was man schreibt, hat man keine Zeit mehr zum Leben und Denken! Also: Auch ich fresse, saufe, ficke und lasse mich gerne unterhalten und das alles mit Genuss und Freude! Im Gegensatz zu den meisten hier gehe ich sogar seit drei Jahrzehnten zum Fußball und auch noch ganz anderen sehr realen Hobbys nach, züchte unter anderem Deutsche Schäferhunde. Da ich mit beiden Beinen im Leben stehe und kein Traumtänzer bin, weiß ich, was ich sage, wenn ich über das Volk spreche. Der Unterschied ist lediglich der: Während ich überall zu Hause bin, lebt die Majorität genau so, wie ich es auf den Punkt gebracht habe. Brot und Spiele! Wenn du das bestreiten willst; bitte; der Befund hat nichts mit Hochnäsigkeit zu tun, er ist schlicht realistisch. Und über wie auch immer geartete geistige Eliten müssen wir in diesem Land nicht mehr reden; die Zeiten sind längst vorbei.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Unglaublich: Meyerbeer hatte Erfolg und war Jude, Wagner dagegen keinen.

    Was nimmt ein Künstler dem anderen immer übel? Was verzeiht er ihm nie! Was toleriert er nicht? Was wird er ihm niemals vergessen? Erfolg!!! Dichter, Maler, Komponisten; sie alle reagieren allergisch auf den Erfolg von Kollegen!

  • Wenn man jedes Mal erklären muss, was man schreibt, hat man keine Zeit mehr zum Leben und Denken!

    Vielleicht sollte man so schreiben, dass sich aus dem Geschriebenen von selbst ergibt, was man denkt - und dieses dann nicht mehr gesondert erklären muss?


    Außerdem sollte man möglichst immer erst denken und dann schreiben...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nun hatte ich eigentlich gehofft, dass neben Farinelli wenigstens auch du verstehst, was gemeint ist. :) Wenn man jedes Mal erklären muss, was man schreibt, hat man keine Zeit mehr zum Leben und Denken! Also: Auch ich fresse, saufe, ficke und lasse mich gerne unterhalten und das alles mit Genuss und Freude!

    Es ist aber auf Dauer anstrengend, immer den möglichen Subtext mitdenken zu müssen ... Letztlich läufst Du (und das nur als Hinweis unter zumindest gleichaltrigen) Gefahr, damit Deine eigene Kompetenz zu unterlaufen. - Das Mittel der Wahl in diesem Forum, wie auch ich erst "lernen" musste, ist das Seziermesser und mitnichten die Machete :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Dichter, Maler, Komponisten; sie alle reagieren allergisch auf den Erfolg von Kollegen!

    Ja, viele Künstler sind menschlich kleinlich, aber die Frage ist auch immer, WIE reagiert man? Und was Wagner, als ihm der Erfolg selbst längst beschieden war, also nach der Eröffnung Bayreuth, nur an immer heftigeren antisemitischen Tiraden, jetzt unter seinem eigenen Namen und nicht mehr anonym, abgesondert hat, ist und bleibt unentschuldbar!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Übrigens zum Thema: Was Wagner, dessen Texte ich als Jugendlicher bestenfalls absurd, zumeist jedoch nur lächerlich fand, mit dem Ring des Nibelungen bewiesen hat, dass er ein scharf analysierender Menschenkenner und Psychologe war.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zeugen Figuren wie Siegfried und Mime wirklich von großer Menschenkenntnis oder sind sie nicht eher fantastische Gestaltungen von Extremen, die mit gemeinen Menschen nicht viel gemein haben?


    Gerade im "Ring" steckt ein enormer gesellschaftlicher Sprengstoff, keine Frage! Das Problem scheint mir nur, dass bei Wagner Antikapitalismus und Antisemitismus Hand in Hand gehen, dass Kapital und Jude bei ihm quasi synonym stehen, was so in der Realität eben nicht so synonym war. Natürlich gab es reiche, wirtschaftlich erfolgreiche Juden, aber es gab auch viele armen Juden - so wie es reiche und arme Nicht-Juden gab.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Übrigens zum Thema: Was Wagner, dessen Texte ich als Jugendlicher bestenfalls absurd, zumeist jedoch nur lächerlich fand, mit dem Ring des Nibelungen bewiesen hat, dass er ein scharf analysierender Menschenkenner und Psychologe war.

    Die Sprache ist natürlich ein eigenes Kapitel und ich wünschte, er hätte in Sachen Stabreim und Alliteration einen wirklichen Fachmann hinzugezogen ... 8-)

  • Ja, dass Wagners Musikdramen heute gewiss primär wegen seiner göttlichen Musik gespielt werden und weniger wegen seiner Texte, ist ein offenes Geheimnis.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der Briefwechsel Liszt-Wagner zeigt doch sehr schön, daß die moderne Fähigkeit zur Selbstanalyse und die Lebenslüge sich gar nicht ausschließen: Wagner analysiert erst sein Motiv, daß er eigentlich gar nicht Mendelssohn sondern Meyerbeer meint, durchschaut aber gleichwohl nicht, daß er damit sein Ressentiment offen legt, was ihm selbst verborgen bleibt, sonst würde es auch gar nicht wirken. Natürlich konnte Wagner und seine Musik psychologisch höchst subtil analysieren. Es ist ja auch etwas anderes, die Psyche Anderer zu ergründen als die eigene. "Das Eigenste ist das Schwerste", sagte einst Hölderlin. Auf Wagner trifft das sicher in hohem Maße zu. Es gibt antisemitsche Züge im Ring - aber dann ist es Aufgabe der Regie, diese Untiefen bloßzustellen. Wir sind durch die Geschichte schließlich klüger geworden und wissen, wo das alles hinführt.


    Beste Grüße
    Holger

  • Wir sind durch die Geschichte schließlich klüger geworden und wissen, wo das alles hinführt.

    Bravo! Ganz meine Meinung! :)


    Allerdings muss ich leider zweifeln, ob alle, die in dieser Rubrik diskutieren, schon bei dieser Erkenntnis angelangt sind... :(


    Im wikipedia-Artikel zu Richard Wagner findet sich folgendes hochinteressante Zitat:


    Ressentiments gegen deutsche Juden waren für Wagner ein willkommenes Ventil für seinen ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex, wie einige Biographen meinen, beispielsweise der Tiefenpsychologe Josef Rattner, der in einem „Psychogramm“ Wagners Antisemitismus wie folgt erklärt:

    Zitat

    „Wer so hartnäckig um eine Ideologie des Hasses kreist, bedarf ihrer und kann anscheinend ohne sie nicht leben. Daher muss das antisemitische und rassistische Element in Wagners Persönlichkeit in einem größeren Zusammenhang gesehen werden.“


    – Josef Rattner: Richard Wagner im Lichte der Tiefenpsychologie. Berlin 1984.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner